Wissen Sie, ich bin nicht der Meinung, dass Leidenschaft wichtiger ist als Sicherheit, jedenfalls nicht grundsätzlich. Natürlich haben wir alle diese große, heimliche Sehnsucht nach dem einen Menschen, der uns aus den Schuhen haut, und der für uns bestimmt ist. Unzählige Hollywoodfilme und Liebesromane speisen diese Sehnsucht, ganze Unterhaltungsindustrien bauen darauf auf. Aber erfahrungsgemäß kann Leidenschaft eine sehr kurzlebige Angelegenheit sein.
Und worum geht es, wenn man sich dafür entscheidet, sich an einen Menschen für eine lange Zeit, vielleicht für den Rest seines Lebens, zu binden? Es geht um viel mehr als um Begehren, um viel mehr als um Verliebtheit oder Zuneigung. Es geht um gegenseitige Wertschätzung, um Achtsamkeit, um Vertrauen, um Verantwortungsübernahme, um gemeinsame Werte und darum, den anderen sein zu lassen, wie er ist. Wer das von sich sagen kann, lebt in einer glücklichen Beziehung.
Obwohl ich in der Zeit nach Weihnachten wirklich gelitten habe, mehr als ich es je für möglich gehalten hätte, zweifelte ich nicht daran, das Richtige getan zu haben. Lennart war immer gut genug für mich gewesen, und er würde es auch in Zukunft sein. Natürlich war ich versucht, Caroline anzurufen, aber ich wusste gleichzeitig, dass es ein Fehler sein würde. Eine Freundschaft zwischen uns war nicht möglich, das hatte die Vergangenheit gezeigt. Entweder hatten wir uns gestritten, oder wir hatten uns geküsst. Beides war keine Lösung.
Also setzte ich alles daran, mein Leben so zu gestalten, als hätte es Caroline nicht gegeben. Ich packte meinen Terminkalender so voll, dass ich nicht zum Nachdenken kam, und in den Nächten schlief ich in Lennarts Armen ein, damit nicht Carolines Bild vor mir auftauchte.
Und so vergingen die Monate. Der Winter zog vorbei, und der Frühling kam. Und dann der Sommer. Im Juni, zum Ende der Theatersaison, gab es noch einmal eine kleine Feier, in der Caroline und ein paar andere Schauspieler, die das Ensemble verließen, verabschiedet wurden. Aber Caroline war so taktvoll gewesen, dafür zu sorgen, dass diese Feier nicht wie sonst in meinem Restaurant stattfand sondern in einem vietnamesischen Lokal in der Innenstadt, dessen Besitzer der Cousin eines Ensemblemitglieds war.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem Caroline die Stadt verließ. Drei Gläser sind mir an diesem Tag kaputt gegangen. Da der Umzug Hauptthema im Restaurant war, kam ich nicht umhin, mehr Details mitzubekommen als mir lieb war. Zum Beispiel erfuhr ich, dass Caroline einen Vertrag beim
Berliner Ensemble abgeschlossen hatte, weil sie ihre Pause vom Film verlängern wollte. Außerdem wurde gemunkelt, dass sie in Berlin einen Partner hatte, zu dem sie zurückzog. Ob der Partner eine reine Erfindung war oder ob er vielleicht in Wahrheit eine Partnerin war, vermochte ich nicht zu sagen. Es ging mich auch nichts an, denn der Tag war gekommen, an dem ich das Kapitel Caroline endgültig abschließen würde. Eigentlich hatte ich erwartet, darüber eine immense Erleichterung zu spüren, aber dem war nicht so. Alles, was ich fühlte, war eine große Leere.
Ich meine, es wäre im Herbst gewesen, als mir plötzlich auffiel, dass mir meine Freude abhandengekommen war. Bis dahin war ich so damit beschäftigt gewesen, die Tage zu überstehen und Carolines Gesicht aus meinen Träumen zu verbannen, dass ich nicht gemerkt hatte, wie sehr ich mich verändert hatte. Erst als mich eine Freundin darauf ansprach, geriet ich ins Nachdenken. „Du bist nicht mehr du selbst, Fanny“, sagte sie zu mir. „Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich.“
Das war der Moment, als ich aufwachte. Wie konnte es sein, dass ich ein dreiviertel Jahr täglich an einen Menschen dachte, den ich nicht haben konnte? Warum ließ ich das zu? Wieso konnte ich mich nicht an dem erfreuen, was ich hatte? Früher war das doch auch möglich gewesen. Wieso ging das jetzt nicht mehr?
Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass ich mich mit Lennart nicht mehr so wohl fühlte wie früher. Dauernd störten mich Kleinigkeiten, die mich früher nie gekümmert hatten. Ich wusste, dass es nicht an ihm lag sondern an mir, aber es gelang mir nicht, es abzustellen. Lennart sagte, ich solle meine schlechte Laune nicht an ihm auslassen, und ich konnte ihm nicht einmal widersprechen. Er hatte ja Recht.
Ich kam zu der Erkenntnis, dass ich ein dreiviertel Jahr mit Wegrennen verbracht hatte und dennoch nicht von der Stelle gekommen war. Und was sagte mir das? Es war Zeit für einen neuen Plan.
To be continued...