Kapitel 48: Snowflakes
"Ich stehe nicht auf der Liste!", hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich sagen. "Sondern hinter dir." Amber drehte sich langsam um. Ansgar! Sie zögerte kurz, warf sich in dann Ansgars Arme, und diesmal wehrte er sie nicht ab sondern drückte sie fest an sich. „Ich bin so froh, dass du nicht geflogen bist“, flüsterte sie. „Komm, lass uns nach Hause fahren“, sagte er nur. „Dein Auto steht noch immer im Halteverbot“, fügte er dann noch schmunzelnd hinzu.
„Warum hast du es dir anders überlegt?“ , wollte Amber wissen, nachdem sie im Wagen sassen. Ansgar, der am Steuer sass, überlegte kurz. „Naja, ich habe mein Portemonnaie bei dir liegen lassen, ich konnte nicht fliegen“, sagte er dann. „Wie? Das war der Grund?“, fragte Amber entgeistert. Ansgar lachte. „Nein, das war nicht der Grund.“ „Sondern? Du warst doch so entschlossen, warum hast du es dir anders überlegt?“ Ansgar erwidert nichts, sondern fuhr einfach weiter durch die Dunkelheit. „Ansgar! Ich rede mit dir“, sagte Amber ein wenig vorwurfsvoll. „Gleich“, sagte er nur und konzentrierte sich weiter auf die Strasse. „Ansgar du fährst falsch, da geht es nicht zu mir nach Hause“, wies sie ihn auf seinen Fehler hin. „Ich weiss“, gab er nur zurück. „Wo willst du hin?“, fragte sie wieder. Sie bemerkte, dass er den Weg zum Jacobiweiher einschlug. „Was willst du denn am See?“, fragte sie erneut. Ansgar antwortete wieder nicht. Kurze Zeit später hielt Ansgar den Wagen am Weiher an. „Woher kennst du dich überhaupt so gut hier aus?“, fragte sie wieder. Er beugte sich zu ihr herüber und sagte: „Von Geschäftsabschlüssen, die ich hier in Frankfurt getätigt habe. Ich war ja schon recht oft hier. Da fährt man eben ein wenig durch die Gegend.“ „Ja, aber was wollen wir hier um diese Zeit?“ „Steig aus, dann siehst du es“, forderte er sie auf. Amber sah ihn ein wenig entgeistert an, aber tat dann was er sagte. Es war klirrend kalt und noch immer lag Schnee, der Weiher war zugefroren. Amber konnte sich Schöneres vorstellen, als um diese Zeit hier am See zu frieren, aber sie sagte nichts. Ansgar ging ein paar Schritte mit ihr zum See hin, blieb dann stehen, drehte sich zu ihr herum. „Eine Zeit nach meinem Herzinfarkt hab ich einfach mal einen Tag blau gemacht, das heisst, ich bin nicht in die Firma gefahren, habe einen wichtigen Termin bewusst verpasst. Ich bin dann zu einem See in Düsseldorf gefahren, dort eineinhalb Stunden spazieren gegangen, um den Kopf freizubekommen. Ich hätte nicht gedacht, wie gut so etwas tut. Jedenfalls ist mir dann klar geworden, dass ich meine zweite Chance nutzen muss, die ich bekommen habe.“
Amber sah Ansgar ernst an. „Ja“, sagte sie nur. Er holte tief Luft und sagte dann: „Mir ist bewusst geworden, dass die Firma und die Macht nicht das Wichtigste im Leben sein können und wie sehr ihr mir eine Frau an meiner Seite wünsche.“ „Ansgar, ich habe auch nachgedacht“, unterbrach Amber seinen Monolog. „Vielleicht kann ich doch bei dir in der Firma…“ Ansgar hob eine Hand, bedeutete ihr, dass er zu Ende sprechen wollte. „Lass mich bitte zuende reden“, bat er. Amber nickte. „Ich habe diese Frau gefunden, Amber. Diese Frau bist du. Und egal, wie wir das Ganze lösen mit dem Wohnsitz oder ob wir uns wirklch nur am Wochenende sehen können, ich will mit dir zusammenein. Du bist die Frau, die weiss, wie ich ticke, die mich nimmt wie ich bin, und ich will das nicht aufgeben.“ Amber hatte bei seinen Worten mit den Tränen zu kämpfen und sah ihn sehr berührt an. Ansgar nahm ihre Hände, zögerte kurz, sah zu Boden, und Amber dann direkt an, seine Augen trafen die ihren. „Ich liebe dich“, sagte er leise, so als traute er sich nicht, diese Worte laut auszusprechen. Wieder stiegen Tränen in Ambers Augen auf. „Sag das nochmal“, bat sie ihn flüsternd. „Ich liebe dich. Sehr sogar.“ Amber hatte das Gefühl, der Boden würde sich unter ihr auftun, sie verschlucken. Sie hatte oft in seinen Augen lesen können dass er sie liebte, immer wenn er sie mit diesem Blick ansah, bei dem sie bis auf den Grund seiner Seele schauen konnte, aber es zu hören war noch einmal etwas anderes. Langsam zog Ansgar Amber an sich. In dem Moment fing es an zu schneien. Die Schneetropfen mischten sich mit Ambers Tränen, und als sie Ansgars Lippen auf den ihren spürte, war es als würde die Welt stehen bleiben. Sie war niemals so glücklich gewesen wie hier in dieser Nacht.
Sie küssten sich eine halbe Ewigkeit bis sie schon total voller Schnee waren. Doch keiner von ihnen bemerkte es oder störte sich gar daran. Amber war regelrecht süchtig nach Ansgars Küssen, sie krallte sich immer wieder in seine feuchten, dunklen, langen Haare im Nacken und hätte ihm am liebsten die Kleidung vom Leib gerissen, aber das wäre hier in der Kälte Wahnsinn gewesen.
Irgendwann lösten sie sich voneinander. Ansgar stand mit geröteten Wangen von der Kälte und der Leidenschaft vor ihr, und Amber bemerkte einmal mehr, wie schön dieser Mann war. Ihr Herz zog sich zusammen als sie sich daran erinnerte, wie er vorhin in ihrem Schlafzimmer so fertig gewesen war. Wie hatte sie ihn so verletzen können, wo er doch so viel für sie getan hatte? Amber streckte eine Hand aus und berührte Ansgars Gesicht. „Als du vorhin.. also, als du im Schlafzimmer.... ich weiss nicht, ich habe noch nie einen Mann weinen sehen.. das war so….“ Amber fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden. „Na, übertreib mal nicht, da war vielleicht eine kleine Träne.. aber...", spielte er die Situation herunter. "Aber selbst wenn. Ist das so ungewöhnlich?“, wollte er wissen. „In meiner Familie hat man sich nie Blößen gegeben, so etwas war verpönt. Drum war es für mich so.. overwhelming.. ach, mir fällt das deutsche Wort nicht ein“, sagte Amber. „Überwältigend?“ „Ja, genau, überwältigend, das wollte ich sagen.“ Sie nahm seine Hand. „Dass du so viel Nähe zulässst vor mir, das ist für mich absolut überwältigend und sehr schön. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich bin sehr froh darbüer, dass du mich an dich voll und ganz an dich heranlässt und mich in deine Seele schauen lässt. Ich weiss, das klingt kitschig, aber so empfinde ich das, und ich weiss, dass es nicht selbstverständlich bei dir ist.“ „Soll ich das von jetzt an öfter machen?“, flachste er. „Wenn dir danach ist, ja, aber ich möchte dich nicht noch einmal zum weinen bringen, höchstens irgenwann vorm Traualtar, wenn du mich siehst und ich dich zu Tränen rühre.“ Ansgar sah sie halb belustigt halb liebevoll an. „War das ein verkappter Heiratsantrag?“, lacht er. “Nein, aber ich weiss, dass du der Mann bist, den ich heiraten werde. Das wusste ich vom ersten Augenblick an.“ Sie sah ihn ernst an. „Ansgar, wir sind füreinander bestimmt, das weiss ich.“ „Komm, lass uns nach Hause fahren“, sagte er und nahm ihre Hand.
Als sie im Auto sassen, sagte Ansgar: „Es war sehr schön, was du gesagt hast eben. Und ich fühle genauso, das ist das Unheimliche.“ Amber sagte nichts, sondern beugte sich hinüber zu Ansgar und legte ihren Kopf in seinen Schoss. Mit der einen Hand lenkte Ansgar Ambers Auto und mit der anderen strich er ihr sanft über ihre Haare. Sie schlang die Arme um seine Beine und schob sich ganz dicht an ihn heran so als könnte sie nicht mal im Auto ohne seine Berührungen auskommen. ‚Ich liebe dich so sehr, Ansgar‘, dachte sie innerlich und schloss die Augen.
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