Kapitel 20: Just the average? (tut mir leid, ist sehr lang, aber wollte es nicht splitten)
„Du siehst sehr gut aus“, sagte er anerkennend. „Danke, du aber auch“, gab sie das Kompliment zurück. Ansgar zog ihr den Stuhl zurecht, und sie setzte sich hin. Er sah sie einen Moment lang nur an. „Ich bin dir noch eine Erklärung schuldig für mein seltsames Verhalten neulich am Telefon“, sagte sie schnell, wie um es loszuwerden. „Hast du es so eilig? Bestell dir doch ersteinmal in Ruhe etwas zu trinken“, schlug Ansgar vor. Amber schüttelte den Kopf. „Nein, es ist wichtig, mir wichtig. Du sollst wissen, dass das nicht meine Art ist, jemanden so abzukanzeln, aber… aber ich hatte meinen Grund.“ Sie blickte zu Boden. Ansgar räusperte sich. „Was für einen Grund? Bist du verheiratet?“ Amber blickte überrascht hoch. „Nein, das ist es nicht. Ich habe Dinge über dich gehört. Schlimme Dinge. Meine Freundin hat sie mir erzählt.“ In dem Moment kam Kellner Lucas und nahm ihre Getränkebestellung auf. Als er wieder weg war fragte Ansgar: „So, schlimme Dinge. Was denn zum Beispiel?“ Amber zögerte. „Naja, dass du die Frauen in deinem Leben nur unglücklich gemacht hast, dass du deine Mutter auf dem Gewissen hast, weil sie sich umgebracht hat wegen dir und noch mehr solche Geschichten.“ Ansgar holte tief Luft. Was hatte er erwartet. Er war weit über die Grenzen Düsseldorfs bekannt, und es war nicht verwunderlich, dass die Freundin von Amber, die ja auch in der Stadt wohnte, Informationen über ihn hatte. Seine Vergangenheit würde ihn immer und überall einholen. „Und darum hast du dir gedacht, es ist besser, sofort Abstand von mir zu nehmen, anstatt dir vielleicht ein eigenes Urteil zu bilden?“ sagte er eine Spur zu provokativ und sah ihr direkt in die Augen. Amber hielt seinem Blick stand. „Erst ja“, gab sie zu. „Aber dann habe ich darüber nachgedacht, dass die Leute immer viel reden, und dass ich selbst am besten weiss, wie es ist, zu Unrecht so einen schlechten Ruf zu haben.“ „Es ist nicht zu Unrecht, dass ich einen schlechten Ruf habe“, sagte Ansgar direkt. Amber sah ihn jetzt sehr überrascht an. „Es sind einige Dinge in meiner Vergangenheit passiert, auf die ich nicht stolz bin, aber ich kann sie nicht mehr ändern. Was du gehört hast ist natürlich nur eine Seite der Geschichte, und es gibt noch immer eine zweite.“ „Ich weiss“, beeilte sich Amber zu sagen, „Deswegen bin ich hier. Ich bin niemand, der sich abschrecken lässt von so etwas. Dafür hast du mir einfach zu gut gefallen an unserem Abend im No Limits. Und ich werde dich auch gar nicht fragen, was genau da alles gelaufen ist. Es interessiert mich einfach nicht. Ich möchte dich aber näher kennenlernen, Ansgar.“
Wieder unterbrach Lucas sie weil er ihre Bestellung aufnehmen wollte. Ansgar kam diese Unterbrechung ganz gelegen, so hatte er Zeit sich eine Antwort zu überlegen. „Äh, wir sind noch gar nicht dazu gekommen, uns etwas auszusuchen“, sagte Amber. „Ich kann Ihnen das Tagesgericht sehr empfehlen“, sagte Luca und wies auf eine Tafel in der Ecke. Ansgar schlug seine Karte zu. „Das nehmen wir“, sagte er kurzentschlossen. Amber zog die Augenbrauen hoch. „Ich nicht, danke. Ich bin Vegetarierin. Bitte bringen Sie mir ein vegetarisches Gericht. Einen Salatteller vielleicht. Danke.“ Sie klappte ebenfalls die Karte zu und überreichte sie Luca. Dieser zählte noch die verschiedenen Salatteller auf, und Amber entschied sich für einen Teller mit Schafskäse. Ansgar sah sie herausfordernd an, hob dabei leicht belustigt die Augenbrauen. „So, so, Vegetarierin“, sagte er. „Was dagegen?“ gab sie schlagfertig zurück. „Bin ich jetzt in eine Kategorie reingeplumpst wie „extreme Tiefreundin, Fanatikerin oder Menschen-die-Fleisch-Essen-Hasser?“ Ansgar sah sie amüsiert an. „Du meinst so ählich wie das Klische von der lesbischen Frau im Holzfällerhemd?“ „Ja, in etwa. Menschen wie du denke so, hab ich recht?“ „Was heisst hier Menschen wie ich?“ erboste sich Ansgar gespielt böse. „Kann es nicht genau erklären. Aber ich glaube, dass du so jemand bist. Im übrigen esse ich kein Fleisch weil ich es nicht mag. Es kann theoretisch sein, dass mich alle zwei Jahre die Gelüste zu einem Bratwurststand treiben, weil ich die durchaus noch ganz lecker finde, aber grundsätzlich mag ich einfach kein Fleisch. That´s all.“ Ansgar lachte. „Bratwurststand. So so, interessant. Ich konsumiere für gewöhnlich nicht bei einen Imbiss, aber wenn´s dir schmeckt.“ „Das ist mir schon klar, bei euch auf dem Schloss wird wohl so etwas nicht serviert.“ Ansgar schmunzelte. „Ich kanns ja mal anregen. Bratwurstschnecken an Pommes mit Krautsalat oder dergleichen“ Amber fing an zu lachen. „Das wäre doch mal was anderes“, sagte sie. Ansgar stellte sich Justus konsterniertes Gesicht vor, wie er sagte: „Sehr wohl, Herr Graf“, beim Servieren der Bratwurst und musste ebenalls lachen. Dann wurde Amber wieder ernst und sagte: „Ich kann mir gar nicht so wirklich vorstellen, wie das bei euch auf dem Schloss so abgeht, ich muss unbedingt mal zu Besuch kommen.“ „Du bist jederzeit willkommen“, sagte Ansgar. „Aber was ich mich frage, wenn dein Vater Inhaber einer Bank ist, dann bist du ja sicherlich auch nicht unerfahren was Personal angeht, auch wenn du nicht auf einem Schloß wohnst.“ Amber schüttelte den Kopf. „Naja, wir haben immer in einem Penthouse gewohnt, aber wir hatten nur eine Putzfrau und ein Kindermädchen als ich klein war, sonst nichts. Nichts extrem ungewöhnliches. Um Frankfurt herum im Umland haben wir noch ein Haus, wo wir uns im Sommer gerne mal zurückziehen. Aber es ist nichts im Vergleich zu einem Schloss. Ich bin jetzt nicht so extrem verwöhnt worden, nur weil mein Vater ein einflussreicher Mann in Frankfurt ist. Ich sollte so stinknormal wie möglich aufwachsen. Klar, meine Mitschülerinnen haben schon dumm geschaut, wenn sie uns besuchten, das Penthouse hat so 200 m² und ist schon ganz schick, aber ich glaube, da gibt es andere Kaliber wie z.b. euer Schloß. Ich hatte auch ein paar Privilegien wie mein eigenes Reitpferd und solche Sachen, und vielleicht war meine Gaderobe ein wenig teurer als die meiner Mitschüler, aber eigentlich bin ich so durchschnittlich wie jede andere Frau auch. Ich mache mir nicht so viel aus Luxus. Ich brauche keine Yacht oder einen Privatchaffeuer. Ich kann selbst fahren. Gut, ich habe mir ein Auto gekauft vor kurzem. Das ist jetzt nicht unbedingt ein Nissan Micra, aber wie ich schon sagte, ich bin kein verwöhntes Luxusgirlie.“
Nach Ambers Monolog sah Ansgar sie interessiert an. „Lass mich raten. Ein Mercedes Cabriolet? Tiefschwarz?“ Amber schüttelte den Kopf. „Nein. Ein Cabrio kommt für mich nicht in Frage. Wozu soll ich so viel Geld für ein Auto ausgeben, wo das Dach fehlt, bzw. wenn es kein Hardtop ist? Zudem bekomm ich Kopfschmerzen von solchen Dingern. Ich bin früher in dem Auto meiner Mutter, was ich ein Cabrio war, unterwegs gewesen, ständig hatte ich am nächsten Tag Migräne. Nein, das ist nichts für mich. Ich fahre einen 5er BMW. Schwarz. Mit Ledersitzen.“ Ansgar zog die Augenbrauen hoch. Diese Frau gefiel ihm immer besser. „Mercedes kann ich fahren wenn ich alt und grau bin. Ist meines Erachtens nur was für Opas.“ Sie stach in den Salat, der ihr soeben serviert wurde. "Na, der Opa sitzt vor dir“, gab Ansgar belustigt zurück. Amber sah ihn überrascht an. „Du fährst Mercedes? So alt hatt ich dich gar nicht geschätzt“, sagte sie halbernst. „Unter anderem, ja. Aber auch BMW, falls es dich beruhigt. Wie alt schätzt du mich denn? Wieso weisst du das nicht überhaupt, wenn du dich doch schon so genaustens über mich informiert hast?“ Die Unterhaltung fing an, Ansgar Spass zu machen. „Na, so dekadent bin ich nicht, dass ich mehrere Autos brauche. Die Frage nach dem Alter.. ja, es interessiert mich eigentlich nicht, wie alt du bist, weil ich das nicht für wichtig erachte, aber so 41 hätte ich schon gesagt.“ Amber stocherte wieder in ihrem Salat herum, spiesste ein Blatt auf und schob es sich in den Mund. Ansgar war es als hätte er einen mit der Keule bekommen. 41. Sie schätzte ihn älter als er war. Das gefiel ihm eher nicht so wirklich. „Ähm, fast, ich bin vor ein paar Tagen 40 geworden“, sagte er. „Ups, naja, gut, das eine Jahr, Alles Gute nachträglich“, meinte sie dann. „Danke. Naja, wenn man euch Frauen zu alt schätzt, dann wäre das schon eine Kastastrophe, nicht wahr?“ „Wie alt schätzt du mich?“ fragte sie dann. Ansgar feixte innerlich. „36.“ kam es wie aus der Pistole geschossen. Amber runzelte die Stirn, liess sich aber nichts anmerken. „Auch ein Jahr zuviel“, sagte sie nur. „Ich weiss. Ich kenne dein Alter. Ich habe es nachgelesen.“ Amber stutzte, dann begriff sie. „Retourkutsche, ich verstehe.“ Sie lachte. „Aber wenn es dich beruhigt, ich hätte dich auf höchstens 29 geschätzt.“ „Alter ist nicht wichtig. Wichtig ist, wie man drauf ist und wieman sich gibt. Du bist halt ein Mann, der mit dem Alter immer besser wird, das sieht man auf den ersten Blick. Ich wette als du so alt warst wie ich sahst du aus wie ein Milchbubi. Jetzt erst siehst du aus wie ein richtiger Mann“, sagte Amber, und Ansgar begann das Gespräch wieder ausnehmend gut zu gefallen. „Ja, das kann schon sein, wenn du das so siehst“, schmunzelte er. Amber liess die Gabel sinken und sah Ansgar direkt an. „Im Ernst, unter 40 schau ich gar keinen Mann an, die sind doch alle noch grün hinter den Ohren. Aber du, du bist jemand, der etwas darstellt. Das ist mir schon am ersten Abend hier im Schneiders aufgefallen. Ich wusste nicht wer du warst, aber du hast eine Präsenz, die ist unglaublich. Ob da nun zwei Falten auf deiner Stirn sind oder du eventuell zwei Gramm zuviel auf den Hüften hast, ist unerheblich.“ Das wiederum gefiel Ansgar jetzt wieder nicht wirklich. „Ich weiss jetzt nicht, ob ich das als Kompliment auffassen sollte?“ sagte er und grinste. „Kannst du. Wirklich. Ich meine damit nicht, dass du zu dick bist oder so, um Gottes Willen, nein genau richtig. Ich hasse so extrem durchtrainierte Männer, die sind meistens hohl in der Birne, zudem haben Männer, die Verantwortung tragen oft gar nicht die Zeit sich stundenlang im Gym zu quälen. Nee, lass mal, du bist genau richtig wie du bist.“ Ansgar wusste gar nicht was er sagen sollte. Amber hatte eine sehr lockerere Aussprache, sie redete wie ihr den Schnabel gewachsen war. Ansgars Wortlaute wären sicherlich andere gewesen, aber das was Amber sagte, gefiel ihm schon. Obwohl sie aus reichem Elternhaus kam, war sie nicht affektiert oder eingebildet, oder bemühte sich, in Konversationen um eine gewählte Aussprache, nein, sie war sie selbst, und das fand Ansgar sehr reizvoll. „Na, da bin ich ja beruhigt“, gab er belustigt zurück. „Ich rede dummes Zeug, verzeih“, sagte sie etwas verlegen. „Das kommt wenn ich aufgeregt bin.“ „Schon okay, alles gut“, wigelte Ansgar ab. „Ich mag es wie du bist. Du bist ehrlich. Das gefällt mir. Du gefällts mir.“ Er sah sie direkt an und merkte wie sie ganz leicht rot wurde. So selbstbewusst war sie anscheinend doch nicht. „Und du gefällts mir auch. Sehr sogar", sagte sie dennoch und erwiderte seinen Blick. Ansgar sah ihr einmal mehr in die Augen und hatte auf einmal das dringende Bedürfnis aufzustehen und mit ihr aus dem Schneiders zu gehen, irgendwohin, wo sie alleine waren. „Irgendwie habe ich keinen Hunger mehr“, sagte sie und liess die Gabel fallen. Ansgar, der schon aufgegessen hatte, fragte: „Kein Dessert? Mögt ihr Frauen doch so gerne.“ „Doch. Aber nicht hier.“ sagte sie. Ansgar blieb fast die Luft weg. Das war eindeutig.
_________________
|