Ich kehre in mein Büro- im Übrigen das erste Mal überhaupt dass ich ein eigenes Büro für mich ganz alleine habe- und lasse mich in meinen ergonomisch höchstentwickelten Schreibtischstuhl sinken. In der Tasche spüre ich das gefaltete Papier. Mein Bild. Oder ihr Bild, wie man es sehen möchte. Ich habe es mir lange angeschaut. Es ist mit so viel Liebe zum Detail gemalt. Einige Male hab ich mich schon gefragt, wie lange sie dort gesessen hat. Eine Stunde? Zwei Stunden? Wenn ich von meinem "Talent" ausgehe wohl eher fünf Tage. Ich will es anschauen, immer wieder. Und doch wieder nicht. Es schmerzt. Es brennt. Manchmal schreit es "Ausrutscher!".
"Gräfin Lahnstein, kann ich kurz mit Ihnen reden?"
"Natürlich Frau Mann. Wo drückt der Schuh?"
"Nun. Die sieben Tage sind Morgen rum", und ich frage mich immer noch wie ich das heil überstanden habe, "und ich wollte Ihnen mitteilen, dass ich nicht auf Ihr Anwesen ziehen werde."
"Ich habe nichts anderes erwartet."
"Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich hätte es seine Vorteile", zum Beispiel dass ich immer in ihrer Nähe wäre, was zugleich aber auch ein Nachteil ist, "aber ich denke es ist besser, wenn ich in meinen eigenen vier Wänden bleibe."
"Wie Sie meinen."
"Bitte denken Sie nicht, dass ich mich wegen…Ihnen so entschieden habe. Ich habe nur einfach gern meine eigene Wohnung."
"Das kann ich voll und ganz nachvollziehen, Frau Mann. Solange Sie uns als Schlossverwalterin weiterhin erhalten bleiben, sehe ich keinen Grund Ihre Entscheidung nicht zu akzeptieren."
"Vielen Dank. Das wars dann auch. Oder haben Sie noch eine Bitte?"
"Nun, wenn Sie schon mal hier sind. Setzen Sie sich doch bitte einen Moment."
Ich zögere. Es ist nicht gut für mich so lange mit ihr in einem Raum zu sein. Besonders nicht, wenn das halbe Schloss ausgeflogen ist. "Ja, bitte."
"Frau Mann…nein, Stella. Wie geht es dir?"
"Wie soll es mir schon gehen? Arbeit ist immer da. An manchen Tagen ist so viel zu tun, dass ich Überstunden machen könnte. So wie heute. Da waren die Vorhänge die aus der Reinigung kamen und beim Aufhängen ist uns aufgefallen, dass auf einer langen weißen Stoffbahn ein Brandloch ist. Bis ich die Reinigung mal erreicht hatte, war eine Ewigkeit vergangen." Carla erhebt sich, aber ich plappere munter weiter. "Dann war da noch Joseph, der Gärtner. Er hat sich nen Bandscheibenvorfall zugezogen und da musste dann natürlich auch eine Vertretung her. Und in der Küche ging es drunter und drüber. Irgendwer hat beim Einkaufszettel doch tatsächlich 20 Packungen Zucker aufgeschrieben, anstatt zwei. Das musste natürlich verstaut werden."- dass ich das mit den Zahlen bei ein oder zwei Gedanken an sie vermasselt hatte, musste ich ihr nicht stecken. Dafür gab es ja schließlich keinen Grund. "Und dann noch die alltäglichen Aufgaben nicht zu vergessen. Nicht, dass ich mich beklagen will, heute kam nur einfach alles zusammen."
"Vielleicht könntest du eine Massage vertragen", meint Carla und fängt an mir die Schultern durchzukneten.
Ich weiß nicht wie ich reagieren soll. Klar, eine Massage ist nie verkehrt, aber von Carla. Das kann doch nur wieder böse enden. "Gräfin Lahnstein…"
"Stella, wirst du je lernen wann du deinen Mund zu halten hast?" Sie hebt meinen Kopf so weit in den Nacken dass ich ihr direkt in die Augen sehen muss. "Ich hoffe du weißt wie sehr deine Anwesenheit mich quält."
"Sollte ich?" Ich meine, klar, in manchen Momenten sah es schon so aus, als wäre sie traurig oder nachdenklich. Wenn sie nicht damit gerechnet hat mir zu begegnen. Wenn sie glaubte allein zu sein. Aber woher sollte ich wissen, dass ich Grund dafür sein könnte? Der Sinn dahinter, wenn man etwas nicht offen zeigt, ist ja schließlich, dass nicht jeder es sehen soll.
"Stella, bitte."
So wie sie mich anschaut, hab ich fast ein bisschen Mitleid mit ihr. "Aber Gräfin Lahnstein. Sie haben mich doch eindeutig in meine Schranken gewiesen. Und ich bin nicht der Typ für eine Affäre. Das will ich nicht."
"Es ist in Ordnung. Sie können jetzt gehen."
Dieses Mal bin ich es, die sich plötzlich erhebt und die Gräfin zu sich zieht. "Ich glaube nicht, dass ich Sie…dich jetzt allein lassen sollte." So aussichtslos es manches Mal auch scheinen mag, und so sehr ich sie verstehe, dass eine Beziehung mit einer Angestellten nur für Aufregung und Tratsch sorgen würde, so kann ich doch nicht einfach so alleine lassen. Das macht man nicht, erstrecht nicht mit dem Menschen den man liebt. "Was hältst von einem heißen Bad, einer Tasse heiße Schokolade und einem guten Buch?"
"Viel."
"Gut, ich lasse dir Wasser ein und wenn du in 10 Minuten in deine Suite kommst, ist alles vorbereitet."
"Danke dir."
to be continued
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