Teil 365:
Helena, Ansgar und Marie saßen zusammen im Esszimmer, als Justus ein wenig verlegen den Raum betrat „verzeihen Sie bitte die Störung, aber Herr Berger wünscht dringend Gräfin Helena zu sprechen“ teilte er den Anwesenden mit „Lukas ist hier?“ fragte die Gräfin überrascht, da sie nicht damit gerechnet hatte, dass er sie so schnell aufsuchen würde, nachdem sie ihm das Herz gebrochen hatte. Der Butler schüttelte den Kopf „der andere Herr Berger“ erklärte er, woraufhin Helena die restliche Farbe aus dem Gesicht wich „sagen Sie ihm, dass ich nicht zu sprechen bin“ erwiderte sie knapp, aber Justus kam nicht mehr dazu, da Karsten sich an ihm vorbei drängte „was erlauben Sie sich?“ echauffierte der Butler sich und packte den Mann am Kragen. Karsten wusste, dass er nicht viel Zeit haben würde, um sich zu erklären und platzte direkt mit der Nachricht heraus „Lukas liegt im Krankenhaus! Bitte hör mir einen Moment zu, Helena.“ Die Brünette stand abrupt auf „lassen Sie ihn los, Justus! Sie können sich zurückziehen“ wies sie den Butler an, der daraufhin widerwillig das Feld räumte „was ist mit Lukas? Wieso ist er im Krankenhaus?“ Karsten machte ein betretenes Gesicht „er ist gestern von einem Auto angefahren worden, weil er einfach über die Straße gelaufen ist. Zum Glück kam schnell Hilfe...er hat einiges abbekommen, aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Zumindest was die körperlichen Verletzungen angeht...“ erklärte er und blickte Helena direkt in die Augen, die entsetzt die Hand vor den Mund geschlagen hatte. Ansgar verstand die Aufregung nicht „tja, beim nächsten Mal wird er wohl drei mal gucken, bevor er über die Straße geht“ bemerkte er leicht zynisch und fing sich dafür einen bösen Blick von Marie ein, die ehrlich betroffen war „das war mehr als unpassend. Ich glaube, wir lassen die beiden mal einen Moment alleine“ sagte sie und zog ihn mit sich nach draußen, da er keine Anstalten machte von selbst aufzustehen. Helena war noch immer ganz benommen von der Nachricht und wich dem bohrenden Blick ihres Gegenübers aus, indem sie den Kopf senkte „warum hast Du das getan? Wieso musstest Du Dich denn gleich von ihm trennen? Lukas ist fix und fertig, er versteht die Welt nicht mehr! Wie sollte er auch, wo Du ihm ja nur die halbe Wahrheit gesagt hast“ bemerkte er vorwurfsvoll, was die Gräfin wütend machte „glaubst Du, mir ist das leicht gefallen? Was hätte ich denn tun sollen? Ihm sagen, dass ich mit seinem Bruder im Bett war? Es reicht doch schon, dass ich unsere Beziehung zerstört habe, soll ich ihm jetzt auch noch seine Familie nehmen? Lukas hat doch nur noch Dich, willst Du wirklich, dass er es erfährt und uns beide danach hasst? Ich fühle mich schon elend genug, auch ohne Deine Vorwürfe! Du solltest froh sein, dass ich es ihm nicht gesagt habe, sonst hättest Du jetzt nämlich keinen Bruder mehr. Außerdem braucht Lukas Dich jetzt…mehr denn je.“ Sie wandte sich von ihm ab, damit er ihre Tränen nicht sehen konnte, doch Karsten packte sie am Arm und zwang sie sich wieder umzudrehen „falsch, was er wirklich braucht, bist DU! Wie stellst Du Dir das denn vor? Soll ich ihn einfach immer weiter anlügen? Es ist einfach sich aus allem raus zu ziehen, Helena, aber ich kann das nicht. Ich muss ihm weiter ins Gesicht lügen, jeden verdammten Tag! Ich versuche ihn zu trösten, weil er darunter leidet, dass er Dich verloren hat, obwohl ich mit dafür verantwortlich bin. Weißt Du eigentlich, wie sich das anfühlt? Du kannst ihn nicht einfach so abservieren, das hat er nicht verdient! Bitte rede noch mal mit ihm...bitte, Helena, das bist Du ihm schuldig. Wir beide sind es ihm schuldig.“ Während seines Appells war sein Griff fester geworden, seine Augen fixierten die ihren, sie hatte keine Chance sich ihm zu entziehen „wir können es ihm nicht sagen...es wird ihm das Herz raus reißen, verstehst Du das denn nicht? Ich kann ihm das nicht antun. Wie soll ich es denn erklären? Ich weiß doch selbst nicht, wie es so weit kommen konnte. Wenn er erfährt, dass die beiden Menschen, denen er am meisten vertraut hat, ihn hintergangen haben, dann hat er niemanden mehr, Karsten. Willst Du das wirklich? Müssen wir seinen Schmerz noch größer machen, als er ohnehin schon ist? Mich wird er irgendwann vergessen...und dann wird er eine Frau finden, die ihn glücklich macht, wie er es verdient“ sagte sie mit erstickter Stimme, fast so, als bereiteten die Worte ihr Schmerzen. Tatsächlich war der Gedanke, dass eine andere Frau Lukas glücklich machen könnte, unerträglich für Helena, doch erschien es ihr als gerechte Strafe für das, was sie getan hatte „ich weiß nicht mehr, was richtig ist“ gab Karsten schließlich zu und ließ von ihr ab „ich weiß nur, dass ich will, dass mein Bruder wieder glücklich ist. Er liebt Dich, und wenn Du ihm begreiflich machen kannst, dass es...nichts zu bedeuten hatte, dann wird er Dir verzeihen. Du musst es wenigstens versuchen, Helena und egal, was Du ihm erzählst, ich werde Dir nicht dazwischen funken. Wenn es der einzige Weg ist, damit alles wieder gut wird, dann bin ich bereit zu schweigen.“ Helena sah ihn aus müden Augen an, und plötzlich hatte sie das Bedürfnis sich einfach in seine Arme zu werfen, doch sie tat es natürlich nicht „ich muss darüber nachdenken“ erwiderte sie leise und verließ ohne ein weiteres Wort den Saal.
„Wow, das lief echt super, oder? Der Typ hat uns regelrecht aus der Hand gefressen. Ich bin mir sicher, dass da soeben der erste Großkunde von Visions durch die Tür gegangen ist“ plapperte Rebecca munter drauf los, die sichtbar erleichtert war, ob des erfolgreichen Gespräches. Sie holte ein paar Gläser aus dem Schrank und bat Martha den Rest der Belegschaft zusammen zu rufen „darauf sollten wir unbedingt anstoßen“ verkündete sie fröhlich und boxte leicht gegen Juris Schulter, als dieser keine Reaktion zeigte „hey, Du alter Brummbär, jetzt freu Dich doch mal ein bisschen mit. Oder hast Du etwa Zweifel, dass wir den Zuschlag bekommen?“ Der Designer zuckte kurz zusammen, als ihm bewusst wurde, dass er seine Partnerin die ganze Zeit angestarrt hatte „ähm, was?“ fragte er irritiert und schaute sie etwas hilflos an „ob Du noch Zweifel hast? Mensch, Juri, was ist denn los? Du bist schon die ganze Zeit so...abgelenkt.“ Juri stand auf, um ein wenig Abstand zu gewinnen und versuchte seine verwirrenden Gefühle zu kontrollieren, die ihm zu schaffen machten, seit Rebecca am Morgen das Label betreten hatte. Sie trug eines der Kleider, was sie gemeinsam entworfen hatten und trotz ihrer Schwangerschaft, oder vielleicht auch gerade deshalb, sah sie umwerfend darin aus. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie jemals so gestrahlt hatte, ihre großen Augen leuchteten noch heller als sonst und alles an ihr erschien ihm plötzlich irgendwie anmutig. Er hatte sich kaum auf den Termin konzentrieren können, seine Blicke waren immer wieder abgeschweift, um die schöne Brünette zu beobachten, die voller Leidenschaft und Inbrunst von ihrer ersten gemeinsamen Kollektion sprach, und den potentiellen Kunden innerhalb kurzer Zeit für sich gewonnen hatte. Juri konnte es verstehen, an diesem Tag wäre wohl jeder Mann ihrem Charme und ihrer Ausstrahlung erlegen. Er fragte sich, woran es lag, dass Rebecca in letzter Zeit eine solche Leichtigkeit ausstrahlte und wollte ihr gerade antworten, als erneut dieses zauberhafte Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. Die junge Gräfin drückte ihm die Flasche Champagner in die Hand „kümmerst Du Dich bitte darum?“ sagte sie und lief ihrer Frau entgegen, die gerade zur Tür herein gekommen war. Marlene hielt eine einzelne Rose in der Hand, die sie unterwegs hatte auftreiben können „und, was habe ich gesagt? In dem Outfit war alles andere nur noch Formsache“ flötete sie „Du solltest nicht von Dir auf andere schließen, mein Schatz“ erwiderte Rebecca amüsiert. Sie umarmte die Blondine und gab ihr einen Kuss „für mich? Das ist ja süß“ sagte sie, als Marlene ihr die Rose reichte „falsch, DAS ist eine Blume. Süß bist nur DU“ konterte die Blonde grinsend, was Juri dazu veranlasste die Augen zu verdrehen. Er schüttelte mit Absicht die Champagner Flasche, was dafür sorgte, dass der Korken mit ziemlich viel Schmackes Richtung Decke flog. Die beiden Frauen zuckten erschrocken zusammen „na, das habe ich aber auch schon eleganter gesehen“ bemerkte die Clubbesitzerin „tja, ich bin eben Designer und kein Barkeeper“ brummte er und stellte die Flasche auf den Tisch. Inzwischen waren auch die anderen Mitarbeiterinnen erschienen und ließen sich von Rebecca auf Stand bringen, die die Gelegenheit nutzte, um sich zu bedanken „ohne Euch wäre das alles nicht möglich gewesen und ich weiß, dass wir gemeinsam noch sehr viel mehr schaffen werden. Heute sind wir einen entscheidenden Schritt weiter gekommen, und nach der großen Fashion Show wird sich zeigen, ob Visions mit den führenden Modelabels mithalten kann. Wir sind guter Dinge und möchten Euch unseren Dank aussprechen, für Euer Engagement, Eure Zeit und für Euer Vertrauen“ erklärte sie und hob ihr Glas in die Höhe. Die Anwesenden klatschten erfreut in die Hände und ließen sich den Champagner schmecken „Du hättest ruhig auch ein paar Worte verlieren dürfen“ flüstere die Gräfin ihrem Partner zu „wieso, Du hast doch alles gesagt“ entgegnete er gewohnt knapp, was Rebecca zum Lachen brachte. „Hab ich Dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich sehr gerne mit Dir zusammen arbeite? Und das, obwohl Du echt ein komischer Kauz bist“ foppte sie ihn, was Juri tatsächlich ein leicht verschämtes Lächeln entlockte „nö, hast Du nicht. Aber es war mir trotzdem klar“ bemerkte er betont cool und ließ sein Glas gegen ihres klirren, wobei er ihr einen Moment zu lang in die Augen sah. Zwar fing er sich recht schnell wieder, doch Marlene hatte die beiden beobachtet, und ihr gefielt nicht, was sie sah. Sie schloss zu ihnen auf und nahm Rebecca zur Seite „was dagegen, wenn ich Dich jetzt mit nach Hause nehme? Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir zwei einen Deal und Du hast Deinen Teil noch nicht eingelöst“ sagte sie leise, aber gerade laut genug, dass Juri es hören konnte. Sie glaubte zu erkennen, dass er die Zähne etwas zu fest aufeinander presste, aber vielleicht bildetet sie sich das auch nur ein. Rebecca trank schnell ihren Orangensaft aus und lächelte schelmisch „als ehrliche Geschäftsfrau stehe ich natürlich zu meinem Wort“ säuselte sie, drückte Juri einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm die angebotene Hand ihrer Frau. Sie verabschiedeten sich von den anderen, bevor sie gemeinsam das Label verließen, und auch Juri zog sich zurück, um in Ruhe über das nachzudenken, was gerade mit ihm passierte. Er kam schnell zu dem Entschluss, dass es nicht gut war und doch fühlte es sich auf sonderbare Weise richtig an. Er holte seine Geldbörse aus der Tasche, zog etwas aus dem hinteren Fach und betrachtete stumm das Bild, das er seit einigen Wochen immer bei sich trug.
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