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BeitragVerfasst: 03.11.2011, 12:28 
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hallo kimlegaspi

ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass es grosses vergnügen bereitet, deine geschichte(n) zu lesen. für mich ist deine art zu schreiben praktisch perfekt und ich wünschte, ich könnte meine gedanken nur halb so gut zum ausdruck bringen.

ein wirklich ganz ganz grosses lob!


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Verfasst: 03.11.2011, 12:28 


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BeitragVerfasst: 03.11.2011, 18:26 
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kimlegaspi hat geschrieben:
[b]Ich muss hier mal was Grundsätzliches loswerden:

Ihr glaubt gar nicht, wie wohltuend und stärkend eure Kommentare sind. Wenn man so vor sich hinschreibt, ist das in gewisser Weise ein sensibler Prozess und ungewollt auch ein bisschen exhibitionistisch in dem Sinne, dass der Prozess ja aus einem selbst heraus geboren wird. (Sorry, das klingt jetzt leider sehr hochgestochen, so ist es nicht gemeint. Ich würde denken, dass das für jeden Menschen gilt, der etwas kreiert und es mit anderen teilt, ob es ein Text, ein Wallpaper, ein Musikvideo, ein gemaltes Porträt oder ähnliches ist).

Das verleiht dem Geschriebenen, zumindest für mich, etwas Verletzliches, und deswegen ist es für mich nicht mal eben leicht getan, etwas, was ich so vor mich hinschreibe, hier mit euch zu teilen, ob es nur drei Zeilen wären oder eine ganze Geschichte wie in diesem Fall. Aber ihr seid dermaßen unterstützend und wertschätzend, dass es zu einer wahren Freude wird. Das ist nicht selbstverständlich, spricht aber für die gute Atmosphäre in diesem Forum, und ich danke euch aus vollem Herzen dafür.

:liebe3: :liebe3: :liebe3: :danke: :danke: :danke: :liebe3: :liebe3: :liebe3:


ach Kim, das hast du wunderbar formuliert. Ich kann dich so gut verstehen, mir geht es genau so. Vermutlich ist es ein ähnlich sensibler Prozess wenn man in seinem stillen Kämmerlein kreativ vor sich hin schreibt, am Computer Videos schneidet und/oder Bilder bearbeitet, wie bei mir, wenn ich zeichne. Es fällt mir nicht immer leicht die Angst vor dem "weißen Papier" zu überwinden, das gelingt manchmal besser, manchmal nicht so gut. Ein riesiger Ansporn ist die überwältigende Unterstützung durch die Fans hier, nach einer Veröffentlichung. Es tut einfach sooo gut, wenn man spürt, deine Werke werden gesehen, sie gefallen und werden wohlwollend kommentiert.

Weiter so Kim, du schreibst einfach wundervoll und ich bin glücklich, dass du deine Worte mit uns teilst. :knuddel:


LG


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BeitragVerfasst: 03.11.2011, 19:27 
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leider hab ich durch meinen Schichtdienst nicht so die Zeit und wohl auch nicht den Nerv, mich kreativ hinzusetzen und Geschichten zu schreiben..Deswegen bewundere ich Diejenigen, die dafür Zeit haben und sich auch die Zeit nehmen..Bis jetzt habe ich wundervolle Geschichten im Forum lesen können und deine Kim sind einfach nur sensationell und einzigartig..

Freue mich auf den nächsten Happen..:-)


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BeitragVerfasst: 03.11.2011, 21:25 
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Hallo wuschidesi! Ganz, ganz vielen Dank für deine Worte. Das bedeutet mir wirklich viel.

P.S.: Was für ein zauberhaftes Foto.

:herzschlag:


Hallo tiefgang! Ja, das kann ich ganz gut nachempfinden, was du sagst. Zwar habe ich null Begabung im Zeichnen und bewundere jede/n, die/der das kann, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Zaudern und Hadern ein Ähnliches ist :). "Die Angst vor dem weißen Papier", das hast du schön gesagt - könnte der Anfang einer neuen Geschichte sein....

:herzschlag:


Hallo maddy! Puh, Schichtdienst kann glaube ich jeden kreativen Funken killen. Da habe ich Glück, dass ich halbwegs geregelte Arbeitszeiten habe :). Danke für deine tolle Unterstützung und die lieben Worte!


:herzschlag:



Im nächsten Häppchen erlebt Matthias übrigens eine Überraschung, Carola kommt ins Nachdenken und Anna fällt eine wichtige Entscheidung...

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BeitragVerfasst: 03.11.2011, 22:48 
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ich bin sehr gespannt...:-)


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BeitragVerfasst: 04.11.2011, 05:28 
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Klingt spannend, (un)geduldig auf neues Häppchen wart :wink:


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BeitragVerfasst: 05.11.2011, 09:36 
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Mensch Kim, Du machst es ja mit den Andeutungen echt wieder spannend. *Kopfkino läuft*.

Ich warte natürlich geduldig auf die Fortsetzung.

Jetzt gönne ich mir aber erst einen

:cafe:


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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 10:44 
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Liebe Kim,
ich muss deine Geschichten auch immer mal wieder lesen und sie fesseln mich immer wieder von Neuem! Wirklich klasse!
Bitte lass und nur nicht mehr so lange auf eine Fortsetzung warten... :D :D


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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 12:40 
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Ganz vielen Dank, Trinity, boeder und Ratz!!! :liebe2: . Diesmal ging es ein bisschen schneller mit der Fortsetzung. Wie sagte meine Oma doch immer: Das Leben ist wie eine Klobrille, man macht viel durch...

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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 12:47 
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Kapitel 8


Carola saß an ihrem Schreibtisch und erledigte die Korrespondenz, die ihr ihre Sekretärin bereitgelegt hatte. Die Papierstapel türmten sich schon seit Tagen, aber Carola war einfach nicht dazu gekommen, sie abzuarbeiten. Und jetzt, da sie sich endlich Zeit für diese unliebsame Arbeit nahm, kam sie nur schleppend voran. Seit drei Stunden saß sie nun am Schreibtisch, aber wurde immer wieder durch kleinere Nichtigkeiten unterbrochen. Mal war es ein durchgestellter Anruf, mal hatte das Kindermädchen eine Frage, dann wieder schaute Matthias zur Tür herein und wollte etwas wissen. Hinzu kam, dass Carola sowieso Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren. Das Gespräch mit Anna vor drei Tagen hatte sie tief aufgewühlt und Fragen hinterlassen, auf die sie keine Antwort wusste.

Carola starrte auf das Schreiben der Gesellschaft für Mukoviszidose in ihrer Hand. Sie wollten wissen, ob sie bereit sei für eine Veranstaltungswoche im nächsten Frühjahr die Schirmherrschaft zu übernehmen. Woher sollte sie wissen, was im nächsten Frühjahr war? Carola ließ frustriert ihren Kugelschreiber fallen. Wie naiv war sie eigentlich gewesen zu meinen, dass in ihrem Leben alles normal weiterlaufen könnte? Mit welcher Arroganz war sie davon ausgegangen, dass Anna sich ihrer Lebensrealität unterordnen würde? Anfangs hatte sie nicht zu hoffen gewagt, dass Anna ihre Gefühle erwidern würde, aber die Party hatte alles verändert. Annas Eifersucht, ihr widersprüchliches Verhalten Carola gegenüber, und letztlich der Spaziergang im Garten ließen keine Zweifel mehr daran, dass es Anna genauso ging wie ihr.

Carola konnte sich nicht erinnern, sich einem Menschen schon einmal so nahe gefühlt zu haben. Es war nicht nur die schwere Zeit mit Sonja, in der Anna ihr beigestanden hatte, es war viel mehr. Anna erkannte sie auf eine Weise, wie sie es noch nie erfahren hatte. Und noch nie hatte sich etwas so in ihr Gedächtnis eingebrannt wie diese gestohlene halbe Stunde zwischen ihnen. Jede Sekunde davon erinnerte sie, jedes Wort, das zwischen ihnen gefallen war, jede Berührung im Dunkeln. Carola stöhnte leise, als ihr bei der Erinnerung ein Schauer durch den Körper lief. Und trotzdem hatte sie das Ganze als Affäre neben ihrer Ehe abgetan und war davon ausgegangen, sie in ihr Leben einbinden zu können, ohne es grundlegend ändern zu müssen.

Das Gespräch mit Anna vor drei Tagen hatte gezeigt, wie sehr sie sich geirrt hatte. Was zwischen ihnen war, war viel zu groß, um sich nahtlos in ihren Alltag einzufügen, und jeder weitere Versuch Carolas, es in einen engen Rahmen zu pressen, würde scheitern. Anna hatte das längst erkannt und ihr auf den Kopf zugesagt, dass sie Henning verlassen würde, wenn Carola sich bewegte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Carola die Tragweite dieser Aussage bewusst geworden war. Die ganze Zeit über hatte sie Anna innerlich vorgeworfen, dass sie die Situation verkannte und sich ihren Gefühlen nicht stellte, aber nun wurde klar, dass Anna die Lage sehr viel besser begriffen hatte als sie selbst. Sie wäre tatsächlich bereit, sich von ihrer langjährigen Beziehung zu trennen, um sich ein Leben mit Carola aufzubauen. Doch sie hatte ihr auch deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht bereit sei, eine Geliebte im Verborgenen zu sein und andere Menschen zu hintergehen.

Und sie selbst? Wozu war sie bereit? Carola stützte ihren Kopf in die Hände und seufzte tief. Warum hatte sie nicht die Kraft gehabt, Anna von sich fernzuhalten, als sie sie damals wiedergesehen hatte? Jetzt war es zu spät. Sie wollte, sie musste Anna in ihrem Leben haben.

Carola öffnete ihre Schreibtischschublade und nahm einen Zeichenblock heraus. Mit zitternden Fingern schlug sie die erste Seite auf und schaute auf ein Bild von Anna, das sie schon vor Monaten gezeichnet hatte. Anna trug darauf das Kostüm der Catering-Firma Hoffmann & Hoffmann wie damals, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, und hielt ein Tablett voller Sektgläser in ihrer Hand. Auf der nächsten Seite des Blockes hatte Carola den Abend festgehalten, als sie im Bellevue Essen gegangen waren. So hatte Anna vor ihr gesessen in ihrem schwarzen Abendkleid, umwerfend schön, das Glas Rotwein in der Hand, mit ihrem strahlenden Lachen, das Carola so liebte. Das Porträt auf der dritten Seite zeigte Anna als Ärztin auf ihrer Station. Sie kniete vor einem Kind, das ihr seine verletzte Hand entgegenhielt.

Niemand hatte diesen Block je zu Gesicht bekommen, inzwischen mussten es an die vierzig Zeichnungen sein, die Carola von Anna angefertigt hatte. Carola strich mit ihren Fingern sanft über die Wangen des ihr so vertrauten Gesichts. Es wirkte so lebendig, als würde es jeden Moment dem engen Papier entsteigen und Anna bei ihr sein.

Was sollte sie nur tun? Die Situation war so verfahren. Wie konnte es weitergehen? Konnte es überhaupt weitergehen? Gib mir einen Grund zu bleiben, hatte Anna gesagt. Es lag nun an ihr, einen zu finden.

Carola sah sich in ihrem Büro um. Die Zukunft hatte sich so sicher und planbar angefühlt, als sie in die Villa eingezogen waren. Zwar führte sie ein unruhiges Leben an der Seite von Matthias - seine häufige Abwesenheit, die vielen Dienstreisen, auf denen sie ihn begleitete, das schnelllebige politische Geschäft, und nicht zuletzt der Spagat zwischen repräsentativen Aufgaben in ihrer Funktion als Ministergattin und ihren Pflichten als Mutter. Aber dennoch wäre sie nie auf die Idee gekommen, es anders haben zu wollen. Sie mochte ihr Leben wie es war, auch wenn es anstrengend war, permanent in der Öffentlichkeit zu stehen, und auch wenn sie sich oft mehr Privatsphäre wünschte. Ihre Aufgabe bereitete ihr viel Freude und sie erledigte ihre Pflichten gern. Sie konnte viel Gutes bewirken in ihrer Position, und sie schätzte die Gelegenheit, zahlreiche interessante Menschen kennenzulernen und viel von der Welt zu sehen. Sie hatte Einblick in Dinge, die von großer, manchmal weltumspannender Bedeutung waren, und war oft genug in der Lage, ihren Mann zu beeinflussen, wenn ihr seine Entscheidungen nicht passten.

Und nicht zuletzt hatte sie sich daran gewöhnt zu bekommen, was immer sie wollte. Die Menschen breiteten den roten Teppich vor ihr aus und versuchten, ihre Wünsche zu erraten, noch ehe sie sie ausgesprochen hatte. All das war so selbstverständlich für sie geworden, dass sie nicht mehr darüber nachdachte. Doch nun auf einmal stand das alles in Frage.

Carola musste daran denken, wie ihr Leben gewesen war, bevor sie Matthias kennengelernt hatte. Als gebürtige von Leyhausen hatte sie schon immer in höheren Kreisen verkehrt, auch wenn sie nicht viele Berührungspunkte mit Politikern und Wirtschaftsleuten gehabt hatte. Ihre Eltern waren von jeher sehr kunstinteressiert gewesen und hatten sich gern mit Menschen umgeben, die dieses Interesse teilten. Sie waren es auch, die Carola ermutigt hatten, sich bei einer Kunsthochschule zu bewerben, und zu ihrer eigenen Überraschung war sie angenommen worden. Aufgrund ihrer guten Kontakte und ihrer außerordentlichen Fähigkeiten im organisatorischen Bereich lag es nahe, dass sie ihren Faible für Ausstellungen zum Beruf machte.

Sie war gerade dabei gewesen, sich einen guten Ruf als Kuratorin zu erarbeiten, als sie Matthias auf einer Vernissage kennenlernte. Damals war er noch nicht Außenminister, aber schon Mitglied im Bundestag gewesen, ein junger aufstrebender Politiker, dem eine steile Karriere vorhergesagt wurde. Carola war von Anfang an fasziniert gewesen von diesem charismatischen Mann, der schon auf der ganzen Welt gewesen war und offenbar zu jedem Thema etwas zu sagen wusste. Bei einer anderen Gelegenheit waren sie sich dann erneut begegnet und anschließend hatte er sie zum Abendessen eingeladen. Das war der Anfang ihrer Beziehung gewesen, die schließlich in einem Heiratsantrag von ihm gemündet hatte. Sie hatte ohne Zögern angenommen, denn sie konnte sich keinen besseren Partner für ihr Leben vorstellen. Sie passten gut zusammen, und Carola empfand eine tiefe Zuneigung für ihn. Die Entscheidung, ihre Tätigkeit als Kuratorin aufzugeben, war eine der schwersten ihres Lebens gewesen, und sie trauerte ihrem alten Beruf noch heute nach. Dennoch hatte sich dadurch viel Gutes ergeben und sie hatte den Schritt als solches nie bereut.

Es würde sicher nicht schwer sein, die alten Kontakte von damals wieder aufleben zu lassen und wieder in der Kunstszene zu arbeiten. Diese Vorstellung schreckte sie nicht, im Gegenteil. Es waren andere Dinge, die ihr Angst machten. Wenn herauskam, dass sie eine Affäre mit einer Frau hatte, würde das Matthias‘ Karriere empfindlich treffen. Eine lesbische Ministergattin war ein gefundenes Fressen für die Presse - sie war es, die Carola am meisten fürchtete. Carola hatte gelernt, wie man eine friedliche Koexistenz mit den Reportern führen konnte, und welche Häppchen man den Paparazzis zuwerfen musste, damit sie zufrieden von dannen zogen. Einen Skandal jedoch würde sie im Leben nicht mehr loswerden. Die Presse war brutaler als jedes Gericht, und das Urteil war immer lebenslänglich. Ganz abgesehen davon konnte Carola sich nicht vorstellen, Sonja ihren Vater zu nehmen. Nicht dass sie ihn häufig zu Gesicht bekam, aber sie wusste sehr genau, dass Matthias ihr Papa war, und sie war in der Regel ganz aus dem Häuschen, wenn er bei ihnen war oder sie zu dritt reisten.

Carola wischte mit ihrem Daumen über das Papier, als eine Träne auf Annas Haar fiel. Sie klappte den Zeichenblock zu und verstaute ihn wieder in ihrer Schreibtischschublade. Hatte Anna nicht Recht gehabt mit ihrer Einschätzung, dass sie sich nicht bewegen würde? Wohin auch, wenn alle Wege versperrt waren? Aber wenn alles so blieb, wie es war, wie sollte sie dann ohne Anna leben?



* * *



Zur gleichen Zeit saß Anna in Hennings italienischem Stammlokal und erwartete nervös seine Ankunft. Er hatte schon von unterwegs aus angerufen, dass er sich um fünfzehn Minuten verspäten würde, da er noch mit einem Kunden über Plänen gebrütet hatte. „Der Kunde verkauft übrigens eines seiner Häuser in Friedrichshain“, hatte er ihr am Telefon erzählt. „Es ist von Grün umgeben und liegt direkt an der Spree. Wäre das nicht etwas für uns, Schatz?“

Sie hatte etwas von teurer Lage und Mückenplage gemurmelt und vorgetäuscht, dass die Telefonverbindung schlecht sei, weshalb sie ihn kaum verstehen könne. Daraufhin hatte er das Telefonat beendet, aber vorher noch angekündigt, dass er das Wertgutachten von dem Haus dabei hätte und es ihr zeigen würde.

Anna schaute mürrisch auf ihre halbleere Apfelschorle. Sie verspürte nicht die geringste Lust, mit Henning über einen Umzug nachzudenken, geschweige denn potenzielle Eigenheime zu begutachten. Es war alles anders geworden zwischen ihnen, nur schien er das nicht zu bemerken. Bisher hatte es sie auch nie gestört, dass das Feuer längst raus war aus ihrer Beziehung. Sie hatte es hingenommen als den Lauf der Dinge, denn sie schätzte Hennings Zuverlässigkeit und seine unbedingte Treue. Er würde sie auf Händen tragen, wenn sie es zulassen würde, und hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sein Leben mit ihr verbringen wollte. Außerdem war er sehr attraktiv und konnte sehr unterhaltsam sein, wenn er gut drauf war. Er war ein Partner, von dem manche Frauen nur träumen konnten, und Anna war sich immer bewusst gewesen, was sie an ihm hatte. Erst in jüngster Zeit waren ihr Zweifel gekommen, ob sie wirklich zusammen passten und ob er der Mann war, mit dem sie ihr Leben lang zusammenbleiben wollte.

Vielleicht wäre sie längst verlobt, wenn sie nicht Carola von Bentheim begegnet wäre. Die Freundschaft mit ihr hatte alles verändert, und inzwischen fragte sich Anna, ob sie Henning eigentlich je wirklich geliebt hatte. Er war ihr sehr ans Herz gewachsen, darin war sie sich sicher. Aber das, was sie für Carola empfand, war so viel tiefer, so viel umfassender und größer, als sie es jemals zuvor gekannt hatte. Und seitdem sie sich das eingestanden hatte, kam ihr alles andere wie eine Lüge vor. Sie hatte das Gefühl, Henning zu hintergehen und seine Arglosigkeit auszunutzen. Er hatte ihr nichts getan und verdiente es nicht, dass sie vor ihm verheimlichte, was mit ihr los war.

„Oh, du hast den besten Tisch erwischt“, begrüßte er sie, als er durch die Tür des Lokals trat. „Hast du schon bestellt?“ Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss.

„Nein, ich habe auf dich gewartet.“

„Wie lieb von dir, aber du weißt ja schon, was ich möchte.“ Er zog seinen Mantel aus und setzte sich zu ihr. „Hier, schau mal: Das ist das Wertgutachten des Hauses.“ Mit bedeutsamem Blick legte er eine Mappe vor ihr auf den Tisch. „Da können wir ja nachher mal reinschauen.“

„Lass uns erstmal was essen, okay?“

„Natürlich, Schatz. Du bist bestimmt schon am Verhungern, was?“ Er schlug die Speisekarte auf und winkte dem Kellner. „Ein Köstritzer, bitte, und den Spinatkartoffelauflauf“, sagte er dem jungen Mann und schaute dann Anna an. „Und du die vegetarische Pizza?“

„Nein, ich hätte lieber die Bruschetta.“ Anna reichte dem Kellner ihre Speisekarte. „Und noch ein Glas Wasser bitte.“

„Sehr wohl, die Dame.“ Der Kellner machte sich eine Notiz und verzog sich in Richtung Küche.

„Nanu?“, wunderte sich Henning. „Hast du eine Magenverstimmung, oder so was?“

„Nichts Ernstes.“ Anna nahm einen Schluck von ihrer Apfelschorle. „Ich habe nur nicht viel Appetit.“

„Du solltest dich mal untersuchen lassen“, riet er. „Du isst schon seit Wochen nicht mehr richtig. Langsam mache ich mir Sorgen.“

Anna nahm schweigend ihr Glas Wasser in Empfang und stieß mit Hennings Bier an. „Du bist ein guter Mensch“, sagte sie. „Und ich danke dir für all die Jahre, die du mich ausgehalten hast.“

Henning lachte. „Und sentimental bist du auch noch.“ Er zwinkerte ihr zu. „Wie lange ist denn deine letzte Regel her?“

„Ich habe kein PMS, falls du das meinst.“ Anna stellte ihr Glas ab und fuhr sich nervös durch ihre Haare.

„Sondern?“ Jetzt wurde er auch ernst. „Was ist es dann?“

Anna schaute auf das Wertgutachten auf dem Tisch und versuchte sich zu konzentrieren. „Ich wollte schon länger etwas mit dir besprechen“, sagte sie und räusperte sich, als sie merkte, dass ihr die Stimme wegzusacken drohte. „Etwas, was mit dir und mir zu tun hat.“

„Das klingt nicht gut.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Stört dich etwas?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das ist es nicht.“

„Was dann?“

„Du bist ein toller Mensch, Henning, ich meine das ganz ernst, nur…“ Anna machte eine Pause und suchte nach den richtigen Worten. „In letzter Zeit…. habe ich immer mehr das Gefühl…. dass wir nicht wirklich zusammen passen.“

„Wie meinst du das? Was passt denn nicht?“

Sie sah die nackte Angst in seinen Augen, und es brach ihr das Herz, ihm so wehtun zu müssen. „Ich habe beschlossen, dass… dass ich unsere Beziehung nicht weiter führen möchte…“

„Du willst dich trennen?“ Er sah sie entgeistert an. „Anna, was soll der Mist! Du bist schon seit Wochen so komisch, und jetzt fängst du auch noch damit an. Langsam habe ich genug von deinen Launen.“

„Das ist keine Laune.“

„Das sagst du jetzt.“ Er lachte, aber es klang bitter. „Morgen sieht die Welt wieder anders aus, du wirst sehen.“ Er beugte sich zu ihr über den Tisch. „Rede nicht so ein dummes Zeug daher, Anna. Sonst bin ich irgendwann wirklich weg.“

Anna wollte etwas erwidern, aber wurde vom Kellner unterbrochen, der das Essen brachte. „Du missverstehst mich“, sagte sie leise, als er wieder außer Hörweite war. „Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht, und ich habe mich entschieden.“

„Na, das ist ja toll!“, rief er ärgerlich. „Du überlegst dir das so im Stillen und stellst mich dann vor vollendete Tatsachen? Hast du schon mal was von Kommunikation gehört?“ Er lehnte sich zurück und atmete tief durch. „Anna“, sagte er, und sie konnte hören, wie schwer es ihm fiel, seine Stimme zu dämpfen. „Wenn du mit etwas Probleme hast, dann lass uns darüber reden. Du kannst doch nicht von einem Tag auf den anderen einfach alles wegwerfen!“

„Es tut mir leid, dass ich dir vorher nichts gesagt habe.“ Anna hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. „Aber es bringt nichts mehr, darüber zu reden. Es ist zu spät, verstehst du? Ich habe mich entschieden.“

„Das glaub‘ ich nicht!“ Er schmiss seine Serviette auf seinen Teller. „Das kannst du mit mir nicht machen, Anna. Gib mir wenigstens eine Chance.“

Anna schüttelte stumm den Kopf. „Es tut mir sehr, sehr leid“, sagte sie leise.

„Hast du ‘nen anderen Typen?“ Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Das muss es sein! Du hast einen anderen, stimmt’s?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das hat nur mit uns zu tun.“

„Lüg mich nicht an“, sagte er harsch. „Wer ist es?“

„So hat das keinen Sinn, Henning.“ Sie versuchte, seine Hand zu fassen, aber er entzog sie ihr. „Es tut mir leid, dass ich dir so wehtue, aber wie soll ich es dir sagen, ohne es zu sagen?“

„Ist ja klasse, dass du jetzt so redselig bist“, höhnte er. „Das hättest du mal vorher sein sollen.“ Er kramte in seinem Portemonnaie und schmiss einen 50 Euro Schein auf den Tisch. „Ich gehe jetzt“, sagte er und erhob sich. „Und wenn du wieder zur Vernunft gekommen bist, kannst du mich ja anrufen.“ Er klemmte sich das Gutachten unter den Arm und verließ ohne ein weiteres Wort das Lokal.

Als die Tür des Restaurants zuschlug, konnte Anna ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Die Gäste schauten sich irritiert zu ihr um, als sie ihre Hände vors Gesicht hielt und bitterlich weinte. Es war vorbei, alles war vorbei. Ihre Ziele, ihre Träume, ihre Pläne. Von nun an war sie ganz auf sich gestellt.



* * *



„Du hättest den mal sehen sollen“, Matthias lachte, als er sich zu Carola aufs Sofa setzte. „Da schläft der mitten im Bundestag ein, vor laufender Kamera. So kann man seine Karriere auch beenden.“ Er griff kopfschüttelnd nach der Fernsehzeitschrift. „Eigentlich schade um ihn. Aus dem Mann hätte was werden können.“

„Na, dann wissen wir ja schon, wessen Foto morgen auf den Titelseiten zu sehen sein wird.“ Carola goss Matthias ein Glas Weißwein ein. „Hat der Kanzler sich schon geäußert?“

„Er sprach gerade mit der Presse, als ich ging.“ Matthias hob sein Glas und stieß mit ihr an. „Auf dass du mich nachts immer gut schlafen lässt, damit ich tagsüber ausgeruht bin.“

„Als ob ich eine Chance hätte, dich wachzuhalten, du schläfst ja sowieso immer sofort ein“, protestierte sie lächelnd.

Er nahm ihr schmunzelnd das Weinglas aus der Hand. „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend sehr früh ins Bett gehen, Schatz? Noch fühle ich mich nämlich hellwach.“ Er stellte die Gläser auf dem Tisch ab und beugte sich näher zu ihr. „Du riechst so gut“, sagte er und öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse. „Was meinst du?“ Er küsste ihren Hals und schob seine rechte Hand unter ihre Bluse. „Den Wein können wir ja mitnehmen.“

„Matthias…“ Carola griff nach seinem Handgelenk und zog seine Hand aus ihrer Bluse. „Mir ist jetzt nicht danach...“

„Ach, komm schon. Es ist Monate her, dass wir mal Zeit für uns hatten. Wer weiß, wann wir mal wieder die Gelegenheit haben.“ Er versuchte wieder, sie zu küssen, aber Carola wich ihm aus. „Was ist denn los mit dir?“, fragte er beunruhigt. „Stimmt etwas nicht?“

„Doch, es ist alles in Ordnung.“ Carola knöpfte ihre Bluse wieder zu. „Es tut mir leid, ich bin nur nicht in Stimmung.“

„Schade, ich schon.“ Er griff verstimmt nach der Fernbedienung und stellte CBS an. Eine Horde von schwerbewaffneten Soldaten, die Schutz hinter Häusern suchten, flimmerte über den Bildschirm. Erneut gab es Unruhen am Gazastreifen, erklärte eine männliche Stimme aus dem Off. Im nördlichen Teil wurden heftige Gefechte beobachtet. Noch gibt es keine offiziellen Angaben über die Zahl der Toten.

Carola nahm ihr Buch hervor und vertiefte sich darin, während Matthias durch die Programme zappte. Es ärgerte sie, dass er neben ihr saß wie ein beleidigter kleiner Junge. Musste sie immer wollen? Es war nicht das erste Mal, dass sie diese Auseinandersetzung hatten. Seit Sonja geboren war, hatte sie den Kopf so voll mit allen möglichen Dingen, dass die Sexualität zwischen ihr und Matthias deutlich darunter gelitten hatte. Da diese Tatsache durchaus nichts Ungewöhnliches für junge Elternpaare war, hatte Matthias glücklicherweise verständnisvoll reagiert und sie nie bedrängt. Erst in den letzten Monaten hatte sich das verändert, und Matthias machte immer öfter deutlich, dass ihm etwas fehlte. Carola konnte ihn gut verstehen, aber das änderte nichts daran, dass sie sich nicht bereit fühlte. Erst hatte sie die Umstellung als Mutter dafür verantwortlich gemacht, dann Sonjas Unfall, und nun Matthias‘ häufige Abwesenheit. Allmählich gingen ihr die Ausreden aus.

Als sie Anna kennengelernt und sich in sie verliebt hatte, war sie der festen Überzeugung gewesen, das von ihrer Ehe trennen zu können. Nun aber musste sie feststellen, dass ihre Gefühle für Anna sie von Matthias nachhaltig entfernt hatten. Manchmal war er ihr geradezu fremd, und wenn sie sich in einsamen Stunden nach Zärtlichkeit sehnte, dann gingen ihre Gedanken nicht zu Matthias sondern zu Anna.

Carola beobachtete Matthias, wie er mit finsterer Miene einen Bericht über Afghanistan verfolgte. Mit Erschrecken stellte sie fest, dass es nichts mehr gab, was er ihr geben konnte. Sie waren immer ein gutes Team gewesen, im Privaten wie in der Öffentlichkeit, aber er war nicht mehr der Mensch, mit dem sie leben wollte. Was sie noch verband, war eine gemeinsame Aufgabe und eine Tochter. Carola seufzte, als sie merkte, dass sie mit ihrem Buch noch keine Zeile weitergekommen war. Wie sollte sie leben mit diesem Graben zwischen sich und ihrem Mann? Sie konnte nicht einfach weitermachen, als ob nichts wäre. Wie viele Diskussionen wie die heue Abend wollte sie noch führen?

Carola klappte ihr Buch zu und legte es auf den Couchtisch. Sie trank einen Schluck Wein und behielt das Glas in der Hand, weil sie spürte, dass sie sich irgendwo festhalten musste. „Matthias, ich muss dir etwas erzählen“, sagte sie und wartete, ob er reagieren würde.

„Schieß los“, sagte er, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.

„Würdest du bitte den Fernseher ausmachen?“

Er drückte wortlos auf die Fernbedienung und wandte sich ihr zu. Sofort trat eine unbehagliche Stille ein. „Was gibt’s?“, fragte er, sichtlich genervt.

Carola fuhr sich durch ihre Locken. Noch konnte sie zurück, aber was würde das bringen? Sie musste da durch, und Matthias auch. „Es geht um mich“, sagte sie und war froh, als ihre Stimme ein bisschen fester wurde. „Ich habe mich in jemanden verliebt.“

„Wie meinst du das?“ Er sah sie verständnislos an.

„So wie ich es sage.“

„Aha“, sagte er und legte die Fernbedienung so langsam auf den Tisch, dass Carola es mit der Angst bekam. Sie konnte sehen, wie sich seine Kiefernmuskeln anspannten. „Und was heißt das jetzt?“

„Ich wollte, dass du es weißt.“

„Aha“, sagte er noch einmal und erhob sich vom Sofa. „Wie lange geht denn das schon?“, wollte er wissen, und Carola konnte sehen, dass er sich nur mühsam beherrschte. „Hast du mich betrogen?“

Carola senkte den Kopf und schaute auf den Parkettboden. „Ja“, sagte sie leise. „Es tut mir leid… es… es ist stärker als ich…“

„Bitte verschone mich mit den Details“, herrschte er sie an. „Wer ist es denn überhaupt? Kenne ich ihn?“

„Es ist eine Frau.“

„Was?“ Er blieb vor ihr stehen und starrte sie an, als wären ihr soeben Hörner gewachsen.

„Ich habe mich in eine Frau verliebt“; wiederholte sie. Es war das erste Mal, dass sie es laut aussprach, und es war seltsam, dass die Welt trotzdem blieb, wie sie war. Kein Himmel stürzte auf sie herab, keine Erde tat sich unter ihr auf, nur Matthias stand vor ihr mit großen Augen und war offensichtlich der Meinung, dass sie den Verstand verloren hatte.

„Du bist zu viel allein“, sagte er tonlos. „Das tut dir nicht gut.“

Sie schüttelte den Kopf. „Es ist nicht das erste Mal.“

„Was soll das, Carola?“ Er ließ sich in einen Sessel fallen. „Willst du damit sagen, dass du… dass du…“ Er vollendete den Satz nicht.

„Es tut mir unendlich leid, Matthias…“ Carola stand auf und setzte sich in den Sessel neben ihm. „Aber ich möchte, dass du weißt, dass diese Frau nicht irgendeine Affäre für mich ist. Ich will und kann sie nicht aufgeben…“

„Mein Gott, Carola.“ Er stützte sein Gesicht in seine Hände und stöhnte. „Wir sind mitten im Wahlkampf, das ist dir hoffentlich bewusst.“

„Ja, natürlich.“ Sie nickte. „Ich werde an deiner Seite bleiben.“

„Wie stellst du dir das vor?“, fragte er barsch. „Soll diese Frau hier ein- und ausgehen? Wer ist es überhaupt?“

„Anna Nolte.“

„Die kleine Ärztin?“ Er fing schallend an zu lachen. „Das ist nicht dein Ernst, Carola… Die ist doch nur…“

„Nur was?“

„Naja… nur… mein Gott, die hat mal als Servicekraft für uns gearbeitet. Wie tief kannst du eigentlich sinken?“ Er schlug sich an die Stirn. „Und ich Esel habe diese Frau auch noch auf unsere Party eingeladen, weil ich dachte, ich tue dir etwas Gutes.“

„Du hast sie auf unsere Party eingeladen, weil es sich gut machte.“

„Wie auch immer.“ Er stand von seinem Sessel auf und fing an, im Zimmer herumzumarschieren. „Ich verbiete dir, dass sie noch irgendeinen Fuß in unser Haus setzt.“

Carola nickte. „Das ist okay.“

„Und ich möchte nicht, dass ihr euch in der Öffentlichkeit seht.“

„Selbstverständlich nicht.“ Carola wartete darauf, dass er sie ansah, aber er hielt seinen Blick starr auf den Fußboden, während er weiter im Zimmer hin- und herschritt. „Mir geht es nicht darum, dir zu schaden, Matthias“, sagte sie eindringlich. „Ich versuche nur, einen Weg zu finden, wie wir ehrlich miteinander umgehen können.“

„Ehrlich…“ Er lachte bitter. „Dieses Wort ist hier wohl völlig fehl am Platze.“

„Es tut mir leid, dass ich dich so verletzt habe…“

„Ja, das hast du schon gesagt“, fiel er ihr ins Wort. „Wie wäre es, wenn wir uns eine Auszeit nehmen, und in einem Vierteljahr sehen wir, wie sich die Dinge entwickelt haben?“

Carola sah ihn verwundert an und versuchte herauszubekommen, was er dachte. Hatte er nicht verstanden, was sie ihm gesagt hatte? „Ich weiß, es ist hart für dich…“, sagte sie noch einmal. „ Aber ich brauche kein Vierteljahr. Ich weiß, was ich will.“

„Ich weiß, was ich will“, äffte er sie nach. „Du klingst wie eine von diesen Frauenzeitschriften, die uns ständig als Abonnenten haben wollen. Wenn du dich selbst verwirklichen willst, machst du besser einen Yogakurs.“

„So kommen wir nicht weiter.“ Carola erhob sich aus ihrem Sessel und ging zu ihm. „Ich habe dir gesagt, wozu ich bereit bin und wozu ich nicht bereit bin. Vielleicht schläfst du ein paar Nächte darüber und sagst mir dann, was für eine Lösung du bevorzugst.“

„Was passiert mit Sonja?“

„Sie ist unsere Tochter, und das wird auch immer so bleiben.“

Er sah aus wie ein geprügelter Hund, wie er so da stand, mit hängenden Schultern und traurigen Augen. „Ich dachte, so etwas passiert nur anderen“, murmelte er.

Carola hatte den Impuls, ihn in den Arm zu nehmen, aber sie wusste, dass er sie nicht lassen würde. „Ich werde in einem der Gästezimmer schlafen“, informierte sie ihn und nahm die Weinflasche und die Gläser an sich, um sie in die Küche zu bringen. „Lass uns morgen nochmal reden.“

Er sah sie nicht einmal an, als sie das Zimmer verließ.

Carola brachte die Gläser in die Küche und ging dann die Treppe zu den Schlafgemächern hoch. Ganz leise öffnete sie die Tür zu Sonjas Zimmer und sah, dass ihre Tochter friedlich schlief, ihren kleinen Kuschelhasen fest an ihre Brust gedrückt. Carola trat auf Zehenspitzen an ihr Kinderbett und küsste ganz vorsichtig ihre Stirn, um Sonja nicht dabei zu wecken. Dann schloss sie behutsam die Tür hinter sich, holte ihren Sachen aus ihrem Schlafzimmer und begab sich in das Gästezimmer am Ende des Flures. Erst als sie sich für die Nacht fertig gemacht hatte und allein in dem großen Kingsize Bett lag, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.






Kapitel 9


Es war der 26. Dezember um 9 Uhr morgens, und Anna hauchte in ihre Hände, um sie aufzuwärmen. Sie hatte ganz vergessen, sich Handschuhe anzuziehen, als sie sich entschied, noch schnell vor dem Haus schneezuschieben. Eigentlich wäre das die Aufgabe des Hausmeisters gewesen, aber der lag mit 40 Grad Fieber im Bett, und ansonsten schlief noch alles im Haus. Überhaupt lag eine seltsame Stille über der menschenleeren Straße, die mit einer dicken Puderschicht überzogen war. Es hatte über Nacht geschneit, und Anna war heute im Morgengrauen mit ihrem Fiat kaum von der Klinik nach Hause gekommen. Mehrfach waren ihre Räder durchgedreht, und sie hatte ihr Angebot im Nachhinein verflucht, für Britta den Nachtdienst zu übernehmen, damit diese zu ihrer pflegebedürftigen Mutter fahren konnte.

Da Anna das erste Mal seit Jahren an Weihnachten nicht mit Henning zu seinen Eltern gefahren war, hatte es sich angeboten, dass sie ein paar Schichten übernahm. Nur am Heiligabend hatte sie freigehabt, weil sie diesen Tag bei ihrer Schwester und deren Familie verbracht hatte. Der eine Tag mit ihrer Schwester hatte Anna völlig gereicht, denn sie verstand sich nicht besonders gut mit ihr. Ständig gerieten sie ins Streiten, aber da ihre Eltern beide nicht mehr lebten, war ihre Schwester das einzige Familienmitglied, das Anna noch hatte. Außerdem verstand sie sich bestens mit ihren beiden Neffen, Emil und Max, die entsprechend traurig waren, als sie noch am Abend zurück nach Hause fuhr.

Anna hingegen war erleichtert, nicht länger Zeugin des trauten Familienlebens ihrer Schwester sein zu müssen, es machte ihr nur umso mehr bewusst, wie allein sie war. Seit Monaten verkroch sie sich in ihrer Wohnung oder versteckte sich hinter ihrer Arbeit, auch wenn Yvonne ihr immer wieder sagte, dass sie dringend unter Leute müsste. Aber Anna hatte keine Lust auf Menschen, sie wollte für sich sein und keine gutgelaunte Fassade aufsetzen müssen. Ihre Beziehung mit Henning war traurig und dramatisch zu Ende gegangen. Sie hatte gehofft, ihn als Freund behalten zu können, aber er war so verletzt gewesen, dass er den Kontakt abgebrochen hatte. Also versuchte sie sich zurecht zu finden in ihrem neuen Leben als Single und stürzte sich mit Vorliebe in die Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen.

Carola hatte noch diverse Male versucht, sie anzurufen, aber Anna hatte nicht abgenommen bzw. sich durch Yvonne verleugnen lassen. Drei-, viermal hatte Carola ihr gesimst, aber Anna hatte die Nachrichten auf ihrem Handy gelöscht, ohne sie zu lesen. Sie wusste nur zu gut, dass sie nicht noch ein zweites Mal Nein sagen könnte, und der komplette Kontaktabbruch war die einzige Möglichkeit, nicht schwach zu werden. Carola schien das irgendwann begriffen zu haben, denn sie hatte aufgehört, sich zu melden.

Anna hatte beschlossen, Carola von Bentheim vollständig aus ihrem Leben zu streichen, und das zog sie auch durch. Sie sah keine Nachrichten mehr, las keine Zeitschriften mehr, ging nur noch zum Emailen ins Internet. Sie versuchte, so zu leben, als ob es Carola nie gegeben hätte, und in manchen Momenten gelang ihr das sogar. Yvonne ließ zwar ab und zu mal einen besorgten Kommentar fallen, aber letztlich verstand sie, dass Anna keine Einmischung wünschte und hielt sich zurück.

Nur einmal, vor zwei Wochen, hatte Anna ihre Regeln gebrochen, als sie nicht umhin konnte, eine kleine Stoffgiraffe für Sonja zu kaufen, die sie im Schaufenster entdeckt hatte. Sie war so süß und weich mit großen braunen Knopfaugen, dass Sonja sie sofort lieben würde, da war Anna sich sicher. Doch als sie mit dem Kuscheltier in der Hand wieder vor der Ladentür stand, fiel ihr auf, dass sie Sonja das Geschenk ja irgendwie zukommen lassen musste. Und wie sollte sie ihr ein Weihnachtspäckchen schicken, ohne dass Carola es mitbekam? Also hatte Anna die Giraffe behalten, sie thronte nun auf ihrer Ablage am Bett und erinnerte sie jede Nacht an das kleine Mädchen, das ihr so schnell ans Herz gewachsen war.

Anna fluchte, als sie mit ihrem Schneeschieber über festgefrorenen Eis schob. Sie hatte nicht die Absicht, den Gehweg noch glatter zu machen als er ohnehin schon war. Als sie eine Schaufel aus dem Keller holen wollte, um das Eis zu zertrümmern, begegnete ihr Frau Mertens aus dem Erdgeschoss. „Oh, Frau Dr. Nolte“, sagte sie erfreut und machte auf dem Absatz kehrt. „Ich habe da noch etwas für Sie“, rief sie aus ihrer Wohnung und kam dann mit einem Päckchen wieder zurück in den Hausflur. „Das ist gestern Abend bei mir für Sie abgegeben worden“, erklärte sie und reichte Anna das Päckchen. „Frohe Weihnachten.“

Anna sah verwundert auf das Paket und suchte nach einem Absender. „Wer hat es denn vorbeigebracht? Die Post kann es ja nicht gewesen sein.“

„Sie brauchen nicht zu suchen, ich habe schon geguckt“, sagte Frau Mertens und wurde rot. „Ich meine… mir ist auch kein Absender ins Auge gefallen“, korrigierte sie sich. „Ein junger Mann hat das Päckchen hier abgegeben, nachdem er vergeblich bei Ihnen geklingelt hatte. Er hat sich mir nicht vorgestellt.“

„Vielen Dank, Frau Mertens, und auch Ihnen Frohe Weihnachten.“ Anna packte ihren Kellerschlüssel wieder ein und ging die Treppe hoch zu ihrer Wohnung, um in Ruhe das Paket in Augenschein zu nehmen. Sie musste nicht leise sein, als sie ihre Wohnungstür aufschloss, da Yvonne bei ihrem Freund in Österreich war. Also stapfte sie in voller Montur in die Küche und hinterließ mit ihren Stiefeln eine nasse Spur, die von der Wohnungstür zu der Schublade in der Küche reichte, in der sich die Schere befand. Neugierig entfernte Anna das Paketband und das Geschenkpapier. Wer hatte wohl an sie gedacht? Ein Werbegag konnte es kaum sein, dann wäre das Päckchen nicht an einem Feiertag übergeben worden. Unter dem Geschenkpapier befand sich eine grüne Kiste von der Größe einer Keksdose, und als Anna sie öffnete, fand sie in ihrem Innern eine Schneekugel, sanft eingebettet in Papier und Luftpolster, damit sie beim Transport nicht beschädigt würde. Anna nahm die Kugel heraus und drehte sie auf den Kopf. Leise rieselte Schnee vom Boden zum Himmel und auf den Kopf des Christkindes, das sich im Innern der Kugel befand. Es stand in einem dichten Tannenwald und hielt dem Betrachter ein Geschenk entgegen. Als sie die Kugel wieder umdrehte, sah sie, dass auch ein kleiner Schlitten neben dem Christkind stand, auf denen kleine bunte Pakete lagerten.

Anna schüttelte verwundert den Kopf. Ohne Zweifel war es der reinste Kitsch, aber gleichzeitig war es zauberhaft. Als Kind hatte sie eine ähnliche Kugel gehabt und diese absolut geliebt. Es war ein großes Drama gewesen, als ihre Eltern eines Tages die jährliche Weihnachtsdekoration auspackten und ihre Kugel nicht mehr dabei war. Seitdem hatte sie immer eine solche Kugel haben wollen, auch noch als Erwachsene, nur hatte sie es sich nie gestattet, weil sie es albern fand. Anna drehte die Kugel wieder auf den Kopf und sah zu, wie der Schnee sanft und weich nach unten rieselte. Sie machte das noch ein paar Mal, bis ihr plötzlich auffiel, dass sich an ihren Füßen längst ein kleiner See gebildet hatte.

„Mist!“, fluchte sie und nahm einen Lappen aus der Spüle, um den Schneematsch wegzuwischen. Außerdem lag ihr Schneeschieber unten mitten auf dem halbgefegten Gehweg, es war höchste Zeit, dass sie wieder nach draußen ging. Eigentlich hatte sie ja auch nur in den Keller gehen wollen, um eine Schaufel zu holen.

Mit großen Schritten stapfte Anna wieder aus der Wohnung, um ihre Arbeit draußen zu vollenden. Die eisigen Flächen waren mit ein paar Schlägen der Schaufel schnell entfernt, und Anna war jetzt so in Fahrt, dass sie den Bürgersteig des Nachbarhauses auch gleich mitfegte. Wer ihr wohl die Kugel geschickt hatte? Es war keine Notiz dabei gewesen oder irgendetwas, das auf den Absender hindeutete. Niemand außer ihrer Schwester wusste von der geliebten Schneekugel ihrer Kindheit, und ihrer Schwester würde eine solche Geste garantiert nicht einfallen. Abgesehen davon war sie nicht in der Lage, einen Kurier an einem Feiertag zu schicken. Eigentlich fiel Anna nur eine Person ein, die so etwas tun würde, und je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker wurde ihr Verdacht.






To be continued...

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Zuletzt geändert von kimlegaspi am 06.11.2011, 14:46, insgesamt 4-mal geändert.

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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 14:30 
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War das schön zu lesen Kim....bin schon gespannt auf den nächsten Happen
und kann es kaum erwarten.
Die Schneekugel kann doch nur von Carola sein und Anna muß sich bei ihr bedanken.
Sie muß mit ihr wieder Kontakt aufnehmen....und das ist gut so.
Vielen Dank Kim für diesen Happen.


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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 15:09 
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Ich denke auch das Carola hinter der Schneekugel steckt.
Bin sehr gespannt wie das Wiedersehen der beiden aussehen wird.
Danke Kim für den tollen Teil.


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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 15:39 
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Vielen Dank, osthessin :knuff: und Trinity :knuff: ! Ja, ich denke, es wird Zeit, dass die beiden Königskinder mal zusammen kommen :mrgreen: .

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BeitragVerfasst: 06.11.2011, 17:46 
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kimlegaspi hat geschrieben:
Wie konnte es weitergehen? Konnte es überhaupt weitergehen?


... grins, ich habe da eine Vermutung ... :mrgreen:

danke Kim ...Bild


LG und einen schönen Sonntagabend


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