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 Betreff des Beitrags: Separated
BeitragVerfasst: 25.09.2012, 04:22 
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Registriert: 03.02.2009, 02:30
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hi,

ich habe hier zwei fanfictions, die auf thelwordonline.de erschienen sind, die seite ist nicht mehr online.
die autorin heisst kate, auch katie. sie ist aus bayern nach kalifornien ausgewandert, sie ist halb deutsche, halb irin (?) (glaube ich).

ich möchte einfach (endlich) den schluss der beiden geschichten wissen.

die geschichten sind 1zu1 kopiert, ich habe nichts hinzufügt.
the power of love hat es eine fortsetzung geben, aber ich war zu faul, um sie abzuspeichen. seufz.

wenn jemand was dagegen hat, dass die geschichten veröffentlich werden, pn an mich oder admins.

sabam

_________________
ich werde mir vor deinem tor eine hütte bauen,
um meiner seele, die bei dir haust, nah zu sein.


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: 25.09.2012, 04:22 


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 Betreff des Beitrags: Re: Separated
BeitragVerfasst: 25.09.2012, 04:23 
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Prolog


Erinnerungen.

Erinnerungen sind Teil eines jeden Menschen. Sie können gut oder schlecht sein, freudig oder grausam. Jeder trägt Erinnerungen mit sich, meist ein Leben lang. Manche wünscht man fort, und doch bleiben sie für immer im Gedächtnis, im Bewusstsein.

Erinnerungen bestehen aus angesammeltem Wissen. Aber dieses Wissen erscheint manch einem völlig unnütz. Es kann belasten, einengen.

Erinnerungen können einen Menschen prägen. Ereignisse, die einem in Erinnerung bleiben, können das ganze Leben bestimmen. Es gibt keinen Ausweg, kein Entkommen.

Erinnerungen dienen dazu, die Vergangenheit nicht zu verlieren. Sie wird gespeichert und ist jederzeit abrufbar. Es gibt Menschen, die gerade diese Vergangenheit, oder einen Teil davon, vergessen wollen, und doch geht es nicht.

Gerade die schlimmen, grausamen Erinnerungen bleiben für immer im Gedächtnis. Ereignisse stürzen Menschen in ein Trauma, das sie ein Leben lang begleitet. Unaufhaltsam. Unauslöschlich.

Erinnerungen können schmerzlich sein. Und dieser Schmerz ist manchmal begleitet von unfassbarem Leid.
Körperlicher Schmerz ist schlimm. Er kann heilen.
Seelischer Schmerz ist schlimmer. Er bleibt. Für immer.

Erinnerungen können ebenso schön sein. Erinnerungen an unbeschwerte Kindertage, Ausflüge, Erfolge oder einfach nur an warme, sonnige Tage, bereiten viel Freude. Sie bleiben gerne im Gedächtnis.

Erinnerungen können aber, so wie meine eigenen, auch von einer Ambivalenz geprägt sein. Sie liegen zwischen gut und schlecht, zwischen freudig und grausam.
Ich habe Dinge erlebt, die jeder andere gern vergessen würde. Schlimme Dinge, die mir fast den Verstand raubten. Und doch haben sie etwas Gutes hervorgebracht. Sie haben mir das größte Glück der Welt geschenkt. Und dafür bin ich sehr dankbar. Ich, Shane McCutcheon.


Kapitel 1


Ich weiß noch genau, was damals alles geschah. Jedes einzelne Detail ist mir in Erinnerung geblieben.

Es fing alles so schön an. Ich hätte wirklich glücklich werden können. Die Frau, die ich damals kennenlernte, hat mich verzaubert. Ich habe mich vom ersten Augenblick an in sie verliebt.

Der Grund, warum ich sie kennenlernte, war Alice, meine beste Freundin. Nur wegen ihr bin ich zu dieser Party gegangen. Hätte ich das nicht getan, wäre mir sicherlich einiges erspart geblieben, aber ich hätte auch einiges verpasst.
Ich erinnere mich an ihren Anruf und an das, was danach geschah.

--------------------

Es war drei Uhr nachmittags, als das Telefon klingelte. Ich nahm ab.
„Hey, Shane.“
„Alice. Hi.“
„Was machst du heute Abend?“
Als ob ich mir zu so früher Stunde darüber schon Gedanken gemacht hätte.
„Keine Ahnung. Warum?“
„Heute ist Radar-Party im Planet und Kit hat einen neuen DJ eingestellt. Ich dachte, du möchtest vielleicht auch kommen?“
„Al, ich weiß nicht. Ich bleibe heute lieber zu Hause.“
Doch so eine Ausrede konnte eine Alice Pieszecki natürlich nicht dulden.
„Komm schon, alle werden da sein, Bette und Tina, Jenny, Dana und ich. Das wird bestimmt lustig. Und außerdem muss diese DJane nach Kits Angaben ziemlich heiß sein. Vielleicht wäre sie ja was für dich. Also was ist, kommst du?“

Es war klar, dass sie sich nicht abwimmeln lassen würde. Nicht Alice. Sie konnte wirklich hartnäckig sein.
„Mal sehn, okay? Ich werde es mir überlegen.“
„Shane, da gibt es nichts zum überlegen. Du kommst, basta!“
Dann legte sie auf.

Ich seufzte und legte den Telefonhörer auf den Tisch. Doch gerade als ich ins Bad wollte, um zu duschen, klingelte es erneut.
Wütend nahm ich ab.
„Alice, ich sagte doch, dass ich noch nicht weiß, ob ich komme“, sagte ich genervt in den Hörer.

„Hi, Shane. Hier ist Bonny.“
Der Klang seiner Stimme lief mir wie ein Schauder über den Rücken.
„Shane, was ist los? Bist du da?“
„J-Ja“, sagte ich leise und zaghaft und klang nun eher ängstlich.
„Sie will dich sehen. Heute Nacht.“
„A-Aber da k-kann ich nicht.“
„Oh doch, und wie du kannst. Vergiss nicht, was passiert, wenn du es nicht tust. Also mach mir besser keine Probleme.“
Ich zitterte am ganzen Körper. Kleinlaut antwortete ich, „O-Okay.“
„Gut. Braves Mädchen. Dann sehe ich dich heute Nacht um halb elf an der bekannten Stelle.“
Dann ertönte das Freizeichen, doch ich stand immer noch wie vom Donner gerührt mit dem Telefon in der Hand da.


Kapitel 2


„Shane! Du bist gekommen“, rief mir Alice schon von Weitem zu.
Ich ging auf den Tisch zu und begrüßte die anderen Frauen, bevor ich mich auf den Stuhl zwischen Bette und Alice setzte.
„Ich habe aber nicht lange Zeit.“
„Warum denn nicht?“, fragte Alice neugierig.
„Ich muss noch… arbeiten.“ Wieder wurde es mir ganz schlecht, als ich an das dachte, was mich später erwarten würde.
„Arbeiten?“ Bette sah mich skeptisch von der Seite her an. Ich wusste genau, was sie in diesem Moment dachte.
„Ja“, sagte ich knapp.

„Da kommt sie“, sagte Alice plötzlich. „Wow… ist sie nicht scharf?“
Ich drehte mich um, um zu sehen, was Alice sah und mir klappte die Kinnlade herunter. Sie war perfekt, einfach nur perfekt. Ich glaube, ich habe noch nie etwas so Schönes gesehen. Diese braunen lockigen Haare und dazu der gut geformte Körper. Sie sah aus wie eine Göttin.
„Na, was sagst du nun, Shane?“
„Ich… ähm.“ Ich räusperte mich. „Sie ist… hübsch.“
„Hübsch?“, fragten alle am Tisch entrüstet, so als ob ich gerade ein wohlgehütetes Geheimnis offenbart hätte.
„Ja… hübsch. Was ist falsch daran?“
„Nichts. Es sah nur eben anders aus“, schmunzelte Bette.

--------------------

Ich bin also tatsächlich zu dieser Party gegangen. Gut, Alice hat mich mehr oder weniger dazu genötigt, aber spätestens in dem Moment, in dem ich Kits neue DJane erblickte, habe ich es nicht mehr bereut.

Die Erinnerungen an diesen Tag sind immer noch sehr lebendig. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens.
Diese Frau hat mich einfach fasziniert und irgendwie war es klar, dass ich die Finger nicht von ihr lassen konnte…

--------------------

Nach einer Weile ging ich an die Bar und bestellte mir ein Bier. Ich griff in meine Tasche um zu bezahlen und blickte dabei auf die schöne DJane, als ich mich plötzlich sagen hörte, „Noch eines, bitte.“
Auf einmal standen zwei Flaschen Bier vor mir. Was hatte ich mir dabei nur gedacht?
Wie in Trance ging ich auf das DJ-Pult zu und wusste gar nicht, warum. Es war, als ob die schöne Frau mich magisch anzog, ich konnte nichts dagegen tun.

Ich sah kurz hinüber zu unserem Tisch. Die Mädels schauten mich an und kicherten, aber das störte mich in diesem Moment nicht.
Ich kam näher an das Pult und plötzlich sah sie zu mir herauf. Diese Augen. So wunderschön. In einem Braun, das perfekt mit ihren Haaren harmonierte.
„Hi“, sagte ich endlich.
Sie lächelte. „Hey.“
„Ich dachte, du hast vielleicht Durst?“ Erwartungsvoll hielt ich ihr das Bier hin.
Wieder lächelte sie. Oh Gott, dieses Lächeln. Diese Frau machte mich verrückt. Ich glaube, ich hatte mich schon in sie verliebt.
„Danke, das ist nett. Ich habe tatsächlich großen Durst.“
Sie nahm mir das Bier ab und trank einen großen Schluck.
Dann streckte sie ihre Hand aus und sagte, „Ich bin übrigens Carmen. Carmen de la Pica Morales.“
Ich lächelte und nahm ihre Hand. „Shane McCutcheon.“
„Danke für das Bier.“
Wir sahen uns an und ich spürte die Spannung zwischen uns.
„Gut, dann… dann werd ich mal zurück zu meinem Tisch gehen.“
„Ja… vielleicht sieht man sich ja noch.“
Wir verabschiedeten uns und ich ging wieder zu den anderen.

Kapitel 3


„Shane, Shane, Shane“, lachte Alice, als ich zurück an den Tisch kam. „Du findest sie also nur hübsch?“
„Ich habe ihr ein Bier gebracht, das heißt gar nichts.“
Alice wusste genau, dass es anders war. Und die anderen am Tisch offensichtlich auch. Ich sagte nichts mehr dazu.

Ich sah auf die Uhr. Ich hatte noch eine gute Stunde, bevor ich aufbrechen musste und allein der Gedanke daran ließ mich erzittern. Ich verstand einfach nicht, wie es dazu kommen konnte.

Alice holte mich aus meinen Gedanken.
„Shane, dein Mädchen kommt.“
„Mein wa-“.
„Hi Shane.“
Ich drehte mich um. Da war Carmen.
„Hey. Was machst du hier? Ich dachte, du bist hier, um Musik aufzulegen?“
„Aber nicht acht Stunden am Stück. Ich mache gerade Pause, mein Kumpel Wayne macht für mich weiter.“
Ich lächelte. Dann beugte sie sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr, „Lass uns woanders hingehen“, und sah mich lustvoll an.

Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich stand auf.
„Leute, ich bin mal weg.“
Die anderen, die die Szene natürlich aufmerksam verfolgt hatten, warfen mir vielsagende Blicke zu.
„Na klar Shane, geh schon“, sagte Alice und kicherte.
Ich nahm Carmen an der Hand und führte sie hinaus.

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Meine Freunde dachten damals natürlich, dass es so wie immer sein wird. Ich schlafe mit Carmen, verbringe die Nacht mit ihr und mache mich dann aus dem Staub.
Aber dieses Mal war es anders. Carmen war anders als alle anderen Frauen, die mir bisher begegnet waren. Sie hat eine ungeheure Faszination auf mich ausgeübt.

An dem Abend habe ich mich in sie verliebt. Und ich liebe sie immer noch. Und das, obwohl sie so weit weg ist. Ich weiß nicht einmal, wo genau sie ist. Doch was ich weiß, ist, dass die Zeit, die ich mit ihr verbracht habe, einfach wundervoll war.

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Wir stiegen in meinen Jeep und ich fuhr aus der Stadt in die Nähe eines etwas abgelegenen Waldstücks.

Dort angekommen, hielten wir es nicht mehr länger aus und fielen übereinander her.
Sie zog mich auf die hintere Sitzbank und fing an, mich zu küssen und mich auszuziehen. Ich tat dasselbe. Ich konnte ihr einfach nicht widerstehen. Als wir beide nackt waren, streichelte sie mir zärtlich über meinen ganzen Körper. Noch nie bin ich von einer Frau so berührt worden. Als sie mit ihren Fingern in mich eindrang, konnte ich deutlich die Elektrizität spüren, die Spannung, die sich zwischen uns aufgebaut hat.

Als ich zu meinem Höhepunkt kam, schrie ich meine Freude lautstark heraus. Ich war froh, dass mich niemand hören konnte. Niemand außer Carmen.

Was war das nur für eine Frau? Nie zuvor hatte ich jemanden so an mich heran gelassen. Da war eine gewisse Vertrautheit zwischen uns, eine Verbindung, die meinerseits noch nie zu einem Menschen so stark war wie zu Carmen.

Ich lag ich in ihren Armen und fühlte mich so sicher. So geborgen. Ich fragte mich, warum.
„Erzähl mir etwas über dich“, sagte sie plötzlich.
„Über mich gibt es nicht viel zu erzählen. Meine Eltern kenne ich nicht, ich bin in einem Waisenhaus aufgewachsen. Ich war außerdem in verschiedenen Pflegefamilien, doch irgendwann bin ich ausgerissen, um mein eigenes Leben zu leben.“
„Wie sah dein Leben dann aus?“
„Ich bin nicht stolz darauf, was passiert ist. Ich wollte das nicht, und doch habe ich zu der Zeit einfach keine andere Möglichkeit gesehen.“

Sie schmiegte sich fester an mich und erneut überkam mich diese Vertrautheit zwischen uns. Ich fragte mich, warum ich ihr das alles erzähle, wo ich es sonst immer vermieden habe, jemandem nur das kleinste Detail aus meinem Leben zu verraten. In diesem Moment fiel es mir so leicht.
„Ich war anschaffen. Auf dem Santa Monica Boulevard.“

Kapitel 4


Ich frage mich noch heute, warum ich Carmen von der ersten Minute an so vertraut habe. Das war sonst so überhaupt nicht meine Art. Bei jedem anderen bin ich in mein kleines Schneckenhaus gekrochen und bin jeglichen Fragen über mich und mein Leben ausgewichen.
Warum?
Nun ja, ich denke, weil ich einfach keine guten Erfahrungen mit Offenheit gemacht habe. Ich hatte nie eine wirkliche Bezugsperson. Eltern gab es in meinem Leben nicht, das Personal im Waisenhaus wechselte ständig und in all meinen Pflegefamilien gab es eigene Kinder, die natürlich in gewisser Weise bevorzugt wurden. Ich war den Pflegeeltern deswegen nicht böse, konnte es sogar verstehen.

Ich habe immer weniger über mich selbst geredet und kam damit auch gut zurecht. In der Nacht, die ich mit Carmen verbrachte, habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie gut es tut, wenn man jemanden hat, mit dem man reden kann.

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„Ich war anschaffen. Auf dem Santa Monica Boulevard.“

Carmen sah mich nur an und sagte nichts. Aber die Art und Weise, wie sie mich ansah, gab mir das Gefühl von Verständnis und Geborgenheit.
Von ganz alleine fuhr ich fort. „Es war eine harte Zeit. Aber dann habe ich Alice, Bette und die anderen kennen gelernt. Sie haben mich wieder auf die Beine gebracht und ich habe eine Lehre gemacht.“
„Welchen Beruf hast du gelernt?“
„Hair-Stylistin.“

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Auch an die Zeit bevor ich die anderen Mädels kennengelernt habe, kann ich mich noch gut erinnern. Es war wirklich eine harte Zeit und ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie mich da rausgeholt haben. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch überlebt hätte. Die ganzen Drogen haben mich nach und nach kaputt gemacht. Ständig war ich in irgendwelche Schlägereien verwickelt, wie auch an dem Tag, an dem ich Bette zum ersten Mal sah.

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„Lasst mich in Ruhe“, schrie ich die Männer an, die mich umzingelt und am Kragen gepackt hatten.
„Nicht bevor du uns den verdammten Stoff gibst.“
„Ich hab euch doch schon gesagt, dass ich das Zeug nicht habe.“ Im Übrigen sagte ich die Wahrheit, ich hatte das Koks wirklich nicht, mein Kumpel Clive hatte es.
„Verdammt nochmal, gib es endlich her.“
„Ich kann es nur noch einmal sagen: ich hab nichts!“

Anscheinend hatten es die Typen richtig satt, denn die Faust, die ich anschließend in meinem Gesicht spürte, ließ mich zu Boden sinken. Meine Nase tat höllisch weh, ich spürte schon, wie mein Auge anfing, anzuschwellen und meine Lippe war aufgeplatzt. Noch einen festen Tritt in die Rippen und ich schrie vor Schmerzen.
Die Männer machten sich aus dem Staub. Ich lag da und konnte mich kaum bewegen. Das war in Venice und niemand scherte sich um mich. Außer… eine Frau, die auf mich zugerannt kam und sich zu mir herunter beugte.
„Was ist passiert? Was haben die Typen dir angetan?“

Kapitel 5


Ja, das war also mein erstes Treffen mit Bette. Ich frage mich heute noch, warum sie mir damals geholfen hat und mich buchstäblich von der Straße aufgelesen hat. Sie als gestresste Business-Frau.
Wie auch immer, hätte ich Bette nicht gehabt, wäre ich wahrscheinlich drauf gegangen.

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„Was ist passiert? Was haben die Typen dir angetan?“
Ich hatte Schmerzen im ganzen Körper und atmete schwer. „Mi-Mir geht`s gut, da-danke.“
„Ja, das sehe ich“, sagte sie sarkastisch und wischte das Blut, das aus meiner Nase floss, mit einem Taschentuch ab. „Du musst ins Krankenhaus. Kannst du aufstehen oder soll ich einen Krankenwagen rufen?“
„Wi-Wirklich, ich komm schon zurecht“, antwortete ich genervt und versuchte, aufzustehen, doch die Schmerzen wurden immer schlimmer, vor allem die im Rippenbereich. Bette half mir und geleitete mich zu einer nahe gelegenen Bank.

Ich verzog das Gesicht vor Schmerzen.
„Bitte, lass mich dich ins Krankenhaus fahren, lass mich dir helfen. Du brauchst ärztliche Hilfe“, sagte Bette und es klang fast wie ein Flehen.
„Das geht nicht.“
„Warum sollte das nicht gehen?“
Ich zögerte kurz. „Ich bin nicht krankenversichert.“
Sie seufzte. „Das kriegen wir schon hin, okay? Aber du musst dir wirklich helfen lassen und das ist erstmal das wichtigste.“

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Nach langem Hin und Her habe ich mich damals von Bette überzeugen lassen. Sie hat mich ins Krankenhaus gefahren, wo ich dann auch gleich zwei Tage bleiben musste. Meine Nase und zwei Rippen waren gebrochen.

Was Bette damals für mich getan hat, werde ich ihr nie vergessen. Nach dem Krankenhausaufenthalt hat sie mich bei sich aufgenommen und mir ihre Freunde vorgestellt. Alice, Dana, ihre Freundin Tina und ihre Schwester Kit.


Nun aber zurück zu Carmen und der Nacht, in der ich sie kennenlernte. Diese Nacht war etwas ganz Besonderes, und das, obwohl sie so kurz war. Nachdem wir lange über uns geredet hatten, fiel mir plötzlich etwas ein.

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„Verdammt.“
„Was ist denn los?“, fragte Carmen und schmiegte sich an mich.
„Wie spät ist es?“
Sie suchte ihre Armbanduhr und fand sie schließlich auf dem Boden des Wagens in einem Bündel von Klamotten. „Kurz vor halb elf.“
„Shit. Carmen, es tut mir Leid, ich muss los. Es ist dringend.“
„Oh, okay. Kein Problem.“
Ich war ihr sehr dankbar, dass sie nicht gefragt hatte, wo ich denn so dringend hin müsse.
„Wie wärs, wenn wir uns morgen treffen? Zum Beispiel zum Essen?“ Irgendwie musste ich die Situation wieder gut machen.
„Gerne. Wo?“, fragte sie, während wir beide unsere Klamotten zusammen suchten und versuchten, uns auf dem engen Rücksitz anzuziehen.
„In Chinatown gibt es so ein kleines Restaurant, das Charm Thai Cuisine. Das Essen ist lecker und nicht so teuer.“
„Das klingt gut. Dann treffen wir uns dort. Morgen Abend um… sieben? Soll ich einen Tisch bestellen?“
„Ja, das wäre gut.“ Ich lächelte sie an. „ Ich fahre dich noch zum Planet zurück.“


Kapitel 6


„Dann sehen wir uns morgen zum Essen?“, fragte Carmen, als sie die Autotür öffnete, um auszusteigen.
Ich nickte und sah ihr dabei tief in die Augen.
Sie beugte sich zu mir herüber und wir küssten uns leidenschaftlich. Dann steig sie aus dem Auto und sagte, „Bis morgen, Shane.“
„Bis morgen. Ich freue mich.“

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Ich freute mich wirklich. Dieser Kuss… es war Liebe. Das war mir damals klar, und es ist mir auch heute noch klar. Carmen war die erste Frau, die dieses besondere, unbeschreibliche Gefühl in mir ausgelöst hat.

Als sie mich zum Abschied noch einmal angesehen hat, da spürte ich, dass ich mich unsterblich in sie verliebt hatte. Wenn ich damals gewusst hätte, dass dies gleichzeitig das letzte Mal sein würde, dass sie mich so ansieht, dann hätte ich sie gar nicht gehen lassen.

Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich das natürlich noch nicht. Zu diesem Zeitpunkt war ich mit etwas anderem beschäftigt.

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Ich fuhr schnell. Es war bereits nach halb 11 und ich musste mich beeilen. Dann klingelte plötzlich mein Handy. Ich ahnte, wer es war.
„Ja?“
„Shane.“
„Bonny, ich bin auf dem Weg. Ich bin in fünf Minuten da.“
„Das will ich dir auch geraten haben. Sie wartet schon.“

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Ich drückte auf die Klingel und die Tür wurde automatisch geöffnet. Ich ging hinein und stand auf dem dunklen Flur.
„Hallo Shane“, ertönte seine furchterregende Stimme aus dem oberen Stockwerk. Ich hatte fast Angst vor ihm.

Ich trat ein paar Schritte vor.
„Gibt es denn einen Grund, dass wir so lange auf dich warten mussten?“
Ich zögerte. „Nein. Ich war nur spät dran.“
„Lüg mich nicht an!“ Plötzlich war seine Stimme so nah, als ob er nicht weit von mir entfernt war. Ich konnte seine Schritte vor mir hören.
Dann packte er mich wie aus dem Nichts am Arm und führte mich zu ihr.

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Schon als er mich damals gefragt hat, ob es einen Grund für meine Verspätung gab, wusste ich, dass er alles weiß. Er hatte seine Spione, die mein ganzes Leben dokumentierten. Wahrscheinlich haben sie Carmen und mich sogar beim Sex gefilmt. Ich hätte es eigentlich besser wissen müssen.

Mir war bewusst, dass er Bescheid weiß. Aber ich durfte mir nichts anmerken lassen. Ich wusste, dass er mich früher oder später darauf ansprechen würde, und dann musste ich mir eine gute Erklärung aus den Fingern saugen.


Kapitel 7


Ich stand in dem Raum, der in ein schummriges Licht getaucht war. Vor dem Bett, in dem sie lag. Bekleidet mit einem dunkelroten Negligé.
Sie sah mich eindringlich an.
„Shane, warum hast du mich denn so lange warten lassen?“
Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen.
„Sag schon, du Schlange, sag es ihr“, mischte sich Bonny ein und schubste mich leicht.
„Na na, Bonny, nicht so grob. Schließlich brauche ich die Schlange, wie du sie nennst, noch.“
Dann wendete sie sich an mich. „Hast du etwa jemanden kennengelernt? Eine Frau?“

Wieder konnte ich sie nicht ansehen. Konnte nicht lügen. Ich war eine schlechte Lügnerin.
„Ja, das hat sie, Madam. Ihr Name ist Carmen.“
„Ich will es von Shane hören, Bonny.“
Ich sagte nichts.
„Nun, Shane? Ich höre.“
Bonny schlug mir mit etwas Hartem in den Rücken. Ich schrie leicht auf und sah, dass es sich bei dem harten Gegenstand um eine Pistole handelte. Meine Angst wurde größer, doch ich konnte mich jetzt nicht geschlagen geben. Das schuldete ich Carmen.
„Mach deinen Mund auf“, schrie mir Bonny ins Ohr.

Ich zögerte noch kurz, doch schließlich fing ich an zu reden.

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Vielleicht war es damals mein größter Fehler, dass ich angefangen habe, von Carmen zu erzählen. Doch was hätte ich tun sollen? Sie wussten es ohnehin, ich hatte keine Chance.

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„So so… Die unantastbare Shane hat sich also in eine Frau verguckt? Wie konnte das nur passieren?“
Ich schwieg.
„Sag mir Shane, wie? Bin ich dir nicht gut genug?“
„Was erwartet ihr von mir? Ihr erpresst mich, behandelt mich fast wie eine Gefangene, wie einen Untertanen. Soll ich mir das ewig gefallen lassen? Nein, nicht mit mir. Ich werde jetzt gehen.“
Ich drehte mich um und wollte den Raum verlassen, als ich plötzlich das Klickgeräusch hörte. Sofort blieb ich stehen.
„Daraus wird wohl nichts.“

Ich spürte den Revolver im Nacken.

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Nie werde ich diesen Moment vergessen, er ist in meiner Erinnerung tief verankert. Noch heute kann ich jedes Detail abrufen. Noch heute habe ich alles genau vor Augen.

Ich dachte damals wirklich, er würde abdrücken. Ich habe mich im Grab gesehen, mit einem Loch im Hinterkopf. Doch so weit kam es nicht.
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„Lass das, Bonny.“
„Aber Madam, sie verweigert ihre Arbeit und will gehen. Wir müssen sie zur Vernunft bringen.“
Er senkte die Waffe und ich atmete auf.
„Sie wird selbst zur Vernunft kommen. Lass ihr etwas Zeit. Shane? Ich will, dass du morgen Abend um acht hierher kommst, hast du mich verstanden?“
Ich schwieg.
„Hast du mich verstanden Shane?“
„Ja, Cherie.“
„Gut, Bonny wird dich hinaus begleiten.“

Kapitel 8


Cherie. Ich frage mich heute noch, warum ich mich damals auf sie eingelassen habe. Warum ich mir das angetan habe.
Ich war begeistert von ihr. Ich habe sie als meine Klientin kennen gelernt, ich habe ihre Haare frisiert, bei ihr zu Hause. Dann ist sie in ihrer Kabine regelrecht über mich hergefallen, und ich konnte ihr nicht widerstehen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie geliebt habe. Jetzt, fast acht Jahre später, würde ich sagen: nein. Es war mehr eine Schwärmerei. Sie hat mir das Gefühl von Kraft gegeben. Sie war eine Frau mit so viel Erfahrung.

Als Cheries Mann alles über unsere kleine Affäre herausgefunden hat, hat dieser mir gedroht, mich umzubringen, sollte ich noch einmal in die Nähe seiner Frau oder Tochter Clea kommen. Clea sollte ich einst auf die Sprünge helfen, damit sie sich ihrer Sexualität klar wird.

Ich habe seine Drohung damals ernst genommen, doch Cherie hat die Sache auf ihre Weise erledigt.

--------------------

Eines Tages kam Cherie in meine Wohnung. Meine Mitbewohnerinnen waren nicht da. Sie kam ohne Vorwarnung und mit einer Flasche Champagner in der Hand. Ich stand in der Tür und starrte sie an.
„Willst du mich denn nicht hereinbitten?“
„Cherie… .“
Sie ergriff selbst die Initiative und betrat die Wohnung.
„Cherie, was machst du hier?“
„Ich wollte dich besuchen.“ Sie setzte sich auf die Couch und sah sich um. Ihr Blick sagte mir, dass sie so wohl niemals wohnen könnte. Ich machte ihr deswegen keinen Vorwurf. Sie war eben Besseres gewohnt.

„Cherie, du darfst nicht hier sein. Was ist, wenn Steve-“.
„Ach, Steve“, lachte sie zynisch, „um den brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen.“
Ein ungutes Gefühl überkam mich.
„Warum?“, fragte ich vorsichtig.
„Ich habe jemanden engagiert, der sich um ihn gekümmert hat.“
Ich schluckte.
„Wie meinst du das, gekümmert?“
„Shane, wir sind frei. Nun können wir zusammen sein, ohne dass uns irgendjemand in die Quere kommt. Darauf müssen wir trinken“

Ich sah sie an.
„Freust du dich denn nicht?“, fragte sie, als sie die Flasche mit einem lauten Knall öffnete. Anscheinend hatte sie schon Alkohol intus.
„Was hast du mit Steve gemacht, Cherie?“
„Ich habe ihn umbringen lassen.“

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Ich weiß noch, wie ich damals vor ihr stand und sie dies sagte, als wäre es unwichtig und nicht außergewöhnlich. Ich stand da und starrte sie an. Ich fragte mich, warum sie das getan hatte und ich konnte keine richtige Erklärung dafür finden. Hat sie ihn so gehasst? Hat er sie vernachlässigt? Oder… hat sie mich etwa so geliebt?

Kapitel 9


Ab diesem Zeitpunkt, in dem Cherie mir erzählte, dass sie einen Killer für ihren Mann engagiert hatte, war ich Mitwisser. Ich wurde mit in die Sache hinein gezogen und konnte mich nicht dagegen wehren.

--------------------

„Du hast was?“, fragte ich entrüstet. Ich konnte das einfach nicht glauben.
„Was ist schon dabei? Niemand wird etwas erfahren. Glaub mir, es ist besser so. Jetzt kann ich mein eigenes Leben leben.“
„Hast du dabei auch nur eine Sekunde an Clea gedacht?“
Ich sah einen Funken von schlechtem Gewissen über ihr Gesicht huschen, doch sie fing sich schnell wieder. „Sie ist momentan in Paris. Ich muss es ihr noch sagen.“
„Und was genau willst du ihr sagen?“ Ich fing an zu schreien.
„Was wohl… dass es ein Unfall war.“

Ich lachte sarkastisch und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Ich hoffe, das ist alles nur ein böser Traum.
„Cherie, bitte verlass meine Wohnung.“
„Was?“
„Ich sagte, verlass meine Wohnung.“
„Aber Shane, ich-“.
„Jetzt! Ich will dich hier nicht mehr sehen. Ich will dich überhaupt nicht mehr sehen. Eigentlich müsste ich dich anzeigen, verdammt.“
Sie schien verzweifelt.
„Shane, du wirst doch nicht-“.
„Geh jetzt.“

Ich öffnete die Tür und schob sie buchstäblich hinaus. Als ich die Tür schließen wollte, hielt sie mich zurück und sah mich mit böse funkelnden Augen an.
„Das wirst du bereuen.“
Dann ging sie.

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In diesem Moment dachte ich noch nicht, dass sie mir irgendetwas anhaben könnte, schließlich war ich es, die sie ins Gefängnis hätte bringen können. Doch ich habe mich gründlich getäuscht.

Jetzt weiß ich, dass sie ein Biest ist. Ein Biest, das sogar über Leichen geht.

Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich damals wieder in die Wohnung gegangen bin. Ich setzte mich auf die Couch und starrte ins Leere. Was sollte ich tun? Sollte ich sie anzeigen? Sollte ich das Verbrechen vertuschen und sie davonkommen lassen? Ich wusste es einfach nicht.

Ich glaube, ich war tagelang nicht ansprechbar, ich habe mich zurückgezogen. Doch dann erreichte mich plötzlich ein Anruf.

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Mein Handy klingelte, auf dem Display erschien der Name „Cherie Jaffe“. Ich überlegte kurz, ob ich annehmen sollte, entschied mich dann aber dafür, da ich mir anhören wollte, was sie zu sagen hat.
„Cherie. Was willst du?“
„Shane. Ich möchte mich mit dir treffen.“
„Und warum denkst du, dass ich darauf eingehen sollte?“
„Weil es einiges zu klären gibt, Shane. Morgen Abend um sieben. Ich hoffe, du kommst.“

Kapitel 10


Wenn ich gewusst hätte, was mich bei Cherie erwartet, wäre ich erstens nicht hingegangen und hätte mich zweitens wahrscheinlich sofort aus dem Staub gemacht.
Ich hätte nie gedacht, dass sie so weit geht. An diesem Abend habe ich meine Freiheit verloren.

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„Shane, ich habe dich schon erwartet. Komm rein.“
Schweigend folgte ich ihr ins Wohnzimmer, auf dessen großem Sofa noch jemand saß, den ich nicht kannte.
Cherie bedeutete mir, mich zu setzen und bot mir etwas zu Trinken an, was ich dankend ablehnte. Der Mann, dem ich nun gegenüber saß, sah mich böse an.

„Shane, darf ich vorstellen, das ist Bonny, mein neuer Bodyguard. Bonny, das ist Shane, meine Freundin.“
„Ich bin nicht deine Freundin“, sagte ich zähneknirschend, doch Cherie lachte nur.
„Ach Shane… jetzt, wo Steve weg ist, kannst du dich auch in der Öffentlichkeit zu mir bekennen. Die arme Ehefrau, die ihren Mann durch einen tragischen Unfall verloren hat, sucht nun Trost.“
Ich traute meinen Ohren kaum.
„Du bist doch krank“, sagte ich und stand auf, um zu gehen.

„Nicht so schnell.“ Ich blieb stehen. „Wir haben noch etwas zu bereden. Setz dich wieder.“
Ich tat, was mir gesagt wurde und versuchte nun, ruhig mit ihr zu reden.
„Cherie, ich kann das, was du getan hast, nicht dulden.“ Ich sah zu dem Mann. Ob er es weiß? „Ich kann es einfach nicht, verstehst du? Ich werde dich nicht anzeigen, aber ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.“
„Oh doch, das wirst du.“
Ich sah sie fragend an.
„Ja, Shane, du hast mich richtig verstanden. Wir beide werden ein glänzendes Paar abgeben.“
„Und warum denkst du, ich würde mit dir zusammen sein wollen?“
„Weil es dir anderenfalls so ergehen wird wie Steve.“

--------------------

In diesem Moment gefror mir das Blut in den Adern. Ich dachte zuerst, dass sie so etwas doch nicht ernst meinen könne. Aber sie meinte es ernst.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst. Angst davor, was mich erwartet. Angst vor dem Tod.

Mir wurde bewusst, dass ich massiv erpresst wurde, und das, obwohl ich dachte, ich hätte die Zügel in der Hand auf Grund meines Wissens um die wahre Todesursache von Steve Jaffe. Doch da habe ich mich getäuscht.

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„Cherie, dir ist doch klar, dass ich dich ins Gefängnis bringen könnte, oder? Was ist, wenn ich dich gleich morgen anzeigen würde?“
Innerhalb Sekunden zog der Mann gegenüber eine Pistole und zielte genau auf meine Stirn. „Das wirst du nicht“, sagte er bestimmt.

Ich schluckte.
„Steve Jaffe war kein Problem für mich. Und du“. Er lief um den Couchtisch herum und stand nun direkt vor mir. Ich konnte die Waffe auf meiner Stirn spüren. „Du bist ein noch kleineres Problem.“

Kapitel 11


Ich bin in diese Sache gegen meinen Willen hinein gezogen und dann mit diesem Wissen erpresst worden. Entweder ich schwieg und tat alles, was Cherie von mir verlangte, also vorwiegend Sex, oder Bonny würde mich kaltblütig umbringen.
Das Schlimme daran war, dass ich wusste, er würde seine Drohung wahr machen. Und wenn ich zur Polizei gerannt wäre, hätte er das mitbekommen. Er hätte mich erwischt, da war ich mir sicher. Er hat immer alles von mir gewusst, überall gab es Spione, die meinen Alltag verfolgten.
Ich hatte kein Leben mehr. Ich war gefangen.

Die Nacht mit Carmen wurde mir zum Verhängnis. Wie immer, wussten sie alles. Als mich Bonny zur Tür bringen sollte, nachdem ich mich den Forderungen Cheries verweigert habe, hat er mir das deutlich zu verstehen gegeben.

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Kurz bevor wir zur Tür kamen, packte mich Bonny und flüsterte, „Wenn du dich morgen mit diesem Mädchen triffst, wirst du das bereuen, hast du verstanden?“
Ich schaute in seine Richtung. Sehen konnte ich ihn nicht, dafür war es zu dunkel, aber allein die Vorstellung seines Gesichtes löste in mir Ekel aus.

„Hast du verstanden?“, zischte er noch einmal.
„Ja.“
„Das will ich dir auch geraten haben.“
Dann ließ er mich gehen.

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Auch da wusste ich, dass ich es mir nicht erlauben konnte, mich mit Carmen zu treffen. Es war mir zwar egal, wenn mir etwas passiert wäre, aber ich konnte einfach das Risiko nicht eingehen, dass Bonny Carmen oder meinen Freundinnen etwas antut. Ich musste mir etwas ausdenken und nach langem Überlegen habe ich mich schließlich dazu entschlossen, ihr in dem Restaurant einen Brief zu hinterlassen.

Ich habe alles genau geplant. Carmen hatte sich bereit erklärt, einen Tisch zu bestellen, also musste sie dort anrufen und ihren Namen angeben. Und abends musste sie ebenfalls ihren Namen sagen, damit sie die Restaurantangestellten zum reservierten Tisch führen konnten. Ich wollte also schon am Nachmittag meinen Brief dort abgeben, den man ihr dann am Abend zustecken sollte.

Ich schrieb also am nächsten Tag den Brief und offenbarte ihr darin alles, mein ganzes Schicksal, und warum ich nicht bei ihr sein konnte, zumindest nicht an diesem Abend. Es war wirklich perfekt geplant. Doch als ich auf dem Weg zum „Charm Thai Cuisine“ war, passierte es… ich hätte es mir eigentlich denken können.

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Mein Handy klingelte. Unbekannte Rufnummer.
„Ja?“
„Shane.“
Ich blieb mitten auf dem Gehweg stehen.
„Bonny, was ist?“ Ich versuchte ganz normal zu klingen.
„Shane, das willst du doch nicht wirklich tun, oder?“
„W-Was tun?“
„Du weißt genau, was ich meine.“
„Nein, weiß ich nicht.“

Mit diesen Worten legte ich auf und wollte weiter gehen, als plötzlich die Tür eines neben mir geparkten Wagens mit schwarzen Scheiben aufging und ich hineingezogen wurde.
„Ich habe dir gesagt, du sollst keine Dummheiten machen.“
„Bonny, ich-“.
Weiter kam ich nicht. Ich spürte etwas Schweres an meinem Hinterkopf und plötzlich wurde alles schwarz.

Kapitel 12


Ich weiß nicht mehr, wie lange ich bewusstlos war. Ich weiß nur noch, dass ich in Cheries Schlafzimmer aufgewacht bin.

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Ich öffnete langsam die Augen. Ich lag in einem Bett. Mein Kopf schmerzte und ich fühlte mich schrecklich.
„Sieh an, wer wach ist.“
Ich drehte meinen pochenden Kopf zur Seite und sah direkt in die Augen von Bonny.
„Was willst du von mir?“

Ich fasste mir an den Hinterkopf und spürte Blut an meiner Hand, teils noch feucht, teils schon getrocknet.
„Was ich von dir will?“ Er kam ganz nah an mich heran. „Ich will, dass du machst, was ich dir sage.“

Ich hatte es satt. Ich wollte da raus. Sofort. Nur noch weg von diesem Ort. Ohne an die Konsequenzen zu denken, sprang ich auf und lief zur Tür. Doch Bonny war mir sofort auf den Versen. Er hielt die Tür zu.
„Wo willst du denn hin?“, fragte er sarkastisch.

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Bonny war zu groß und zu stark für mich. Ich wusste, dass ich ihn nicht überwältigen konnte.

Wenn ich jetzt an diesen Tag zurückdenke, war es wohl der schlimmste meines Lebens. Noch heute habe ich schreckliche Albträume und wache nachts schweißgebadet auf. Ich leide an Paranoia und bin im Allgemeinen sehr ängstlich. Das Trauma sitzt tief.

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Noch immer stand ich an der Tür. Mir war schwindelig. Ich fasste mir an den Hinterkopf und spürte das frische Blut der Wunde.

Plötzlich kam Cherie durch eine andere Tür ins Zimmer, die ich bis dahin noch nicht gesehen hatte. Sie war nur mit einem knappen Höschen bekleidet.
„Shane, du siehst nicht gut aus. Wie wäre es, wenn wir uns etwas hinlegen?“

Ich konnte nicht mehr. Ich war am Boden zerstört und hätte am liebsten geweint. Doch dazu kam ich gar nicht. Das, was kam, verschlug mir den Atem.

Cherie zog mich aufs Bett. Sie nahm meine Hand und legte sie auf ihre rechte Brust.
„Ich will Sex mit dir.“

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Ich wusste in dem Moment nicht, was ich sagen sollte. Aber ich tat, was sie sagte. Nicht, weil ich es wollte. Nein. Weil ich Angst hatte. Angst vor ihr. Angst vor Bonny.
Ich dachte nur an Carmen. Ob sie zu dem Zeitpunkt im Restaurant wohl schon auf mich gewartet hat?

Ich verschaffte Cherie einen Orgasmus, den sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen sollte. Ich verausgabte mich, obwohl es mir schlecht ging. Die Wunde an meinem Kopf blutete immer noch, aber das war mir egal. Ich ließ meinen ganzen Ärger an Cherie aus. Und es schien ihr zu gefallen.

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Nachdem ich Cherie gegeben hatte, was sie wollte, lag ich in einiger Distanz von ihr auf dem Bett und starrte an die Decke.
„Shane.“
Ich drehte den Kopf zu ihr und hatte Tränen in den Augen. Ich konnte nur an Carmen denken.
„Ich habe eine Überraschung für dich“, sagte sie zynisch. „Schließlich sollst du auch nicht leer ausgehen.“

Fragend sah ich sie an. Sie rief Bonny, den sie vorher aus dem Zimmer geschickt hatte, wieder herein und blickte mich dann schadenfroh an.
„Bonny wird dir etwas Freude bereiten.“

Kapitel 13


In dem Moment, in dem Cherie das sagte, wusste ich, was kommen würde. Und ich hatte Angst. Ich kann mich daran erinnern, dass ich weinte. In diesem Moment wusste ich einfach nicht mehr weiter.

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„Freust du dich denn nicht, Shane? Das wird dir Spaß machen.“
Ich sagte nichts. War unfähig zu sprechen.
Cherie machte es sich auf dem Sofa in der Ecke bequem.

Noch immer lag ich auf dem Bett, den Kopf zur Seite gedreht und die Augen geschlossen.
Ganz plötzlich spürte ich einen Stich. Ich schreckte auf, doch es war schon zu spät. Ich sah die leere Spritze, die Bonny in der Hand hielt.
„Was-“. Weiter kam ich nicht.
Bonny lachte. „Lysthenon. Ruft eine Muskellähmung herbei. Die Wirkung tritt innerhalb kurzer Zeit ein. Das Problem ist, dass sie nicht lange anhält, aber ich habe für Nachschub gesorgt.“
Wieder lachte er. Und Cherie tat es ihm nach.

Cherie kam zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr, „Wenn deine kleinen Freundinnen oder irgendjemand anderes erfahren, dass ich dahinterstecke, dann sind sie tot, hast du mich verstanden?“ Dann setzte sie sich wieder auf die Couch und sah zu.

Ich lag da und konnte mich nicht bewegen. Ich war verloren und hilflos. Ich musste zusehen, wie Bonny sich vor mir auszog und konnte nichts dagegen tun. Jeder einzelne Muskel meines Körpers war gelähmt.

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Ich sitze da und weine. Wie damals.
Manchmal wünsche ich mir, ich könnte die Erinnerungen auslöschen, sie wegradieren, und gleichzeitig weiß ich, dass dies nicht möglich ist. Sie sind ein Teil von mir. Und ich muss mit ihnen leben.

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Ich musste zusehen, wie er es tat und ich war unfähig, irgendetwas zu tun. Es war wie ein Alptraum, aus dem ich so schnell wie möglich erwachen wollte, doch ich musste erkennen, dass ich es mit der Realität zu tun hatte. Die Realität, die ich nicht verdrängen, nicht abschalten konnte.

Ich war gefangen in meinem eigenen Körper. Der Körper, der einer unverzeihlichen Tat ausgesetzt wurde. In diesen Minuten wurde eine Erinnerung geschaffen, von der ich wusste, dass sie mein ganzes Leben lang immer da sein und mich quälen würde. Unaufhörlich. Unauslöschlich.

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Alles habe ich mit ansehen müssen. Alles. Und die Bilder sind in meiner Vorstellung noch heute so präsent wie damals.

Alles ist in meinem Kopf noch da.
Wie er mir die Kleider vom Leib riss.
Wie er mich auch auf den Mund küsste.
Wie er in mich eindrang.

Wie er mich vergewaltigte.


Kapitel 14


Ich weiß nicht, was danach geschah. Ich habe noch mitbekommen, wie Bonny mir irgendetwas eingeflößt hat und dann wurde alles um mich herum schwarz.
Erst einige Stunden später bin ich wieder aufgewacht.

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Langsam öffnete ich die Augen. Wo war ich?
„Shane.“
Nein. Wer war das? Cherie? In mir machte sich Angst und Panik breit.
Jemand fasste mir an die Schulter. Ich versuchte mich loszureißen. Mein ganzer Körper schmerzte.
„Hey Shane, ich bin es, Alice.“
Alice? Ich schaute zur Seite und sah sie. Tatsächlich.
Ich fing an zu weinen. „Alice. Ist es vorbei?“
Sie lächelte und beruhigte mich. „Ja, Shane, es ist vorbei.“
„Wo bin ich?“
„Im Krankenhaus. Du bist in Sicherheit.“

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Ich weiß nicht, wie die Ärzte meine Identität herausgefunden hatten, schließlich hatte ich nichts mehr bei mir, nicht einmal Klamotten. Ich war nackt. Aber irgendwie haben sie Alice kontaktiert, und sie war da, als ich aufwachte.

Mein ganzer Körper war übersät mit Blutergüssen. Ich hatte gebrochene Rippen und eine Gehirnerschütterung. Nichts Schlimmes. Der seelische Schmerz war es, der mir zu schaffen machte. Ich konnte nicht über das, was geschah, reden.

Noch immer habe ich diesen seelischen Schmerz nicht überwunden. Die Erinnerung sitzt noch immer tief.

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„Mama, Mama.“
„Was ist, mein Schatz?“
„Emma ist beim Spielen hingefallen“, sagt Alessia, die hinter Emma zur Tür hereinkommt.
„Oh, zeig mal her.“
Emma zieht ihre Hose hoch und zeigt mir die kleine Schramme am Knie. Weinerlich sieht sie mich an.
„Das ist nicht so schlimm, du bist doch schon ein großes Mädchen.“
Ich desinfiziere die Wunde und klebe ein Kinderpflaster mit Mickey Mouse-Motiv darauf. Dann nehme ich Emma in den Arm.
„Denk nicht mehr daran, das geht bald wieder vorbei.“
„Kann ich jetzt wieder spielen gehen, Mama?“
Ich lächle sie an. „Klar kannst du das. Viel Spaß euch beiden.“

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„Miss McCutcheon, wie geht es Ihnen?“
„Besser. Wann darf ich denn nach Hause?“
„Schon sehr bald. Aber es gibt da noch etwas, über das wir sprechen sollten“, sagte der Arzt und setze sich zu mir ans Bett. Er sah sehr ernst aus.
„Ist irgendwas mit mir?“ Ich kriegte es mit der Angst zu tun. Ich dachte, dass ich irgendeine schlimme Krankheit hätte. Vielleicht AIDS, oder etwas anderes.
„Wie man es nimmt… wir haben die obligatorischen Tests durchgeführt und mussten feststellen, dass sie schwanger sind.“

Kapitel 15


Ich war geschockt, als ich erfuhr, dass ich schwanger war. Ich und schwanger-das passte einfach nicht zusammen. Und dann war da immer der Gedanke daran, wie das Kind gezeugt worden war. Ich wusste zu dem Zeitpunkt einfach nicht, ob ich das verantworten konnte.

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„Nein. Nein, das kann nicht sein. Bestimmt haben Sie die Testergebnisse verwechselt.“
Er sieht mich an und lächelt schwach. „Das ist ausgeschlossen.“

Ich war verzweifelt und weinte. Das war zu viel für mich.
„Miss McCutcheon, ich kann Ihnen die Entscheidung leider nicht abnehmen… aber Sie müssen sich überlegen, ob Sie das Kind behalten wollen.“
Ich starrte in die Leere.
„Ich lasse Ihnen nun Ihre Ruhe, aber bitte denken Sie darüber nach.“

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Ich habe darüber nachgedacht. Lange. Doch irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ganz plötzlich gab es für mich nur noch eine Antwort: ich wollte dieses Kind. Ich wollte ihm ein Leben schenken, das besser ist als das meine. Ganz langsam entwickelte ich Muttergefühle. Etwas, das ich mir vorher nie hätte träumen lassen.

Doch da war etwas anderes, was mir zu schaffen machte. Cheries Drohung…

„Wenn deine kleinen Freundinnen oder irgendjemand anderes erfahren, dass ich dahinterstecke, dann sind sie tot, hast du mich verstanden?“

Ich wusste, dass sie es ernst meinte. Doch was sollte ich tun? Ich wusste damals nur eine einzige Lösung…

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„Alice, ich werde weggehen.“
Geschockt sah sie mich an. „Was? Wie, weggehen?“
„Weg von hier, von Los Angeles.“
„Aber warum denn? Wo willst du denn hin?“
„Ich weiß es nicht“, sagte ich und fing an zu weinen.

„Shane, was ist denn los?“
Sie nahm mich in den Arm und ich schluchzte. Lange blieben wir so, bis ich endlich in der Lage war, auf ihre Frage zu antworten.
„Alice, ich kann dir nicht sagen, warum ich gehen will aber du musst mir glauben, dass es besser so ist.“
„Besser für wen?“, fragte sie ruhig.
„Besser für alle. Für euch, für mich und….“
„Und?“
„Für mein Kind.“

Alice starrte mich zuerst ungläubig an, doch dann verstand sie. Sie zählte eins und eins zusammen und kam auf die Antwort.

Sie stellte keine Fragen mehr. Nicht über die Vergewaltigung oder wer es war. Nicht über das Kind. Nicht wo ich hin wollte.
Ich war sehr froh darüber.

Kapitel 16


Es ging alles sehr schnell. Sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, packte ich meine Sachen für die Reise in ein neues Leben.

Ich verabschiedete mich nicht von meinen Freunden und ließ sie in dem Glauben, ich sei von der Bildfläche verschwunden. Nur Alice wusste von meinem Geheimnis, dass ich ein Kind erwartete, und sie versuchte mich zu unterstützen. Ich spürte, dass sie innerlich mit sich haderte. Sie wollte mich zum Bleiben überreden, doch wahrscheinlich wusste sie, dass sie keinen Erfolg gehabt hätte.

Es tut mir, damals wie heute, Leid, wie ich mit meinen Freunden umgegangen bin. Einfach so zu verschwinden… das war ein Vertrauensbruch. Doch ich konnte nicht anders, ich musste es tun. Ich wollte weder sie noch das Kind in Gefahr bringen. Ich musste um jeden Preis verhindern, dass Cherie oder Bonnie ihnen zu nahe kamen.

Alice musste mir versprechen, dass sie niemandem, aber auch wirklich niemandem davon erzählt. Sie sollte so geschockt und verletzt wirken wie es wahrscheinlich alle anderen taten und sollte sich nichts anmerken lassen.

Wenige Tage später verließ ich Los Angeles.

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Acht Jahre. Acht Jahre bin ich nun hier in Kanada, genauer gesagt, in Toronto. Ich habe hart gearbeitet, um mir ein neues Leben aufzubauen, ein Leben mit meiner Tochter, und ich habe es schließlich geschafft.

Natürlich denke ich immer noch jeden einzelnen Tag an die Ereignisse, die ich vor acht Jahren durchleben musste, doch dann sehe ich meine kleine Tochter und freue mich über ihr Lachen, über ihre Fröhlichkeit. Emma hat mein verkorkstes Leben wieder lebenswert gemacht.

Ich denke auch oft an meine Freunde und frage mich, wie es ihnen geht und was sie tun. Manchmal ziehe ich in Erwägung, hinunter nach Los Angeles zu fliegen und sie einfach zu besuchen. Doch dann muss ich einsehen, dass es unmöglich wäre. Was würden sie denn sagen, nach acht Jahren… sie würden mir Vorwürfe machen und mich vielleicht verachten.

Und an noch jemanden denke ich jeden Tag: Carmen.
Ich konnte sie nie vergessen, sie ist immer da. Ich habe sie geliebt, obwohl ich nur ein paar Stunden mit ihr verbracht habe. Doch etwas an ihr hat mich in ihren Bann gezogen. Nach ihr habe ich meine Tochter benannt: Emma Carmen McCutcheon.

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Noch als ich in Los Angeles im Krankenhaus lag, rief ich eine alte Freundin in Toronto an. Sandra Wilson. Ich fragte sie, ob ich zu ihr kommen könne. Sofort sagte sie zu und einige Tage später stand ich vor ihrer Tür. Sie nahm mich liebevoll bei sich auf und ich blieb ein paar Monate bei ihr, bis ich meine eigene Bleibe fand. Ich hatte Glück. Ein kleines Häuschen in der Nachbarschaft wurde frei. Ich nahm einen Kredit auf, kaufte es und zog sofort ein.

Sandra und ich kennen uns aus der Frisörschule. Wir waren beste Freundinnen, bis sie in den Ferien ihren jetzigen Mann kennenlernte und mit ihm nach Toronto zog. Wir verloren uns aus den Augen, doch ihre Nummer habe ich immer aufbewahrt.
Ich vertraute ihr und Jeff, ihrem Mann, und erzählte ihnen alles. Ihr Trost hat mich wieder auf die Beine gebracht.

Als ich zu Sandra und Jeff kam, hatten die beiden eine zweijährige Tochter, Alessia. Sie hat mir jeden Tag mehr gezeigt, wie schön es ist, ein Kind zu haben, es groß zu ziehen, und zu sehen, wie es sich entwickelt.

Mehr und mehr freute ich mich auf die Ankunft meines eigenen Kindes auf dieser Welt.


Kapitel 17


Nachdem ich in Toronto angekommen war, wähnte ich mich und meine ungeborene Tochter zwar zunächst in Sicherheit, doch da gab es noch ein Problem… wer überleben will, muss auch arbeiten. Ich hatte zwar etwas Geld gespart, doch das reichte nicht.
Also machte ich mich auf Jobsuche.

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Ich betrat den hippen Friseursalon und ging auf einen kleinen Tresen in der Ecke zu, wo ich wartete, dass irgendjemand kommt. Ich schaute mich um und fühlte mich sofort wohl. Genau so etwas hatte ich mir vorgestellt.

Ein Mann kam lächelnd auf mich zu, vermutlich der Geschäftsführer. Er streckte mir die Hand entgegen und ich nahm sie.
„Guten Tag, mein Name ist Sam. Ich leite diesen Laden hier.“
„Hey… Sam. Ich bin Shane McCutcheon. Ich bin hier wegen der Stelle als Friseuse.“
Er mustert mich. „Du würdest gut zu uns passen. Darf ich deine Zeugnisse sehen?“

Ich gab ihm die Mappe, die ich bisher verdeckend vor meinem kleinen Babybauch gehalten hatte. Er sollte sich erst ein möglichst positives Bild von mir machen, bevor ich ihm meine Schwangerschaft beichtete.

Nach einer Weile sah er lächelnd zu mir auf.
„Nun, Shane… du gefällst mir, deine Qualifikationen gefallen mir… ich glaube, es gibt keinen Grund, dich nicht zu nehmen.“
Erleichtert atmete ich auf.
„Sind wir im Geschäft?“ Er streckte mir die Hand entgegen.
Ich zögerte.
„Was ist los?“, fragte Sam.

„Na ja… vielleicht gäbe es da doch einen Grund, mich nicht zu nehmen… .“
Fragend sah er mich an. „Der wäre?“
„Ich bin schwanger.“

Das hatte er wohl nicht erwartet.
„Also, unter den Umständen kann ich dich natürlich nicht einstellen.“
Ich sah zu Boden. „Aber warum denn nicht? Ich meine, ich bin erst im zweiten Monat. Und wenn das Kind da ist, falle ich höchstens acht Wochen aus.“
Ich gab ihm den Hundeblick. „Bitte.“

Sam überlegte. Er wollte mich haben, das wusste ich. Und ich nutzte es aus.
„Na gut.“
Wieder streckte er mir die Hand entgegen und diesmal nahm ich sie.

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So bin ich also zu einem Job gekommen. Es war mein drittes Vorstellungsgespräch hier in Toronto und ich war wirklich froh, endlich Geld verdienen zu können. Endlich wieder auf eigenen Beinen zu stehen und den Grundstein für mein neues Leben legen zu können.

Kapitel 18


In meinem neuen Job lief es sehr gut und mit Sam und den anderen verstand ich mich von Anfang an super. Ich arbeitete hart, um vor der Geburt noch ein wenig Geld zu verdienen. Aber ich hatte Glück. Die Arbeit im Salon wurde sehr gut bezahlt.

Ich war so froh, dass ich Sandra und Jeff hatte. Ihre Unterstützung bedeutete mir sehr viel. Mit ihnen konnte ich immer über alles reden, ihnen konnte ich vertrauen. Sie waren es, die mich wieder aufgebaut haben, wenn ich einen schlechten Tag hatte. Einen Tag, an dem alle Erinnerungen wieder kamen und mir keine Ruhe ließen.
Oft weckten sie meine Schreie in der Nacht, wenn ich einen Alptraum hatte, der alle Einzelheiten der Geschehnisse wieder hat aufleben lassen, und mindestens einer der beiden kam, um mich zu trösten. Mich in den Arm zu nehmen und mir zu sagen, dass von nun an alles gut werde.

Diese Alpträume habe ich jetzt immer noch. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich habe mich daran gewöhnt, auch wenn sie mich ständig an alles erinnern. Aber diese Erinnerungen sind ein Teil von mir und es gibt nichts, das sie aus meinem Kopf radieren könnte.

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Während der Schwangerschaft freute ich mich jeden Tag mehr auf mein Kind. Manchmal konnte ich es sogar kaum mehr erwarten, es endlich in den Armen zu halten. Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal solche Gefühle haben würde.

Ich fühlte mich weiblicher als noch zu der Zeit, als ich jede Frau ins Bett gezogen habe. Ich hatte längere Haare und trug nun Umstandsmode.

Sandra und ich gingen eines Tages in ein Geschäft, das auf Baby- und Kinder-Kleidung spezialisiert war, um für das Baby Anziehsachen zu kaufen. Über Ultraschall habe ich an diesem Tag von der Frauenärztin erfahren, dass es ein Mädchen werden wird.

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Wir kamen in das Geschäft und gingen in die Baby-Abteilung. Ich sah mich um. Überall werdende Mütter oder solche, die es schon waren mit Kinderwägen zwischen vielen kleinen bunten Klamotten.
Ich war fasziniert, was es für Babys alles gab. Sogar Jeans und Blusen gab es schon in den kleinsten Größen.

„Na, was sagst du?“, fragte mich Sandra. „Deine Augen leuchten ja förmlich.“
„Es ist toll. Am liebsten würde ich den ganzen Laden aufkaufen.“
Sandra lachte und sah mich dann an. „Du hast dich wirklich sehr verändert, Shane.“

Hatte ich das? Als ich so darüber nachdachte, wurde mir klar, dass sie Recht hatte. Vor nicht allzu langer Zeit war ich das It-Girl von Los Angeles, das vor keiner Frau Halt gemacht hat und den jeden Tag auf irgendwelchen Partys rumgehangen war. Ich war das Zentrum auf Alices Chart. Und nun… nun bekam ich ein Baby.

Ich habe mich verändert. Nicht nur äußerlich. Nein. Mein ganzes Wesen hat sich verändert. Meine Ansichten. Mein Leben.

Kapitel 19


Ich sah mich im Spiegel an, von vorne und von der Seite, und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Mein Bauch wurde immer runder und ich musste nun Klamotten tragen, von denen mir nur ein paar Monate zuvor nicht mal im Traum eingefallen wäre, dass sie mir gefallen könnten - Umstandsmode eben. Aber als ich mich so ansah, musste ich feststellen, dass ich mir tatsächlich gefiel. Meine Haare waren um einiges länger und meine Brüste waren eindeutig größer geworden. Dort, wo früher nur eine geringe Erhebung auszumachen war, befanden sich nun zwei richtige Brüste.
Ja, ich gefiel mir.

„Warte es nur ab, sie werden noch größer, wenn sie erst mal mit Muttermilch gefüllt sind. Dann wirst du manchmal das Gefühl haben, sie explodieren“, lachte Sandra, die im Türrahmen stand und mich dabei ertappt hatte, wie ich mit beiden Händen auf der Brust vor dem Spiegel stand.
Ich musste mitlachen.
„Die Hintertür stand offen. Ich hoffe, ich hab dich nicht erschreckt.“
„Nein, nein“, versicherte ich ihr. „Ach Sandy, ich freue mich so.“
Sandra kam zu mir und umarmte mich. „Wir freuen uns auch für dich.“
Wir sahen uns eine Weile lächelnd an.

„Ist Jeff zu Hause?“
„Noch nicht, aber er müsste gleich von der Arbeit kommen. Warum fragst du?“
„Kann ich kurz mit rüber kommen? Ich möchte mit euch reden.“
„Klar, kein Problem. Wir haben Zeit. Alessia ist bei meiner Mutter.“

--------------------

„Emma, Alessia“, rufe ich in den Garten hinaus. „Möchtet ihr was trinken?“
„Ja!“, höre ich die beiden zurückrufen und wenig später kommen sie schon auf mich zugerannt.
„Ich hab Eistee. Früchte oder Pfirsich?“
„Früchte.“
„Pfirsich.“
Ich lächle. Warum habe ich eigentlich gefragt? Emma mag wie immer Früchte-Eistee und Alessia ist verrückt nach Pfirsich.

Nachdem sie mit einem Zug ihr Glas leer getrunken haben, stürmen sie wieder davon.
„Shane, hi.“
Ich drehe mich um.
„Oh hey, Sandy. Möchtest du auch ein Glas?“, frage ich und halte ihr die zwei großen Glaskannen hin.
„Gern. Pfirsich, bitte.“
Wie die Mutter, so die Tochter.

„Jeff und ich geben heute Abend ein Barbecue. Ich hoffe, du und Emma habt noch nichts vor, denn wir würden uns sehr freuen, wenn ihr kommt.“
„Klar, gern. Wir haben nichts geplant.“
„Gut, dann sehen wir uns später. So um sieben.“

--------------------

„Jeff, Sandra, ich will euch etwas fragen“, sagte ich, als wir zusammen auf der Couch saßen.
Die beiden sahen mich erwartungsvoll an.
„Ihr habt mich bei euch aufgenommen und mich in den letzten Monaten bei allem unterstützt. Dafür bin ich euch sehr dankbar, wirklich. Ich weiß nicht, wie ich mich jeweils dafür revanchieren kann.“
„Shane, das musst du nicht. Wir haben das gern gemacht. Du bist unsere Freundin und du kannst immer zu uns kommen.“

Ich lächelte.
„Ich möchte euch gerne um etwas bitten.“
Wieder blickten mich vier erwartungsvolle Augen an.
„Ich würde mich freuen, wenn ihr die Patenschaft von meiner Tochter übernehmen würdet.“

Kapitel 20


Ich sitze auf meinem Balkon und genieße die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Es wird heiß heute. Ich trinke einen Schluck von meinem Orangensaft und nehme dann die Zeitung zur Hand. Ich blättere durch und lese hier und da einen Artikel, der mich interessiert.
„Morgen, Shane.“
Ich sehe Sandra um die Ecke kommen und lege die Zeitung auf meine Beine.
„Hey, Sandy. Setz dich zu mir. Kann ich dir ein Croissant oder einen Kaffee anbieten?“
„Danke, ich habe gerade gefrühstückt. Schläft Emma noch?“
Ich nicke. „Ja. Sie war hundemüde gestern Abend. Danke nochmal für die Einladung, wir haben uns prächtig amüsiert.“
„Das freut mich. Wir wollten schon so lange mal wieder ein Barbecue veranstalten, und gestern Abend hat es endlich geklappt.“

Ich höre ihr nicht mehr zu. Mein Blick ist auf eine Schlagzeile in der Zeitung gerichtet, die ich soeben entdeckt habe.
„Shane? Ist alles okay?“
Ich starre immer noch auf die Seite.
„Shane, was ist denn los?“
Sandra steht auf und kommt auf meine Seite des Tisches, um zu sehen, was mich gerade so mitnimmt.

„Oh mein Gott.“
Jetzt starrt Sandra genauso auf die Überschrift wie ich. Dort, auf Seite 17 ganz oben, steht es groß und fett:

>>Cherie Jaffe des Mordes angeklagt<<
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Ich saß mit Sandra und Jeff in meinem Wohnzimmer.
„Aber Shane, warum willst du das Biest nicht einfach anzeigen? Du könntest sie und diesen Auftragskiller in Nullkommanichts ins Gefängnis bringen“, redet Jeff auf mich ein.
Nur vom Reden über das Thema bin ich völlig fertig und mir stehen die Tränen in den Augen.
„Versteht ihr das nicht? Ich möchte abschließen mit dieser ganzen Sache.“
„Und wie soll das aussehen? Wie willst du einen Abschluss herbeiführen, wenn die beiden auf freiem Fuß sind und du in ständiger Angst lebst? Du trägst die Erinnerung an diesen Tag in dir, hast du das vergessen? Du wirst eine Tochter gebären, die dich jeden einzelnen Tag an die Geschehnisse erinnern wird.“
„Jeff!“, ermahnt ihn Sandra.

Ich kann mich nicht mehr unter Kontrolle halten.
„Hör auf, so über meine Tochter zu reden. Sie kann nichts dafür. Ich-“.
Plötzlich spüre ich etwas in meinem Bauch. Einen Tritt.

„Shane, was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung?“ Die beiden stürmen zu beiden Seiten um den Tisch auf mich zu, nachdem ich mir an den Bauch gefasst habe.
„Nein, es ist nur. Sie… sie hat mich getreten. Sie hat mich zum ersten Mal getreten“
Ich strahle und habe die Auseinandersetzung von gerade eben schon fast vergessen.

--------------------

Wieder und wieder lese ich die Überschrift: >>Cherie Jaffe des Mordes angeklagt<<
Erst nach einigen Minuten kann ich mich dazu überwinden, den Artikel zu lesen.

>>Los Angeles. Cherie Jaffe, die ehemalige Frau des erfolgreichen Managers Steve Jaffe, der vor fast neun Jahren ermordet aufgefunden worden war, wurde am Abend in ihrem Haus in Beverly Hills verhaftet. Sie wurde angeklagt, einen Auftragskiller engagiert zu haben, um ihren Mann zu töten.
Auf einen anonymen Tipp hin hat die Polizei das Haus durchsucht und dort den entscheidenden Hinweis gefunden, eine Rechnung des Mörders über etwa 200.000 US$. Bei der anschließenden Vernehmung auf der Polizeiwache gestand Jaffe die Tat, die neun Jahre zuvor nicht aufgeklärt werden konnte. Sie und der Killer, Bonny Cale, wurden sofort inhaftiert und warten nun auf ihren Prozess.<<

Ich blicke von der Zeitung auf und starre vor mich hin. Dann sehe ich zu Sandra auf, die ihre Hand auf meine Schulter gelegt hat.
„Ich bin frei“, sage ich langsam und bin unfähig, meine Gefühle zu ordnen.



To be continued :D

_________________
ich werde mir vor deinem tor eine hütte bauen,
um meiner seele, die bei dir haust, nah zu sein.


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 Betreff des Beitrags: Re: Separated
BeitragVerfasst: 25.09.2012, 04:32 
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Kapitel 21


„Ich bin frei. Es ist endlich vorbei.“
Tränen bahnen sich den Weg über meine Wangen und langsam begreife ich, was dieser Artikel für mich bedeutet. Für mich und Emma.
Sandra nimmt mich in die Arme. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin.“
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin“, sage ich und strahle Sandra an.

Doch dann kommt mir plötzlich ein anderer Gedanke.
„Shane, ist alles in Ordnung?“
„Was?“
„Du bist so blass, geht es dir nicht gut?“
„Ich bin okay. Ich habe nur gerade an Alice und Bette und Carmen gedacht. Irgendwie ist es ein komisches Gefühl, weißt du… eigentlich gibt es keinen Grund mehr, der mich hier hält, der mich von meinen früheren Freunden fernhält. Aber ich habe mir hier ein neues Leben aufgebaut, ein Leben mit meiner Tochter und mit euch als wunderbare Freunde, und ich möchte dieses Leben nicht mehr missen. Die letzten acht Jahre verging kein Tag, an dem ich mich nicht schuldig gefühlt habe, weil ich einfach verschwunden bin und meine Freunde verlassen habe, von einem Tag auf den anderen, sie konnten schließlich nichts für das, was passiert ist. Und Carmen wäre vielleicht meine große Liebe geworden.“
„Shane, du musstest es tun. Cherie und Bonny haben dich bedroht, du hattest keine andere Wahl.“
„Ich hatte die Wahl und ich habe mich gegen meine Freunde entschieden. Ich hätte die beiden anzeigen können.“
„Selbstvorwürfe sind sinnlos, Shane. Vielleicht kannst du versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, wenn du dich dazu bereit fühlst.“
Ich will widersprechen, doch ich lasse es bleiben. Mir ist übel und eine weitere Diskussion will ich unter allen Umständen vermeiden.

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„Mama!“
Ich drehe mich um und sehe Emma, ihre Schultasche geschultert, auf mich zustürmen. Sie sieht glücklich aus.
„Hi meine Kleine.“
Ich gehe etwas auf die Knie und Emma wirft sich mir um den Hals. In diesem Moment wird mir schwindlig. Ich merke, wie ich nach hinten umkippe und auf dem harten Boden aufkomme.
„Mama, was ist los mit dir? Mama?“, höre ich Emma noch rufen.

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„Wo ist meine Tochter?“
Das ist das erste, an das ich denken kann. Ich versuche aufzustehen, doch ich werde von jemandem festgehalten.
„Wir haben eine Telefonnummer in Ihrem Terminkalender angerufen. Eine Frau namens Sandra Wilson ist draußen und kümmert sich um sie.“
„Gut.“
Erst jetzt merke ich, dass ich in einem Krankenwagen liege, um mich herum drei Sanitäter stehen und ich eine Nadel im Arm habe. Doch der Anblick ist mir keineswegs fremd.
„Wie geht es Ihnen?“
„Mir ist noch etwas übel, aber es ist schon besser.“
„Haben Sie das öfter?
„Ja, bei meiner Schwangerschaft gab es Probleme und seitdem habe ich eine Kreislaufschwäche.“

Kapitel 22


Ich hatte starke Kopfschmerzen. Schon die letzten Tage ging es mir nicht gut, doch ich behielt es für mich, erstens, um niemanden zu beunruhigen, und zweitens, um nicht das Risiko einzugehen, nicht weiter arbeiten zu können. Ich brauchte das Geld, um mein Leben und bald auch das meiner Tochter zu finanzieren. Ich war nun im siebten Monat schwanger und die Geburt meines Kindes rückte immer näher. Ich hatte Angst, und doch freute ich mich darauf.

Die ganze Woche zuvor war mir übel, ich musste mich ein paar Mal erbrechen und ich hatte des Öfteren Schwindelanfälle. Ich fragte mich, was mit mir los war, doch ich unternahm nichts dagegen. Das war ein großer Fehler.

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Ich hielt es nicht mehr aus. Die Schwindelanfälle häuften sich und ich schwitzte. Ich spürte, dass mein Blutdruck stieg und ich bekam kaum mehr Luft. Ich stand vom Sofa auf und ging langsam an der Wand entlang, hinüber zu dem Tisch, auf dem das Telefon stand.
Ich wählte die Nummer von Sandra. Es dauerte nicht lange, bis jemand abhob.
„Hallo?“
„Jeff. Hier ist Shane.“
„Shane, was ist passiert?“
„Ich… ich weiß nicht. Jeff, kannst du rüber kommen? Schnell?“
„Gib mir zwei Sekunden.“

Ich schaffte es nicht mehr, das Telefon wieder richtig aufzulegen, meine Sicht war verschwommen. Ich ging auf die Knie und setzte mich auf den Boden. Mir wurde so schwindlig, dass ich mich nicht mehr halten konnte und fiel nach hinten um.
„Shane?“
Ich hörte Jeff durch die Hintertür hereinstürmen.
„Shane, mein Gott. Was ist los?“
„Jeff.“

Ich fing an zu krampfen. Mein ganzer Körper zog sich zusammen und plötzlich tat mir alles weh.
Ich hörte noch, wie Jeff mit jemandem sprach, bevor alles schwarz wurde.

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Langsam öffnete ich die Augen. Ich lag in einem Bett in einem Raum, der aussah, als gehörte er zu einem Krankenhaus.
Ich fühlte mich schwach. Plötzlich kamen die Erinnerungen an das, was in meinem Haus passiert ist, das Telefonat mit Jeff und der Krampfanfall.
Ich blickte um mich und sah Maschinen, die an mich angeschlossen waren und vor sich hin piepten.

Dann schlich sich plötzlich die Angst ein, ich könnte mein Kind verloren haben. Ich sah an mir hinunter und mein dicker Bauch war noch da, aber das musste nichts heißen. In diesem Moment konnte ich nur hoffen, dass meine Angst nicht berechtigt war.

Neben mir auf dem Kissen lag ein kleines weißes Gerät. Ich nahm es in die Hand und drückte auf den roten Knopf. Wenig später kam ein junger Arzt herein.

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„Sie hatten großes Glück, Miss McCutcheon. Sie leiden an einer so genannten Eklampsie, welche sowohl Sie als auch das Kind gefährden kann. Im Moment konnten wir Sie beide allerdings stabilisieren. Wir behandeln Sie mit speziellen Medikamenten und wenn alles gut verläuft, dann können Sie das Kind auf normalem Weg zur Welt bringen. Es kann aber auch sein, dass wir Ihre Tochter vorzeitig per Kaiserschnitt holen müssen, wenn sich Ihre Stoffwechsellage nicht bessert.“

Kapitel 23


Noch immer liege ich auf der Trage im Krankenwagen. Die Sanitäter wollen mich noch nicht gehen lassen.
„Haben Sie noch etwas Geduld, Miss McCutcheon, bis der Infusionsbeutel leer ist. Sie sind immer noch ganz blass und wir wollen ja nicht, dass Sie gleich wieder zusammenklappen. Ich würde allerdings vorschlagen, dass Sie sich im Krankenhaus nochmals untersuchen lassen. Wenn Sie des Öfteren Kreislaufprobleme haben, dann ist damit nicht zu spaßen.“
„Kommt nicht in Frage, ich habe eine Tochter, um die ich mich kümmern muss. Außerdem sagte ich bereits, dass dies auf die aufgetretenen Probleme während der Schwangerschaft zurückzuführen ist.“

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„Miss McCutcheon, ich muss Ihnen leider sagen, dass sich Ihre Werte nicht gebessert haben. In Ihrem Interesse sollten wir einen Kaiserschnitt durchführen.“
„Aber ich bin erst in der 32. Woche, das ist zu früh.“
Ich war verzweifelt. Wenn dem Kind etwas zugestoßen wäre, hätte ich mir das nie verziehen.
„Das Kind ist gut entwickelt, es besteht keine Gefahr.“
„Ich will kein Risiko eingehen.“
„Aber Sie gehen ein Risiko ein, wenn wir keinen Kaiserschnitt durchführen. Ihr Körper ist geschwächt, Ihre Nieren versagen langsam. Wenn wir nicht sofort handeln, gefährden Sie nicht nur Ihr Kind, sondern auch sich selbst.“

Es blieb mir wohl nichts anderes übrig. Ich fragte mich, ob ich in meinem Zustand überhaupt fähig war, ein Kind auf normale Weise zu gebären, geschwächt wie ich war. Die Ärzte überzeugten mich schließlich, dass ein Kaiserschnitt meine einzige Chance war.

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„Da ist Mama!“, ruft Emma und läuft auf mich zu. Ich nehme sie in die Arme.
„Tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe, meine Kleine.“
„Geht’s dir jetzt wieder besser?“
„Ich bin noch etwas wackelig auf den Beinen, aber mir geht es wieder besser, ja.“
„Aber du musst dich ausruhen. Ich werd auf dich aufpassen, Mama.“
Ich lächle. Womit hab ich nur so eine niedliche, liebenswürdige Tochter verdient? Ich schließe Emma fester in die Arme.

„Kommt, ich bring euch nach Hause“, sagt Sandra nach einer Weile lächelnd. „Das Auto kannst du hier lassen, ich werde es heute Abend zusammen mit Jeff abholen.“
„Danke, Sandy. Für alles.“
„Nichts zu danken.“
Ich nehme auch sie in die Arme, bevor wir zusammen nach Hause fahren.

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„Sind Sie bereit?“
Ich nickte.
Ich lag in einem Operationssaal und alles was ich sah, war das helle Licht über mir und der grüne Vorhang vor mir, der mich vom eigentlichen Geschehen abschirmte: der Geburt meiner Tochter.
Ich spürte rein gar nichts. Nur meinen Kopf konnte ich bewegen, sonst war ich wie gelähmt. Schmerzlich erinnerte ich mich an die Nacht, in der mir Bonny das Lysthenon spritzte und ich mich nicht mehr bewegen konnte. Das war vor siebeneinhalb Monaten und es war der schlimmste Tag in meinem Leben, und gleichzeitig der Tag, an dem ich das schönste Geschenk erhielt: ein Kind.

Wenig später höre ich, wie aus weiter Ferne, einen Schrei.
„Herzlichen Glückwunsch, Miss McCutcheon, zu Ihrer Tochter. Miss McCutcheon?“
Ich konnte einen kurzen Blick auf sie werfen und ich spürte mich lächeln, bevor Maschinen anfingen zu piepen und plötzlich viele Ärzte um mich herum standen. Ich hörte nur noch das Wort „Nierenversagen“, bevor ich endgültig kollabierte.

Kapitel 24


„Leg dich ins Bett.“
„Sandra, es geht mir wieder gut, ehrlich.“
„Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.“
Ich hasse es, wenn man mich wie ein Kleinkind behandelt, aber gleichzeitig rührt es mich, dass sich alle Sorgen um mich machen.
„Okay.“

Ich lege mich ins Bett und wenig später kommt Sandra mit einer Kanne frischem Wasser und einem Glas ins Schlafzimmer.
„Du musst viel trinken. Und versuchen zu schlafen.“
Bevor ich widersprechen kann, fügt sie hinzu: „Ich kümmere mich um Emma. Sie spielt draußen im Garten mit Alessia. Sie kann bei uns bleiben, bis es dir besser geht.“
Ich will ihr sagen, dass es mir schon besser geht, doch ich lasse es bleiben. Es hat ohnehin keinen Sinn.

Nachdem Sandra gegangen ist, mache ich die Augen zu und drifte kurze Zeit später in den Schlaf.

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„Shane? Shane, bist du wach?“
Sandra stand an meinem Bett und tätschelte meine Hand. Ich schaute mich im Zimmer um.
„Wo ist sie? Wo haben sie meine Tochter hingebracht?“
„Es geht ihr gut. Sie haben sie kurz in ein Wärmebett gelegt und ihr beim Atmen geholfen, aber es ist alles in Ordnung, sie war so gut entwickelt, dass sie sie wenig später schon wieder herausholen konnten. Sie ist eine Kämpferin, genau wie ihre Mama.“ Sie lächelt. „ Ich sage dem Arzt Bescheid, dass du wach bist, und dann werden sie sie zu dir bringen.“
„Okay. Wie lange war ich bewusstlos?“
„Etwa drei Stunden. Aber mach dir keine Sorgen, die Schwestern haben sich gut um die Kleine gekümmert.“

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„Guten Tag, Miss McCutcheon. Bevor ich Ihnen Ihre Tochter bringe, möchte ich Sie kurz über Ihren Gesundheitszustand aufklären. Sie hatten ein akutes Nierenversagen, wir haben es aber in den Griff bekommen, sodass Sie keine Dialyse brauchen. Wir verabreichen Ihnen geeignete Medikamente, die Ihren Körper wieder in Schwung bringen werden.“
„Wie lange muss ich hier bleiben?“
„Das kann ich noch nicht genau sagen, aber ich denke, nicht länger als eine Woche. Danach sollten Sie regelmäßig zur Nachsorgeuntersuchung kommen. Ich habe mich mit Frau Wilson verständigt, sie wird sich um Sie kümmern und Ihnen im Haushalt und mit Ihrer Tochter zur Hand gehen. Es kann sein, dass sie längere Zeit noch Schwächeanfälle haben, wenn sie entlassen werden, doch das ist nicht gesundheitsgefährdend. Lassen Sie sich aber trotzdem jährlich durchchecken.“

„Gut. Kann ich nun endlich mein Kind sehen?“
Ich hielt es nicht mehr aus. Mir war es in diesem Moment egal, wie es mir ging, ich wollte nur endlich meine Tochter sehen.
„Klar. Ich kann verstehen, dass Sie nicht mehr warten wollen. Aber welchen Namen soll die Kleine denn überhaupt bekommen?“
Ich lächelte. „Emma Carmen.“

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Sandra stellte gerade mein Bett etwas höher, als eine Schwester mit einem kleinen weißen Bündel auf dem Arm herein kam. Ich spürte die Wärme, die sich in mir breit machte.
„Miss McCutcheon, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer süßen Tochter“, sagte die Schwester lächelnd und legte mir Emma in den Arm.

Es war wie ein Wunder. Ich wollte nie Kinder und ich konnte mir nie vorstellen, wie es wäre, wenn ich selbst welche hätte, doch als ich mein eigenes Kind in den Armen hielt, fühlte ich das pure Glück. Es war, als ob ein sehnlicher Wunsch in Erfüllung ginge, den ich nie hatte.
Emma war wach und sah mich an. Ihre Augenfarbe war blau, doch angeblich hatten ja alle Neugeborenen blaue Augen.
„Hey meine Kleine. Ich bin deine Mama. Und das hier ist Sandy, deine zukünftige Patin.“

Ich streichelte ihr über die Wange und küsste sie auf die Stirn. Ich war glücklich, wirklich glücklich.


Kapitel 25


Als ich aus dem Haus komme und in den Nachbarsgarten hinübergehe, sehe ich Sandra kniend über ihre Blumenbeete gebeugt, mit einer kleinen Schaufel in der Hand und einem Topf Erde neben sich stehen.
„Hey Sandy.“
Sie dreht sich um und schaut zu mir auf.
„Shane. Was tust du hier? Du solltest im Bett bleiben.“
„Es geht mir wirklich gut, ich bin ausgeruht.“
Sie seufzt. „Wenn du meinst. Ich kann dich ohnehin nicht vom Gegenteil überzeugen.“ Dann fügt sie hinzu: „Willst du eine Tasse Tee oder Kaffee?“
„Ja, gerne. Tee, bitte.“

Wir gehen zur Terrasse und Sandy bringt mir eine Tasse und eine Kanne, die mit Pfefferminztee gefüllt ist.
„Wo sind eigentlich Emma und Alessia?“
„Jeff ist mit ihnen ein Eis essen gegangen. Du hättest sie sehen sollen, sie waren ganz aus dem Häuschen, als Jeff die Idee geäußert hat.“
Ich lache. „Das kann ich mir vorstellen.“

Nach einer Weile überkommt mich ein seltsames Gefühl, ganz plötzlich. Ich dachte wieder an den Zeitungsartikel von heute Morgen, über Cherie und Bonny, und es war, als ob mir plötzlich ein Licht aufging, als ob mir etwas wie Schuppen von den Augen fiel.
„Ich werde nach Los Angeles gehen.“

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Als ich Emma in den Armen hielt, musste ich unwillkürlich wieder an Carmen denken. Wie hätte ich auch nicht an sie denken können, schließlich trug meine Tochter ihren Namen.
Immer wieder stellte ich mir die Frage, wie es wohl gewesen wäre, wenn sie genau in diesem Moment neben meinem Bett gesessen hätte. Wir wären wie eine kleine Familie gewesen.

Doch Carmen war nicht da. Vielleicht war sie in Los Angeles. Oder irgendwo anders.
Bestimmt fühlte sie sich verraten, weil ich nicht zu unserem vereinbarten Treffen erschienen bin. Ich machte mir deswegen große Vorwürfe. Weil ich Carmen versetzt hatte und weil ich meine Freunde verlassen habe.

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„Du willst wirklich zurück nach L.A.?“
„Ich weiß nicht, ob ich für immer dorthin zurückkehren will, denn eigentlich gefällt es mir hier in Toronto wirklich sehr, aber ich muss einfach meine Freunde wiedersehen. Ich halte dieses Versteckspiel nicht mehr aus. Jetzt, wo dieser Alptraum endlich vorbei ist, kann ich es wagen. Und ich muss es wagen. Das spüre ich einfach.“

Sandra lächelt mich an.
„Wir werden euch begleiten.“
Ich sehe sie ungläubig an. „Was?“
„Jeff, Alessia und ich werden euch begleiten. Jeff und ich haben schon vor längerer Zeit über dieses Thema geredet und wir waren uns sofort einig: sollte es irgendwann dazu kommen, dass du mit Emma nach Los Angeles gehen und deine Freunde aufsuchen willst, werden wir keine Sekunde zögern und mit dir gehen.“


Kapitel 26


„Ihr habt ernsthaft besprochen, dass ihr mich begleiten werdet, wenn es so weit ist?“, frage ich. Ich finde das so rührend, dass mir die Tränen in den Augen stehen.
„Wir wussten, dass du eines Tages zurückkehren würdest. Shane, du bist unsere Freundin und wir sind die Paten deines Kindes, wir lassen dich nicht alleine. Es sind bald Sommerferien, vielleicht können wir bis dahin warten. Jeff und ich werden uns Urlaub nehmen.“
Ich seufze. „Womit hab ich euch nur verdient? Ihr seid so wunderbar.“
Sandy nimmt mich in die Arme. „Du würdest dasselbe für uns tun, das weiß ich.“

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Acht Tage nach dem Kaiserschnitt konnte ich mit Emma nach Hause. Jeff hatte in der Zeit das Kinderzimmer fertig eingerichtet und in dem fliederfarbenen Raum stand nun eine Wiege aus dunklem Holz, ein kleiner Kleiderschrank und ein Wickeltisch. Über der Wiege war ein wunderschönes buntes Mobile angebracht, dem ähnlich, das Bette damals für Angelica gekauft hatte.

„Jeff, es … es ist … wundervoll!“
„Es freut mich, wenn es dir gefällt. Und hoffentlich gefällt es auch der jungen Dame“, schmunzelte er.
„Hm, mal sehen.“ Ich wandte mich an Emma, die in meinen Armen lag. Sie war wach. „Schau, mein Schatz, das hier hat Jeff für dich gemacht, ist das nicht toll?“
Natürlich sah sie sich nicht im Raum an, um uns dann mitzuteilen, dass ihr neues Zimmer ihr gefiel, doch sie verzog das Gesicht zu einem leichten Lächeln.
„Siehst du? Sie mag das Zimmer.“

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Ich sitze zu Hause und muss an die Vergewaltigung denken. Immer, wenn ich alleine und nicht mit irgendetwas beschäftigt bin, kommen die Gedanken und die Angstzustände zurück.

Endlich sitzen die beiden Menschen hinter Gittern, die mir das angetan haben. Acht Jahre habe ich darauf gewartet, acht lange Jahre, die nicht immer einfach für mich waren. Ich bin so froh, dass Sandra und Jeff immer für mich da waren. Und Emma - sie war meine Retterin. Sie war es, die mich aus meinem tiefen Loch holen konnte, in das ich an diesem Tag, dem schlimmsten Tag in meinem Leben, gefallen bin. Und dann denke ich wieder daran, dass dieser Tag letztendlich gar nicht der schlimmste für mich gewesen sein kann, weil ich genau da das empfangen habe, was mir jetzt das Wichtigste ist: meine Tochter. Wären Cherie und Bonny nicht gewesen, hätte ich höchst wahrscheinlich niemals ein Kind bekommen.

Die Tatsache, dass Bonny der Vater von Emma ist, verdränge ich schon seit Jahren erfolgreich.
Emma weiß in den Grundzügen, wie sie entstanden ist und was mir angetan wurde. Es war mir wichtig, dass sie das weiß. Für sie gibt es keinen Vater, denn sie sagt selbst, dass sie keinen Papa haben will, der ihrer Mama weh getan hat.
Unwillkürlich muss ich lächeln. Emma ist für ihr Alter so erwachsen und das macht mich so stolz.

„Mama! Mama!“
Ich drehe mich um und sehe Emma durch die Hintertür herein kommen. Ich nehme sie in die Arme.
„Hat das Eis geschmeckt?“
„Ja, es war lecker. Ich hatte Himbeere und Schokolade.“

„Sag mal, Engel, was würdest du davon halten, wenn wir zusammen mit Jeff, Sandy und Alessia nach Kalifornien fahren und meine alten Freunde besuchen würden?“
Emma ist sofort Feuer und Flamme. Oft habe ich ihr von Alice, Bette und den anderen erzählt und immer schon wollte sie sie kennenlernen. Nun endlich hat sie die Chance dazu.
Ich hoffe nur inständig, dass sie nicht allzu sehr geschockt sein werden, wenn ich aufkreuze. Und dann auch noch mit einem fast achtjährigen Kind.

Kapitel 27


2 Wochen später ...

„Emma, beeil dich, wir verpassen sonst den Flieger“, rufe ich aus der Küche in Emmas Zimmer, „das Taxi kommt gleich.“
„Ich kann meinen Teddybären nicht finden“, antwortet meine Tochter verzweifelt.
„Aber Engelchen, der ist doch hier auf der Couch.“ Langsam kommt sie aus ihrem Zimmer hervor und zieht ihren kleinen Koffer hinter sich her. „Weißt du nicht mehr? Als wir gestern diesen Film angesehen haben, hattest du ihn dabei.“

Freudestrahlend geht sie auf das Sofa zu. Ich muss lächeln. Sie ist zwar schon sieben Jahre alt, aber diesen Teddybären wird sie wahrscheinlich nie mehr aus der Hand legen. Sie hat ihn zur Geburt von ihren Paten geschenkt bekommen und seitdem ist er ihr ständiger Begleiter.

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Weinend kam Emma aus ihrem Zimmer gelaufen, ihren Teddybären in der Hand.
„Was ist los, mein Schatz?“
„Teddy“, schluchzte sie, „Teddy kann nicht mehr sehen.“
„Komm mal her“, sagte ich und nahm sie auf den Schoß. „Warum kann Teddy nicht mehr sehen?“
„Er… er hat ein Auge verloren.“ Sie zeigte mir den Teddy in der einen und das verlorene Knopfauge in der anderen Hand. Sie schmiegte sich an mich und weinte immer noch.

„Was hältst du davon, wenn wir Teddy ins Krankenhaus bringen, damit er bald wieder sehen kann?“, fragte ich Emma und sie sah zu mir herauf.
„Ins Krankenhaus?“
„Ja, ins Teddybären-Krankenhaus. Wollen wir hingehen?“
Emma nickte heftig mit dem Kopf. Ich nahm sie an die Hand und führte sie in mein Schlafzimmer.
„Wir sind da.“
Ungläubig sah sie mich an.
„Mama, das ist dein Schlafzimmer.“
„Und das Teddybären-Krankenhaus“, fügte ich hinzu. „Leg Teddy ins Bett, er wird gleich wieder sehen können.“

Während Emma ihren Teddy behutsam auf mein Bett legte und ihn zudeckte, holte ich aus meinem Schrank eine Nadel und einen schwarzen Faden.
Wenige Minuten später war der Knopf, der dem Bären als Auge diente, wieder angenäht.
„Mama, du hast ihn geheilt. Er kann wieder sehen.“ Sie warf sich mir strahlend um den Hals. „Darf ich ihn mitnehmen.“
„Hm… lass mal sehen. Ja, ich denke, er kann aus dem Teddybären-Krankenhaus entlassen werden.“

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Bei dieser Erinnerung muss ich jedes Mal schmunzeln. Emma war ungefähr fünfeinhalb Jahre alt gewesen, als wir ihren Teddy verarztet haben.

„Kommt ihr? Das Taxi ist da.“
Ich drehe mich um und sehe Jeff lächelnd in der Tür stehen. Emma rennt mit ihrem Teddy in der Hand auf ihn zu und Jeff fängt sie auf. Ich nehme meinen Koffer und die Tasche mit Emmas Sachen und gehe ebenfalls zur Tür. Nach einem letzten Blick ins Haus, mit der Ungewissheit, wann ich das nächste Mal hier sein werde, schließe ich zu und lade die Koffer ins Auto.

Kurze Zeit später sind wir auf dem Weg zum Flughafen.

Kapitel 28


Wir sitzen im Flugzeug. Gleich geht es los. Ich weiß nicht, was mich erwartet, denn ich bin noch nie geflogen. Während Emma ganz aufgeregt ist, habe ich ein eher mulmiges Gefühl im Magen.
„Shane, du bist schon wieder so blass, geht es dir nicht gut?“, fragt Jeff, der neben mir sitzt. Emma, Jeff und ich sitzen in der Fensterreihe, Sandy sitzt mit Alessia über den Gang in der Mittelreihe.
„Ich… ich weiß nicht, mir ist irgendwie komisch. Ich habe ehrlich gesagt etwas Angst vorm Fliegen.“
„Soll ich vielleicht irgendjemandem Bescheid sagen?“
„Nein… nein, es geht schon.“

Plötzlich ertönt aus den Lautsprechern die Stimme einer Stewardess, die ankündigt, dass die Maschine in wenigen Sekunden startet und sich deshalb alle Passagiere anschnallen sollen.
Ich habe immer noch Angst. Hoffentlich geht alles schnell vorbei.

Die Maschine fängt an zu rollen, ganz langsam, und wird dann immer schneller. Ich spüre die Panik in mir hochsteigen.
Als wir vom Boden abheben, fühle ich mich, als ob sich meine Eingeweide umdrehen. Mir steht der Schweiß auf die Stirn.
Bitte nicht ohnmächtig werden, denke ich mir noch, bevor ich mich nicht mehr kontrollieren kann.

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„Miss? Miss, können Sie mich hören?“
Jemand klatscht mir auf die Wange. Ich höre Gemurmel um mich herum. Langsam öffne ich die Augen. Ein Mann, den ich noch nie gesehen habe, ist über mich gebeugt.
Ich sehe mich um. Nun erkenne ich, dass ich auf dem Gang zwischen Fenster- und Mittelreihe liege. Jeff hält meine Beine hoch und mein Kopf liegt in Sandras Schoß. Mehrere Dutzend Leute starren mich von ihren Sitzen aus an. Verdammt, ist mir das peinlich. Diese Anfälle häufen sich in letzter Zeit.

„Mama, geht`s dir wieder gut?“ Emma beugt sich über Sandys Schulter und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Ich muss lächeln, sie ist so süß.
„Keine Sorge, mein Engel, Mama geht’s gleich wieder gut.“

Der unbekannte Mann wendet sich an mich. „Miss, ich bin Arzt. Sie hatten einen Kreislaufkollaps und wie ich höre, ist das nicht zum ersten Mal passiert. Sie sollten sich wirklich gründlich untersuchen lassen. Ich habe Ihnen ein kreislaufstabilisierendes Mittel gespritzt, damit sollte es bald besser sein.“
„Ich danke Ihnen. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.“
„Ich bitte Sie, das ist mein Job.“

Nach einigen weiteren Minuten auf dem Gang werde ich zurück auf meinen Sitz gehievt. Ich bin immer noch etwas schwächlich, doch es geht mir schon wieder viel besser.
„Du musst aufhören, uns immer einen solchen Schrecken einzujagen“, sagt Sandy und lächelt.
„Ich werde es versuchen.“
Plötzlich wird ihr Gesichtsausdruck ernst. „Shane, versprichst du mir etwas?“
Ich sehe sie an.
„Bitte, geh zum Arzt, wenn wir in L. A. sind, und lass dich mal durchchecken.“
„Sandy“, seufze ich.
„Bitte. Tu’s für uns und für Emma.
„Okay.“

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Zum ersten Mal wandert mein Blick zum Fenster, und was ich sehe, ist atemberaubend. Der blaue Himmel und die schneeweißen Wolken, wie Watte. Ein Anblick, der wundervoller nicht hätte sein können. Ein Anblick, der mir fast entgangen wäre. Ich sehe nach draußen und kann die wohl grenzenlose Freiheit spüren, die man wohl über den Wolken empfinden muss.


Kapitel 29


Nach insgesamt vier Stunden und 42 Minuten landeten wir am Los Angeles International Airport. Die Landung ist nicht so dramatisch verlaufen wie der Start. Ich hatte zwar wieder Angstzustände, doch ich konnte mich diesmal beherrschen. Jeff hat versucht, mich bei Laune zu halten, was ihm auch einigermaßen gelang.

Als ich aus dem riesigen Flughafengebäude trete, fühle ich die warme kalifornische Sonne auf meine Haut scheinen und atme den Geruch Los Angeles’ ein. Erst jetzt spüre ich, wie ich das hier, diese Stadt in all den Jahren vermisst habe.

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Nachdem wir uns ein Auto gemietet haben, sind wir zu einem Apartment gefahren, das Jeff im Internet gefunden hat. Es war wunderschön.
Es gab drei Schlafzimmer, eines für Jeff und Sandy, eines für Emma und Alessia, und eines für mich. Neben zwei Badezimmern gab es auch noch eine kleine Küche und ein großes Wohnzimmer mit Couch und Fernseher in der einen Hälfte, und einem Esstisch in der anderen.

„Shane, leg dich doch etwas hin, du musst erschöpft sein. Jeff kann derweil mit den Kindern die Umgebung erkunden und ich mach uns was zu essen.“
„Ich kann dir auch helfen, sonst fühle ich mich so untätig.“
„Bitte Shane, leg dich hin. Und vergiss nicht, was du mir versprochen hast.“
Widerwillig gehe ich in mein Schlafzimmer. Die Koffer stehen noch ungeöffnet auf dem Boden, doch das kann warten.

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Ich kann nicht schlafen. Schon die ganze Zeit muss ich daran denken, wie es nun weitergehen soll. Jetzt bin ich in Los Angeles, doch was soll ich nun tun? Was, wenn meine Freunde gar nicht mehr hier sind? Woanders wohnen? Wie soll ich sie denn finden?

Alice muss die erste sein, die erfährt, dass ich hier bin, das steht fest, denn sie war auch die einzige, der ich mich vor acht Jahren anvertraut habe. Sie wird mich am ehesten verstehen. Zumindest hoffe ich das.

Ich stehe wieder auf und gehe in die Küche.
„Was machst du schon wieder hier? Du solltest dich doch ausruhen.“
„Ich konnte nicht schlafen, aber ich hab’s wirklich versucht. Ich mach mir einfach so viele Gedanken.“

Ich trete an die Arbeitsplatte und fange an, Zwiebeln zu schneiden, die Sandy schon bereit gelegt hat.
„Du fragst dich, wie deine Freunde reagieren werden, oder?“
„Ja, aber erst einmal muss ich sie finden.“
„Jeff hat ein wenig gegoogelt und herausgefunden, dass Alice Pieszecki bei einer Zeitschrift namens „L.A. today“ arbeitet. Vielleicht kannst du da ja morgen mal hin.“

Jeff und Sandy sind einfach zu gut zu mir. Ich frage mich, womit ich nur solche Freunde verdient habe.
Aber Sandy hat Recht, das ist ein Anhaltspunkt. Ich werde mich daran machen, die Adresse dieser Zeitung herauszufinden und gleich morgen dorthin gehen.







Kapitel 30


Das Magazin „L.A. today“ hat seine Büros mitten in der Stadt. Es ist ein riesiger Block aus Wolkenkratzern. Ich stehe vor einem der Hochhäuser und bin unschlüssig, was ich tun soll.

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„Shane, glaub mir, es wird alles gut.“
„Aber was ist, wenn sie mich hassen? Wenn sie mich dafür hassen, dass ich einfach so gegangen bin? Dass ich sie einfach so verlassen habe, ohne ein Wort zu sagen?“
„Du bist aber nicht ‘einfach so‘ gegangen, schließlich hattest du einen Grund.“
„Ja, ich hatte einen Grund. Aber den wusste niemand von ihnen. Zumindest niemand außer Alice.“
„Shane, sie werden verstehen, warum du so gehandelt hast, wenn du es ihnen erklärst.“
„Und wenn nicht?“
„Es sind deine Freunde, oder? Und wahre Freunde haben Verständnis.“
„Vor wahren Freunden hält man nichts verborgen und wahre Freunde verlässt man nicht, ohne ein Wort zu sagen.“
„Shane, mach dich nicht selbst fertig. Selbstvorwürfe sind sinnlos. Du kannst nun mal nicht ändern, was passiert ist, und glaub es mir, sie werden dich verstehen.“
Ich seufzte und sah Sandy an. „Ich hoffe nur, du hast Recht.“
Sie lächelte. „Bestimmt.“

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Die Zweifel am Verständnis meiner Freunde sind seit heute Morgen, als wir diese Diskussion geführt haben, nicht verschwunden. Ganz im Gegenteil. Die Angst, dass sie mich verachten, ist wohl eher noch stärker geworden.

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„Du schaffst das, ich weiß es.“
„Danke.“
„Bist du sicher, dass du Emma nicht mitnehmen willst?“
„Ja, ich will erst mal mit Alice alleine reden.“
„Okay. Dann bis später.“
„Ciao Sandy, danke für alles.“

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Seit zwanzig Minuten stehe ich nun vor der Gebäudereihe. Ich muss es tun, ich muss da rein. Jetzt oder nie, wenn ich noch länger hier bleibe, wird es nur noch schlimmer.
Also nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und betrete das Gebäude. Ich gehe an die Rezeption.
„Entschuldigen Sie, ich würde gerne zu einer Miss Alice Pieszecki, sie arbeitet hier.“
Die Dame lächelt mich freundlich an. „Pieszecki… einen Moment bitte.“
Sie gibt etwas in ihren Computer ein. „Ah ja, Miss Pieszecki sitzt in Gebäude 4. Wenn sie nach draußen gehen, rechts, zwei Häuser weiter. Achter Stock, Büro 12.“
„Okay, danke für die Auskunft.“

Kurze Zeit später betrete ich Gebäude 4 und fahre mit dem Aufzug in den achten Stock. Mein Herz rast.
Ich trete aus dem Aufzug auf einen langen Gang und gehe die Büros ab, bis ich zur Nummer 12 gelange. Mein Herz pocht immer heftiger. In diesem Moment fällt es mir schwer zu atmen, weil ich so aufgeregt bin.

Nach einigen Sekunden klopfe ich an die Tür und höre kurz danach jemanden rufen „Herein!“. Es ist eindeutig Alices Stimme.
Langsam öffne ich die Tür und sehe Alice an einem Schreibtisch vor einem PC sitzen. Als sie aufblickt, fällt ihr die Kinnlade herunter.
„Shane.“


Kapitel 31


Alice`s POV:

Ich kann nicht glauben, was ich sehe… ich habe gerade an einem Artikel gearbeitet, als es an der Tür klopfte. Ich rief „Herein!“ und als ich zur Tür blickte, stand sie vor mir.
„Shane.“
Ich kann es einfach nicht glauben. Acht Jahre sind vergangen, und nun steht sie da und sieht mich an. Etwas schuldbewusst vielleicht, so als ob sie sich für alles entschuldigen will.
Doch sie kann die Vergangenheit nicht ändern.

Ich weiß noch genau, wie alles angefangen hat. Irgendwann kam Bette zu einem unserer Mädels-Treffen ins Planet und erzählte uns, dass sie eine junge Frau namens Shane von der Straße aufgelesen hat und ins Krankenhaus gefahren hat, weil sie von ein paar Typen am Venice Beach zusammengeschlagen worden war.

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„Sie tat mir Leid, wisst ihr. Sie hatte nichts außer einem kleinen Rucksack, in dem ein paar Dollar, eine Packung Zigaretten, ein Feuerzeug einige Klamotten und… und ein Päckchen Koks. verstaut waren. Ich konnte sie nicht einfach sich selbst überlassen.“
Tina nahm Bettes Hand. „Schatz, du musst dich nicht rechtfertigen, du hast das Richtige getan.“
„Genau“, warf ich ein. „Wenn diese Shane aus dem Krankenhaus kommt, werden wir eine Willkommens-Party für sie veranstalten, was haltet ihr davon?“
Die anderen nickten zustimmend.“
„Klar, wir müssen ihr zeigen, dass wir vielleicht so etwas wie ein Zuhause für sie sein könnten, dass Drogen keine Lösung sind. Mach dir keine Sorge, Bette, es wird bestimmt alles gut.“

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Wir haben damals dann tatsächlich eine Party organisiert und ich kann mich noch daran erinnern, wie ihre Augen geleuchtet haben. Sie sah aus, wie ein kleines Kind, dass an Weihnachten seine Geschenke auspacken darf. Ich glaube, sie konnte es kaum glauben, dass jemand irgendein Interesse an ihrem Wohlbefinden zeigte.

Shane passte zu uns. Wir schafften es, sie von den Drogen loszubringen und ein Freund von Bette verschaffte ihr eine Friseur-Lehre. Es dauerte nicht lange, bis wir alle echte Freunde waren. Besonders Shane und ich verstanden uns vom ersten Augenblick an sehr gut. Wir wussten, dass wir kein Liebespaar werden würden, aber wir befanden uns auf der gleichen Wellenlänge, was die optimale Basis war, beste Freunde zu werden.

Dann hat sich Shane auf diese Schlange Cherie Jaffe eingelassen. Immer wieder habe ich versucht, sie davon abzuhalten, sich mit ihr zu treffen, da ich vermutete, dass sie sie nur benutzt und vielleicht sogar wieder auf die schiefe Bahn ziehen könnte, doch es half nichts.
Aber eines Tages habe ich Shane zufällig im Park getroffen und sie war ganz aufgelöst.

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„Shane, was ist los?“
„Nichts.“
„Das glaube ich dir nicht.“
„Al, bitte frag nicht weiter nach, ich kann dir nichts sagen, ich würde dich in Gefahr bringen.“

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Ich wusste damals nicht, was passiert war, und auch heute noch ist vieles unklar. Doch vor etwa zwei Wochen erfuhr ich in der Redaktion, dass Cherie des Mordes an ihrem Mann Steve angeklagt war, für den sie vor fast neun Jahren einen Killer namens Bonny Cale engagiert hatte. Ich kann mir vorstellen, dass es etwas damit zu tun hat. Vielleicht wusste Shane etwas und wurde von Cherie erpresst. Das würde einiges erklären.


Kapitel 32


Alice`s POV:

Ich habe irgendwann aufgehört, Shane nach Cherie zu fragen. Ich wusste, dass sie mir ohnehin keine Antwort geben würde. An einem Abend habe ich sogar geglaubt, dass das, was auch immer sie so lange bedrückt hatte, vorbei war. Es war an dem Abend, als sie Carmen kennenlernte.
Ich weiß noch, wie sehr sie Carmen anhimmelte. Ich sah Liebe in ihrer beider Augen. Es war Liebe auf den ersten Blick, das haben alle mitbekommen.

Doch dann geschah alles sehr schnell.
Zwei Tage später bekam ich einen Anruf.

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„Alice Pieszecki.“
„Guten Tag, Miss Pieszecki, hier spricht Dr. Morgan aus dem Cedars-Sinai Medical Center.“
Mein Magen krampfte sich zusammen. Was war passiert?
Er sprach weiter. „Ich habe eine Patientin hier, weiß aber keinen Namen. Alles, was wir von ihr haben, ist eine schwarze Lederjacke, und darin war ein kleiner Zettel mit dieser Telefonnummer. Kennen Sie die Frau?

Oh Gott. Ich war in diesem Moment unfähig, irgendetwas zu sagen, so geschockt war ich.
„Miss Pieszecki, sind Sie noch dran?“
„J-ja. Ich habe vor drei Tagen einen neuen Telefonanschluss bekommen und daraufhin jedem meiner Freunde einen Zettel mit der neuen Nummer gegeben.“
„Das heißt also, Sie können nicht konkret sagen, um wen es sich handelt?“
„Nein. Aber was ist passiert?“
„Das kann ich nicht übers Telefon sagen. Könnten Sie herkommen und sich die Person ansehen?“
„Na-natürlich. Ich komme so schnell wie möglich.“

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Als ich aufgelegt habe, stand ich erst einmal wie vom Donner gerührt da. Ich überlegte sogar, ob ich jeden einzelnen, dem ich die Nummer gegeben hatte, anrufen sollte.
Schließlich überwand ich jedoch meine Trance, setzte mich ins Auto und fuhr zur Klinik.

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„Folgen Sie mir bitte“, sagte die Krankenschwester, die ich zuvor angehalten hatte, um mir Auskunft über die unbekannte Person zu geben, die eingeliefert wurde. Ich musste meinen Namen sagen und sie wusste offensichtlich Bescheid.
Sie führte mich zum Aufzug, mit dem wir in den dritten Stock fuhren. Als wir ausstiegen, sah ich auf einem Schild „ICU“ stehen. Ich hielt den Atem an. Wir gingen weiter den Gang entlang, bis die Schwester stehen blieb.

„Bitte warten Sie noch kurz hier, Dr. Morgan kommt gleich.“
Ich nickte und sie ging zurück auf den Aufzug zu.
Ich drehte mich um und sah durch das kleine Fenster in der Zimmertür. Es war Shane.

Kapitel 33


Alice`s POV:

„Miss Pieszecki?“
Ich drehte mich um.
„Hallo, ich bin Dr. Morgan, wir haben telefoniert.“
Wir reichen uns die Hände. „Guten Tag.“
„Wie ich sehe, haben Sie sich die Patientin schon angeschaut. Können Sie mir ihren Namen sagen?“
„Shane McCutcheon, M-C-C-U-T-C-H-E-O-N. Aber bitte sagen Sie mir doch, was mit ihr los ist. Darf ich zu ihr?“
Er schrieb ihren Namen auf ein Klemmbrett.

„Miss Pieszecki, ich muss Sie fragen, hat Shane irgendwelche Feinde? Die ihr etwas hätten antun wollen?“
Ich überlegte. „Nein, nicht, dass ich wüsste.“
Dann dachte ich an Cherie, doch ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie etwas damit zu tun haben könnte.
„Sagen Sie mir doch, was mit ihr passiert ist, bitte.“

„Vielleicht setzen Sie sich besser.“
Er führte mich einige Meter weiter, wo drei Sitze an der Wand befestigt waren.
„Miss McCutcheon wurde gestern Abend vergewaltigt.“
„Was?“
Ich war geschockt. Ich weinte. Warum tut jemand so etwas?
„Wir wissen nicht, wer es war. Derjenige, der es getan hat, hat sie an einem Straßenrand außerhalb von Los Angeles nackt aus dem Wagen geworfen und hat nur ihre schwarze Lederjacke über sie gelegt, um Brüste und Vagina zu verdecken. Sie hat eine Platzwunde am Hinterkopf, jemand muss sie mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen haben, vermutlich, um Bewusstlosigkeit herbeizuführen. Des Weiteren konnten wir in ihrem Körper Lysthenon feststellen, ein Mittel, das die Muskeln lähmt. Wahrscheinlich wollte der Täter, dass sie wach ist während er es tat und gleichzeitig aber verhindern, dass sie sich zur Wehr setzen kann. Sie hat zahlreiche Hämatome am ganzen Körper und ist im Moment noch nicht bei Bewusstsein. Ich kann nicht genau sagen, wann sie aufwachen wird.“

--------------------

Es war ein Schock. Ich konnte einfach nicht begreifen, aus welchem Grund jemand so etwas Grausames einem anderen Menschen antun konnte. Und hinzu kam noch, dass der Täter nicht gefasst wurde.

Ich habe damals sofort die anderen informiert und sie waren genauso geschockt wie ich. Sie wollten kommen, doch Dr. Morgan meinte, sie brauche viel Ruhe, wenn sie aufwacht, um das alles einigermaßen verkraften zu können.
Also wartete ich an ihrem Krankenbett, bis sie aufwachte.

--------------------

Sie öffnete langsam die Augen. Ich fasste sie an den Schultern. „Shane.“
Sie versuchte sich loszureißen, als hätte sie Angst. Angst vor ihren Peinigern. Ich versuchte sie zu beruhigen. „Hey Shane, ich bin es, Alice.“
Sie drehte sich zu mir und sah mir in die Augen. Dann sah ich eine Träne an ihrer Wange herunter kullern. „Alice. Ist es vorbei?“
Ich lächelte. „Ja, Shane, es ist vorbei.“
„Wo bin ich?“
„Im Krankenhaus. Du bist in Sicherheit."

Kapitel 34


Alice`s POV:

Der seelische Schmerz, den Shane damals zu leiden hatte, war vermutlich weit schlimmer als der körperliche. Man sah ihr diesen Schmerz an, doch sie wollte nicht darüber reden.
Sie war anscheinend fest entschlossen, diesen Tag für immer aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Sie wollte nicht einmal der Polizei sagen, wer ihr das alles angetan hatte und ich konnte das nicht verstehen. Sie sagte zwar, dass sie nicht wusste, wer es war, doch das glaubte ich ihr nicht. Sie wusste es ganz genau, doch bis heute weiß es niemand sonst.

Bald musste sie feststellen, dass sie die ganze Geschichte nicht so einfach vergessen konnte.

--------------------

„Alice, ich werde weggehen.“
Fassungslos starrte ich sie an. „Was? Wie, weggehen?“ Ich verstand nicht ganz.
„Weg von hier, von Los Angeles.“
Ich wollte und konnte das nicht glauben. „Aber warum denn? Wo willst du denn hin?“
„Ich weiß es nicht.“
Sie fing an zu schluchzen und ich nahm sie in die Arme. „Shane, was ist denn los?“

Es dauerte eine Weile, bis sie wieder an Fassung gewann. Noch immer dachte ich, es wäre nur ein überstürzter Gedanke von ihr gewesen.
„Alice, ich kann dir nicht sagen, warum ich gehen will aber du musst mir glauben, dass es besser so ist.“
„Besser für wen?“
„Besser für alle. Für euch, für mich und….“ Sie zögerte.
„Und?“, hakte ich nach.
„Für mein Kind.“

Mir klappte endgültig die Kinnlade herunter. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen. Um zu verstehen, dass sie ein Kind von ihrem Vergewaltiger erwartete.

-------------------

Ich wollte ihr damals so viel sagen, sie trösten, ihr gut zureden, damit sie hierbleibt. Ich wollte ihr sagen, dass wir bestimmt eine Lösung finden würden und dass alles gut werden würde. Doch ich sagte nichts mehr. Ich spürte, dass sie nicht mehr darüber reden wollte und ich sah ihr an, dass sie es ernst meinte. Ich wusste, dass es nichts genützt hätte.

Zwei Tage später wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Bette wollte eine Party für Shane organisieren, doch Shane lehnte ab. Sie sagte, sie brauchte noch etwas Zeit, doch in Wahrheit bereitete sie ihre Flucht vor. Die Flucht vor ihren Freundinnen.

Ich hoffte immer noch, dass sie es sich noch anders überlegen würde, doch es hatte keinen Zweck.

--------------------

„Alice, bitte versprich mir, dass du nie jemandem davon erzählen wirst.“
Ich sah sie mit Tränen in den Augen an.
„Bitte“, flehte sie noch einmal.
„Ich… ich verspreche es.“

Sie nahm mich in den Arm.
„Danke für alles, was du für mich getan hast, Alice. Das werde ich dir nie vergessen.“
„Shane, du kannst nicht einfach gehen. Wir sind doch dein Zuhause. Was soll ich den anderen sagen?“
Ich fing an zu weinen.
„Alice, ich habe keine Wahl, ich muss gehen. Tu so, als ob du von nichts wüsstest. Vielleicht werden sie mich dafür hassen, doch ich muss das, auch wenn es mir schwer fällt, in Kauf nehmen. Vielleicht werde ich irgendwann wiederkommen, aber ich kann nichts versprechen.“

Ich versuchte mich zusammenzureißen und lächelte schwach. „Okay.“
„Ciao, Alice.“
„Auf Wiedersehen, Shane.“
Und dann war sie weg.


Kapitel 35


Alice`s POV:

Jetzt steht sie vor mir. Ihre Haare sind länger. Sie ist immer noch sehr dünn, aber sie hat etwas an Gewicht zugelegt. Es steht ihr sehr gut. Ohnehin sieht sie wirklich gut aus. Nicht unbedingt so, wie ich sie in Erinnerung hatte, aber gut.
„Alice.“

Endlich kann ich meinen Gedankensturm überwinden und laufe auf sie zu.
„Shane. Oh mein Gott, Shane.“
Ich werfe die Arme um sie und halte sie fest. „Ich hab dich so vermisst. Wir alle haben dich so sehr vermisst.“
Ich fange an zu weinen und sie streichelt meinen Hinterkopf.
„Ich hab euch auch sehr vermisst.“
Ich sehe sie an. Sie hat ebenfalls Tränen in den Augen.

„Wo warst du? Was hast du gemacht? Warum hast du dich nie gemeldet?“
So viele Fragen.
„Alice, ich wollte dich nicht bei der Arbeit stören. Wie wäre es, wenn wir uns morgen im Planet treffen. Mit den anderen? Dann kann ich euch alles erzählen.“
Ich lächle. „Ja, das wäre schön.“
„Gut, dann sehen wir uns da. Wie immer ab 9?“
„Klar, alles beim Alten.“
Wir umarmen uns noch einmal. „Bis morgen.“
„Bis morgen, Shane.“

Sie dreht sich um und will gehen, doch dann fällt mir plötzlich etwas ein. „Eine Frage habe ich aber trotzdem. Und auf die Antwort kann ich nicht bis morgen warten.“
Sie lächelt. „Das hätte mich auch gewundert. Schieß los.“
Ich zögere. „Was… was ist mit… mit dem… dem Kind?“, stottere ich und habe Angst, etwas Falsches gesagt zu haben.
Wieder lächelt sie. „Es geht ihr gut. Sie heißt Emma und ist siebeneinhalb Jahre alt. Im Moment ist sie bei einer Freundin, die uns mit ihrer Familie begleitet hat. Ich werde euch Emma morgen vorstellen.“
„Gut, das… ist gut.“
Shane als Mutter. Anscheinend ist sie in die Rolle hinein gewachsen.

„Alice, ich habe auch noch eine Frage.“
Sie sieht plötzlich sehr ernst aus.
„Ja?“
„Hast du nach diesem einen Abend im Planet irgendwann wieder etwas von… von Carmen gehört?“
Ich atme tief durch. Ich wusste, dass diese Frage kommen würde.
„Nein. Tut mir Leid, Shane.“
Sie blickt zu Boden. Bestimmt hat sie geglaubt, wir wären mit ihr in Kontakt geblieben und nun könnte sie mit ihr reden, ihr alles erklären.
„Sie hat zwei Tage nach ihrem Auftritt als DJ im Planet per Brief gekündigt und seitdem hat sie niemand mehr gesehen.“
Sie sieht mich mit traurigen Augen an und quält sich zu einem Lächeln.
„Okay, dann bis morgen. Sag bitte den anderen noch nicht, dass ich kommen werde, ja?“
„Klar. Bis morgen.“


Kapitel 36


Alice`s POV:

Um Punkt 9 Uhr betrete ich mit Dana das Planet. Wir gehen hinüber zu unserem Stammplatz und setzen uns zu den anderen, nachdem wir uns zur Begrüßung alle gegenseitig umarmt haben.
Ich bestelle bei Kit einen Cappuccino, der wenige Minuten später eintrifft.

„Leute, hört mal her, ich habe heute einen Überraschungsgast eingeladen.“
Plötzlich sehen mich alle interessiert an. „Wer ist es?“, fragt Dana.
„Sei nicht so neugierig, Baby, das ist meine Aufgabe.“
„Ich weiß, aber da du heute in diesem speziellen Fall schon Bescheid weiß, muss diese Aufgabe jemand anderes übernehmen. Ich kann nicht glauben, dass du mir nichts davon erzählt hast.“
Ich lehne mich zu Dana und gebe ihr zur Wiedergutmachung einen kleinen Kuss auf die Wange.

„Nein, wirklich. Mein Überraschungsgast müsste in wenigen Minuten eintreffen. Ich bin mir sicher, ihr werdet alle aus dem Häuschen sein.“
Ich sehe die rauchenden Köpfe der anderen und muss kichern, als ich zur Tür blicke und sehe, wie sich diese öffnet, und Shane herein kommt. Die anderen bemerken noch nichts und überlegen fieberhaft weiter, wer die mysteriöse Person sein könnte.

„Leute, hier ist meine Überraschung für euch“, sage ich, als Shane etwas näher gekommen ist und deute in ihre Richtung.
Alle Köpfe drehen sich und es wird still. Sie starren Shane mit offenen Mündern an. Können, genau wie ich gestern, nicht fassen, was sie sehen. Ich meine zu wissen, was gerade in ihren Köpfen vorgeht.
Um die seltsame Anspannung aufzuheben, stehe ich auf und gehe zu Shane.
„Hey“, sage ich und umarme sie.
„Hey, Alice.“

Bette ist die erste, die im Stande ist, zu reagieren. „Meine Güte, Shane.“ Auch sie steht auf und wirft ihre Arme um sie. Ich meine, eine Träne auf ihrer Wange zu erkennen. „Wo warst du nur?“
„Ich bin hier, um alles zu erklären.“

Nun kommen auch alle anderen langsam aus ihrer Trance und laufen zu Shane, umarmen sie. Stellen Fragen.
Kit, die jemandem am Nebentisch einen Kaffee bringt, lässt diesen versehentlich fallen, als ihr Blick auf Shane fällt.

Es ist die Vereinigung, die ich seit acht Jahren herbeigesehnt habe. Endlich ist es soweit. Endlich werden wir alles erfahren. Alles.

Shane setzt sich zu uns. Sie hat Tränen in den Augen.
„Ich bin so froh, euch wiederzusehen. Bitte glaubt mir, dass es damals keine einfache Entscheidung für mich war. Ich wollte euch nicht verlassen, aber ich hatte das Gefühl, ich musste. Ich will euch alles erklären.“

Gerade als sie fortfahren will, ertönt eine Kinderstimme durch das Planet. „Maamaaa!“
Alle Köpfe drehen sich in Richtung des kleinen Mädchens. Ich ahne, wer sie ist.
„Vielleicht hat sie ihre Mama verloren. Sollten wir ihr nicht helfen?“, fragt Jenny.
Dann steht Shane plötzlich auf und ihr Blick trifft den des Mädchens. „Mama!“, ruft dieses wieder mit leuchtenden Augen, stürmt zwischen den Tischen auf Shane zu und wirft sich ihr um den Hals.
Die anderen starren das Szenario ungläubig an.

„Entschuldige, sie ist mir entwischt“, ruft eine Frau, die ich nicht kenne, dann keuchend, als sie ebenfalls unseren Tisch erreicht.
„Kein Problem.“

Mit dem Kind auf dem Arm, wendet sich Shane unsicher an uns.
„Ich wollte zu diesem Punkt eigentlich erst später kommen, aber… nun, da mir ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde… das hier ist Sandra Wilson, eine sehr gute Freundin von mir, die mich mit ihrer Familie begleitet hat, und das hier…“.
Sie drückt das Mädchen an sich.
„Das hier ist Emma McCutcheon, meine Tochter.“

_________________
ich werde mir vor deinem tor eine hütte bauen,
um meiner seele, die bei dir haust, nah zu sein.


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 Betreff des Beitrags: Re: Separated
BeitragVerfasst: 25.09.2012, 04:34 
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Kapitel 37


Alice`s POV:

„Das hier ist Emma McCutcheon, meine Tochter.“

Alle Blicke richten sich auf Shane und das Mädchen auf ihrem Arm, das uns anlächelt. Ich kann die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter sehen. Emma hat die gleichen

grünen Augen wie Shane und das gleiche, halbseitige Lächeln. Sie hat ebenfalls dunkle Haare.

Schließlich ist es Emma, die die Stille bricht.
„Du bist Alice, nicht wahr?“, fragt sie mich.
„Ja, das bin ich. Woher weißt du das?“
„Mama hat’s mir gesagt. Sie hat mir viel von euch erzählt.“ Sie lächelt wieder und blickt dann weiter in die Runde. „Du bist Dana und du Jenny. Und ihr beide seid Bette und

Tina. Und du… du bist Kit, Bette’s Schwester.“
Alle nicken und können nicht umher zu lächeln. „Stimmt genau“, sagt Bette.

„Emma, hast du Lust auf eine Eisschokolade? Du könntest mit in die Küche kommen und zusehen, wie man das macht.“, wendet sich Kit an Emma. Anscheinend will sie uns

Gelegenheit geben, zu reden.
„Jaaa!“, ruft die Kleine und folgt Kit hinter den Tresen.
„Ich geh auch mal mit“, sagt die andere Frau, Sandra und folgt ebenfalls.

Shane setzt sich wieder zu uns und sieht unsicher in die Runde.
„Ich wollte euch damit nicht überrumpeln. Eigentlich wollte ich euch erst alles erklären und euch dann Emma vorstellen.“
„Shane… die Tatsache, dass… dass du eine Tochter hast, die wohl ungefähr sieben Jahre alt sein müsste… hat das… hat das etwas damit zu tun, was… was vor acht

Jahren passiert ist?“, stammelt Bette. Ich wusste, dass sie zuerst eins und eins zusammenzählen würde. Alle anderen blickten nun sie an und ihnen schien ein Licht

aufzugehen.

Shane zögert und auf ihrem Gesicht kann ich einen Anflug von Panik erkennen. Es muss immer noch schwer für sie sein, darüber zu reden.
Dann nickt sie langsam. „Ja. Emma wurde an diesem Abend gezeugt.“
Wieder wird es still und man kann in diesem Moment spüren, was in den Köpfen aller vorgeht. Alle sind empört und geschockt und fangen an, Shane Mitgefühl zu schenken

und sie zu verstehen.
„Als ich im Krankenhaus war, habe ich erfahren, dass ich schwanger bin. Das war ein Grund, warum ich einfach weggelaufen bin. Ich konnte niemandem mehr unter die

Augen treten. Die einzige, die davon wusste, war Alice.“

Nun schauten alle mich an.
„Du wusstest es?“
Ich wollte mich verteidigen, doch Shane kam mir zuvor. „Bitte macht Alice keine Vorwürfe. Ich hab sie gebeten, mit niemandem darüber zu sprechen, und sie hat sich daran

gehalten. Es gab allerdings noch einen anderen Grund.“
Wir alle sehen sie fragend an. An ihrem Blick kann ich sehen, dass es ihr wirklich schwer fällt. Was muss sie alles durchgemacht haben?
„Ich… ich kann hier nicht darüber reden, ich… es geht einfach nicht.“

„Tina und ich geben heute Abend ein Dinner. Möchtest du nicht mit deiner… deiner Tochter und deinen Freunden kommen? Es würde uns sehr freuen.“
Sie lächelt und nickt.
„Ja. Ja, das wäre schön. Hier sind einfach zu viele Leute. Ich will euch wirklich alles erzählen, aber hier ist es sehr schwierig für mich.“

Wir alle verstehen sie und nach acht Jahren können wir sicherlich auch noch ein paar Stunden mehr warten.








Kapitel 38


Shane`s POV:

Nach etwas Small-Talk fahre ich zusammen mit Emma und Sandra zurück in unser Apartment, wo Jeff und Alessia mit etwas zu essen auf uns warten.
„Wie ist es gelaufen?“, fragt Jeff, als wir am Tisch sitzen.
„Ganz gut“, antworte ich. „Bette und Tina haben uns alle heute Abend zum Dinner eingeladen. Ich denke, sie würden sich freuen, wenn ihr mitkommen würdet. Dann könntet

ihr euch alle besser kennenlernen.“
„Klar, wir sind dabei, oder, Sandy?“
„Ja, warum nicht? Ich würde deine alten Freunde gerne kennenlernen. Sie scheinen wirklich sehr nett zu sein.“
„Das sind sie“, sage ich und lächle.

--------------------

Während Jeff im Supermarkt einige Dinge einkauft, und Emma mit Alessia einen Spielplatz erkundet, der nicht weit weg von unserem Haus liegt, spüle ich mit Sandra das

Geschirr ab.

Ich fühle mich müde, so als ob ich tagelang nicht mehr geschlafen hätte.
„Bedrückt dich etwas?“, fragt Sandy.
„Ich bin nur etwas müde. Und irgendwie habe ich Angst vor heute Abend. Schon vorhin habe ich teilweise fast kein Wort herausbekommen. Mir fällt es selbst nach acht

Jahren immer noch schwer, darüber zu reden.“
„Das kann ich verstehen. Aber du schaffst das.“

Plötzlich spüre ich, wie meine Beine beginnen, nachzugeben. Bitte nicht schon wieder! Der Teller, den ich gerade abgetrocknet habe, fällt mir aus der Hand und zerbricht auf

dem Boden. Ich spüre, wie sich die Scherben in meinen Fuß bohren, als ich versuche, mich auf den Beinen zu halten und einen Schritt nach vorne gehe.
„Shane!“, höre ich Sandra rufen.
Ich schließe die Augen, fasse mir an die Stirn, halte mich mit der anderen Hand am Spülbecken fest.
Dann spüre ich, wie mir jemand unter die Arme greift und mich zum Sofa zerrt. Ich setze mich und lege den Kopf zurück.

„Shane! Shane, kannst du mich hören?“
Langsam fasse ich mich wieder. Ich schaue mich um und sehe Jeff vor mir auf dem Boden knien und Sandra, die neben mir auf dem Sofa sitzt und mich festhält, damit ich

nicht umkippe.
„Ja“, sage ich schwach.
„Soll ich einen Arzt rufen?“, fragt Jeff ernst.
„Nein, es geht gleich wieder.“
„Wirklich?“
„Ja. Ich muss mich nur etwas hinlegen, dann geht’s mir wieder gut.“
„Okay, dann bringen wir dich ins Bett.“

--------------------

Nachdem mich Jeff und Sandy ins Bett geschleift haben, und ich einige Stunden geschlafen habe, geht es mir wieder relativ gut. Ich weiß nicht, was das vorhin war. Selbst

meine Medikamente helfen nicht mehr. Vielleicht sollte ich wirklich mal zu einem Arzt.

In ein paar Minuten werden wir zu Bette und Tina aufbrechen. Ich hoffe nur, dass ich meinen Freunden alles erklären kann und dass sie mich verstehen.








Kapitel 39


Alice`s POV:

Knappe neun Stunden, nachdem wir Shane im Planet getroffen haben, sitzen wir nun bei Bette und Tina im Garten, an einem reich gedeckten Tisch unter

verschiedenfarbigen Lampions, die an den Bäumen befestigt sind.
Die letzte halbe Stunde haben wir damit verbracht, zu berichten, was innerhalb von acht Jahren bei uns in Los Angeles alles passiert ist. Außerdem haben wir Jeff und

Sandy Wilson und deren Tochter Alessia kennen gelernt, die allesamt sehr nett sind.

„Da habe ich offensichtlich ganz schön was verpasst, oder?“, fragt Shane lächelnd in die Runde. „Ich meine, wer hätte gedacht, dass Alice und Dana zusammenkommen?“
„Ja, wir konnten das auch kaum glauben“, wirft Tina ein. „Ich erinnere mich noch genau, wie verdutzt wir alle waren.“
Ich nehme Danas Hand in meine und lächle sie an. Über sechs Jahre sind wir nun schon ein Paar.

Shane hat außerdem erfahren, dass Bette und Tina vor sieben Jahren geheiratet haben und eine sechsjährige Tochter namens Angelica haben, die nun mit Emma und

Alessia im Garten spielt.
Es ist wirklich viel passiert in der Zeit, in der Shane nicht da war. Doch nun haben wir ja die Zeit, um alles aufzuholen.

--------------------

Nach dem Essen tritt irgendwann Stille ein und Shane weiß, dass nun sie an der Reihe ist.
„Ihr wisst, dass ich diese Affäre mit Cherie hatte.“
Wir alle nicken. Also hat es doch etwas mit dieser Schlange zu tun.
„Nun, Cherie sah das wohl nicht als Affäre, sie wollte mich für sich alleine haben. Deswegen engagierte sie einen Killer, Bonny Cale, und ließ ihren Mann Steve umbringen.

Sicher habt ihr in der Zeitung davon gelesen.“
Wieder nicken alle.
„Sie ließ in umbringen, damit wir freie Bahn haben. Doch als sie in meiner Wohnung aufkreuzte und mir genüsslich von ihren Machenschaften erzählte, warf ich sie raus und

sagte ihr, dass ich sie nicht mehr sehen wollte.
Einige Tage später erhielt ich einen Anruf von Cherie. Sie zitierte mich in ihre Wohnung, wo mich Bonny bedrohte. Ich weiß noch genau, was er sagte: Steve Jaffe war kein

Problem für mich. Und du… du bist ein noch kleineres Problem. Ich hatte Angst, deswegen sagte ich kein Wort.
Nach diesem Tag wurde ich von Bonny und seinen Leuten Tag und Nacht beobachtet. Sie folgten mir überall hin. Außerdem musste ich mich regelmäßig mit Cherie treffen

und… mit ihr schlafen.“

Alle hören gespannt zu. Die Kinder spielen immer noch, was es für Shane leichter macht, darüber zu reden.

„Dann lernte ich Carmen kennen und diese Frau haute mich einfach um. Ich denke, alle haben gemerkt, dass ich mich an diesem einen Abend Hals über Kopf verliebt habe.“
Sie lächelt kurz, doch wird dann wieder ernst.
„Cherie hat das natürlich rausgefunden und war gar nicht begeistert. Als ich mich einen Tag später erneut mit Carmen treffen wollte, ist es passiert. Ich musste, mit einer

klaffenden Platzwunde am Hinterkopf, ein letztes Mal mit Cherie schlafen, und danach… danach hat Bonny mich… mich…“.
Aus Reflex stehe ich auf und lege meinen Arm um Shane. „Es ist gut, du musst es nicht sagen.“
Mit Tränen in den Augen fährt sie fort. „Sie haben mir gedroht. Wenn ich je etwas zu irgendwem darüber sage, würde Bonny Carmen und euch alle verletzen oder sogar

umbringen.
Ich wusste einfach keinen anderen Ausweg, als zu fliehen. Ich dachte, wenn ich nicht in L.A. wäre, dann kann ich ihnen auch keinen Grund geben, euch etwas anzutun. Ich

konnte nicht anders, versteht ihr?“

Nun ließ Shane ihren Tränen freien Lauf. Ich nahm sie fester in die Arme um ihr zu sagen, dass wir sie verstehen und dass wir für sie da sind.







Kapitel 40

Alice`s POV:

„Ich wollte das nicht, ich wollte nicht fliehen. Aber meine Angst um euch war zu groß und ich wusste, dass Cherie und Bonny das ernst meinen.
Als ich vor zwei Wochen den Bericht gelesen habe, dass die beiden inhaftiert wurden, da wurde mir klar, dass ich frei war. Dass ich endlich zu euch zurückkehren konnte.
Es tut mir so Leid. Bitte glaubt mir, dass ich euch niemals verlassen wollte.“

Shanes Schluchzen wurde heftiger. Auch ich habe Tränen in den Augen und als ich in die Runde blicke, bemerke ich, dass es dem Rest nicht anders geht.

„Shane“, sagt Sandra dann plötzlich, steht auf und kommt zu uns um den Tisch gelaufen. Sie sieht besorgt aus. „Shane, bitte. Du darfst dich nicht so aufregen. Beruhige

dich.“
„Danke, Sandy, es geht schon.“
Erst jetzt merke ich, wie blass Shane ist. Was ist mit ihr los?
„Bette und Tina haben bestimmt nichts dagegen, wenn du dich kurz etwas auf ihre Couch legst, oder?“
Bette schüttelt den Kopf. Anscheinend ist auch sie etwas verdutzt.
„Gut. Jeff wird dich begleiten.“

Jeff kommt ebenfalls zu uns rüber und hilft Shane, aufzustehen. Sie sieht aus, als ob sie jeden Moment umkippen würde.
Was ist mit ihr? Vielleicht kann uns Sandra Auskunft geben. Als Jeff mit Shane im Haus verschwunden ist, blicken wir sie alle fragend an.
„Was hat sie? Ist sie krank?“, fragt Jenny besorgt.

Sandra seufzt. „Shane hat viel durchgemacht. Nach der… der Vergewaltigung, hat sie sich erst einmal ganz zurückgezogen und sich von der Außenwelt abgeschottet. Es

dauerte eine Zeit, bis wir sie wieder etwas aufheitern konnten. Aber sie hatte viele Alpträume. Manchmal wachte sie nachts schreiend und in Schweiß gebadet auf und

weinte. Es war schrecklich.
Aber irgendwann hat sie angefangen, sich richtig über ihr Kind zu freuen, sie entwickelte Muttergefühle. Doch dann ging es ihr sehr schlecht, ihre Nieren versagten, und

Emma kam zu früh. Emma ging es verhältnismäßig gut, sie war sehr gut entwickelt, doch Shane musste im Krankenhaus bleiben.
Seitdem hat sie regelmäßig diese Schwächeanfälle, ihr Kreislauf kollabiert von einer Sekunde auf die andere. In letzter Zeit häufen sich die Anfälle und sie hat mir

versprochen, hier zu einem Arzt zu gehen. Erst heute Nachmittag konnte sie sich fast nicht mehr auf den Beinen halten. Es war nicht so schlimm, denn sie ist bei

Bewusstsein geblieben, doch ich mache mir ernsthafte Sorgen um sie.“

Wir alle sehen sie mit großen Augen an. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich die ganzen Jahre nichts für Shane tun konnte, obwohl es ihr so schlecht ging. Den anderen geht

es offensichtlich genauso. Natürlich konnte ich nichts für sie tun, weil ich gar nicht gewusst habe, wo sie war, doch trotz allem sind da die Schuldgefühle, weil ich sie habe

gehen lassen. Weil ich sie nicht aufhalten konnte.

Shane hat sich so verändert. Sie ist Mutter und anscheinend eine sehr gute. Emma liebt sie. Ich werde Shane morgen zu einem befreundeten Arzt fahren, und wenn ich sie

dazu zwingen muss. So kann das ja nicht weitergehen.


Kapitel 41


Shane’s POV:

Ich liege auf dem Sofa in Bettes und Tinas Wohnzimmer. Jeff hat eine Decke über mich gelegt und sitzt nun neben mir.
„Shane, so geht das nicht weiter. Das ist jetzt das vierte Mal innerhalb von zwei Wochen und sogar das zweite Mal innerhalb eines Tages. Du musst dich untersuchen

lassen, bevor etwas Schlimmeres passiert.“
Ich seufze. „Ich weiß. Ich habe nur Angst davor, weißt du.“
„Angst wovor?“
„Dass… keine Ahnung, dass ich irgendeine Krankheit habe. Dass ich mich nicht mehr um Emma kümmern kann.“
„Aber Shane, so wird es ja auch nicht besser.“

Mir geht es immer noch nicht besser. Zwar liege ich jetzt, doch das Schwindelgefühl und die Übelkeit sind immer noch da.

„Jeff, wo ist Emma?“
„Keine Sorge, sie spielt immer noch mit Alessia und Angelica im Garten.“
„Gut.“

Ich schließe die Augen und versuche, ruhig zu werden, doch es geht nicht. Mir wird immer übler, ich spüre mein Herz pochen.
„Jeff, kannst du mir meine Medikamente aus meiner Tasche und ein Glas Wasser holen, bitte?“
„Natürlich, ich bin gleich wieder da.“

Jeff geht hinaus. Es wird immer schlimmer, ich spüre den Schweiß auf meiner Stirn. Ich bekomme schlecht Luft. Verdammt, was soll ich tun? Ich will den Abend nicht noch

mehr ruinieren.

„So, hier sind deine Tabletten.“
Ich versuche mich aufzurichten.
„Warte, ich helfe dir.“
Als ich einigermaßen aufrecht sitze, kommt alles hoch. Die Übelkeit wird schlimmer.
„Shane, was ist?“
Mir ist so schlecht. Ich bin schon nicht mehr im Stande, etwas zu sagen. Stattdessen erbreche ich mich geradewegs auf Bettes Teppich.
„Shane. Verdammt, Shane, was ist denn los?“

„Jeff, i-ich krieg ka-keine Luft.“
„Ich hol einen Arzt.“
„Nein. Bi-bitte. Bitte ni-nicht.“
„Shane, sei doch vernünftig.“
„Emma“, bringe ich gerade noch so heraus.
„Mach dir keine Gedanken, Emma ist bei uns in guten Händen. Wir werden uns um sie kümmern, das weißt du doch.“
„Jeff, i-ich hab Angst.“
„Beruhige dich Shane, es wird alles gut. Lass mich einen Krankenwagen rufen.“

Es wird schlimmer und schlimmer. Ich spüre, dass ich nicht mehr lange durchhalte. Ich kann nicht mehr.
„O-okay.“
Dann steht Jeff auf und ruft durch die Hintertür: „Sandy, ruf den Krankenwagen!“







Kapitel 42


Alice`s POV:

Wir reden gerade über die Zeitung, für die ich arbeite, „L.A. today“, als wir Jeff durch die Hintertür rufen hören, „Sandy, ruf den Krankenwagen!“
„Shit!“, flucht Sandra und stürmt mit dem Handy in der Hand ins Haus.

Oh, mein Gott. Was ist los mit ihr? Verdammt. Was soll ich tun?
Bette nimmt mir die Entscheidung ab. „Tina, achtest du bitte auf die Kinder? Komm, Alice, wir gehen zu Shane.“
Ich nicke. Bin außer Stande, etwas zu sagen. Ich folge Bette ins Haus.

Shane liegt auf dem Sofa, Jeff kniet neben ihr. Es sieht so aus, als ob sich Shane auf den Boden erbrochen hätte. Sandra telefoniert.
Alle Farbe ist aus Shanes Gesicht gewichen, überall sind Schweißperlen zu sehen. Es scheint, als ob sie nur schwer Luft bekäme.
„Was ist mit ihr?“, frage ich Jeff, als ich meine Stimme wiedergefunden habe.
„Ich weiß es nicht. So schlimm war es noch nie.“
Jetzt kommt auch Sandra wieder. „Der Krankenwagen kommt gleich.“

„I-ihr müsst a-auf Em-Emma aufpa-passen“, keucht Shane. Auf ihrem Gesicht spiegelt sich der blanke Horror.
„Mach dir keine Sorgen, Shane“, versucht Bette sie zu beruhigen, „wir werden uns alle um sie kümmern.“
Sie fängt an zu weinen. „S-sie braucht mi-mich.“
Es bricht mir das Herz, Shane so zu sehen.
„Genau deswegen musst du dich untersuchen lassen. Emma braucht dich, und zwar gesund.“
Bette geht in die Küche, vermutlich um einen Eimer Wasser zu holen und das Erbrochene wegzuwischen.

„Bitte, Shane, versuch dich zu beruhigen“, sagt Sandra besorgt, „du darfst dich nicht aufregen.“
Doch Shane schluchzt weiter. Ihre Atemnot wird schlimmer.
Sandy hebt Shanes Kopf etwas an und legt ihn sich in den Schoß. Dann streicht sie über ihre Haare und massiert ihre Schläfen. Shane scheint tatsächlich etwas ruhiger zu

werden.

Nach einiger Zeit höre ich die Sirene des Krankenwagens, der immer näher kommt. Bette, die mittlerweile den Teppich entfernt hat, läuft zur Tür, um die Sanitäter herein zu

lassen und erklärt ihnen auf dem Weg ins Wohnzimmer, was passiert ist.
Einer der Sanitäter geht zu Shane und kniet sich neben das Sofa.
„Miss, können Sie mich hören?“
Keine Reaktion. Verdammt, was ist los?
„Können Sie mich hören?“, fragt der Mann noch einmal.
Wieder nichts. Er fühlt ihren Puls, kontrolliert ihre Atmung und misst ihren Blutdruck.
„Das sieht nicht gut aus. Mike, mach die Trage und den Monitor bereit. Informiere die Klinik.“
Der andere Sanitäter, Mike, zögert keine Sekunde.

Die beiden heben die bewusstlose Shane auf die Trage. Dann knöpft einer von ihnen ihre Bluse auf und der andere befestigt Elektroden auf ihrem Oberkörper. Wenig

später fängt der Monitor schon an zu piepen.

Plötzlich dreht sie ihren Kopf und öffnet langsam die Augen.
„Miss, hören Sie mich?“
Shane nickt, scheint aber etwas desorientiert.
„Wir bringen Sie ins Krankenhaus.“

Nachdem sie ihr noch eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase gezogen haben, heben sie die Trage und bringen sie zum Krankenwagen. Bette folgt ihnen.

Hinter mir ertönt eine angsterfüllte Stimme. „Was ist mit Mama? Wo bringen sie sie hin?“
Emma kommt auf mich zu und ich nehme sie in den Arm. „Mama geht es nicht so gut, deshalb bringen sie die beiden Männer ins Krankenhaus, damit man ihr dort hilft.“
Emma fängt an zu weinen und ich drücke sie fest an mich.

Kapitel 43


Alice`s POV:

Ich stehe in Bettes und Tinas Wohnzimmer, mit Emma im Arm.
Was ist eigentlich gerade passiert?
Da haben wir heute Shane alle aufs Neue kennen gelernt, und nun… nun wird sie ins Krankenhaus gebracht und niemand weiß genau, warum.

Erneut stelle ich mir vor, was Shane in ihrer Abwesenheit alles durchmachen musste. Die ganzen Jahre habe ich nicht gewusst, ob ich sie bemitleiden soll, weil ihr so

etwas Schreckliches passiert ist, oder verfluchen, weil sie uns verlassen hat.
Nun, nachdem ich die ganze Geschichte kenne, kann ich verstehen, was sie dazu bewegt hat, wegzugehen. Und es tut mir Leid, dass wir nicht für sie da sein konnten.

Ich höre wieder die Sirene des Krankenwagens, der anscheinend davon fährt. Dann kommt Bette wieder ins Wohnzimmer.
„Sie bringen sie ins Cedars. Komm schnell, wir fahren hinterher.“
Plötzlich stehen auch alle anderen im Raum. Ich habe gar nicht bemerkt, dass jemand hereingekommen ist.
Emma löst sich aus meinen Armen und schluchzt: „Ich will zu Mama.“
„Schätzchen, du kannst jetzt nicht mitkommen. Wir werden erst einmal zu uns gehen und sie dann morgen besuchen, okay?“ Sandy nimmt sie an der Hand und führt sie

weg.
„Sandy, nimm du Emma und Alessia mit dir, ich werde zusammen mit Alice und Bette ins Krankenhaus fahren, da ich ihnen ihre medizinische Vergangenheit erklären kann“,

sagt Jeff dann.

„Alice, kommst du?“
Ich blicke auf und sehe Bette in die Augen.
„Ist alles okay mit dir?“
„Ja, mir geht’s gut. Ich mache mir nur solche Sorgen um Shane. Jetzt, wo wir sie wieder haben.“
Dana kommt zu mir und umarmt mich. „Alice, wir machen uns alle Sorgen. Nun geh mit Bette und Jeff ins Krankenhaus und informier uns, was mit ihr ist.“
„Okay.“

--------------------

Eine Stunde später sitzen wir im Büro von Dr. Morgan, dem Arzt, der Shane schon beim letzten Mal behandelt hat, als ich gekommen bin, um sie zu identifizieren. Er hat sie

und mich gleich erkannt.
Jeff hat dem Arzt alles erzählt, was er über Shanes Gesundheit weiß.

„Was ist mit ihr?“, fragt Bette dann.
„Ihre Nieren haben versagt.“
„Also ist es so etwas, wie beim letzten Mal?“, fragt Jeff.
„Nein. Beim letzten Mal, also bei der Entbindung ihres Kindes, handelte es sich um ein akutes Nierenversagen, also ein kurzfristiger Abfall der Nierenfunktion. Leider muss

ich Ihnen sagen, dass wir es diesmal mit einem chronischen Nierenversagen, also einer langfristigen Krankheit zutun haben.“
„Und… was heißt das nun?“ Ich erwarte das Schlimmste.
„Nun, sie wird mit der Dialyse leben müssen, bis wir ein geeignetes Spenderorgan gefunden haben.“

Kapitel 44


Alice’s POV:

Noch immer sitze ich zusammen mit Bette und Jeff im Büro von Dr. Morgan und versuche zu verdauen, was uns der Arzt gerade gesagt hat.
Shane an der Dialyse. Ihr Körper ist nicht mehr fähig, sein eigenes Blut zu reinigen. Erst kürzlich habe ich einen Bericht darüber gelesen, wie lange es dauern kann, bis man

ein geeignetes Spenderorgan gefunden hat. Manche warten fünfzehn Jahre.
Ich hoffe nur, dass es bei Shane schneller geht.

„Weiß Shane schon davon?“, fragt Jeff dann.
„Nein. Miss McCutcheon schläft noch. Wir werden ihr es morgen früh sagen.“
„Dürfen wir sie sehen?“
Dr. Morgan zögert. „Meinetwegen kann einer von ihnen über Nacht bleiben.“
Wir sehen uns an.
„Jeff, bleib du bei ihr. Du kennst sie am besten.“
Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen. Shane und ich waren immer beste Freundinnen. Doch sie war nun acht Jahre nicht hier und es ist ganz normal, dass wir uns

voneinander entfremdet haben. Jeff und Sandra stehen ihr nun näher als einer von uns. Ich bin mir sicher, dass wir uns bald wieder annähern, doch momentan ist es

wirklich besser so.
„Gut“, sagt er und wir erheben uns.
„Ich zeige Ihnen das Zimmer von Miss McCutcheon.“

--------------------

Ich sitze auf dem Beifahrersitz von Bettes Auto, das auf dem Parkplatz des Krankenhauses steht.
„Bette, ich mache mir Vorwürfe.“
Sie sieht mich fragend an. „Aus welchem Grund?“
Ich seufze. „Dass ich damals geschwiegen habe. Dass ich nichts dagegen unternommen habe. Dass ich sie habe gehen lassen. Dass ich dann nicht versucht habe, sie zu

finden. Dass ich ihr nicht helfen konnte, als es ihr schlecht ging. Dass… .“
„Alice. Bitte, hör auf damit. Du konntest nichts dafür und du kannst auch jetzt nichts dafür. Shane hat damals diesen Weg gewählt und ich kann verstehen, warum sie es

getan hat. Du konntest nicht wissen, dass es ihr schlecht ging. Jetzt müssen wir versuchen, ihr beizustehen, okay? Jetzt braucht sie uns.“
„Ja“, sage ich uns wische eine Träne aus meinem Gesicht.

Eine Weile sitzen wir schweigend da.
„Bette?“
„Ja.“
„Ich werde versuchen, Carmen zu finden.“
Bette sieht mich an.
„Carmen?“
„Ja, Carmen. Immer wieder muss ich an diese Nacht im Planet denken. Wie die beiden sich angesehen haben, das war Liebe. Wahre Liebe. Carmen muss erfahren, was

damals wirklich mit Shane passiert ist. Und vielleicht haben sie sogar eine Zukunft.“
Bette starrt ins Leere. „Vielleicht hast du Recht.“
„Bette, wirst du mir helfen, sie zu finden? Für Shane.“
Langsam nickt sie. „Ja. Ja, lass uns das anpacken.“

Kapitel 45


Shane's POV

Langsam öffne ich die Augen. Wo bin ich? Was ist passiert?
„Shane.“
Wer ist das? Ich blicke neben mich. „Jeff.“
„Wie geht es dir?“
„Was… was ist passiert?“
„Dein Kreislauf ist gestern Abend völlig zusammengebrochen. Wir waren bei Bette und Tina, erinnerst du dich?“
Jetzt dämmert es mir. „Ja.“
„Ich werde Dr. Morgan holen.“
„Dr. Morgan?“
„Der Arzt, der dich behandelt. Ich werde ihm sagen, dass du wach bist.“
„O-okay.“

Jeff steht auf und verlässt das Zimmer.
Dr. Morgan… ich kenne ihn. Von damals. Es ist der gleiche Arzt, der mich nach meiner Vergewaltigung behandelt hat. Er war es, der mir mitteilte, dass ich schwanger war.

----------------------

„Miss McCutcheon, wie geht es Ihnen?“
„Besser. Wann darf ich denn nach Hause?“ Ich konnte es nicht erwarten, endlich wieder in meine vertraute Umgebung zurückzukehren. Alles hinter mir zu lassen.

Versuchen zu vergessen.
„Schon sehr bald. Aber es gibt da noch etwas, über das wir sprechen sollten“, sagte der Arzt, auf dessen Namensschild `Dr. Raphaël Morgan´ stand, und setze sich zu mir

ans Bett. Er sah sehr ernst aus.
„Ist irgendwas mit mir?“ Ich kriegte es mit der Angst zu tun.
„Wie man es nimmt… wir haben die obligatorischen Tests durchgeführt und mussten feststellen, dass sie schwanger sind.“

Ich war geschockt.
„Nein. Nein, das kann nicht sein. Bestimmt haben Sie die Testergebnisse verwechselt.“
Er sah mich an und lächelt schwach. „Das ist ausgeschlossen.“

--------------------

Jeff kommt zusammen mit dem Arzt zurück ins Zimmer.
„Miss McCutcheon. Guten Tag.“
„Guten Tag, Dr. Morgan.“
Die acht Jahre zeichnen sich deutlich auf seinem Gesicht ab. Doch sein nettes Lächeln hält ihn trotzdem jung.

„Dr. Morgan. Was ist gestern passiert? Warum wurde es plötzlich so schlimm?“
Meine Stimme klingt so, wie ich mich fühle. Schwach.
„Miss McCutcheon, ich muss ihnen leider sagen, dass ihre Nierenfunktion sehr stark eingeschränkt ist.“
„Das ist sie schon seit Jahren.“
„Ja, doch ihr Zustand hat sich verschlimmert. Gestern Nacht haben ihre beiden Nieren völlig versagt. Wir konnten Sie stabilisieren, aber in Zukunft werden Sie von der

Dialyse abhängig sein.“
„Dialyse?“

Das kann nicht sein. Ich kann nicht an die Dialyse. Ich habe darüber viel gelesen und ich weiß, dass es nicht einfach ist, damit zu leben. Es gibt viele Einschränkungen.
Doch wie soll das gehen? Ich habe eine Tochter. Ich muss mich um Emma kümmern.
„Miss McCutcheon, ich lasse Sie erst einmal allein, damit Sie diese Nachricht etwas verdauen können. Wenn Sie dazu bereit sind, dann rufen Sie mich und ich kann Ihnen

Auskunft über Ihre Möglichkeiten der Dialyse geben.“


Kapitel 46


Shane’s POV:

Dr. Morgan verlässt das Zimmer und lässt mich allein. In meinem Kopf drehen sich tausend Gedanken.
Ich werde von der Dialyse abhängig sein, vielleicht ein Leben lang.
Was wird aus Emma? Vielleicht kann ich mich nicht mehr richtig um sie kümmern. Vielleicht wird sie mir dann weggenommen, wenn das Jugendamt der Meinung ist, dass

ich unfähig bin sie großzuziehen.
Verdammt. Soweit darf es nicht kommen. Das darf nicht passieren.
Ich spüre, wie sich eine Träne den Weg über meine Wange bahnt.

Die Tür wird geöffnet und Jeff kommt wieder herein. Er setzt sich an mein Bett und sieht mich an.
„Shane, es tut mir so Leid.“
Ich lächle schwach.
„Versprich mir eines“, sagt er dann und ich sehe ihn fragend an. „Versprich mir, dass du es dir nicht schwerer machst, als du es ohnehin hast.“
„Was meinst du damit?“
„Es wird sicherlich nicht einfach werden, aber du darfst dir keine Vorwürfe machen, denn Selbstvorwürfe machen eine Sache nicht besser. Und ich weiß, dass du dir

Gedanken um Emma machst, aber mach dir keine Sorgen, wir werden eine Lösung finden.“

Es fällt mir nicht leicht, ihm das zu glauben und vielleicht kann ich es im Moment noch nicht glauben, vielleicht ist diese Neuigkeit dafür einfach zu frisch. Aber andererseits

weiß ich, dass er Recht hat, denn Jeff hatte bisher immer Recht.
„Du hast uns, Sandra und mich, und du hast deine widergefundenen Freunde, und alle werden wir dich unterstützen.“
Erneut rollt eine Träne über meine Wange. Ich würde alles für meine Freunde geben und sie würden wahrscheinlich alles für mich geben. Ich bin niemand, der gerne etwas

von anderen annimmt, aber gerade das werde ich in der nächsten Zeit lernen müssen.
„Danke, Jeff.“
Er lächelt mich an. „Soll ich Sandy anrufen, damit sie mit Emma vorbeikommt?“
„Das wäre wunderbar.“

--------------------

Jeff ist nach draußen gegangen, um zu telefonieren, als Dr. Morgan noch einmal hereinkommt.
„Ms. McCutcheon. Wie ich sehe, haben Sie sich etwas beruhigt.“
„Ja, das habe ich.“
Er lächelt. „Sehr gut. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Ihnen etwas mehr über die Dialyse zu erläutern.“
Ich atme tief durch. „Okay.“

„Grundsätzlich werden wir versuchen, ein Spenderorgan für sie zu finden, aber solange wir dies nicht schaffen, müssen Sie mit der Dialyse vorlieb nehmen. Die Dialyse ist

ein Gerät zur Blutreinigung und es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieses Verfahren durchzuführen, wobei ich Ihnen aber die Hämodialyse empfehlen würde. Dazu

müssten wir eine kleine Operation durchführen, um einen so genannten Shunt an Ihrem Oberarm anzubringen, der in die Arterie eingeführt wird. Durch diesen Shunt kann

dann das Blut regelmäßig abgepumpt und wieder eingeflößt werden. Es gibt, wie gesagt, auch andere Methoden, doch für eine regelmäßige Blutwäsche wäre diese

ratsam.“
Was bleibt mir wohl anderes übrig?
„Gut“, sage ich niedergeschlagen. „Wann würden Sie das machen?“
„Morgen früh.“
„Morgen schon?“
„Wir müssen dies so bald wie möglich tun. Denken Sie daran, Ihr Blut ist nicht in der Lage, sich selbst zu reinigen.“
Ich seufze. „Okay. Danke, Doktor.“
„Nichts zu danken, Ms. McCutcheon. Ruhen Sie sich nun etwas aus.“
Mit diesen Worten verlässt er das Zimmer.



Kapitel 47


Alice's POV

Ich sitze mit Bette noch am Frühstückstisch, während Tina und Sandra mit Emma, Alessia und Angelica im Pool spielen. Alle versuchen, die kleine Emma von ihrer Sorge

um ihre Mutter abzulenken, doch alle Gedanken kreisen heute um Shane.
Nachdenklich rühre ich in meinem Kaffee, als Bette’s Handy klingelt.
„Hallo? … Jeff, wie geht es Shane? … Ja, die sind da … Okay, danke … Bis gleich!“

Fragend und erwartungsvoll sehe ich sie an.
„Sie ist aufgewacht. Es geht ihr den Umständen entsprechend. Jeff sagt, sie muss die Nachricht erstmal verdauen. Sie will Emma sehen.“
Durch die Hintertür schaue ich hinaus in den Garten. „Seht mal, was ich kann!“, ruft Emma und springt ins Wasser. Sie ist so tapfer, aber ich weiß, dass sie hinter ihrer

Fassade große Angst um ihre Mama hat. Wie wir alle.

„Alice?“
Ich schrecke aus meiner Trance.
„Was ist los?“
Ich seufze. „Ich habe gerade Emma beobachtet. Sie ist so ein glückliches Mädchen und Shane ist so eine tolle Mutter. Hast du gesehen, wie sie ihre Tochter anstrahlt?“
Bette lächelt. „Ja. Es ist, als ob das Kind einen ganz andren Menschen aus Shane gemacht hat.“
„Ich musste nur gerade daran denken, was wäre, wenn … wenn … .“
„Al!“, sagt Bette scharf und sieht mich wütend an. „So etwas darfst du nicht denken, hörst du? Shane schafft das. Und wir alle werden ihr dabei helfen.“
Ich weiß sofort, dass dies das Ende der Diskussion war, aber ich kann mir nicht helfen. Ich muss weiter daran denken. Wir haben Shane doch gerade erst zurück

bekommen. Sie uns jetzt zu nehmen, wäre einfach nicht richtig. Nein, es wäre schrecklich für alle Beteiligten. Das darf nicht passieren.

Bette ist aufgestanden, um den anderen im Garten Bescheid zu sagen. Ich habe es gar nicht bemerkt. Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee und verziehe das

Gesicht, als ich merke, dass er längst kalt ist.
Dann kommen Tina, Sandra, Angelica, Alessia und Emma herein, alle fünf mit einem Handtuch umwickelt.
„Sandra“, sagt Tina, „da hinten ist das Bad, du kannst dich dort fertig machen. Ich kümmere mich in der Zeit um die Kinder.“
Sandra nickt und geht in Richtung Bad.

„Alice, Sandra und ich werden gleich zu Shane in die Klinik fahren. Wir nehmen Emma mit. Möchtest du auch mitkommen?“, fragt Bette.
„Klar“, sage ich sofort.
„Wir können nicht alle gehen. Jeff meinte, Shane brauche Ruhe.“

Fünf Minuten später sind alle fertig. „Gut. Dann lasst uns alle gehen.“
Etwas nervös laufe ich zum Auto. Was wird mich im Krankenhaus erwarten? Ich hoffe so sehr, dass ich die Fassade vor Shane aufrecht erhalten kann. Dass ich ihr Mut

zusprechen kann. Dass sie mir glaubt, wenn ich ihr sage, es wird alles gut.

Kapitel 48

Shane's POV
Ich liege in meinem Bett und starre an die Decke. Was soll ich auch anderes tun? Jeff ist in die Cafeteria gegangen, um sich einen Kaffee zu besorgen und die anderen zu

Hause anzurufen, um sie über meinen Zustand zu informieren.
Ich fühle mich unnütz. Schwach. Pro Sekunde schwirren mir tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf, und mein Gehirn scheint sich nicht entscheiden zu können,

welchen davon es zu Ende denken soll. So jedenfalls fühlt sich das an.

Etwa zehn Minuten und fünfhunderttausend Gedanken später öffnet sich plötzlich die Tür.
„Mama!“, höre ich, bevor ich sie sehe.
„Emma, komm her, mein Schatz.“
„Mami, ich hab dich so vermisst“, ruft sie, als sie an mein Bett stürmt und sich mir um den Hals wirft. Ich lächle den anderen zu, die ebenfalls herein kommen.
„Ich dich auch, mein Engel, ich dich auch.“ Ich werfe ebenfalls meine Arme um sie und wische mir mit der linken Hand eine Träne vom Gesicht.
„Mama, wann kommst du denn wieder nach Hause?“
„Ich weiß nicht, Schätzchen. Aber ich verspreche dir, dass ich versuche, so schnell es geht, gesund zu werden“, sage ich und lächle.

Sandy tritt nun an mein Bett und setzt sich zu mir.
„Shane, wie geht es dir?“
„Ganz okay, denke ich.“
„Das ist gut. Shane, Jeff und ich haben uns etwas überlegt.“
Ich sehe sie fragend an.
„Na ja, Jeff und ich haben uns überlegt, nach Los Angeles zu ziehen, falls wir ein Visum bekommen. Wir dachten, jetzt, wo du mit deinen Freundinnen wieder vereint bist,

möchtest du vielleicht mit Emma hier bleiben.“
„Aber selbst wenn ich das wollte, warum würdet ihr ebenfalls hier bleiben wollen?“
„Wir sind Freunde, Shane. Wir lassen dich nicht im Stich.“
„Das… das ist nett, aber Sandy… Toronto ist meine Heimat. Ich weiß gar nicht, ob ich aus Kanada weg will. Los Angeles hat mir nicht viel Gutes gebracht.“ Ich wende mich

an die Mädels. „Ich spreche nicht von euch. Ihr wart und seid die besten Freunde, die ich mir vorstellen kann.“ Ich seufze. „Aber in Toronto habe ich mich immer wohlgefühlt.

Ich… ich weiß einfach nicht, ob ich bereit bin, wieder nach Kalifornien zu gehen.“

„Das ist in Ordnung, Shane“, versichert mir Sandra und legt eine Hand auf meine. „Du hast Zeit, es dir zu überlegen. Aber falls du nicht hier bleiben willst, sollten wir

Vorbereitungen treffen, zurückzufahren. Die Sommerferien der Kinder dauern nicht ewig. Irgendwann müssen wir zurück.“
„Ich werde es mir überlegen. Danke, Sandy. Und Jeff. Manchmal denke ich, ich habe euch wirklich nicht verdient. Ich glaube, der Himmel hat euch geschickt.“
„Ach Shane, das ist doch klar. Wir sind immer für dich da“, meldet sich Jeff zu Wort. „Du hast uns. Du hast die Mädels hier. Alle zusammen schaffen wir das. Ganz

bestimmt.“

Ich denke an diesem Tag noch lange über Sandra’s Angebot nach. Sie würden wirklich nach Los Angeles kommen, um mich zu unterstützen. Kann es einen größeren

Freundschaftsbeweis geben? Doch bin ich wirklich bereit, hierher zurück zu kommen? In diese Stadt, in der ich das größte Unglück erfahren habe? Ich weiß es nicht. Aber

vielleicht ist es an der Zeit, mich meinen Ängsten zu stellen. Niemand kann mir mehr weh tun. Niemand kann mir etwas anhaben. Jeff hat Recht. Ich habe meine Freunde,

auf die ich zählen kann. Jetzt und für alle Ewigkeit.

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ich werde mir vor deinem tor eine hütte bauen,
um meiner seele, die bei dir haust, nah zu sein.


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 Betreff des Beitrags: Re: Separated
BeitragVerfasst: 14.10.2012, 12:41 
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Registriert: 04.01.2011, 16:04
Beiträge: 1179
Hallo sabam :huhu: ,

ich find's total gut, dass du hier ein L-Word Geschichte postest! Leider bin ich erst jetzt zum Lesen gekommen (war im Urlaub und davor ging noch alles ziemlich drunter und drüber). Ich finde die Geschichte sehr schön geschrieben und vor allen Dingen sehr lebendig. Da ich die Serie kaum kenne (also, ich weiß, wer wer ist, aber das war's dann auch schon so ziemlich), habe ich mich die ganze Zeit gefragt, ob die Story nur so gut geschrieben ist, oder ob die Autorin nacherzählt, was on screen passiert ist, oder ob es eine Mischung von allem ist. Auf jeden Fall ist die Geschichte so "aus einem Guss" geschrieben, dass ich es nicht herauslesen kann. Das gefällt mir!

DANKE fürs Posten! :spitze: :redknuddel:

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 Betreff des Beitrags: Re: Separated
BeitragVerfasst: 14.10.2012, 21:21 
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Registriert: 03.02.2009, 02:30
Beiträge: 477
kimlegaspi hat geschrieben:
... habe ich mich die ganze Zeit gefragt, ob die Story nur so gut geschrieben ist, oder ob die Autorin nacherzählt, was on screen passiert ist, oder ob es eine Mischung von allem ist. Auf jeden Fall ist die Geschichte so "aus einem Guss" geschrieben, dass ich es nicht herauslesen kann. Das gefällt mir!

hi kim,
die beiden stories sind *nur* so gut geschrieben .-) allerdings hat kate viele monate gebraucht .-)

kate hat versprochen, dass sie die beiden geschichten zu ende bringt. allerdings such mal nach "separated" oder "the power of love" im i-net .-)))))

seufz

sabam

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