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 Betreff des Beitrags: pianoJazz
BeitragVerfasst: 19.12.2009, 16:12 
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Klick.

Ein Geräusch. Bedrohlich dreht sich der Schlüssel. Das Geräusch. Klick!
Ein einziges Geräusch, welches dein ganzes Leben verändert. Es klopft zweimal. Ganz Kurz, jedoch laut. Betäubend! Und Klick! Plötzlich. Peng. Verändert jemand dein ganzes Leben. Es ist eine Sekunden von der ich spreche. Klick! Jemand knipst das Licht aus. Tritt dir eine Krücke weg, auf die du dich stützt. Plötzlich! Eine Sekunde deines Lebens verstreicht. Eine Sekunde- welche dein ganzes Leben verändert. Dir all das nimmt, wofür du lebst und kämpfst. Ein Kartenhaus- welches du sorgfältig und voller Mühe erbaust – vermag jemand in einer unscheinbaren Sekunde zu zerstören. Ebenso wie ein Lächeln, - welches in der einen Sekunde noch pur und echt glänzt, kann in der nächsten schon spöttisch sein. Eine Sekunde, jemand stößt dich, und in der nächsten Sekunde – ist dein Leben vorbei. Wärst du nur eine Sekunde später gekommen, dann hättest du zwar den Zug verpasst, aber nicht, diesen hoher Preis gezahlt. Mit deinem Leben.
Klick!
Es rauscht an dir vorbei. In Windeseile- in einer kleinen Sekunde. Du hast noch gehofft, deinen Herzschlag zu vernehmen, … doch nichts. Und plötzlich verdürrt sie, in einer unscheinbaren Sekunde. Du hattest dir fest vorgenommen, sie heute zu gießen. Doch nun ist es zu spät. Du wolltest genau das schon immer einmal versuchen, nun - ist es zu spät. Einen hohen Preis musstest du zahlen. Ein Haufen Vernunft steckt in dir! Zu spät. Eine Sekunde! Sie verändert dein ganzes Leben. Und du hattest dich noch darauf gefreut, etwas zu verändern. Die alten Möbel raus zu werfen und die neuen in deiner Wohnung zu empfangen. Nun - ist es zu spät. Und du wollte es eigentlich nicht, das Spiel mit der Klinge, nun ist es zu spät. So ist es eben, in einer Sekunde. Sie verändert dein ganzes Leben. In der nächsten, hast du es wahrscheinlich wieder bereut, doch da war es schon zu spät.
Und du wolltest noch danke sagen. Für irgendwas. Hättest du es gleich getan. Dann hättest du vielleicht noch sehen können, wie sie lächelt und dir vergibt. So ist sie, die unscheinbare Sekunde. Klick! Jeden Tag und jede Nacht.
Und du fragst dich, was das Leben dir geboten hat, welche Herausforderungen du hättest annehmen sollen. So oft hast du gekniffen, dich lieber versteckt. Nun wirst du dafür keine Zeit mehr finden. Zu spät. Jetzt wo du gefangen bist. Dabei wolltest du noch …
Und wenn du nur einen Wunsch hättest, dann wüsste ich, was du dir wünschst.
Ganz sicher, nur -eine Sekunde-.

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Zuletzt geändert von KunstL am 22.12.2009, 20:49, insgesamt 1-mal geändert.

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Verfasst: 19.12.2009, 16:12 


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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 17:25 
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1.

Ich erinnere mich noch genau an den Morgen, an dem es passierte. Der Regen prasselte an mein Fenster, welches leicht in Kippstellung lag. Ich mochte das Geräusch, es holte mich sanft aus dem Schlaf. Mein Kissen roch noch immer nach den Blüten meines neuen Haarshampoos. Die Sonne schien durch die paar Zentimeter der Schalusie, welche ich in der Nacht immer ein wenig herablasse. Es war früh. Doch ich wollte mir Zeit nehmen und mich nicht von der Alltagshektik beirren lassen. Ich rollte mich auf dem Bett hin und her. Glücklich über den neuen Tag. Heute wollte ich viel erledigen. Nach neuen Möbeln schauen und später mit meinem besten Freund –Ben- im Jazzlokal Zigarre rauchen und hemmungslos Whiskey trinken. Ich freute mich auf diesen Tag. Es sollte schön werden, so lange hatte ich mich darauf gefreut, mit ihm zusammen die Nacht zu genießen. In einer alten Spelunke an der Bar den Klängen folgen und entspannt auf dem Hocker hin und her wippen. Er war der beste Freund den man sich wünschen konnte. Einer der immer ein offenes Ohr hatte und überraschend vor der Tür stand, wenn man am Vorabend heulend am Telefon das Ende der Welt zelebrierte. Ich habe so viel Spass mit ihm, er ist mehr als nur ein Freund, mit dem man sich trifft. Er geht sogar freiwillig mit mir Schuhe kaufen. Ein wahrer Freund, den sich jede Frau wünscht. Ben ist Künstler. Viel unterwegs. Sein Atelier in New York ist eines der bekanntesten, der Welt. Er schafft einfach alles. Egal was es ist. Er liebt die Herausforderung und das Leben, was ihn täglich überrascht. Ben- so glaube ich, hat in seinem Leben, nie eine einzige Sekunde verschwendet. Er ist lebendig- lebt jeden Augenblick. Bastelt und baut, aus jedem Stoff- ein Meisterwerk. Vieles hat er mir geschenkt, ich habe in der Wohnung so viele Arbeiten von ihm. Sie machen mich glücklich, immer wenn ich sie betrachte. Ein wirklicher Künstler. So wohl im Denken, als auch im Handeln. Man sagt oft, Künstler seien eigenwillig und schwierig. Doch nicht Ben, ausgeglichen sieht er dem Leben ins Gesicht. Macht sich ab und an darüber lustig. Stört sich nicht an Menschen, die ihn und seine Arbeiten nicht mögen. Ganz anders als ich. Mir ist es wichtig, dass alle Menschen ein gutes Bild von mir haben und ich versuche ständig gut dazustehen. Bei ihm bin ich – ich! Er verändert mich nicht. Er sieht mich so wie ich bin. Ihm ist das Bild egal. Er erkennt den Schein sofort, dann spricht er mich darauf an. Hält mir den Spiegel vor die Augen… lacht mich aus!

„Wieso willst du jemand sein, der du nicht bist? Glaubst du wirklich, dass diese Rolle, welche du spielst, überzeugt? Du bist naiv. Du trügst dein ganzes Umfeld und am meisten betrügst du dich selbst. Sag, wem auf der Welt möchtest du gefallen, wen möchtest du etwas beweisen. Die Leute gehen an dir vorbei. Niemand interessiert sich für dein Spiel. Niemand interessiert sich für eine Fassade. Ich liebe dich, so wie du bist. Deine Maske finde ich abscheulich. Sie passt nicht. Sie hat eine ganz andere Form, als dein Kopf. Sie bröckelt, in der Sekunde, in der du sie aufziehst. Verstell dich nicht. Niemand hat dich verdient, der nicht dein wahres Ich liebt.“

Es klopft an der Tür. Benommen reißt es mich aus meinen Gedanken. Ich bewege mich langsam. Streife mir den Morgenmantel über. Hinein in die Hauslatschen die sorgfältig neben meinem Bett auf den ersten Schritt warten. Ich schlendere glücklich die Treppe hinab. Den Flur entlang. Lege meine Hand auf die Klinke. Drücke sie nach unten. Eine unscheinbare Sekunde vergeht.

„Sind sie Carla von Lahnstein?“
„Ja- kann ich Ihnen helfen.“
„Sie sind vorläufig festgenommen. Wegen Mordes an Johannes von Lahnstein.“


Er legt die Handschellen um meine Gelenke. Das einzige was ich vernehme ist ein kurzes Geräusch. Klick!

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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 17:42 
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hey kunsti, schön dass du wieder eine neue story schreibst-ganz toll!

LG
Danny


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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 17:50 
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Super!
eine sehr schöne Einleitung, wirklich sehr gut geschrieben. Du hast wirklich eine Begabung alles zu umschreiben. Gefällt mir sehr gut. Danke.


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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 18:17 
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guten abend !!

habe beide teile soebend gelesen.
der anfang klingt sehr vielversprechend !!
wieder gut geschrieben !!
ich freue mich schon auf weitere teile !!

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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 18:39 
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2.

Das Telefon klingelt. Ich bin in Eile. Gehe ran, ohne mich zu melden. Nach dem Telefonat bin ich geschafft. Mitgenommen. So, als hätte ich stundenlang körperliche Arbeit geleistet. Ich muss den Jungen abholen. Er wartet bestimmt noch immer vergebens vor der Schule. Eigentlich habe ich keine Zeit. Es gibt so viel zu tun. So viel zu klären. Ich kann ihn nicht warten lassen. Die Fahrt ist lang. Er hat geweint. Ich kann es sehen. Er wirft den Ranzen auf die Rückbank. Redet nicht. In seinem Blick- Enttäuschung. Wir kommen an. Er schleppt sich die Treppe nach oben, in sein Zimmer. Knallt die Tür.

Er sitzt an der Essecke, hat sich ein Bier geöffnet. Ich kann ihn nicht anschauen. Er widert mich an.
„Es war ausgemacht dass du den Jungen holst. Jetzt sitzt du hier und säufst. Stellst du dir so ein Zusammenleben vor. Wir hatten eine Abmachung und was machst du. Du säufst. Ich kann dich nicht verstehen. Er ist dein Sohn. Immer muss ich mich um alles kümmern. Dich interessiert das gar nicht. Das er vor der Schule steht und weint.“ – immer noch kleben seine müden Lippen an der Flasche. Sein Blick getrübt, als wäre es schon die 7. Flasche.
„Ich arbeite. Du kümmerst dich um das Kind".
Ich laufe rüber, lege meine Hände in Fäusten auf den Tisch. Dann schlage ich zu, so sehr das sich der Schmerz bis in die Finger zieht.
“Nenn ihn nicht –das Kind. Er ist nicht namenlos, er ist dein Sohn.“
Dann legt er die Hand auf meine Faust. „Ja du hast Recht, es tut mir leid. Ich hatte einen anstrengenden Tag. Das musst du doch verstehen.“Ich ziehe die Hand unter seiner weg. „Meinst du ich habe nur rum gelegen?“
Er macht mich fassungslos mit diesem Verhalten. Seit er für die Polizei arbeitet, erkenne ich ihn kaum wieder. Wie eine Bestie, die nicht zu bändigen ist. Manchmal schlägt er den Jungen – manchmal auch mich. Er sagt, dass ist der Stress. Und er kann das nicht kontrollieren. Ich kenne ihn nicht. Er ist längst nicht mehr der Mann in den ich mich einst verliebte.

„Ich habe die holde von Lahnstein eingelocht. Den Blick hättest du sehen müssen. Hat die einfach ihren Alten erschossen. Nicht zu fassen! Die haben alles was sie brauchen und wenn sie nichts mehr zu tun haben, erschießen sie die eigene Familie. Dieses Pack! Süß ist die ja, dass muss man ihr lassen. Ihren Hintern in dem Morgenmantel.“
Er grinst. Der Eckel überkommt mich, bei seiner fiesen Gestalt.
„Kannst du dir vorstellen, wie geschockt die war. Ich glaube, die war sich so sicher, dass da eine Verwechslung vorliegt… geheult hat sie, wie ein kleines Kind.“
„Sei still, ich kann dir nicht zuhören.“


Ich gehe rauf zu dem Jungen. Er sitzt auf seinem Bett, hat die Hände vor der Brust verschränkt. „Es tut mir leid- Gabriel.“ Ich lege meinen Arm um seine Schulter.
„Wieso hasst er mich so.“
„Er hasst dich nicht. Er ist überarbeitet. Er… - ich weiß es nicht.“
„Aber er vergisst sein eigenes Kind vor der Schule.“
„Das hat er nicht mit Absicht getan. Bitte sei nicht traurig.“
„Ich möchte nicht mehr bei ihm bleiben. Können wir nicht fort gehen.“
„Aber Gabriel, er ist dein Vater.“
„Ich hasse Väter.“ – antwortet er.


Ich gehe ein Stück laufen. In Gedanken an Johannes von Lahnstein.

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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 19:07 
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3.

Wir haben ihn gut gekannt. Er war ein enger Freund von dem Mann der neben mir im Bett schläft. An seinen Namen erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur dass er existiert. Er hat sich gehen lassen. Seit 5 Jahren sind wir nun zusammen. Er war nie schmächtig. Ehr dicker, mit einem leichten Bauch. Seit zwei Jahren ufert das ganze aus. Er bewegt sich kaum noch.
Liegt nur noch da und frisst. Trinkt eins nach dem anderen. Starrt in die Röhre. Seine Haare sind schmierig. Ebenso wie sein ungepflegter Oberlippenbart, der langsam ergraut. Seine Augen sind aufgequollen. Sein Gesicht ganz rot. Seine Zähne verfärbt, von den vielen Zigaretten. Nur wenn er zur Arbeit verschwindet, sprüht er sich ein. Legt Lack in seine Haare.
Stutzt den Bart. Packt seine Sachen zusammen. Die Zigaretten, die Mütze. Dann zieht er die Schuhe an. Bindet die Bändel lieblos zusammen. Es strengt ihn an, dass bücken und wieder erheben. Dann bricht er in ein lautes Husten aus. Danach ist sein dicker Kopf noch röter, durch die endlose Anstrengung. Er kommt mit seinen Dreckschuhen zurück in die Küche, küsst meinen Kopf.
„Ciao Baby.“
Ich schließe die Augen, reiße mich zusammen, bevor ich all meine Geduld verliere. Dann trabt er aus dem Haus. Ich höre noch den Motor. Dann das laute Quietschen der Reifen.

Meine Akten und ich vereinen sich zu einem Chaos. Ich würde gerne verschwinden. Ich würde sogar den Jungen mitnehmen. Doch ich habe Angst. Angst vor diesem Mann, den ich nicht mehr erkenne. Er wird uns finden. Mich und seinen Sohn. Ich würde wegen Kindesentführung in den Bau wandern.

In den Bau. Dort habe ich mich vor einigen Monaten beworben. Ich war eine gute Anwältin. Doch es füllte mich nur noch bedingt aus. Ich wollte etwas anderes machen. Etwas was meinem Leben wieder eine Perspektive verschaffte. Ich wollte etwas Neues. In jeder Hinsicht. Etwas was mich aus diesem miesen Leben holt und mir für kurze Zeit diese Enge nimmt, die ich spüre, wenn ich dieses Haus betrete. Ich wollte nur eine Sekunde. Eine Sekunde nur für mich. Eine Sekunde die mir Zeit verschafft und mich von all dem Elend befreit. Ich wollte anders Leben. Nicht mit diesem Tyrann. Nicht in diesem Haus.

Nur eine Sekunde mutig sein und alles verändern.

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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 20:26 
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WOW. Wiedermal eine tolle Geschichte die du auf die Beine gestellt hast. Bin gespannt wie es weitergeht. Echt toll.


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BeitragVerfasst: 19.12.2009, 21:21 
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Danke, wie immer sehr sehr schön von dir geschrieben


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BeitragVerfasst: 20.12.2009, 10:49 
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4.

Es ist dunkel. Von hier kann man nicht mal den Himmel sehen. Die Wochen vergehen. ‚Sie haben kein Alibi.’ sagte er zu mir. ‚Das Motiv ist ja wohl offensichtlich.’ ‚Man hörte, Sie hatten öfter Streit und viele Geheimnisse voreinander.’
Geheimnisse. Was sind schon Geheimnisse gegen Sekunden die vergehen, an denen man weder etwas hört, noch fühlt. Sicher hatten wir Geheimnisse. Aber wer hat diese nicht. Und wo auf der Welt, gibt es keinen Streit. ‚Sie haben sich das selbst zuzuschreiben, Schweigen ist das wahre Geständnis.’ Er war doch mein Vater. Ich habe ihn nicht ermordet. Warum ich Schweige? Weil er tot ist und nicht weil ich dafür verantwortlich gemacht werde. ‚Sie haben ihn kaltblütig erschossen. Ihr seid doch skrupellos, ihr Blaublüter. Für Geld und Macht bringt ihr jedes Opfer.’ So seine Worte. Ich hatte ihn oft gesehen. Er ging auf Königsbrunn ein und aus. Sicher bin ich mir nicht, doch es könnte ein Leibwächter von Vater gewesen sein.

Einige Werterinnen sind nett. Oft kommt eine ältere Dame. Sie holt mich zu sich in einen Raum. Dann legt sie mir buchstäblich ans Herz nicht aufzugeben. ‚Eine Unschuld kann bewiesen werden. Aber nicht von hier aus. Nehmen Sie sich doch einen Anwalt.’ Beteuert sie jedes Mal! ‚Sonst bleiben Sie. Lebenslänglich.’ Sie erzählt mir auch von Ben. Er ruft oft an. Hat einen Antrag gestellt, einen Besucherantrag. Doch ich darf niemanden empfangen. Meine Zellengenossin, wie man hier sagt, heißt Elke, dass konnte ich hören, als sie bei der Arbeit ‚zusammengefaltet’ wurde. Das ist die Sprache der Rauen. Derer, die ihre Kinder ermorden, weil sie zu laut schreien. Elke liegt oft rum. Starrt angespannt an die Decke. An ihren Wänden hängen Zeichnungen. Böse Zeichnungen. Messer in Herzen anderer Menschen. Sie macht mir Angst. Bietet mir Zeug an: ‚du musst es durch die Nase inhalieren.’ ‚Ach verstehe schon, der holden Gräfin ist das nicht fein genug. Ihr Pinsel. Pick Feine -und doch bergeweise Leichen im Keller. Das haben wir gerne. Warum kauft dich niemand frei? Ihr habt doch die Mittel.’ Ganz einfach, weil das nur in Filmen passiert. Das ein netter Freund von Schwagers Bruder, nebenbei nicht ganz Mittellos, kommt, und mal eben eine hohe Summe zahlt, damit man mit einer Fußfessel am Bein, im Alltag auf der Straße angeschaut wird.
Ich habe keine Kraft. Einmal am Tag darf ich Draußen im Hof eine Runde laufen. Oder auf der Bank sitzen. Dann muss ich zur Arbeit in die Wäscherei. Manchmal auch zum Laub rechen. Draußen, wenn ich eine Sekunde den Wind um meine Haare spüren kann. Wenn ich dort die Augen schließe, fühle ich mich, als wäre ich frei und spaziere durch eine schlecht riechende Gegend, an einem Herbsttag. Die meisten Nächte schlafe ich nicht. Vielleicht ein, - oder zweimal in der Woche, dann wenn ich richtig geschafft bin. Ansonsten weine ich, ununterbrochen, die ganze Nacht. ‚Schreiben Sie ihrem Freund Ben doch einen Brief.’ Ich bin zu schwach den Stift in meiner Hand zu halten. Und was sollte ich schon schreiben. Das es mir leid tut. Ich konnte nicht in die Jazz Bar kommen. Ach und wusstest du, dass ich meinen Vater ermordet haben soll. Zynisch rollen die Tränen abwärts. ‚Ihr Freund Ben wurde benachrichtigt.’ Wie wahnsinnig fühle ich mich. Es gibt hier keine Uhren, doch ich höre die Zeiger schlagen. Ich höre sie immer. Jede Sekunde die vergeht. Mein Herz tut weh.

Dann gibt es Tage an denen sie mich in Ruhe lassen, doch meistens schuppsen sie mich umher. Machen sich lustig über mein gräfliches Dasein. ‚Können Sie der Gräfin keinen Kaviar servieren. Ich denke nicht, dass sie sich mit der normalen Kost zufrieden gibt.’ Oft sagen sie schreckliche Dinge. Dann kommt ab und an eine Stimme von hinten, die alles noch schlimmer macht.
‚Hier findet man keine Freunde. Hier behauptet man sich. Entweder folgst du den Starken, oder du liegst am Boden. Du hast die Wahl!’

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BeitragVerfasst: 20.12.2009, 11:26 
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wunder schön geschrieben !!
na bin sehr gespannt wie es weiter geht !!! :wink:

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BeitragVerfasst: 20.12.2009, 15:37 
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Ich brauche wieder "Stoff" :mrgreen: :wink:

*Ungeduldig auf ne Fortsetzung warte* :oops:


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BeitragVerfasst: 20.12.2009, 17:54 
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5.

Ich bin nicht stark. Das war ich nie! Ich bastelte jahrelang an einer Maske, welche mich zu einem anderen Menschen machte. Ich täuschte mich selbst. Nie sprach ich darüber, wer ich war und in welche Richtung ich wollte. Einzelgänger. Ohne Perspektiven. Ohne Halt. Verstrickt in meinem eigenen Netz aus Lügen und Schmerz. Du hängst fest- und wenn du denkst, schlimmer kann es nicht werden, kommt jemand vorbei der dich aussaugt und deine Adern mit Gift füllt. Es ist schwer zu erwachen, wenn man tief fällt. Wie zärtliche Gewalt. Trügerisch. Erst ist sie sanft, dann schlägt sie unvorbereitet zu. So war mein Leben von Anfang an. Als ich geboren wurde, starb meine Mutter. Schon immer machte mich die Verwandtschaft dafür verantwortlich. Überall schauten sie mich an, flüsterten sich in die Ohren, was niemand auszusprechen wagte.

In der Schule war ich allein. Die Erziehung ist prägend, vor allem in jungen Jahren. Ich spreche nicht von den Jahren 7-12. Nein, da ist es längst zu spät. Viel früher sollte man möglichst vielen Menschen begegnen. Mit 16 kam dann das Aus. Als ich mich in die Tochter der Lehrerin verliebte. Es musste ja so kommen. Ohne Mutter, ohne eine Menschenseele. Nie habe ich darüber ein Wort verloren. Ich kannte die Tochter nicht. Ich sah sie nur ab und an in den Hofpausen. Irgendwann verschwand sie von der Bildfläche und auch aus meinem Herzen. Und noch immer, bin ich allein. Nie habe ich gewagt darüber zu reden, dass ich mit Männern nichts anfangen kann. Sie waren mir unheimlich. Ebenso unheimlich wie die Frauen im Knast. Das Wörterbuch in ihren Köpfen fasst weniger als 25 Worte. Sie sind ungepflegt und scheußlich. Sie haben sich aufgegeben, genauso wie ich!

Ich habe nie an etwas geglaubt. Weder an eine Macht, noch an einen Gott. Jetzt wünsche ich mir manchmal eine Bibel. Vielleicht könnte sie mir Mut machen. Von den Frauen bekomm ich so etwas nicht. Einige haben geglaubt, … nun jedoch hassen sie Gott, wenn es denn einen gibt. Doch ich bin sicher, nicht Gott hat uns verurteilt, sondern wir uns selbst. Ich bin krank. Wahrscheinlich eine Grippe, die sich gefährlich über den Bunker legt. Immer mehr neu Infizierte. Noch mehr Arbeit. Und kein Ende in Sicht. Die Wochen vergehen. Ich habe schon aufgehört zu zählen, wie viele Nächte ich schon hier bin. Wie viele Tränen Diese traumlos machten. Heute war ich auf der Krankenstation. Ich hole mir Infusionen, weil sich das Essen nach Sekunden, wieder aus meinem Magen verabschiedet. Ich mochte die Krankenschwestern, die Ärzte, und die Mädchen, die kurz nachdem man verschwindet, die Betten abziehen, als hätte man sich auf ihnen entleert. Sie sind nett, einige lachen sogar kurz, wenn sich unsere Blicke treffen. Normaler Weise bin ich nur eine Redensart gewohnt: ‚Lahnstein, ab zur Arbeit.’ Im Krankenhaus sprechen sie mich mit ‚Frau von Lahnstein’ an und fragen wie es mir geht. Nicht ungewöhnlich! Aber der Ton ist es, welcher diese Worte besonders macht. Besorgt, beunruhigt. Einfach ein Ton von Verständnis und Respekt. Und sicher auch Freude, wenn sie feststellen, dass es langsam bergauf geht. ‚Es gibt gute Nachrichten. Ihr Freund Ben kommt zu Besuch. Der Antrag ist endlich durchgegangen.’ Ich wusste nicht ob ich genügend Freude aufbringen konnte. Ich schämte mich. Ich wollte Ben so nicht empfangen. Schmutzig und geschwächt. Er sollte in zwei Wochen kommen. Wir hatten dann eine Stunde zum Reden. Anfassen dürfen wir uns nicht… das kenne ich aus alten Filmen und schon jetzt macht mir die Begegnung Angst.

Und dann gibt es noch, diesen dicken, mir bekannten Polizisten, der spöttisch an meine Tür klopft und mich von Draußen verhöhnt. ‚Na Gräfin, gefällt es denn, in der neuen sieben Quadratmeter Wohnung.’ Dann lacht er.

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BeitragVerfasst: 20.12.2009, 18:03 
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Gut. (:


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