Aktuelle Zeit: 25.04.2024, 15:50

Alle Zeiten sind UTC




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 119 Beiträge ]  Gehe zu Seite 1, 2, 3, 4, 5 ... 9  Nächste
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Never forget
BeitragVerfasst: 14.07.2012, 20:52 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Bild

Prolog

Er hatte selten etwas bereut in seinem Leben. Wenn er eines Tages den Löffel abgeben würde, so war er sich sicher, würde er mit dem Wissen sterben, dass er sein Leben gelebt hatte, oft kompromisslos, oft rücksichtslos anderen Menschen gegenüber, machthungrig, extrem ehrgeizig und dann und wann zügellos, aber stets mit einer Leidenschaft, wie es nicht bei vielen Menschen der Fall war. Ansgar von Lahnstein liebte sein Leben – so wie es war. Er liebte die Macht, er liebte den Ruhm, er liebte das Gefühl zu gewinnen - und er liebte Zigarren und Whiskey. Ansgar machte sich nicht viele Gedanken um seine Gesundheit. Er lebte nach dem Motto, „wenn er dran war – dann war er eben dran“.

Ansgar war selten krank, und wenn, dann nur kurz und nicht ernsthaft. Für Krankheiten hatte er auch keine Zeit, sie hatten in seinem Leben keinen Platz. Krankheiten bekamen nur die anderen, Ansgar hingegen war immun dagegen, so glaubte er. Er liebte die Vorstellung unverwundbar zu sein, unsterblich. Er führte ein Leben auf der Überholspur. Dass die Autos auf der rechten Seite ihn jemals überholen könnten, auf die idee wäre er niemals gekommen…

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags:
Verfasst: 14.07.2012, 20:52 


Nach oben
  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 15.07.2012, 19:08 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 1: Try to forget

you
you return in the night
don't have a person to hold you
and you think about the past time
when you were
when you were still loved

you go to bed alone
don't have a person to warm you
and you think about your lost love
then you try to forget

try to forget, try to forget
try to forget
you should try to forget
but you can't forget

you
you don't show your tears but I do
and you hope that someone knows
that you are alone
and takes you
and takes you in his arms

your secrets are your thoughts
write them down and start to cry
write them down and start to scream
because you know you are alone

try to forget...

try to forget, but you can't forget


Ansgar hatte sich volllaufen lassen. Wie so oft in der letzten Zeit. Und wie so oft sinnierte er dabei in seinem Ledersessel vor sich hin sog an seiner Zigarre und blies Rauschwaden in die Luft.

Nach seiner unsäglichen Niederlage gegen den Förster, die er noch nicht ganz verwunden hatte, war es ihm immer öfter ein Bedürfnis gewesen sich abzuschiessen. Nicht, weil er so wahnsinnig verliebt in Victoria gewesen wäre - nein, das war es nicht - aber er war es nicht gewohnt, zu verlieren. Ein Ansgar von Lahnstein verlor für gewöhnlich nicht, zumindest nicht den Kampf um eine Frau. Wenn er es so recht überlegte, so war es beinahe unverschämt, was ihm widerfahren war. Victoria hatte ihn für den Waldschrat sitzen gelassen. Man musste sich das wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Diese Frau zog ihren Nichtsnutz von Ehemann, der ihr seit sechsundzwanzig Jahren nicht wirklich irgendetwas bieten konnte - im Gegenteil, diesen Part musste Victoria noch übernehmen – vor. Ansgar hatte nicht vergessen, dass es Victoria war, die einen neuen Fernseher herangeschafft hatte nachdem der Alte kaputtgegangn war. Ihr Mann konnte ihr noch nicht einmal einen popeligen Flachbildschirm besorgen, und regte sich dann unverschämterweise noch auf, wenn seine Frau die Dinge selbst in die Hand nahm.

Ansgar zog hörbar die Luft ein. Je länger er über diese ganze Sache nachdachte, desto lächerlicher erschien sie ihm. Natürlich wusste er, dass Victoria sich nicht von ihm, Ansgar, angezogen gefühlt hatte, weil er ein Graf war und über sehr viel Geld verfügte, Macht und Ansehen hatte und eine große Wirkung auf Frauen, sondern weil sie er sie begehrt hatte; ein Gefühl, dass ihr ihr Mann anscheinend schon länger nicht mehr gegeben hatte. Und das hatte Ansgar wirklich getan. Er hatte sie begehrt.

Allerdings war ihm nicht wirklich klar, ob es rein sexuell gewesen war. Das war ein Umstand, den er bis heute nicht wirklich für sich geklärt hatte. Er hatte es herausfinden wollen an jenem Tag in der Kapelle. Dazu hatte er die Räumlichkeit so herrichten lassen; er hatte gewusst, dass Victoria auf Romantik abfuhr, und er wollte diesen Umstand für sich ausnutzen. Er wollte sehen, wie sie reagierte, und ob er sie so rumkriegen konnte - und er wollte sehen, ob sie mehr für ihn empfand als nur sexuelles Verlangen, denn wirklich sicher war er sich diesbezüglich nicht. Ansgar hatte gehofft, dass sie so hin und weg von seiner Romantikoffensive gewesen wäre, dass er sie gleich an Ort und Stelle verführen konnte, oder ob er sich hiernach wenigstens sicher sein konnte, dass sie Gefühle für ihn hegte.

Seit der Sache mit Lydia war er in punkto Frauen äusserst vorsichtig. Mehr als ein One night stand war nicht drin gewesen, Sex ohne Verpflichtungen war genehm, aber alles was nur von weitem nach Liebe aussah, wurde von Ansgar sogleich abgewehrt. Nicht, dass er wirklich viele Möglichkeiten gehabt hätte, eine Beziehung einzugehen, aber selbst im Konjunktiv wollte er von diesem Thema nichts wissen.

Dass er sich letztes Jahr mit seiner eigenen Tochter im Bett wiedergefunden hatte, steckte ihm zudem noch in den Knochen. Er hatte sich zu Kim hingezogen gefühlt, wenngleich er auch nicht direkt verliebt gewesen war.

Seine Gedanken wanderten wieder zu Victoria. Seitdem sie wieder für ihn arbeitete, sah er sie täglich und hatte sich daran gewöhnt, dass sie mit ihrem Mann zusammenwar. Die Gefühle für sie die er einst gehabt hatte, hatte er verdrängt. Er liess sich schliesslich nicht zum Affen machen. Aber er hatte den Tag an dem Victoria ihrem Mann diese romantische Liebeserklärung in der Kapelle machte, nicht vergessen und auch nicht wirklich verwunden. Dass sie Thomas vorzog war für Ansgar überhaupt nicht nachvollziehbar, in keinster Weise. Victoria war eine Frau, die wusste was sie wollte, und sie war sehr sinnlich, sie war selbstbewusst und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Daher passte sie so gar nicht zu dem konservativen Thomas, der seine Frau zum Teil bewusst klein halten wollte und sie – so schien es Ansgar – als Eigentum ansah.

Ansgar wollte allerdings den Umstand, dass er sich selbst bei Lydia ähnlich verhalten hatte, nicht wirklich zugeben, nicht mal vor sich selbst. Auch er hatte - als Lydia ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben wollte als sie schwanger war - diese gedrängt, doch zuhause zu bleiben und für das Kind da zu sein. Vielleicht hatte auch Victoria insgeheim gespürt, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen wäre, wenn sie sich auf Ansgar eingelassen hätte. Denn im Grunde seines Herzens war Graf Ansgar von Lahnstein doch ein Macho, der eine Frau suchte, die nach seiner Pfeiffe tanzte.

Innerlich schalt Ansgar sich selbst. Was dachte er überhaupt noch darüber nach? Das Ganze war doch lächerlich, und eigentlich durfte er überhaupt keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Dennoch gab es ihm immer noch einen kleinen Stich ins Herz, wenn er sah, wie Victoria dann und wann von ihrem Mann im Büro abgeholt wurde, wie er ihr zur Begrüssung einen Kuss gab. Sicher, man sah, dass Thomas und Victoria nicht frisch verliebt waren, doch auch die Vertrautheit und die kleinen Gesten, die sich untereinander machten, machten Ansgar neidisch. Er hatte dieses Gefühl von Zuneigung und Verbundenheit zu einem Menschen schon so lange nicht mehr erfahren dürfen. Insgeheim sehnte er sich danach, wusste aber auch, dass er wohlmöglich nicht für die Liebe geschaffen war, und dass es keine Frau lange mit ihm aushalten konnte.

Als es schon nach zwölf war, beschloss Ansgar ins Bett zu gehen. Er zog sich aus, seinen blauen Seidenpyjama an und legte sich ins Bett. Er schaute neben sich auf die leere Betthälfte, in der schon so lange keine Frau mehr gelegen hatte. Die Seite des Bettes war stets frisch bezogen, obwohl sie nicht benutzt wurde. Ansgar schloss die Augen. Wie gerne hätte er die Hand ausgestreckt nach der Frau, die er liebte und die ihn liebte - doch es gab sie nicht.

_________________
Bild


Zuletzt geändert von mariposa227 am 12.08.2012, 21:47, insgesamt 1-mal geändert.

Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 17.07.2012, 20:46 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 2: Bad Suspicion

Der Verdacht kam schleichend. Erst glaubte er, er bildete sich das Ganze bloß ein, doch dann verdichtete sich die Häufigkeit mit der er die Symptome bemerkte. Er redete sich ein, dass er zu viel gegessen hatte, oder, so wie so oft in letzter Zeit, zu tief ins Glas geschaut hatte, doch dann – als er heute morgen direkt nach dem Aufwachen wieder dieses Stolpern bemerkt hatte – wusste, er dass etwas mit ihm nicht stimmte - so gar nicht stimmte. Ansgar war jedoch kein Mensch, der jammerte oder sich hängen liess, und so verdrängte er die Möglichkeit, dass er eventuell krank war, zunächst. Er hatte schon oft gelesen, dass gelegentliche Herzaussetzer oder Stolpern durchaus nicht ungewöhnlich waren. Nichts was ihn, den weltgewandten und selbstsicheren Geschäftsmann ernsthaft aus der Ruhe bringen konnte.

Es passte ihm auch gar nicht in den Kram krank zu werden, schon gar nicht jetzt. Ein wichtiger Tag stand bevor, sein vierzigster Geburtstag. Ansgar war keiner der seinen Geburtstag mit einem rauschenden Fest feierte, aber wichtig war ihm dieser Tag doch, und es war ihm nicht egal wer alles an diesen Tag dachte und er achtete akribisch darauf, welcher seiner Geschäftspartner welches Geschenk schickte oder sich per Karte, E-Mail oder Anruf meldete. Ihm fiel sofort auf, wenn jemand seinen Geburtstag vergessen hatte. In diesen Dingen konnte ansgar pedantisch und nachtragend sein.

Wenn sein Geburtstag vorbei war, so wollte er sich eventuell durchchecken lassen, aber erst dann. Ihm fiel ein, dass er schon lange nicht mehr beim Arzt war. Diese ganzen Standartuntersuchungen, die ab einem gewissen Alter angesetzt wurden, hatten ihn noch nie interessiert. Wenn er dran war, so war er eben dran. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, so hatte er tief in seinem Inneren auch ein wenig Angst davor zum Arzt zu gehen, auch wenn er das niemals zugegeben hätte. Der Genuss seiner Zigarren und sein Alkoholkonsum waren nicht ohne und bestimmt seiner Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Er konnte es jedoch auch nicht lassen.

Ansgar seufzte, zündete sich noch eine Zigarre an und zuckte zusammen. Verdammt noch mal, das durfte doch nicht wahrsein! Schon wieder. Dieses Stolpern und danach ein paar heftige Schläge seinenes Herzens. Er war doch krank, ernsthaft bestimmt, so wie es sich anfühlte. Er sollte doch dem Alkohol abschwören, und das Rauchen lassen. Vehement löschte er seine Zigarre und horchte in sich hinein ob das Stolpern noch einmal käme. Aber es blieb ruhig.

Morgen wurde er vierzig. Er hatte zwei Ehen zu verbuchen, davon eine nicht aus Liebe geschlossen, und eine Beziehung . Das war alles was in den letzten zehn auf der Habenseite seines Gefühlskontos stand. Ein bischen wenig wie er fand. Nur wie sollte er diesen Umstand ändern?

Es war spät, Ansgar beschloß ins Bett zu gehen. Morgen würde ein anstrengender Tag werden. Er schlüpfte in seinen Seidenpyjama, stellte beim Insbettsteigen seine Samthausschuhe fein säuberlich vor die Bettkannte so wie jeden Abend damit er am nächsten Morgen sogleich hineinsteigen konnte, und legte sich hin.

Da! Wieder dieses Stolpern! Ansgar schoss hoch, griff nach seinem Handy. Vielleicht musste er gleich Hilfe rufen, wenn es schlimmer wurde. Er hatte plötzlich Angst. Sein Herz stoperte wieder, und dann fing es plötzlich an zu rasen. Sein Puls dröhnte ihm in den Ohren, und der Staccatorythmus war bis in den Bauch spürbar. Großer Gott, was war das? Was sollte er jetzt tun? Er fühlte seinen Puls mit zittrigen Händen am Handgelenk und verglich mit seiner Armbanduhr wie schnell sein Herz schlug. Sein Puls war mindestens 140, wenn nicht schneller. Ansgar bekam Schweissausbrüche, schlug die Bettdecke zurück. Was war, wenn das ein Herzinfarkt war? Bekam er jetzt die Quittung für seinen ausschweifenden Lebensstil? Jetzt hatte Ansgar Angst, verdammte Angst!

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 20.07.2012, 20:00 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 3: Midlife - Crisis?

Plötzlich klingelte sein Handy. Es war seine Tochter Kim. Mit zittrigen Händen nahm Ansgar ab und hörte seine Tochter aufgeregt in den Hörer plappern. Sie wollte ihn wegen seines Geburtstages sprechen. Durch das Gespräch mit seiner Tochter wurde Ansgar abgelenkt, achtete nicht mehr auf seinen Herzschlag. Als er das Gespräch beendete, fühlte sich seine Herzfrequenz wieder normal an. Sicherlich war er nur aufgeregt wegen seines Geburtstages, es war nichts weiter, beruhigte er sich selbst innerlich.

Ansgar zog die Decke bis an die Nasenspitze weil er plötzlich fror und beschloss sich für heute keine Sorgen mehr zu machen. Dann schlief er ein.

Am nächsten Tag erwachte Ansgar schon sehr früh. Er realisierte sofort, dass heute sein Geburtstag war. Sein vierzigster. Er wurde vierzig. Ganz schön alt, dachte er innerlich. Kaum, dass er richtig wach war, klingelte auch schon sein Handy. „Ansgar von Lahnstein?“ fragte mit noch etwas belegter Stimme in den Hörer. „Dröge hier“, vernahm er die Stimme seiner Empfangssekretärin. „Herr von Lahnstein, ich wollte fragen, ob Sie heute noch ins Büro kommen, es haben schon sehr viele Leute nach ihnen gefragt.“ Ansgar sah auf seinen Wecker. Es war bereits 8:45 Uhr. Er hatte verschlafen. Dabei hatte er sich doch den Wecker gestellt - oder hatte er nicht? Er wusste es nicht mehr. „Äh, Frau Dröge, ich hatte noch einen wichtigen Termin“, log er gekonnt. „Ich werde aber in Kürze ins Büro kommen.“ Dann legte er auf. Und er hatte noch gedacht, es wäre ein Gratulant, der zu seinem Geburtstag anrufen würde. Frau Dröge schien seinen Geburtstag vergessen zu haben. Und das, wo er doch schon seit Tagen immer wieder kleine Bemerkungen diesbezüglich fallen liess. Missmutig stand Ansgar auf. Es war fast neun, und bisher hatte noch keiner an seinen Geburtstag gedacht. Das fing ja schon mal gut an.

Unter der Dusche wurde Ansgar allmählich wach. Als er seinen Körper mit Duschgel einseifte, hielt er inne. War da immer so viel Speck an den Hüften gewesen? Oder war das mehr geworden? Er fühlte an den Seiten, fühlte am Bauch. Schlank war er nicht gerade mehr. Wieso war ihm das vorher nicht aufgefallen? Eigentlich hatte Ansgar niemals an sich gezweifelt. Er hatte sich immer gutaussehend, formvollendet, charmant und selbstbewusst gefunden, meinte, dass er eine gute Figur hatte, kurzum, perfekt.

Doch heute, an diesem Tag unter der Dusche merkte er, dass er eben nicht mehr der Jüngste war. Dezenten Speck auf den Rippen, seine Gesundheit spielte ihm einen Streich, und wohlmöglich hatte er auch schon riesen Falten im Gesicht. In Windeseile duschte Ansgar sich ab, wickelte sich in ein Handtuch – das grosse blaue mit dem Lahnsteinwappen drauf – und stellte sich vor den Spiegel. was er sah gefiel ihm nicht wirklich. Verquollene Augen, Tränensäcke und – da! Die ersten Falten. Sie waren an seiner Stirn, sie waren um seine Augen, sie waren um den Mund herum, ja scheinbar überall! Ansgar verzog das Gesicht, deutete ein Grinsen an um zu testen, wie tief die Falten waren. Dann zog er die Stirn in Falten. Oh Gott. Das waren keine kleinen Fältchen, das waren tiefe Furchen! „Alter Sack“, brummte er vor sich hin und fing dann an sich zu rasieren.

Während er den Nassrasierer über seine Haut gleiten liess, überlegte er. Sagte man nicht immer, dass Männer erst ab einem gewissen Alter wirklich interessant wurden? Mit Falten und ersten grauen Haaren? Grauen Haaren? Um himmels Willen, was war das? Ansgar hielt in seiner Bewegung inne, und dann sah er es. Das Corpus Delicti. An den Schläfen. Ein winzig kleines graues vorwitziges Härchen. auch das noch. Energisch rupfte er das Haar heraus, verzog das Gesicht, weil es weh tat. Auch an der Augenbraue rechts fand er ein graues Haar. Er nahm eine Pinzette und zupfte auch dieses aus. Dann rasierte er sich fertig. Nun sah er schon besser aus. Mittlerweile war es halb zehn, und es wurde langsam Zeit, dass er ins Büro kam. Er zog seinen besten schwarzen Anzug an und wählte die rote Krawatte. Auf ein Frühstück verzichtete er im Hinblick auf die Uhrzeit lieber. Dann machte er sich auf den Weg ins Büro.

Auf der Fahrt in die Firma sah er ungewöhnlich oft in den Rückspiegel, um sein Aussehen zu überprüfen. Was hatte er bloß vorhin gehabt? Er sah ausnehmend gut aus, und die kleinen Falten machten ihn doch erst interessant. Wieder zufrieden mit sich und der Welt betrat er den Fahrstuhl. Er war gespannt, was sich seine Geschäftspartner zu seinem Geburtstag hatten einfallen lassen.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 22.07.2012, 19:58 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 4: Superficial

„Morgen“, sagte er gutgelaunt zu seiner Empfangssekretärin als er die 32. Etage der Enterprise betrat. „Ähm, Herr von Lahnstein?“ fragte Frau Dröge. „Ja?“ Erwartungsfroh blickte sich Ansgar zu seiner Mitarbeiterin um. „Alles Gute zum Geburtstag. Ich habe es vorhin vergessen.“ „Danke. Ist nicht so schlimm, Frau Dröge, sie haben ja jetzt dran gedacht“, sagte Ansgar grosszügig. „Frau Wolf hat bereits alle angekommenen Geschenke in ihr Büro gebracht“, sagte Frau Dröge noch, aber Ansgar war schon in seinem Büro verschwunden. Victoria war gerade dabei, ein weiteres Geschenk auf seinem Schreibtisch zu platzieren als er hereinkam. Vicky drehte sich um als sie ihren Chef kommen hörte. „Ansgar! Da bist du ja endlich“, sagte sie. Ansgar zog die Augenbrauen hoch. So hatte er eigentlich nicht begrüsst werden wollen. Er hatte ein strahlendes Gesicht und eine Umarmung erwartet, nebst den besten Wünschen zum Geburtstag. Stattdessen sah Victoria ihn mahnend an. „Äh…“ mehr konnte Ansgar nicht sagen. Dann – als wäre es ihr gerade erst wieder eingefallen – sagte sie: „Ansgar, alles Gute zum Geburtstag“ und - gab ihm die Hand! Als wäre nichts zwischen ihnen gewesen, keine Nähe, keine erotische Spannung, keine Vertrautheit. Ansgar nahm ihre Hand und fühlte sich augenblicklich mies. „Danke“, sagte er zu Victoria, aber es klang enttäuscht. Victoria schien das nicht zu bemerken, denn sie war schon wieder eifrig mit dem Sortieren seiner Geburtstagsgeschenke beschäftigt. „Dies hier ist von Peters und Partner, dieses kam von Mc Caine…“

Ansgar hörte gar nicht hin. Gelangweilt sah er auf die zahlreichen Geschenke und Grusskarten. Er sah Champagner, Gutscheine, wieder Champagner, weitere Gutscheine, Bourbon, Champagner, wieder einen Gutschein, Zigarren... kein wirklich persönliches Geschenk war dabei. Nicht einer seiner Geschäftspartner hatte sich wirklich Gedanken gemacht. Aber wozu auch? Es waren Geschäftspartner, keine Freunde. Da musste man sich keine Gedanken machen. Er sah wie Victoria ans klingelnde Telefon ging und ihm kurz darauf den Hörer entgegenhielt. Ein weiterer einfallsloser Gratulant, der ihm seine besten Wünsche fürs neue Lebensjahr ausssprechen wollte.

Als Ansgar seinen Rechner hochfuhr und sein Postfach checkte, sah er siebenundneunzig neue E-Mails. Fast jede enthielt Glückwunsche für ihn parat. „Mit den besten Wünschen… auf das neue Lebensjahr… Herzlichen Glückwunsch…“ eine unpersönlicher und langweiliger als die andere. Er suchte vergeblich nach einer einzigen E-Mail, die nicht wie eine vorgefertigte Glückwunschkarte klang. Er wies Victoria an an sein Telefon zu gehen an diesem Tag und zu behaupten, dass er auf einer wichtigen Konferenz war. Er hielt keine weiteren einfallslose Glückwünsche mehr aus. Keiner seiner Familie hatte ihm am heutigen Tage gratuliert. Anscheinend dachte nicht einmal jemand daran.

„Du hast keine große Lust auf deinen Geburtstag, was?“ fragte ihn Victoria direkt. Ansgar sah sie überrascht an. „Nein. Nicht wirklich.“ „Kann ich verstehen. Ich bin auch nicht so gerne mit Mittelpunkt,“ meinte sie und ging dann aus seinem Büro. Nein. Das war nicht der Grund. Er war sogar sehr gerne im Mittelpunkt. Aber auf diese lapidaren einfalllslosen Geschenke und Glückwunschkarten konnte er verzichten. Er sah auf sein Handy um zu kontrollieren ob jemand, der ihm wirklich wichtig war, angerufen hatte. Nico oder Kim vielleicht. Aber sein Display zeigte keine Anrufe in Abwesenheit an.

Ansgar brachte den Tag mehr schlecht als recht herum. Im Laufe des Nachmittages hatte Ludwig Ansgar seine Glückwünsche ausgesprochen, und Carla hatte sich per SMS gemeldet. Wenigstens etwas. „Lieber Ansgar, ich wünsche dir alles Gute zum 40. Geburtstag. Jetzt bist du schon ganz schön alt, was? Ich hoffe, du verlebst einen schönen Tag. Deine kleine Schwester Carla“ hatte sie geschrieben. Ansgar konnte es kaum vor sich selbst zugeben, aber er freute sich. Wenn Carla und er auch niemals Waffenstillstand geschlossen hatten, so hatte ihm die kleine Schwester doch viel bedeutet. Das war die erste ehrliche Nachricht zu seinem Geburtstag an diesem Tag.

Er seufzte. Was hatte er denn erwartet? Gregor, einst sein bester Freund, sprach kein Wort mehr mit ihm, und die Freunde aus Studienzeiten, die er hatte, waren in alle Winde verstreut. Ansgar fiel an diesem Tag einmal mehr auf, dass er wirklich keine Freunde hatte. Er hatte sich selbst erfolgreich eingeredet, keine zu brauchen, so musste er auch keine Rücksicht nehmen. Aber er spürte an diesem Tage, dass er sich selbst etwas vorgemacht hatte.

Als Ansgar am späten Nachmittag aufs Schloss zurückkam verzog er sich auf seine Suite. Er wollte niemanden sehen und nichts hören. Auf seinem Tisch lagen diverse Briefe. Er nahm an dass es alles Glückwunschkarten waren. Ansgar öffnete einen Brief und las das übliche Blabla. So beschloss er, alle Briefe wegzuwerfen. Er nahm den ganzen Packen und befördete ihn in den Papierkorb. Dann sah er ganz oben auf dem Haufen einen Brief mit ausländischen Briefmarken. Neuseeland! Der Brief war aus Neuseeland. Er musste von Lydia sein.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 24.07.2012, 19:54 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 5: Emotions

Mit zittrigen Händen fischte Ansgar den Brief aus dem Papierkorb. Er riss ihn hastig auf. In dem Brief war eine wunderschöne Karte mit Orchideen vorne drauf. Ansgar öffnete die Karte. „Lieber Ansgar, ich wünsche dir alles, alles Gute zum Geburtstag. Ich hoffe, es geht dir gut? Bei uns ist alles in Ordnung, Nick hält mich sehr auf Trabb, du hast es ja erlebt, wie quirlig er ist. Ja, so wird mir niemals langweilig. Er quietscht gerade etwas in seinem Laufstall, dass sich wie Papa anhört. Ich nehme an, ich soll dir auch von ihm schöne Grüße ausrichten. Ich wünsche dir einen ganz tollen Tag und bis bald, Lydia.“

Ansgar stiegen die Tränen in die Augen. Sie hatte an ihn gedacht, an seinen Geburtstag, und das was sie geschrieben hatte, berührte ihn sehr. Sie hatte geschrieben, dass sein Sohn Nick „Papa“ gesagt hatte. Ansgar versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen, aber es gelang ihm nur halb. Auch wenn er mit Lydia abgeschlossen hatte, so war sie ein Teil seines Lebens, und dieser Teil seines Lebens war mit das Schönste gewesen, was er erlebt hatte. Seinen Sohn hatte er nur einmal gesehen, und die Erkenntnis, dass er ihn nicht aufwachsen sehen konnte schmerzte einmal mehr. Wieder spürte Ansgar wie sein Herz aussetzte und danach wieder unregelmässig weiterschlug. Er fasste sich an die Brust. Man hörte so oft, dass ein Herz brechen konnte, dass man sogar daran sterben konnte. In seine Unruhe mischte sich jetzt das Klingeln seines Handys. Ansgar riss sich zusammen, und als er auf dem Display sah, dass es Hannes war, wischte er sich mit einer entschlossenen Handbewegung die Tränen aus den Augenwinkeln. „Hannes!“ rief er in den Hörer. „Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag, lieber Papa, zum Geburtstag viel Glück“, hörte er seinen Sohn in den Hörer singen. Ansgars Gesicht erhellte ein Lächeln. Mit belegter stimme sagte er: „Vielen Dank, mein Sohn. Das hast du aber schön gesungen.“ Fast wären ihm wieder die Tränen gekommen. „Und? Papa? hast du so richtig viele Geschenke bekommen?“ wollte Hannes wissen. „Ja, ganz viele, und weisst du was? Das schönste war dein Geburtstagsständchen“, sagte Ansgar gerührt. „Ach, das war doch nichts. Warte erstmal ab, was ich noch für dich habe, wenn ich das nächste Mal nach Hause komme,“ sagte sein Sohn. „Oh, da freu ich mich aber“, sagte Ansgar ehrlich. „Papa? ich muss Schluss machen, Frederik kommt, wir wollen noch was zusammen machen. Bis bald, ich hab dich lieb“, sagte Hannes, und dann hatte er aufgelegt.

Ansgar strich sich schon wieder eine Träne aus den Augenwinkeln. Er wurde wirklich alt. Sein Sohn ging auch schon bald seine eigenen Wege, und seine Tochter Kim war erwachsen. Aber er freute sich sehr über den Anruf von Hannes. Gerade als Ansgar sich eine Zigarre anzünden wollte, klingelte sein Handy schon wieder. Unbekannter Anrufer. Wer mochte das wohl sein? Er nahm ab. „Ansgar von Lahnstein?“ fragte er in den Hörer. „prapa? baba.. bababa…“ hörte er am anderen Ende. Ansgar stockte der Atem. Er wusste sofort wer am Telefon war. Sein Sohn Nick! Dann hörte er auch schon Lydias glockenhelle Stimme ertönen. „Da wollte dir noch jemand alles Gute wünschen“, sagte sie. Ansgars Herz fing an zu klopfen, und für einen Moment konnte er nichts sagen. „Ansgar? Ansgar bist du da? Hier ist Lydia.“ kam es etwas unsicher von der anderen Seite aus. „Äh, ja, ich bin da. Ich war nur so überrascht.“ sagte er und versuchte, seiner Stimme keinen so aufgeregten Ausdruck zu verleihen. „Und von mir natürlich auch die besten Glückwünsche!“ sagte sie fröhlich. Ansgar schnürte es die Kehle ab. Sie klang so unbeschwert, so als machte es ihr nichts mehr aus, was zwischen ihnen war. Auch sie hatte ihn anscheinend vergessen. Vergessen - nicht in dem Sinne von dass er existierte, oder dass sie nicht an seinen Geburtstag dachte, sondern vergessen, was einmal zwischen ihnen war, die große Liebe und die extremen Gefühle, die sie beide füreinander hatten. Er zwang sich, zu antworten. „Das ist total lieb von dir, Lydia, ich danke dir für deinen Anruf. Wie geht es dir?“ „Uns geht es gut“, sagte Lydia fröhlich. „Hast du meine Karte bekommen?“ „Ja, vielen dank auch dafür. Total süss.“ sagte Ansgar schnell. „Ich habe gedacht, falls sie nicht rechzeitig kommt, so ruf ich vorsichtshalber auch noch an“, meinte sie. „Oh, Ansgar, ich muss Schluss machen, ich werde abgeholt. Wir sprechen uns, ja? bis bald, ciao.“ Und ehe Ansgar etwas sagen konnte hatte sie aufgelegt. Sie wurde abgeholt? sie hatte nicht gesagt von wem, aber Ansgar malte es sich in seiner Fantasie aus, dass es ein Mann sein könnte. Hatte Lydia vielleicht eine neue Beziehung? Und wenn ja, machte es ihm etwas aus? Konnte er nur nicht verknusen, dass er abgemeldet war, oder hatte er noch Gefühle für sie? Ansgar wusste es nicht. Vielleicht war es ein wenig von beiden. Genau wie Victoria heute morgen so lapidar Glück zu seinem Geburtstag gewünscht hatte, so war ihm auch der Anruf von Lydia vorgekommen. Sicher, Lydia hatte sich Gedanken um ihn gemacht, aber es wurde auch klar, dass er eben nicht mehr war, als ihr Ex und ansonsten in ihrem Leben keine Rolle mehr spielte. Und auch in Victorias Leben spielte er keine Rolle mehr, ausser eben ihr Chef zu sein. Wieder ein Aussetzter, und wieder ein Stich in seiner Brust. wahrscheinlich war sein Herz doch gebrochen und er musste bald vor sich dahinvegetieren.

Ansgar konnte aber nicht weiter nachdenken, denn auf einmal wurde seine Tür aufgeschoben, und Kim stand im Zimmer. Sie sprang auf Ansgar zu und nahm ihn in die Arme. „Alles alles Gute zum Geburtstag“ rief sie. Als sie sich wieder von ihm löste, sah sie, dass er bedröppelt aussah. „Hast du geweint?“ fragte sie überrascht. „Äh? ich? Nein ich habe nur was ins Auge bekommen. Eine Fliege oder so“, log Ansgar. Kim sah ihn ein wenig zweifelnd an und zog ihn dann hoch. „Komm mit“, befahl sie. „wohin?“ fragte ansgar. „das wirst du gleich sehen“, meinte seine Tochter, und Ansgar folgte ihr.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 26.07.2012, 20:37 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 6: Übersprungshandlungen

Sie gingen in die lahnsteinsche Küche. Als Ansgar um die Ecke bog sah er, dass auf dem Küchentisch eine große Torte mit einer silbernen "40" darauf stand und dass sich sowohl Frau Linse als auch Emilio und Justus um den Tisch versammelt hatten. Wie auf Kommando fingen sie an zu singen. „Happy birthday to you….“ Ansgar sah die Sänger verlegen an, er wusste kaum mit der Situation umzugehen. Als Emilio, Kim, Frau Linse und Justus geendet hatten, kam als erstes Emilio auf Ansgar zu. „Happy birthday, alter Sack“, sagte er und umarmte ihn freundschaftlich. Ansgar drückte Emilio etwas unbeholfen zurück. Er wurde anscheinend wirklich alt und wunderlich, dass er seinen einst so verhassten Schwiegersohn freiwillg an seine Brust nahm. Dann umarmte ihn die Köchin in ihrer herzlichen Art, und Justus gab Ansgar die Hand. „Meinen allerherzlichsten Glückwunsch, Graf Ansgar“, sagte Justus förmlich, aber Ansgar zog den langgedienten Butler kurzerhand an sich und umarmte ihn. „Kommen sie schon her, Justus“, meinte er und klopfte dem Butler auf den Rücken. Dieser erwiderte etwas linkisch die Umarmung und löste sich dann wieder von Ansgar. Er murmelte erwas in seinen nicht vorhandenen Bart und wurde knallrot. „So, dann werde ich mal die Torte anschneiden“, sagte Justus schnell. Er tat es, und dann nahmen alle um den Küchentisch Platz. Justus tat jedem ein Stück Torte auf. Frau Linse holte den Kakao, den sie auf dem Herd heissgemacht hatte und schenkte jedem ein. „Mit einem guten Schuss Rum“, sagte sie feierlich, und alle griffen beherzt zu.

Ansgar ass zwei Stücke Torte. Normalerweise war er kein Freund von Süssem, aber er freute sich wirklich so sehr darüber, dass seine Tochter seinen Geburtstag auf ihre Weise feiern wollte, dass er eine Ausnahme machte. „Dein Geschenk hast du noch nicht ausgepackt“, sagte Kim und wies auf ein großes, in dunkelrotes Geschenkpapier eingepacktes, Etwas in der Ecke. „Oh, das werde ich gleich mal tun.“ sagte Ansgar und wollte aufstehen. „Lassen sie mal, Graf Lahnstein, isch werd´das mal für sie holen“, sagte Frau Linse pflichtbewusst und stand auf. Sie überreichte Ansgar das Geschenk. „Was da wohl drin ist?“ sagte er und freute sich wie ein Kind an Weihnachten. Ansgar wickelte das Geschenk aus. Es war ein neuer dunkelblauer Golfbag. „Ich dachte, weil ich neulich sah, dass dein alter so schäbig aussieht.“ sagte Kim. Ansgar war gerührt. Kim hatte recht. Er hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt sich einen neuen zuzulegen. Kim war anscheinend sehr aufmerksam. „Das war meine idee,“ mischte sich jetzt Emilio ein. Ansgar sah Emilio überrascht an. „Eine tolle idee“, sagte Ansgar ehrlich. „Ja, so ist er, mein Ehemann“, meinte Kim und küsste Emilio. Ansgar bemerkte, wie ein seltsames Gefühl des Neides in ihm hochstieg. Er drückte dieses Gefühl aber sogleich wieder weg. Er konnte doch nicht eifersüchtig auf seine Tochter sein. Aber es berührte ihn am heutigen Tage einfach weil er selbst keine Frau hatte, die an seinem Geburtstag für ihn da war, die mit viel Liebe ein Geschenk für ihn ausgesucht hatte und die zusammen mit ihm feierte. Er vermisste das so sehr. Mehr als er sich bis vor kurzem eingestanden hatte.

„Aber das ist noch nicht alles. Kim hat auch noch eine tolle Idee gehabt", sagte Emilio und zeigte auf die Karte, die aussen am Geschenkpapier baumelte. „Oh, da ist ja noch eine Karte“, sagte Ansgar und öffnete den Umschlag. „Ein Papa-Tochter-Tag nach Wahl“ las er vor was auf der Karte stand. Kim strahlte. „Ja, meine Idee war, dass wir einen Tag zusammen verbringen, und du kannst dir aussuchen was wir machen. Ich lade dich dann dazu ein.“ Ansgar war als hätte er einen Frosch verschluckt. Er war total gerührt. „Ich muss wohl mal über dein Gehalt nachdenken“, sagte er in seinem gewohnten belustigt spöttischem Tonfall, aber jeder der Anwesenden wusste, dass er damit nur seine Gerührtheit überspielte. Dann fasste er sich ein Herz und sagte: „Vielen dank euch allen für die schöne Feier. Ich habe mich sehr gefreut.“ Justus, Frau Linse, Emilio und Kim sahen Ansgar überrascht an ob seiner Ehrlichkeit, und Justus war sich sicher, dass er eine kleine Träne in Ansgars Augenwinkel gesehen hatte, aber das behielt er lieber für sich.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 28.07.2012, 17:34 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 7: Without a doubt?

Nach seiner Geburtstagsfeier sass Ansgar gemütlich auf einem seiner schwarzen Ledersessel und zündete sich – nicht ohne schlechtes Gewissen – eine Zigarre an. Er war froh, dass sein Geburtstag doch noch so positiv abgelaufen war, denn so wie der Tag angefangen hatte, hatte er keinerlei Erwartungen mehr hineingesteckt. Lydia hatte sich gemeldet, Hannes hatte angerufen, und Kim hatte eine kleine Party für ihn arrangiert. Der Tag hätte nicht schöner sein können, oder? Wenn Ansgar ehrlich war, so nagte der Zweifel schon wieder an ihm. Vorhin als Kim Emilio geküsst hatte, da hatte es schon in seinem Hinterkopf gegrummelt, und nun – nachdem er gesehen hatte, dass sich das junge Paar knutschend vom Schloss entfernt hatten um nach Hause, in die casa Wolf, zu fahren, ging es schon wieder los. Es störte ihn verdammt noch mal, dass Kim – seine Tochter – bei den Wolfs wohnte. Er wusste, dass er auch seinen Teil dazu beigetragen hatte, dass sie und Emilio ausgezogen waren, aber im Grunde hatte er doch einfach nur seine Tochter bei sich haben wollen. Er war natürlich unerfahren darin, mit Töchtern, die schon fast dem Teeniealter entwachsen waren, umzugehen. Wie hätte er auch Ahnung haben sollen, da er sie ja nicht hatte aufwachsen sehen.

„Verdammt“, schoss es aus Ansgar heraus. Wieder dieses Stolpern, Aussetzen seines Herzens. Jetzt hatte er die Nase voll. Er würde sich umgehend bei einem Kardiologen untersuchen lassen. Vielleicht konnte man ja dort etwas feststellen. Er atmete ein paar mal tief ein und aus, drückte die Zigarre aus und wollte dann zu Bett gehen. Gerade als er sich anfing auszuziehen, klingelte sein Handy. Eigentlich wollte er nicht mehr gestört werden, sah dann aber mit einem Blick auf sein Display, dass es Victoria war. Sein Herz setze wieder einmal aus, nicht weil er noch so verliebt in sie war, aber er wusste auch, dass einmal etwas zwischen ihnen gewesen war, was im Grunde nie wirklich von ihm verarbeitet worden war. „Victoria, schön, dass du anrufst“, sagte er in den Hörer. Kurzes Schweigen am anderen Ende. Dann sagte sie: „Ansgar, entschuldige, dass ich dich noch so spät störe…“ „Du störst mich nie“, sagte Ansgar galant. Victoria war irritiert. Sie kannte Ansgar so gar nicht, so – nett. „Äh, was ich dir sagen wollte… Kim und Emilio sind gerade nach Hause gekommen und haben mir erzählt, dass sie eine Überraschungsparty für dich organisiert haben und wie sehr du dich darüber gefreut hast.“ „Ja, das war eine gute Idee von ihnen", gab Ansgar zurück. „Ich – ich wollte nur sagen, dass es mir ein wenig leidtut wie ich mich heute morgen verhalten habe“, sagte Victoria unsicher. „Inwiefern?“ fragte Ansgar und tat betont unbeeindruckt. „Naja, weil ich dir so förmlich gratuliert habe. Ich meine, du bist mein Chef, und ich bin deine Angestellte, aber wir sind ja auch ein bischen mehr als das…“ fing Victoria unsicher an. Ansgar unterbrach sie. „Das ist schon in Ordnung, Victoria. wie du schon richtig bemerkt hast, wir sind Chef und Angstellte, und dabei sollten wir es auch belassen. Ich weiss, dass du mit deinem Mann glücklich bist, und ich akzeptiere das.“ Ansgar bemühte sich, seine Stimme ein wenig belanglos klingen zu lassen. „Ja, ich – okay, das war es was ich dir noch sagen wollte….“ „Alles in Ordnung, Victoria. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend und Victoria?“ fragte Ansgar. Sie horchte auf. „Ja?“ „Sag bitte Kim noch einmal wie sehr ich mich gefreut habe über ihre Überraschung“, sagte Ansgar beläufig. „Äh, ja, mach ich. Schönen Abend auch dir.“ Dann legte er auf. Bildete er sich das ein, oder hatte da Enttäuschung in ihrer Stimme mitgeklungen? So als hätte sie etwas anderes von ihm hören wollen. Ansgar wollte jedoch nicht mehr auf ihre Andeutungen eingehen. Er wusste, das alles hatte keinen Sinn, sie würde ihren Mann niemals verlassen, und das zwischen Victoria und ihm war letztendlich nur ein Strohfeuer gewesen. Sie hatte nicht wirklich tiefe Gefühle für ihn entwickelt, und er wohl auch nicht für sie. Oder doch? Aber selbst wenn, Ansgar hatte wirklich keine Lust mehr, den Kürzeren zu ziehen. Nein, das zwischen ihm und Victoria war geklärt, Zumindest oberflächlich. Darüber geredet was zwischen ihnen war, hatten sie jedoch nie.

Ansgar legte sich ins Bett, aber er konnte nicht schlafen. Er musste noch lange über den Tag nachdenken. Wieder sah er auf die andere unbenutzte Betthälfte, und einmal mehr wünschte er sich dass dort wieder jemand liegen würde, eine Person, die ihn so nehmen würde wie er war. Er wollte nicht immer nur alleine sein. Das war ihm an diesem Abend einmal mehr klargeworden. Er wollte etwas an diesem Umstand ändern, er wusste nur noch nicht wie.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 30.07.2012, 15:21 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 8: All i want

Als Ansgar am nächsten Tag in die Firma kam, stellte er fest dass sich Victoria ihm anders gegenüber verhielt. Sie war aufmerksamer ihm gegenüber, und Ansgar bemerkte, dass sie ihn ab und zu – wenn sie sich sicher wähnte, dass er es nicht sehen würde – verstohlen ansah, ja, ihn fast beobachtete. Ansgar tat als würde er es nicht bemerken. Es musste irgendetwas mit seinem Geburtstag zu tun haben, da war sich Ansgar sicher. Vielleicht hatte Kim zu Hause doch mehr erzählt, vielleicht hatte Victoria durch Kims Erzählungen doch ein anderes Bild von ihm, Ansgar, bekommen als nur das des unverfrorenen Ehezerstörers, Verführers und korruptem Bankenchef. Nicht, dass er es darauf angelegen würde, dass sie einen besseren Eindruck von ihm bekommen würde, aber er war sich sicher es konnte auch nicht schaden, wenn seine Mirbeiterin ihm loyal gegenüberstand.

Nah der Mttagspause als Victoria zu Ansgar ins Büro kam, hatte Ansgar wieder das Gefühl, als würde Victoria um ihn herumschleichen wie der Tiger um seine Beute. Dann fasste sie sich ein Herz. „Ich - ich hatte auch noch etwas zum Geburtstag für dich“, sagte sie und legte mit einer hastigen Handbewegung ein kleines – in dunkelrotes Geschenkpapier eingewickeltes – Geschenk auf seinen Schreibtisch, so, als würde sie es sich anders überlegen wenn sie es nicht schnell genug hinter sich brachte. Ansgar sah sie ehrlich überrascht an. „Warum hast du es mir nicht gestern gegeben?“ fragte er. „Du - du warst nicht so begeistert von den Geschenken deiner Geschäftspartner, und ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, ob mein Geschenk dir gefallen würde.“ sagte Victoria unsicher. „Es ist nur eine kleine Aufmerksamkeit“, fügte sie dann noch hinzu so als müsste sie sich rechtfertigen, ihrem Chef etwas zu schenken. Ansgar sah sie immer noch an. „Wenn es von dir kommt, wird es mir sicher gefallen“, sagte er ohne Hintergedanken, aber er bemerkte wie Victoria ein kleines bischen zusammenzuckte, so als hätte sie Angst, er würde sie erneut anmachen. Das hatte Ansgar aber ncht vor. Er öffnete – ein ganz klein wenig aufgeregt – das Papier und fand eine Gutscheinkarte und ein kleines Schächtelchen darin. Bei dem Gutschein handelte es sich um zwei Eintrittskarten für die Oper Düsseldorf, und in der kleinen Schachtel waren zwei Manschettenknöpfe. Ansgar sah Victoria an, die ihn mit einem Gesichtsausdruck der zwischen ängstlich und gespannt schwankte, anblickte. „Vielen Dank, Victoria. das sind zwei sehr schöne Geschenke“, sagte Ansgar ehrlich. „Gefallen sie dir? Ich meine, ich wusste ja, dass du gerne in die Oper gehst und Manschettenknöpfe kann man ja immer gebrauchen.“ „Ja, die kann man immer gebrauchen, da hast du recht“, sagte er.

Es entstand für einen Moment eine Spannung zwischen ihnen, die Victoria sofort bemerkte. Sie war daher sehr froh, als das Telefon klingelte. „Lahnstein Enterprises, Victoria Wolf am Apparat von Ansgar von Lahnstein“, sagte sie in den Hörer. Ansgar atmete tief durch. Bildete er sich das ein, oder war da – nach Monaten des eher lockeren Umgangs miteinander – wieder ein klein wenig Aufflackern von einer erotischen Spannung gewesen? Aber selbst wenn, so massregelte er sich gleich selbst wieder, so war die Geschichte zwischen ihm und Victoria vorbei, sofern es überhaupt eine Geschichte gegeben hatte.

Als Victoria den Hörer aufgelegt hatte, sah sie wie Ansgar sie direkt ansah. „Was schaust du mich so an?“ fragte sie etwas unsicher. „Wir haben nie geredet über das was zwischen uns war“, sagte er unvermittelt. Victoria wand sich, wollte der für sie unangenehmen Situation entkommen, aber Ansgar sah sie so offen und unverwandt an, dass sie wusste, sie musste etwas sagen. „Nein, das haben wir nicht“, sagte sie leise. "Ich lag gestern Nacht wach und habe an die Zeit denken müssen als...als da... zwischen uns etwas war", sagte er. „Und ich habe mich gefragt, WAS es war zwischen uns, ob es nur körperliche Anziehung war, oder ob da mehr dahintersteckte.“ Victoria sah ihn an wie ein aufgeschrecktes Reh. Das Thema behagte ihr ganz und gar nicht. „Ansgar – ich finde, wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen“, sagte sie dann und versuchte ihrer Stmme Festigkeit zu verleihen.

„Das kann ich nicht. Nicht – wenn ich nicht weiss, weshalb du dich damals in der Kapelle für Thomas entschieden hast.“ Er sah sie immer noch fest an. „Was heiss hier entschieden?“ platzte Victoria heraus. „Das stand doch nie zur Debatte, dass ich mich entscheiden musste. Thomas ist mein Ehemann, und ich liebe ihn. DAS war nie etwas das in Frage stand.“ Ansgar sah sie zweifelnd an. „Victoria, ich versuche nicht, dich anzubaggern, ich möchte lediglich Anworten. Antworten darauf, was falsch läuft in meinem Leben. Ich habe es mit Lydia versaut, mit der ich zusammen war. Ich habe niemals mich wirklich mit Lydia aussprechen könnnen. Ich möchte den Fehler nicht noch einmal machen. Nach dem Abend in der Kapelle haben wir beide, du und ich, auch nicht miteinander geredet, Victoria. Vielleicht siehst du das anders, aber ich finde, ich habe es vielleicht verdient, dass ich erfahre, was genau es war dass diese gegenseitige Anziehung ausmachte, oder wie siehst du das?“ Jetzt sah Victoria Ansgar überascht an. Er schien es wirklich ernst zu meinen, und er war nicht auf Anmache ihr gegenüber eingestellt, sondern er schien wirklich nur für sich Antworten finden zu wollen. „Ich weiss, was ich für Signale ausgesendet habe, Victoria“, fuhr Ansgar weiter fort, „Du musstest annehmen, ich wolle dich nur ins Bett zerren.“ Seine Stimme klang ehrlich und offen, und wieder sah Victoria ihn ob seiner Worte nur überrascht an.

“Es gab den Tag im Fahrstuhl, da sagte ich dir, ich kann dir keine Garantie geben, aber dass du die Frau sein könntest, die mich ändert. Das habe ich ernst gemeint. Du antwortetest mir daraufhin, dass du mich auch willst, und dass du sehr wohl die Frau sein könntest, es aber nicht möchtest, weil du Thomas liebst. Und genau das meine ich, Victoria. Dieses “wollen“ - bezog sich das nur auf Sex, oder auf mehr?“ Victoria schluckte. Ansgar war ihr gegenüber nie so offen und direkt gewesen in einem Gespräch. „Ich – ich weiss es nicht, Ansgar.“ „Und noch was,“ Ansgar beugte sich jetzt herüber zu Victoria, die ihm gegenüber sass und auf ihrem Stuhl anfing hin und her zu rutschen. „Hast du dich nie – auch nicht mal insgeheim gefragt, was ich an dem Tag in der Kapelle von dir wollte, weswegen ich die Kapelle so hergerichtet habe? War dir das egal? Immerhin hast du gedacht, es wäre Thomas gewesen, der alles so geschmückt hat.“ Jetzt hatte Ansgar anscheinend ins Schwarze getroffen, denn Victoria zuckte kaum merklich zusammen. Sie sah ihn nicht an als sie sagte: "Ja, habe ich."

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 02.08.2012, 19:09 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 9: When they come for me

"Aber wenn ich ehrlich bin, so habe ich angenommen, dass du das alles nur veranstaltet hast, damit du mich ins Bett kriegen kannst.“ Bei den letzten Worten sah sie Ansgar an, und ihr verschlug es fast die Sprache, denn er sah beinah gekränkt, verletzt aus. „Das hätte ich in Zürich haben können“, sagte er nur. „Erinnerst du dich, dass ich es war, die dich abgewehrt hat? Und weisst du auch warum? Weil ich gespürt habe, dass du es hinterher bereuen würdest, und ja, vielleicht hat es mir auch Spass gemacht zu wissen, wie weit du gehen würdest." „Ich weiss. Ich weiss, dass wir miteinander im Bett gelandet wären, wenn du das Ganze nicht gestoppt hättest. Genau wie in Caracas. Wäre Kim nicht gekommen…“ Sie sprach nicht weiter. Ansgar wusste auch so was sie meinte. Er wollte es jedoch noch einmal aussprechen, um bei Victoria eine Reaktion hervorzurufen, zu sehen wie sie sich verhielt, wenn er die Dinge beim Namen nannte." “Wäre Kim nicht gekommen, so hätten wir miteinander geschlafen“, sagte er. Wieder blickte Victoria wie ein scheues Reh. „Und genau das mein ich, Victoria. Jeder von uns weiss, was passiert wäre, wenn Kim nicht gekommen wäre. Aber keiner weiss, was für Konsequenzen es gehabt hätte, hätten wir die Nacht zusammen verbracht.“ Victoria konnte Ansgars Blick auf sich nicht mehr ertragen und sprang auf. „Gar keine! Selbst wenn wir zusammen geschlafen hätten, so hätte ich immer gewusst, dass ich Thomas liebe“, sagte sie eine Spur zu heftig. Ansgar liess sich nicht beeindrucken. „Victoria, ich will dich nicht provozieren, ich will dich auch nicht ärgern. Alles was ich will ist, die Sache zu hinterfragen.“ “Was hast du denn davon?“ wollte Victoria jetzt aufgebracht wissen. „Allein, dass du dich schon so echauffierst zeigt mir, dass da etwas zwischen uns war", stellte er fest. „Ja, selbst wenn, Ansgar, es ist VORBEI“, sagte sie vehement. „Das akzeptier´ ich ja“, meinte er einlenkend, „aber bitte, sei ehrlich zu mir. Was ging in dir vor in der Kapelle, als du merktest, dass es nicht Thomas war, der alles so hergerichtet hat.“

Wieder sah Victoria Ansgar unsicher an. Sie merkte, dass sie sich eigentlich nicht auf Ansgars Fragestunde einlassen wollte, aber als sie spürte, dass es ihm wirklich wichtig war, setzte sie sich wieder hin und sagte: „In dem Moment als du zur Kapelle reinkamst und ich dich sah, nach meiner Liebeserklärung an Thomas, das war schon komisch. Ich habe aber einfach nur angenommen, dass das alles Teil des großen Plans war mich ins Bett zu kriegen. Und die Dinge, die ich Thomas gesagt habe, habe ich ernst gemeint, Ansgar.“ „Ja, ich weiss. Ich lasse dich und Thomas ja auch in Ruhe, aber hast du dich nie gefragt, ob es mehr war zwischen uns als nur körperliche Anziehung?“ fragte er dann erneut. „Auch das, ja. Ich konnte es mir selbst nicht beantworten, Ansgar. Ich habe dieses Verlangen nach dir gespürt, wann immer wir uns begegnet sind, ich konnte kaum an mich halten, ich habe vom Sex mit dir geträumt, ich habe mir immer und immer wieder versucht einzureden, du wärst nicht gut für mich, und letztendlich wusste ich schon, dass ich Thomas liebe, aber ich habe mich auch gefragt, warum du diese Anziehungskraft auf mich ausübst. Habe mich gefragt warum in aller Welt, wenn ich doch glücklich mit Thomas bin, kannst du so eine verdammte Wirkung auf mich haben?“ Jetzt war auch Victoria ehrlich gewesen. „Und ich habe Monate versucht, dagegen anzukämpfen, und ja, in Zürich wäre es passiert oder in Caracas. Ich weiss nicht, ob es was geändert hätte, Ansgar. Ich kann es dir nicht sagen. Aber um ehrlich zu sein, ich habe mir diese Frage nie wirklich gestellt, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass du eh nur mit mir ins Bett wollest.“ Victoria war jetzt wieder aufgestanden. Sie wollte diese Unterhaltung beenden. „Ansgar, bitte sei mir nicht böse, ich kann und möchte nicht weiter darüber reden. Ich habe schon viel zu viel gesagt.“ Victoria ging zur Tür und als sie die Klinke herunterdrückte, hörte sie wie Ansgar sagte: „Das war nichts so.“ Victoria blieb stehen drehte sich aber nicht um. „Ich wollte dich nicht nur ins Bett kriegen, Victoria. Da war mehr.“ Victoria schloss die Augen und atmete tief durch. Dann verliess sie Ansgars Büro.

Er fing schon wieder an. sie wollte das nicht. Sie wollte von dem Thema „Ansgar“ nichts mehr hören. Es gab nichts mehr zu reden, so fand sie. Warum nur fing er immer wieder davon an? Victoria war auf dem Weg nach Hause im Auto intensiv damit beschäftigt, diesen Umstand zu hinterfragen, warum Ansgar nicht aufhören konnte zu bohren, und vor allen Dingen, warum sie nicht aufhören konnte, darüber sinnieren - weswegen es überhaupt in ihrem Gehirn Platz hatte, über Ansgar und das was gewesen war, nachzudenken. Sie liebte Thomas, und nein, sie wollte keine Affäre mit Ansgar haben. Weder gab es noch erotische Momente, bei denen sie sich wünschte auf der Stelle über Ansgar herzufallen noch zweifelte sie an ihrer Liebe zu Thomas, aber sie fand es schon merkwürdig, dass Ansgar nach Wochen, ja Monaten wieder damit anfing. Hatte sie sich doch in ihm gettäuscht, und er war seinerzeit nicht nur auf das Eine ausgewesen? Sie konnte es sich kaum vorstellen, und doch hatte sich Ansgar verändert in der letzten Zeit. Sein intrigantes Wesen war kaum noch zum Vorschein gekommen, er war zuvorkommend, ja beinah hilfsbereit gewesen in den letzten Wochen. Als sie Zuhause vor iher Tür ankam, beschloss sie, nicht weiter nachzudenken und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Doch in ihrem Hinterkopf machte sich ein Gedanke breit: der Gedanke, dass sie Ansgar vielleicht doch unrecht getan hatte.

Ansgar hatte das ehrliche Gespräch mit Victoria aufgerüttelt. Er hatte zwar gespürt, dass sie ein wenig dichtgemacht hatte als er wieder von dem Thema anfing, aber zum Schluss hatte er deutlich gemerkt, dass er sie mit seinen Worten erreicht hatte. Er wunderte sich über sich selbst. Normalerweise war es gar nicht seine Art, über diese Dinge zu reden, schon gar nicht mit Victoria. Zu stark bohrte noch der Gedanke der Niederlage gegen den Waldschrat seinen Stachel in sein Gehirn, aber seit seinem Geburtstag war irgendetwas anders. Er war anders. Es war als hätte die Zahl "40" etwas in seinem Gehirn durcheinander gebracht, und wenn er es sich eingestehen würde, so wusste er auch was es war. Angst. Er hatte Angst, wenn er in die Zukunft sah. Angst davor, alleine zu bleiben, Angst davor zu vereinsamen, Angst davor, dass die Prophezeihung von Thomas eintreten würde, dass er irgendwann nichts weiter besitzen würde als sein Schloss, und seine Macht. Eigentlich war Ansgar immer ein Einzelkämpfer gewesen, aber in der letzen Zeit hatte er sich vermehrt nach etwas anderem gesehnt. Wenn er Thomas und Victoria oder Kim und Emilio, ja, selbst wenn er Ludwig und Elisabeth beobachtete, und sah, wie sie mehr oder minder glücklich miteinander waren, dann wünschte er sich, es würde das auch für ihn geben - es würde eine Person geben, der er vertrauen konnte, die ihn nahm wie er war, die für ihn dawar, und für die auch er da sein konnte. Es machte ihn traurig, wenn man ihn lediglich reduzierte auf Sex und darauf, dass ein Mann wie er es unmöglich ernst meinen konnte. Das war nicht so. Er hatte es bei Lydia gemerkt, dass er lieben konnte, und auch wenn er bei Victoria nicht sicher war, was er fühlte, so traf es ihn auch hier, dass sie ihm jegliche Fähigkeit ernsthafte Gefühle zu entwickeln absprach. Er nahm sich vor, Victoria zu beweisen, dass er auch anders konnte. Nicht, weil er sie für sich gewinnen wollte, sondern weil er sie als Person, als Mitarbeiterin und auch als Vertraute schätzte. Er konnte sich vorstellen, in Victoria eine Freundin zu sehen, keine Geliebte sondern eine Person, der er sich anvertrauen konnte.

Als Ansgar an diesem Abend ins Bett ging, war er schon besser gestimmt. Es würden auch für ihn wieder bessere Zeiten kommen, da war er sich sicher. Dass sich in seinem Brustkorb schon wieder ein komisches Gefühl breitmachte, ignorierte er geflissentlich.

In der Nacht schreckte er hoch. Es war noch stockdunkel im Zimmer und er tastete hastig nach seiner Nachtischlampe. Mit zittrigen Händen gelang es ihm diese anzustellen. Ansgar war schweissgebadet, sein Atem ging stossweise, er hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Panik stieg in ihm auf. Jetzt war es soweit. Jetzt bekam er die Quittung für jahrelangen Alkoholkonsum und seine Zigarrensucht. Es fühlte sich an als müsste er sterben. Was sollte er tun? Sich einen Krankenwagen rufen? Aber was sollte der bringen? Es war anscheinend sowieso zu spät. Er fasste sich an die Brust. Sein Herz schlug sehr schnell, und er hörte den Herzschlag bis in den Kopf. Er griff nach seinem Handy und wollte die Nummer von Kim wählen, doch sie fiel ihm nicht ein, er stand total neben sich. Hektisch und mit zittrigen Händen suchte er in seinen Kontakten nach der Nummer, aber er schaffte es nicht, sie herauszusuchen. Seine Atemnot wurde schlimmer, das Herzrasen nahm zu. 'Großer Gott' dachte Ansgar und wählte in totaler Panik die Nummer der 112. „Ansgar von Lahnstein“, jappste er in den hörer. „Schloss Königsbrunn – ich habe einen Herzinfarkt, schnell…“

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 04.08.2012, 19:58 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 10: Lack of self - control

Mehr konnte er nicht mehr sagen, dann blieb ihm wieder die Luft weg. Der Schweiss rann ihm von der Stirn, machte sich unter seinen Achseln breit, seine Hände zitterten immer mehr, und er hatte jetzt Todesangst. Die Minuten bis der Krankenwagen eintraf, kamen Ansgar wie Stunden vor, und als dann die Sanitäter nebst Notarzt endlich in seine Suite polterten war er schon völlig aufgelöst. Sofort wurde sein Blutdruck gemessen – 180 zu 125 rief der eine Sanitäter zum anderen – seine Vitalwerte wurden festgestellt. „Herzfrequenz 147, Sauerstoff liegt bei 100 Prozent“, hörte Ansgar. Er konnte mit diesen Zahlen nicht viel anfangen. Was bedeutete es? War es schon zu spät? „Herr von Lahnstein beruhigen Sie sich ersteinmal, wir sind ja jetzt hier, es passiert ihnen nichts. Wir schreiben ein EKG, dann sehen wir weiter. Es ist alles in Ordnung“ sagte der eine Sanitäter zu ihm. Der Notarzt war mit dem Schreiben des EKGs beschäftigt. "Palpitationen, Sinustachycardie, kein Anzeichen von Insuffizienz", informierte er den einen Rettungssanitäter. „Hab ich einen Herzinfarkt?“, fragte Ansgar höchst alarmiert. „Ich denke nicht", sagte der eine Rettungssanitäter, und mit einem Blick auf den hyperventilierenden Ansgar sagte er zu seinem Kollegen: „Geb mir mal die Maske.“ Dieser holte eine Hyperventilationsmaske aus seinem Koffer und wollte sie Ansgar überstülpen, doch dieser riss die Maske in Panik von seiner Nase. „ Sind Sie verrückt geworden, nehmen sie das Ding weg, ich krieg keine Luft, wollen sie mich umbringen?“ „Herr von Lahnstein, Sie hyperventilieren, atmen sie bitte in diese Maske, das wird gleich besser", versuchte der eine Rettungsanitäter ihm gut zuzureden, doch Ansgar liess nicht zu, dass man ihm die Maske wieder aufsetzte. Er schlug wild um sich. Ein Blick auf das EKG genügte für den Notarzt um zu sehen, dass es in keinster Weise ein Herzinfarkt war, den Ansgar erlitten hatte, und es bestätigte dem Arzt nur den schon von vorneherein aufgekommenden Verdacht. Er zog eine Spritze auf, und ehe Ansgar protestieren konnte, hatte er dem Grafen diese verpasst.

Es dauerte keine fünf Minuten, und Ansgar beruhigte sich wieder. Sein Puls ging auf eine normale Frequenz herunter, seine Blutdruckwerte verbesserten sich, und die Atmung war wieder ruhiger. „Herr von Lahnstein, hatten Sie Stress in letzter Zeit?“ wurde Ansgar gefragt. Dieser überlegte. „Nicht mehr als sonst“, gab er zurück. „Wir können Sie beruhigen. Sie hatten definitiv keinen Herzinfarkt. Sie haben einfach ein wenig unter Stress reagiert. Das kommt häufiger mal vor. Und wenn man dann Angst bekommt, dann kann man sich schon mal hineinsteigern, so dass es zu einer Sinustachycardie kommt und der Blutdruck extrem steigt.“ „Sinustaccy – was und was heisst hier reinsteigern?“ erboste sich Ansgar. „Wollen sie damit ausdrücken, ich simuliere?“ Er war schon wieder ganz der Alte, griff nach seinen Zigarren und wollte sich eine anzünden. „Na, das lassen wir mal“, sagte der Notarzt und nahm dem verdatterten Ansgar seine Zigarren weg. "Eine Sinustachycardie ist ein erhöhter aber regelmäßiger Puls, man nennt es auch Herzrasen. Es ist völlig normal, dass das Herz dann und wann mal Kapriolen schlägt. Wir bieten ihnen aber an, mit uns ins Krankenhaus zu fahren, damit wir sie noch mal in Ruhe durchchecken können. Herzsonographie, noch mal ein EKG, usw.“ schlug der Notarzt vor. Ansgar schüttelte den Kopf. „Ich hasse Krankenhäuser, und wenn sie mir sagen, dass es kein Herzinfarkt war..“ begann er. „Mit hundertprozentiger Sicherheit nicht“, besätigte der Notarzt. „Dann müssen sie mir allerdings hier quittieren, dass sie den Transport ablehnen“, bestand der Arzt auf seinen Vorschriften. Ansgar unterschrieb. „Bitte gehen sie dennoch einmal die Tage zu einem Kardiologen und lassen sich routinemässig durchchecken. Und versuchen sie Stress zu vermeiden.“ Dann packten die Rettungssanitäter und der Notarzt ihre Sachen zusammen und verliessen Ansgar wieder.

Dieser war völlig durch den Wind. Ob er glauben konnte, dass mit ihm alles in Ordnung war? Sicher, kurz nach der Spritze ging es ihm schnell besser. Was immer sie ihm da gespritzt hatten, es wirkte Wunder. Ansgar war plötzlich sehr müde. Er wollte nur noch ins Bett zurück und schlafen. Er warf einen Blick auf die Uhr. 3:37 Uhr, also noch gut drei Stunden Zeit zum schlafen. Gerade als er sich wieder hinlegen wollte, kam Ludwig ins Zimmer. „Ansgar! Ist alles in Ordnung? Ich habe den Krankenwagen gesehen! Was war denn los?“ fragte Ludwig besorgt. Ansgar wigelte ab. „Nichts, Ludwig, du kannst wieder ins Bett gehen.“ „Nichts? Wegen nichts ruft man doch keinen Krankenwagen, na hör´mal.“ „Ich hatte die Tage ein wenig Stress, und die meinten da habe ich halt ein wenig Herzrasen gehabt. Aber es war definitiv kein Herzinfarkt. Das haben sie gleich ausgeschlossen.“ beeilte er sich zu sagen. „Na, Gott sei Dank“ atmete Ludwig aus. „Ansgar, wenn du morgen zu Hause bleiben möchtest.. das ist kein Problem..“ schlug Ludwig vor. „Nein, schon in Ordnung. Es geht mir gut“, sagte Ansgar fest und schickte sich an ins Bett zu gehen. Ludwig verstand und zog sich zurück. Kaum dass Ansgar in Bett lag, war er auch schon eingeschlafen.

Am nächsten Morgen verschlief Ansgar. Er wachte erst um 8:30 Uhr auf. Er hatte so fest geschlafen, dass er den Wecker nicht gehört hatte. Total verschlafen rieb Ansgar sich die Augen. Am liebsten wäre er liegengeblieben, aber das kam nicht in Frage. Es war ihm schon peinlich genug, dass er die letzte Nacht so rumgeschwächelt hatte. Er machte sich in Windeseile zurecht und dann ohne Frühstück auf den Weg in die Firma. Er freute sich Victoria wiederzusehen. Obwohl er sie täglich sah, so hatte doch der gestrige Tag bewirkt, dass sie sich wieder nähergekommen waren.

Diese brachte gerade frischen Kaffee in sein Büro als er kam. „Guten Morgen“, sagte er und strahlte sie an. „Na, so gute Laune?“, fragte sie und wollte ihm Kaffee einschenken. Ansgar hob die Hand und wehrte ab. „Nein. Danke. Keinen Kaffee heute.“ Victoria runzelte die Stirn. “Was´n mit dir los?“ fragte sie belustigt. „Du kommst zu spät und dann nicht mal ein Kaffee zum wachwerden?“ „Koffein wird im allgemeinen überschätzt“, sagte er altklug. „Naja, wenn du meinst..“ sagte Victoria und lachte. Sie goss sich eine grosse Tasse ein. „Ich kann dir auch einen Tee machen?“ schlug sie vor. Ansgar freute sich so über Victorias Aufmerksamkeit, dass er nickte. „Ja. Einen Pfefferminztee vielleicht?“ fragte er mehr als dass er es feststellte. „Ich mach ihn dir“, sagte sie und war aufgestanden. Ansgar rollte mit den Augen. Pfefferminztee! War er verrückt geworden? Demnächst liess er sich noch Baldrian bringen wenn das so weiterging. Er machte sich an die Arbeit, doch er konnte sich irgendwie nicht so wirklich konzentrieren. Dann kam Victoria zurück. Sie stellte den dampfenden Tee vor Ansgars Nase hin, und dieser bedankte sich artig. „Irgendwas ist doch mit dir?“, fragte sie. Ansgar schaute sie an und schüttelte den Kopf. „Nein. ich bin nur etwas im Stress. Um zwölf Uhr ist doch die Konferenz, und ich muss noch den Rest der Rede vorbereiten.“ „Lass mich das doch für dich machen“ schlug sie vor und beugte sich über ihn. Ansgar mochte kaum zur Seite sehen, denn er roch Victorias Parfüm deutlich, so dicht wie sie an ihm war. Er wagte es doch. Durch den Umstand, dass Victoria ein Top unter der Bluse trug, war ihre Bluse weit aufgeknöpft, und als sie sich über ihn und die Papiere beugte, wurde mehr Decolleté freigelegt als Ansgar lieb war. Er zwang sich wegzuschauen. Das konnte er nicht auch noch gebrauchen, dass er einen Rückfall in punkto Victoria bekam. Dennoch ertappte er sich dabei, dass er am liebsten eine Hand in ihren Ausschnitt versenkt hätte....RRRUMS. Ansgar hatte die Tasse mit Tee vom Schreibtisch gefegt als er nach ihr greifen wollte. „Mist, verdammter..“ bölkte er und war aufgesprungen, weil er eine Ladung des heißen Getränkes abbekommen hatte, direkt auf seine Hose. Klirrend fiel die Tasse zu Boden und zersprang in viele Teile. Victoria war ebenfalls aufgestanden und lief um den Schreibtisch herum um das Malheur zu beseitigen. „Hey, ist doch nicht so schlimm“, sagte sie und hob die Scherben auf. „Aber meine Hose!“ beschwerte sich Ansgar. „Ich habe in einer halben Stunde doch die Sitzung und kann da so nicht hin.“ Er zeigte auf den dunklen Flecken um seinen Reissverschluss herum. „Das sieht ja aus als hätte ich mir in die Hose gemacht“, jammerte er. Victoria fing an zu lachen. „Entschuldige,“ jappste sie, „aber das ist so komisch.“ Sie konnte gar nicht aufhören zu lachen, und als Ansgar sie vorwurfsvoll ansah, erstickte sie den letzten Lacher in ihrer Kehle und versuchte ein ernstes Gesicht zu ziehen, was ihr aber nicht recht gelang. „Ich kann unmöglich so in die Sitzung gehen“, sagte er. "Warte, ich helfe dir. Ich habe eine Idee“, sagte sie zu ihm. „Komm mit.“ Victoria zog Ansgar an der Hand hoch und schob ihn vor sich her in Richtung Waschraum. Victoria schloss die Tür hinter ihnen und sagte Ansgar er solle die Hose ausziehen. Er sah sie an als spräche sie chinesisch. „Ja, das musst du schon tun wenn ich sie dir trocknen soll", sagte sie. „Oder ist dir das peinlich?“, bohrte sie und musste schon wieder lachen. „Wieso sollte es?“ gab er achselzuckend zurück und machte sich an seinem Reissverschluss zu schaffen. Dann zog er die Hose herunter, über die Schuhe, verhedderte sich noch fast, was Victoria dazu brachte, dass sie hinter vorgehaltener Hand lachte, zog sie dann aus und gab sie seiner Assistentin. Diese versuchte nicht an Ansgars Unterkörper herunterzuschauen, denn sonst hätte sie schon wieder lachen müssen weil es lustig aussah wie er ohne Hose und mit flatterndem weissen Hemd vor ihr stand. Sie hielt die Anzughose mit dem Schritt unter den Händetrockner. „Auf die Idee hätte ich auch selbst kommen können“, brummte er. „Bist du aber nicht“, stellte sie trocken fest. Nun machte Victoria den Fehler, Ansgar anzusehen. Er hatte schöne Beine, sie waren leicht braungebrannt und eher stämmig denn dünn. Ansgar schien sie auch nicht zu rasieren, das hätte er sicherlich als unmännlich empfunden. In Victorias Kopf schoss die Frage ob Ansgar sich wohl an anderer Stelle rasierte. Sie schalt sich dann sofort selbst innerlich, dass sie auf so eine Idee kam und widmete sich wieder der Hose. Ansgar aber hatte gesehen, dass Victorias Blick ein wenig zu lang an seinen Beinen hängen geblieben war. Er beobachtet sie von hinten und hatte plötzlich das dringende Bedürfnis noch mehr auszuziehen und sich an sie zu pressen.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 06.08.2012, 19:20 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 11: Give me shelter

Ihm wurde heiss. Das durfte ja wohl nicht wahrsein. Gerade als Ansgar drauf und dran war, einen Schritt auf Victoria zuzugehen, mischte sich Victorias Stimme in seine Gedanken. „So, das müsste reichen“, sagte sie und übereichte ihm die Hose. Ansgar zwang sich, seine Gedanken aufzugeben und nahm die Hose an. „Danke“, sagter er und zog sie sich wieder über. Dann ging er aus dem Waschraum. Victoria sah ihm etwas nachdenklich hinterher.

„… und darum werden wir auch in Zukunft…“ Victoria hörte Ansgar reden, wie von ganz weit her, sie konzentrierte sich nicht wirklich auf seine Worte, denn sie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Sie war kopfmäßig bei Ansgar im Waschraum - und sah noch immer Ansgars Beine vor sich. Sie hatte gedacht, dass es vorbei war, dass sie keinen Gedanken mehr an Ansgar außerhalb des beruflichen Engagements heraus mehr verschwenden würde, aber da hatte sie sich anscheinend getäuscht. Kurioserweise brachten sie ein paar schnöde Männerbeine derartig aus dem Konzept.

„..demzufolge wird dieser Geschäftszweig…“ hörte sie wieder Ansgars sonoren Tonfall. Sie sah zu ihm herüber, denn irgendetwas an dessem Tonfall verwunderte sie. Er klang nicht so selbstsicher wie sonst. Gerade als Victoria Ansgar ansah bemerkte sie, dass es ihm anscheinend gar nicht gut ging. Er wischte sich über die Stirn, und auf einmal verstummte er. Alle Augen waren auf Ansgar gerichtet als er seinen Platz am Kopfende des Tisches aprupt verliess und eilig aus dem Konferenzraum rannte. Was hatte das zu bedeuten? Victoria stand ebenfalls auf. Sie musste nach Ansgar sehen. Irgendetwas schien passiert zu sein. Sie ging zurück in Ansgars Büro, doch dort war er nicht. „Ansgar?“ rief sie, aber sie bekam keine Antwort. Unruhe stieg in Victoria auf. „Ansgar?“ Wieder keine Antwort. Dann beruhigte sie sich innerlich selbst. Vielleicht hatte er nur etwas Falsches gegessen und war im Waschraum. Doch es liess Victoria keine Ruhe als er auch nach wenigen Minuten nicht wieder auftauchte. Sie beschloss, im Waschraum nachzusehen. „Ansgar? Bist du hier?“ fragte sie als sie die Herrentoilette betrat. Dann hörte sie ein leises „Hier“ aus Richtung der Toilette. „Ist dir schlecht geworden? Was ist los?“ fragte Victoria besorgt. Sie erhielt jedoch keine Antwort. Ihr war jetzt egal, ob sie sich auf dem Männerklo befand, sie musste sofort nach Ansgar schauen. Sie zog die Kabinentür auf von der sie Ansgars Stimme her vernommen hatte und fand ihn auf dem WC-Deckel sitzend vor. Er war nach vorne gebeugt, sah sie nicht an. „Ansgar! Was ist los“ fragte sie erneut. Sie ging vor ihm in die Hocke. „Gott, du zittierst ja“, stiess sie aus. Ansgars ganzer Körper vibrierte, und als Victoria seinen Kopf vorsichtig anhob, sah er sie angstvoll an. „Viccy…“ brachte er nur hervor.

Sein Atem ging stossweise, und er hatte Schweissperlen auf der Stirn. Victoria bekam es mit der Angst zu tun. Hatte Ansgar wohlmöglich einen Herzinfarkt? Sie nahm seinen Arm und fühlte den Puls. Er war extrem schnell. „Hast du Schmerzen?“ fragte sie ihn. Er schüttelte den Kopf sah sie aber weiterhin angstvoll an. Victoria überlegte rasend schnell. „Ich ruf dir jetzt einen Krankenwagen“, rief sie und sprang auf. "Nein! Keinen Krankenwagen, bitte…“ jappste Ansgar. „Ich brauch den nicht…die waren gestern schon da..“ „Wie?? Gestern schon da?“ Ansgar antworte nicht. Er sah sie noch immer mit weit aufgerissenen Augen an, und plötzlich war Victoria klar, was mit Ansgar loswar. Sie hatte nicht umsonst einige Jahre Psychologie studiert. „Kribbelt es in deinen Händen?“, wollte sie wissen. Er nickte. „ Sie sind – wie taub. Victoria, ich weiss nicht was mit mir ist, ich krieg so schlecht Luft." Sie sprang auf. „Ich komm sofort wieder“, sagte sie zu Ansgar und rannte in ihr Büro. Sie hatte noch eine Plastiktüte in ihrem Schreibtisch. Sie eilte zu Ansgar zurück und gab ihm die Tüte. „Hier. Atme da hinein.“ Er stiess ihre Hand weg. „Victoria, ich krieg keine Luft, lass mich..“ „Du atmest da jetzt rein, hörst du“, beharrte sie. „Bitte tu was ich dir sage! Ich weiss, was ich tue.“ Vehement hielt sie Ansgar die Tüte vor den Mund, mit der anderen Hand hielt sie seine Hand und fühlte noch einmal den Puls. Er schien ein wenig ruhiger zu sein, ihre Anwesenheit schien ihn etwas runterzufahren. Ansgars Atem wurde ruhiger nachdem er einige Male in die Plastiktüte geatmet hatte, und auch das Zittern liess nach. Sie hörte auf seinen Puls zu fühlen und hielt seine Hand einfach nur in ihrer. „Siehst du, du wirst schon ruhiger“, sagte sie. Als sie spürte, dass sein Atem wieder langsamer und gleichmässiger wurde, nahm sie ihm die Tüte ab.

„Geht´s wieder?“ fragte sie ihn. Sie fühlte noch einmal seinen Puls, und dieser war nun fast wieder normal. Ansgar holte tief Luft und sagte dann: „Das ist nicht das erste Mal, dass ich das hatte.“ Victoria sah wie verängstigt und verwirrt Ansgar aussah. Es rührte ihr Herz. Sie hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. Sie wusste, was Ansgar erlebt hatte. Es war eine Panikattacke. Dennoch traute sie sich nicht ihm das zu sagen. Sie konnte sich die Reaktion vorstellen, die er an den Tag legen würde. „Ich habe das schon dreimal gehabt. Das ist so furchtbar, Victoria.“ flüsterte er. „Ich weiss“, sagte sie. „Wie, du weisst?“ „Ich weiss, dass das furchtbar ist. Ich hatte das auch schon mal. Damals als Kim geboren wurde. Das ging einige Monate so.“ „Was ist das denn? Warum rast mein Herz so und warum zitter´ ich so? Das ist doch nicht normal.“ „Ansgar, ich weiss nicht ob du das hören möchtest, aber du hattest eine Panikattacke", sagte Victoria vorsichtig. Ansgar schnaufte empört. „Bitte? Ich hör´wohl nicht richtig. Hör mit deinem Psychogequatsche auf, das brauch ich nicht. Ich hab einfach zu viel Stress in letzter Zeit, das ist alles. Hat der Notarzt auch gesagt heute Nacht.“ Victoria seufzte. Sie wusste, dass Ansgar so reagieren würde. „Ja, vom Stress kann da auch kommen“, meinte sie. „Tachycardie, Hyperventilation, nur wenn du dich da reinsteigestert wird eine Panikattacke draus“, sagte sie. Diese Ausdrücke waren Ansgar nun schon ein Begriff. "Fang du nicht auch noch damit an. Ich habe mich nicht reingesteigert“, knurrte er, schon wieder fast der Alte. „Schon gut.“ besänftigte sie ihn. „Ich glaub dir. Aber ich habe es eben auch schon durchgemacht, und ich will dir doch nur helfen. Es fühlt sich an als müsste man sterben, stimmt´s?“ fragte sie dann direkt. Ansgar sah sie nur an, dann nickte er. „Als ich das neulich das erste Mal hatte, habe ich gedacht, so, Ansgar, das war´s. Irgendwann ist es von selbst weggegangen. Dann – letzte Nacht – war es so schlimm, dass ich mir einen Rettungswagen gerufen habe. Und eben – ich stand da vor den Leuten, und dann ist es wieder losgegangen. Ich habe mein Herz im Kopf schlagen gehört, meine Hände fingen an zu zittern wie Espenlaub. Und dann habe ich eine furchtbare Angst bekommen. Angst, dass mit mir was nicht stimmt.“ Seine Stimme wurde jetzt brüchig, unsicher. Victoria sah Ansgar mitleidig an. Sie legte eine Hand auf seine und strich ihm über den Handrücken. „Du musst dich vor mir nicht schämen, hörst du?“ So wie sie diese Worte aussprach, bewegte sie etwas in Ansgar. Er sah sie ernst an und meinte dann: „Ich habe eine Scheissangst gehabt, Victoria.“ Sie sah, wie es um seine Mundwinkel zuckte, seine Augen schimmerten feucht. Da konnte sie nicht anders. Sie zog Ansgar zu sich heran. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Er erwiderte ihre Umarmung und verbarg den Kopf an ihrer Schulter. „Ich weiss nicht, was mit mir los ist, Victoria“, sagte er, und es klang fast als würde er anfangen zu weinen. Sie war unfähig etwas zu sagen. Sie hatte Ansgar so niemals erlebt. So schutzlos und hilfebedürftig, es rührte sie, dass er sich vor ihr so gab, und ihr Herz zog sich regelrecht zusammen. Sie hob eine Hand und strich sanft über sein Haar. Es fühlte sich nass an, so hatte er geschwitzt. Kurz überlegte Victoria, was wäre wenn jemand zur Tür hereinkommen würde und sie und Ansgar am Boden des WCs vorfinden würde. Die Leute würden ja denken sie hätten einen Quicke gehabt. Doch letztendlich war es ihr egal.

Sie löste sich vorsichtig von Ansgar und stand dann auf. Sie reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und erhob sich. Noch etwas wackelig auf den Beinen ging er zum Spiegel. „Gott, wie seh ich denn aus?“, klagte er nachdem er sich begutachtet hatte. Die Haare lagen angeklatscht in die Stirn und seine Klamotten waren verknautscht. „Das ist doch egal, hauptsache, es geht dir besser“, besänftigte Victoria ihn. Ansgar knurrte etwas vor sich hin und fuhr sie durch die Haare. Bevor Victoria den Waschraum verlassen wollte, sagte sie zu Ansgar: „Bitte lass dich noch einmal durchchecken, ja? Auch wenn ich mir sicher bin, dass das Ganze nicht körperlich ist.“ Er sah sie an und nickte. Victoria drehte sich um und wollte aus der Tür, da rief Ansgar ihr etwas hinterher. „Victoria?“ sie drehte sich wieder um. „Kannst du bitte irgendeine Ausrede für mich erfinden, warum ich rausgerannt bin? Sag dass ich etwa Falsches gegessen habe oder so?“ „Mach dir keine Sorgen, ich lass mir etwas einfallen“, meinte sie. „Danke“, sagte er leise. „Und danke für…für deine Hilfe..“ murmelte er dann noch leise. Victoria hörte es dennoch.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 08.08.2012, 10:14 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 12: Einen an der Klatsche?

„So, ich werde als erstes eine Sonographie durchführen“, erklärte die Ärztin Ansgar. Dieser sah sie verständnis los an. „Ultraschall. Damit meine ich einen Ultraschall. Da können wir ihr Herz ganz genau mit anschauen. Ich kann die Dicke der Herzwände bestimmen und schauen ob das Organ einwandfrei arbeitet.“ Ansgar nickte. Er lag mit freiem Oberkörper auf der Pritsche bei Dr. Meinhardt in der kardiologischen Gemeinschaftspraxis Meinhard und Frenzel. Ihm war das alles nicht ganz geheuer. Frau dr. Meinhardt liess etwas Ultraschallgel auf Ansgars Brustkorb gleiten und fuhr dann mit dem Kopf des Sonographiegerätes über seine Haut, drückte an einigen Stellen etwas fester zu. „Hier sehen sie ihr Herz, Herr von Lahnstein.", informierte sie Ansgar. Dieser schaute nicht hin. Er wollte sein Herz nicht begutachten, er wollte lediglich hören ob es in Ordnung war. Die Ärztin erklärte ihm einige Dinge, die er jedoch sofort wieder vergass. „Alles was mich interessiert ist, ob damit alles in Ordnung ist", fuhr er ihr ins Wort. Die Ärztin sah ihn milde an. „Ich erklär´s ihnen ja grade, Herr von Lahnstein. Mit ihrem Herzen ist soweit alles in Ordnung. Es sieht altersentsprechenend aus und hat eine gute Pumpleistung.“ „Was heisst altersentsprechend?“ wollte Ansgar wissen. Er hasste es wenn man auf sein Alter anspielte. „Nun, das Herz eines Zwanzigjähren sieht anders aus als das Herz eines..." Dr. Meinhardt sah auf das Geburtstdatum von Ansgar und schaute dann wieder auf. „...eines Vierzigjährigen, das ist ganz normal.“ Ansgar verdrehte die Augen. „Bin ich gesund oder nicht?“ bohrte er. „Ja, sie können ganz beruhigt sein. Außer einem inkomplette Rechtschenkelblock kann ich bei ihnen nichts feststellen.“ „Inkompletter was?“ Ansgar riss die Augen auf. „Inkompletter Rechtschenkelblock, aber keine Sorge, Herr von Lahnstein, das ist eine kleine Abnormalie des Herzens, die so ungefähr jeder Achte hat.“ Ansgar war überhaupt nicht beruhigt. Erst sagte die Ärztin, dass alles in Ordnung war, und nun kam sie ihm mit Abnormalien. „Bei dem inkompletten Rechtschenkelblock sie die Zacken des EKGs leicht verändert. Es gibt eine Gruppe von Ausschlägen, die beim inkompletten Rechtschenkelblock verändert ist, das ist der QRS-Komplex. Wenn die Dauer des QRS-Komplexes mehr als 110ms beträgt sprechen wir von einem inkompletten Rechtschenkelblock. Im Prinzip müssen sie sich das so vorstellen, dass ihr Herz zehn Milisekunde zu langsam in eimem Streckenabschnitt ist. Das ist aber definitiv nichts Schlimmes, und daher haben sie auch nicht ihre Tachycardie her. Das hat mit Sicherheit andere Ursachen.“

Ansgar war jetzt total verwirrt. „Ihr Herz ist absolut in Ordnung. Der inkomplette Rechtschenkelblock hat keinerlei Krankheitswert und darf sie nicht irritierten. Ich bin mir sehr sicher, dass sie einfach die letzte Zeit zuviel Aufregung hatten. Rauchen sie?“, fragte sie. Ansgar nickte. „Zigarren.“ gab er zu. „Lassen sie die weg. Und meiden sie Kaffee. Trinken sie lieber koffeeinfreien. Herr von Lahnstein, ihre Beschwerden sind nicht pysischer natur sondern psychischer.“ Frau dr. Meinhardt setzte ihre Brille auf und Ansgar fühlte sich noch kleiner, noch verlorener als vorher schon auf der Pritsche mit entblösstem Oberkörper vor der Ärztin. Da war es: das böse Wort: Psyche. „Mit andern Worten, ich habe einen an der Klatsche?“ gab Ansgar zurück. „Das haben sie gesagt“, sagte die Ärztin belustigt. „Sie glauben gar nicht wie viele Menschen – auch Männer – ich in meiner Praxis tagtäglich habe, die organisch kerngesund sind aber die mit Herzrythmusstörungen zu mir kommen. Meistens sind das einfach nur Panikattacken.“ Panikattacken! wieder das wort mt P. Genau wie Victoria es ihm gesag hatte. Ansgar wusste nicht was er schlimmer fand. Wenn man etwas bei ihm gefunden hätte oder das ihm diagnostiziert wurde er hätte psychische Probleme. Er hörte nur noch mit halben Ohr hin wie Dr. Marquardt ihn aufklärte über Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen und Autogenem Training. Er wollte so schnell wie möglich die Praxis verlassen und nie wieder kommen.

Als er nach schier endlosen vierzig Minuten – in denen man „nur zur Sicherheit“ noch ein Belastungs - EKG geschrieben hatte, bei dem er wie ein Volldepp oben ohne vor den Arzthelferinnen verkabelt wie eine Autobombe und mit Blutdruckmanschette in die Pedalen treten musste bis er nach zehn Minuten nicht mehr konnte – aus der Praxis stolperte, hatte er den Entschluss gefasst, lieber sterben zu wollen als sich noch einmal das Gequatsche von der Psyche anzuhören. Noch im Treppenhaus entnahm er eine Zigarre aus der Box und steckte sie sich an. Er würde von nun an nie wieder zum Arzt gehen.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Never forget
BeitragVerfasst: 10.08.2012, 18:41 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: 15.12.2011, 19:46
Beiträge: 2742
Kapitel 13: Catch a glimpse
ist ein wenig lang, aber ich wollte es nicht splitten

Ansgar war richtig ärgerlich. Panikattacken! Er hatte doch keine Panikattacken. Die Ärze waren nur zu blöd irgendetwas Gescheites zu finden. Er sollte vielleicht doch zur Sicherheit noch eine zweite Meinung einholen…. Ach was, schalt er sich selbst, er würde eine Weile auf Zigarren verzichten und Kaffee, vielleicht würde sich das Ganze dann von selbst erledigen. Der Notarzt hatte ja auch gesagt, es käme wohl einfach nur vom Stress, und den hatte er ja nun zu genüge. Doch ein klein wenig Zweifel blieb bei ihm doch haften, denn Victoria hatte etwas Ähnliches gesagt, und die hatte immerhin einige Semester Psychologie studiert. Es gab die Möglichkeit sich Victoria anzuvertrauen. Es wäre ihm sonst auf Anhieb kein Mensch eingefallen, dem er wirklich vertraute, aber Victoria vertraute er auf eine gewisse Art.

Als Ansgar am nächsten Morgen ins Büro kam, war er ungewohnt schweigsam. Als Victoria ihm einen Kaffee bringen wollte, wehrte er ab. „Äh, nein, keinen Kaffee, bring mir lieber einen Tee, oder… haben wir koffeeinfreien Kaffee?“, fragte er. Victoria sah ihn erstaunt an. „Du willst allen Ernstes koffeeinfreien Kaffee trinken?“ fragte sie und lachte amüsiert. „Was ist daran auszusetzten?“, gab er missmutig zurück. Victoria merkte, dass mit Ansgar nicht gut Kirschen essen war und sagte schnell: „Nichts, ich wunder´ mich nur. Aber okay, ich werde dir einen koffeeinfreien Kaffee machen.“ Und damit war sie aus seinem Büro verschwunden.

Ansgar murmelte etwas vor sich hin und machte sie dann an die Arbeit, aber er konnte sich nicht wirklich konzentrieren. Er horchte ständig in sich hinein, ob sein Herz wie gewohnt seine Arbeit tat, oder ob es wieder Aussetzer hatte oder zu schnell schlug. Das machte ihn noch wahnsinnig. Früher hatte er sich einen Dreck um seinen Puls geschert, er wusste nicht einmal wie schnell der zu sein hatte, und nun hatte er am gestrigen Abend Stunden im Internet zugebracht, sich über Rechts- und Linksschenkelblöcke, systolischen sowie dyastolischen Blutdruck, Herzfrequenzen und – ganz am Ende – verstohlen über Panikattacken informiert. Zu seinem großen Erschrecken stimmten diese Symptome komplett mit denen die er hatte überein. Anscheinend war das Ganze tatsächlich psychisch. Ansgar war total entsetzt. Er hatte doch keinen an der Klatsche. Und er hatte auch keine Ängste. Aber woher zum Teufel kamen dann dieses Attacken? Er konnte nicht weiter überlegen, denn Victoria kam mit dem Kaffee um die Ecke. Sie stellte den Kaffee vor ihm ab. „Ich habe dir gleich eine ganze Kanne gemacht“, sagte sie. „Danke“, murmelte Ansgar. Ehe Victoria aus Ansgars Büro gehen wollte, drehte sie sich noch einmal um. „Bis du noch einmal beim Arzt gewesen?“ wollte sie wissen. Ansgar zögerte. Doch dann beschloss er, sich wenigstens einer Person anzuvertrauen. „Ja, war ich", gab er noch etwas einsilbig zurück. „Und? Was haben sie gesagt?“ Irrte er sich, oder schwang in Victorias Stimme ein wenig Besorgnis mit? „Dass ich zuviel Stress habe“, sagte er etwas lapidar. Victoria sah ihn etwas zweifelnd an. „Sonst nichts?“ wollte sie wissen. Ansgar sah seine Assistentin etwas zu lange an. „Der Arzt hat doch bestimmt noch mehr gesagt“, bohrte sie weiter. „Es war eine Ärztin“, lenkte Ansgar nicht sehr gekonnt ab. „Ansgar! Was hat sie gesagt?“ Victorias Stimme klang vehement, und ihr fiel im gleichen Augenblick wieder ihr Hörspiel ein, und dass sie etwas zu dominant Ansgar gegenüber war. „Entschuldige, du musst mir natürlich nichts erzählen,“ beschwichtigte sie ihn dann. „Doch. will ich ja. Also, sie hat das Gleiche gesagt wie du“, gab er dann kleinlaut zu. Victoria sog hörbar die Luft ein. „Ups“, sagte sie nur. „Ja, ups, mit anderen Worten, bei mir stimmt gewaltig was nicht im Oberstübchen", brummelte er missmutig. Victoria legte Ansgar eine Hand auf den Arm. „Du glaubst nicht, wieviele Leute das haben, gerade oft welche, die enorm viel Verantwortung tragen. Der unglaubliche Stress führt oft zu – solchen Problemen.“ „Und was genau sind deiner Meinung nach „solche Probleme“? wollte er wissen. „Naja, eben diese Symptome, wie du sie gestern hattest. Herzrasen, Schweissausbrüche, Zittern, und und und.“ „Was kann ich deiner Meinung nach dagegen tun?“, fragte Ansgar, „du bist doch hier die verkappte Psychologin, nicht ich.“ Victoria zögerte. „Wenn ich dir sage, dass du dich einem Facharzt anvertrauen könntest, so würdest du mich eh mit der Zeitung verdreschen, darum biete ich dir an, dass du mit mir reden kannst. Natürlich nur, wenn du willst. Ich habe zwar nur einige Semester studiert, und es ist lange her, aber ich habe mich inmer für diese Materie interessiert, und es ist besser als gar nichts zu tun, oder?“

Ansgar überlegte. „Ansgar, ich kann verstehen, wenn du verwirrt bist, ich selbst habe ja auch schon Panikattacken gehabt nach der Geburt von Kim. Ich weiss, wie man sich fühlt, aber man kann das ganz gut in den Griff bekommen.“ „Wie stellst du dir das vor? Willst du, dass ich mich bei dir zu Hause auf die Couch lege?“, gab Ansgar etwas süffisanter als beabsichtigt zurück. Victoria lachte und hob die Augenbrauen. „Nein, ich wollte dir nur anbieten, dass ich ein offenes Ohr für dich habe. Wann immer du mit jemandem reden möchtest, hör ich dir zu.“ „Das wird dein Mann nicht besonders gut finden“, gab Ansgar zu bedenken. „Er vertraut mir. Und das kann er auch." war das einzige, was Victoria hierrauf antwortete. Ansgar nickte. „Danke. Ich werde drauf zurückkommen“, sagte er, und dann war das Thema für ihn erstmals abgehakt.

Die nächsten Tage ging es Ansgar ziemlich gut. Es war als würden die Beschwerden wie weggewischt und als hätte es sie nie gegeben. Ansgar ging wieder wie gewohnt seinem Lebensstil nach, rauchte nach Herzenslust seine Zigarren und trank seinen Bourbon dazu. Er achtete jedoch darauf, dass er sich ein wenig mehr Zeit für sich nahm, machte dann und wann mal eher Feierabend und liess es sich gutgehen.

Das Verhältnis zu Victoria war mitlerweile ein sehr Gutes geworden. Durch den Umstand, dass sie die Einzige war, die von seinen Attacken wusste, fühlte er sich ihr auf eine Art verbunden, und das schien Victoria auch so zu gehen. Sie arbeiteten gern zusammen, verstanden sich auf der Ebene „Chef - Angestellte“ sehr gut. Das Verhältnis ging sogar noch ein wenig darüber hinaus.

Eine Woche nachdem Vorfall im Waschraum ging Ansgar abends ins Schneiders, um noch einen Absacker zu nehmen. Er saß am Tresen und widmete sich hingebungsvoll seinem Whiskey und beobachtete die Leute um ihn herum. In der Ecke sass ein offenbar sehr verliebtes Pärchen, das sich dauernd küsste und miteinander schäkerte. Ansgar verzog dezent angewidert das Gesicht. Neid mischte sich mit Abneigung. Ansgar war kein Mann, der – selbst wenn er mit einer Frau zusammenwar – so offenkundig seine Beziehung zur Schau stellte, aber tief in seinem Inneren gab es auch den kleinen Stachel, der sich fester und fester in sein Fleisch bohrte. Der Rest der Personen im Schneiders waren scheinbar Geschäftsleute, die nach einem Abschluss noch etwas zusammen assen oder tranken.

„Ist der Platz neben ihnen noch frei?“, wurde Ansgar aus seinen Gedanken gerissen. Er sah auf und bemerkte dann die kleine, zierliche Frau, die ihn fragend ansah. „Äh, ja, der ist noch frei“, sagte er etwas verwundert. Die Frau zog den Barhocker zu sich heran und liess sich drauffallen. Ansgar sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie war schlank und hatte kurze blonde Haare, die hinten im Nacken ein wenig länger waren. Trotzdem sie sehr schlank war fiel Ansgar sofort auf, dass sie an den „richtigen Stellen“ gut gebaut war, sie hatte eine relativ große Oberweite und betonte diese noch durch einen großzügigen Ausschnitt. Fast lautlos pfiff Ansgar durch die Zähne. Sie schien es nicht zu bemerken, denn sie orderte sich gerade einen Whiskey. Als sie das Gewünschte bekam, drehte sie sich zu Ansgar um und hielt ihm ihr Glas entgegen. „Cheers“, sagte sie einfach. Ansgar sah sie überrascht an, sie schien alles andere als schüchtern zu sein. Ansgar hob sein Glas ebenfalls und liess es mit dem der Blondine zusammenstossen. Sie lächelte ihn interessiert an. „Sind sie öfter hier?“, wollte sie wissen. „Warum interessiert sie das?“, beantwortete Ansgar die Frage mit einer Gegenfrage. „Na, sie wissen schon wie das ist, mit irgendwas muss ich ja anfangen, oder?“, lachte sie und sah ihn direkt an. Ansgar blickte kurz in ihre Augen und war sofort fasziniert von ihnen. Sie funkelten in einem leuchtendem Grün, und sahen ihn unverwandt an. Etwas irritiert von soviel offenkundigem Interesse blickte Ansgar kurz auf seine Fingernägel ehe er erwiderte: „Ich bin öfter hier, es ist sozusagen mein Stammrestaurant.“ Sie nickte. „Okay, dann weiss ich ja wo ich sie antreffen kann wenn ich sie suche“, gab sie direkt zurück. Ansgar blickte sie mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Interesse an. Es war lange her, dass ihn eine Frau angesprochen hatte. „Entschuldigen Sie, ich habe mich noch gar nicht vorstellt. Mein Name ist Amber. Amber Richardson.“ sagte sie und reichte ihm ihre Hand. Ansgar blickte auf die ihm entgegengestreckte Hand, dann nahm er sie entgegen. Er spürte wie zart und schmal ihre Hand war, und irgendetwas in ihm sagte ihm, dass diese Frau verdammt interessant war. Diese zierliche kleine Erscheinung passt so gar nicht zu ihrem Wesen, und das faszinierte ihn. „Interessante Name. Ich nehme an, sie sind nicht von hier?“ gab Ansgar zurück. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich konme gebürtig aus den Staaten, aber wir sind schon als ich ein Kind war nach Deutschland gezogen. Jetzt weiss ich aber immer noch nicht wer Sie sind", sagte Amber. Gerade als Ansgar seinen Namen nennen wollte, und bei „Ansgar“ stehen geblieben war, kam Kellner Luca auf ihn zu. „Graf von Lahnstein, möchten sie noch einen Bourbon?“ fragte er ihn. „Äh, ja gerne, oder nein, machen sie bitte zwei“, sagte er mit einem Blick auf Amber. Diese hob die Augenbrauen und sah Ansgar sehr intensiv an. „Graf Lahnstein, so so“, meinte sie. Der Blick in ihre grünen Augen machte Ansgar ganz wuschig. Diese Frau hatte etwas total Faszinierendes an sich. Etwas in ihm hatte Feuer gefangen.

_________________
Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 119 Beiträge ]  Gehe zu Seite 1, 2, 3, 4, 5 ... 9  Nächste

Alle Zeiten sind UTC


Wer ist online?

0 Mitglieder


Ähnliche Beiträge

Carol & Therese "Myosotis (Forget-me-not)" - fanfic deutsch
Forum: Vollendete Fanfictions
Autor: kimlegaspi
Antworten: 17
Carol & Therese "Myosotis (Forget-me-not)" - fanfic english
Forum: Fanfiction (not only VL)
Autor: kimlegaspi
Antworten: 9
Carol & Therese "Myosotis (Forget-me-not)" - fanfic english
Forum: Carol & Therese fanfiction
Autor: kimlegaspi
Antworten: 9
Carol & Therese "Myosotis (Forget-me-not)" - fanfic deutsch
Forum: Carol & Therese fanfiction
Autor: kimlegaspi
Antworten: 17

Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron
Powered by phpBB® Forum Software © phpBB Group



Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Liebe, NES, TV, USA, Erde

Impressum | Datenschutz