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 Betreff des Beitrags: Ambrosia (Canna FF)
BeitragVerfasst: 08.04.2011, 21:18 
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Ambrosia



Disclaimer:

Aufgrund des aktuellen Mangels an Carla & Hanna Fanfic habe ich mich selbst ans Werk gemacht. Wo aber ansetzen bei einer Geschichte, die so perfekt erzählt ist und ein unwiderrufliches Ende hatte? Da hilft nur ein billiger Trick, der außerdem auch noch ziemlich abgelutscht ist, aber es geht nicht anders, und bei Soaps ist ja zum Glück nichts unmöglich und längst Ausgelutschtes eh an der Tagesordnung. Noch eine Warnung an die zahlreichen Starla-Fans hier: Stella ist wunderbar und selbstverständlich mit von der Partie, aber dies ist eine Canna-Fanfic, und insofern hoffe ich, dass ihr keinen Anstoß daran nehmt bzw. diese Geschichte großräumig umschifft, wenn sie nicht gefällt :). Achso, und noch was: Leider kann ich nicht so stringent und zügig schreiben wie die meisten hier. Ich neige zur Läääääänge…. Und ganz wichtig: Die Figuren gehören nicht mir sondern (leider) Grundy UFA. Es ist keinerlei Urheberrechtsverletzung beabsichtig, sondern alles just for fun.



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Cover: vannyheart (1000 Dank!)



Kapitel 1:


„Siehe! Die Rituale der alten Zeit sind schwarz. Die schlechten sollen verworfen werden, die guten sollen gereinigt sein durch den Propheten! Dann wird dieses Wissen das rechte werden…“ Der junge Redner senkte sein Buch und hielt inne. „Hört ihr das?“

„Was ist los, Finn? Komm schon, mach weiter!“ Seine beiden Begleiter zupften ungeduldig an ihren schwarzen Kutten. „Wir haben nicht ewig Zeit.“

„Habt ihr das nicht gehört?“

„Was denn?“

„Eine Stimme.“

„Quatsch. Es ist mitten in der Nacht. Nun mach schon.“

Finn nickte und hielt sein Buch wieder näher an die drei Kerzen, die er auf dem Grabstein platziert hatte. „Ich bin das Feuer, das in einem jeden Menschenherzen brennt, und im Kern eines jeden Sterns. Ich bin das Leben und der Geber des Lebens, doch darum ist das Wissen um mich das Wissen um den Tod. Ich bin der Magier und…“

„Was ist denn nun schon wieder!“, stöhnte sein Begleiter. „So wird das nichts.“

Finn klappte das Buch zu. „Hörst du das nicht, Thomas? Ich schwöre dir, hier ist jemand!“

Thomas senkte seine Stimme. „Das sind die Stimmen der Toten. Wir sind schließlich auf einem Friedhof…“

„Nein, Finn hat recht“, wurde er von dem dritten im Bunde unterbrochen. „Jetzt habe ich es auch gehört.“

Tatsächlich war aus der Ferne ein Geräusch zu hören. War es ein Rufen? Ein Wimmern? „Nichts wie weg hier!“, flüsterte Thomas. „Lass uns die Sachen einpacken, wir kommen morgen nochmal wieder.“

„Und wenn jemand verletzt ist?“

„Was geht uns das an.“

„Ich will erst wissen, was los ist.“ Finn blies die Kerzen aus und lauschte in die Dunkelheit. Ein klopfendes, dumpfes Geräusch war zu hören. „Thomas, du gehst nach rechts, Martin nach links, und ich schaue mich hier um.“

„Na gut“, flüsterte Thomas. „Vielleicht sollten wir wirklich nachschauen. Wenn uns tatsächlich jemand gesehen hat, sind wir geliefert. Am besten…“ Er hielt inne, als das Klopfen lauter wurde.

„Ich glaub, es hackt“, raunte Martin. „Das kommt nicht von links oder rechts. Das ist unter uns.“

Finn leuchtete mit der Taschenlampe über die Gräber. „Ich bin gleich zurück.“

Wenige Minuten später kam er mit einer Schaufel wieder. „Ich habe sie neben einem Komposthaufen gefunden“, erklärte er.

„Du willst doch jetzt nicht graben?“, fragte Martin entsetzt.

„Doch, genau das will ich.“

„Bist du des Wahnsinns!“ Thomas zerrte ihn am Arm. „Wenn jemand kommt…“

„Das ist mir egal.“ Finn stieß die Schaufel in die Erde. „Ich will jetzt wissen, was das ist.“

„So eine Scheiße!“ Thomas packte die auf dem Boden ausgebreiteten Utensilien in seine Tasche zurück. „Ich habe keine Lust auf Gerippe und auf die Bullen noch viel weniger.“

„Die Beerdigung kann noch nicht lange her sein“, keuchte Finn und warf einen Haufen Erde nach dem anderen neben sich. „Hier liegen noch überall Kränze herum. Nun helft mir doch mal und räumt die Gestecke zur Seite!“

Martin machte sich daran, die Kränze neben das Beet zu werfen. „Verflucht!“ Er machte einen Sprung zur Seite, als der Grabstein durch die nachgebende Erde mit einem dumpfen Schlag vornüber auf das Beet fiel.

„Na toll!“, fluchte Finn und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Packt mal mit an, dass wir den Stein neben das Beet bekommen.“ Mit vereinten Kräften schoben sie den Stein auf den kleinen Weg neben dem Grab. „Hat einer von euch vorher lesen können, wer hier liegen soll?“

Martin zuckte die Achseln. „Habe ich nicht drauf geachtet.“ Er hob eines der Gestecke von der Erde auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe darauf. „Nina Ryan“, murmelte er.

„Ist das die Tote?“

„Nein, aber das Gesteck scheint von ihr zu sein.“

„Sehr hilfreich“, spottete Thomas. „Da liegt eh nur ‘ne alte Schachtel drin, die noch ein bisschen zuckt.“

Doch tatsächlich wurde das Wimmern lauter, je tiefer Finn grub. Mit Fiebereifer schaufelte er die dunkle Erde zur Seite, bis er endlich am Deckel des Sarges angelangt war. Zu dritt stemmten sie ihn auf und öffneten den Sarkophag.

„Das ist ja eine junge Frau!“ Martin starrte mit großen Augen in das Grab. „Atmet die noch?“

„Krass.“ Thomas beugte sich zu der Frau. „Und was machen wir jetzt mit der?“

Finn war schon dabei, den Körper aus dem Sarg zu heben. „Sie braucht dringend einen Arzt.“

„Bist du völlig bescheuert?“, protestierte Thomas. „Dann haben wir morgen die Bullen am Hals!“

„Dann nehme ich sie eben mit nach Hause, und wir kümmern uns dort um sie.“

„Super Plan.“ Thomas griff nach seiner Tasche. „Und was erzählst du deinem Mitbewohner?“

„Bis Sven aus Frankfurt zurückkommt, wird sie längst aus dem Haus sein. Hast du etwa eine bessere Idee?“ Finn lehnte sich zu dem Ohr der jungen Frau. „Haben Sie keine Angst. Wir bringen Sie jetzt zu mir.“ Sie zeigte keine Reaktion, so dass er nicht wusste, ob sie ihn verstanden hatte, doch ihr leises Stöhnen bewies, dass sie am Leben war.


* * *


Finn schreckte aus dem Schlaf hoch, als er das Klingeln des Telefons vernahm. Welcher Idiot rief ihn um diese Zeit an? Der Wecker an seinem Nachtisch verriet, dass es kurz nach acht Uhr sein musste. Schlaftrunken griff er nach dem Hörer. „Hallo?“

„Ich bin’s, Thomas.“

„Um diese Uhrzeit? Das kenne ich ja gar nicht von dir.“ Finn richtete sich im Bett auf. „Was gibt es denn so Wichtiges?“

„Wie geht’s der Kleinen?“

„Sie liegt in Svens Zimmer und schläft. Ich habe ihr was zu trinken eingeflößt, weil sie mir völlig dehydriert schien. Ich glaube, das hat ihr gut getan.“

„Was willst du mit ihr machen?“

„Was schon? Sie ein bisschen zu Kräften kommen lassen, und dann muss sie weg.“

„Wann kommt Sven zurück?“

„In drei Tagen.“

„Dann bleibt dir hoffentlich genug Zeit zum Aufpäppeln.“

„Sagst du dem Engerland, dass ich die Hegel-Klausur nicht schreiben kann, weil ich krank bin?“

„Kann ich machen. Du darfst sicher am Ende des Semesters nachschreiben. Übrigens…“ Thomas räusperte sich. „Erzähl der Frau bloß nicht deinen richtigen Namen und schraub das Klingelschild ab.“

„Klar, habe ich längst erledigt. Alle Spuren sind beseitigt. Ich habe sie auch abgeschminkt und alles.“

„Du musst irgendwie verhindern, dass sie zu einem Arzt oder zur Polizei geht.“

„Leichter gesagt als getan.“ Finn runzelte die Stirn. „Wie soll ich das machen?“

„Erzähl ihr irgendeine Story, dass sie in einen Unfall verwickelt war. Mach ihr ein schlechtes Gewissen.“

„Und wenn sie sich an uns erinnert?“

„Das halte ich für unwahrscheinlich. Die war doch kaum bei Bewusstsein. Versuch mal, vorsichtig rauszukriegen, was sie weiß. Und dann tischt du ihr irgendeine Geschichte auf.“

„Mir fällt schon was ein.“ Finn warf erneut einen Blick auf die Uhr. „Ich sehe mal nach, ob sie inzwischen wach ist.“

Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, zog er sich leise an. Wenn er im Pyjama bei ihr auftauchte, würde sie das sicher noch mehr erschrecken. Die Türklinge quietsche vernehmlich, als er die Tür zu Svens Zimmer aufmachte. Die Frau lag noch immer so da, wie Finn sie gebettet hatte, aber ihre Augen waren nun offen. Sie sahen ihm matt entgegen, als er auf ihr Bett zuging. Jetzt, da er sie zum ersten Mal bei Licht betrachtete, konnte er sehen, dass sie etwa um die dreißig sein musste.

„Möchten Sie etwas essen?“, fragte er, als er auf sie zuging. Die Frau schüttelte den Kopf. „Etwas trinken?“ Ja, sie nickte. „Dann bin ich gleich wieder zurück.“

Finn sah sich in seiner WG-Küche um. Was konnte jemand trinken, der gerade von den Toten auferstanden war? Er entschied sich für Kamillentee und kochte gleich eine ganze Kanne davon.

Gegen zehn Uhr hatte die Frau alles ausgetrunken und fühlte sich offenbar besser. „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt“, sagte er, als er ihr eine zweite Kanne Tee brachte. „Mein Name ist Enno.“ Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante, um ihren Arm beim Trinken zu stützen. „Erinnern Sie sich, was geschehen ist?“

„Nein.“ Die Stimme der Frau war rau, und sie fing sofort an zu husten, nachdem sie zu sprechen versucht hatte.

Finn stellte die Tasse ab und stützte ihren Oberkörper. Das war perfekt. Seine Patientin hatte keine Erinnerung an die Nacht. „Ich habe Sie in einem Waldstück gefunden“, erklärte er ihr. „Sie hatten keinerlei äußere Verletzungen, aber Sie müssen mehrere Tage dort gelegen haben. Deswegen habe ich Sie mitgenommen.“ Die Frau starrte unverwandt auf ihre Bettdecke. Offenbar fiel es ihr schwer, seinen Ausführungen zu folgen. „Sie befinden sich also in meiner Wohnung“, fuhr er fort. „Verraten Sie mir auch Ihren Namen?“

„Ich…“ Zum ersten Mal hob sie den Kopf, um ihn anzusehen. „Er fällt mir gerade nicht ein“, murmelte sie und begann sofort, wieder zu husten.

Finn klopfte ihr auf den Rücken und war froh, dass er so seinen Triumph verbergen konnte. Die Frau schien tatsächlich nicht zu wissen, wer sie war. Ob sie dauerhafte Hirnschädigungen davongetragen hatte oder ob es nur der Schock war, in jedem Fall machte das die Sache erheblich einfacher. „Sie sollten sich besser wieder ausruhen“, sagte er freundlich. „Wir reden später weiter.“

„Ich muss… zur Polizei…“

„Davon kann ich Ihnen nur abraten.“ Finn setzte eine betont besorgte Miene auf. „Ich habe eine Waffe in Ihrer Hand gefunden. Man kann nicht ausschließen, dass Sie in ein Verbrechen verwickelt waren.“

„Eine… Waffe?“ Sie sah ihn entgeistert an. „Sie meinen… ich habe vielleicht jemandem… etwas getan?“

„Was immer dort geschehen ist, ich rate Ihnen zu warten, bis Ihre Erinnerung zurückkommt. Dann können Sie immer noch zur Polizei gehen.“ Finn tätschelte ihre Hand. „Wie soll ich Sie nennen, solange es Ihnen noch nicht wieder eingefallen ist?“

Die junge Frau senkte ihren Blick. Sie schien angestrengt nachzudenken. „Isabelle klingt gut“, sagte sie nach einer Weile.

„In Ordnung, Isabelle. Dann ruhen Sie sich mal weiter aus. Wenn Sie genug getrunken haben, versuchen wir es heute Nachmittag mit ein paar Löffeln Suppe.“

„Würden Sie die Tür bitte auflassen, Enno?“

„Natürlich. Was immer Sie wünschen.“



* * *



Ansgar von Lahnstein legte ungewohnt heftig den Hörer zurück auf die Gabel und griff nach seiner Zigarre, die er während des Telefonats vernachlässigt hatte.

„Ärger?“ Tanja trat zu ihm an den Schreibtisch.

„Soweit würde ich nicht gehen.“ Er paffte ein paar oberflächliche Züge. „Eher eine Unbequemlichkeit.“

„Was ist passiert? Ein unzuverlässiger Kunde?“

„Nein, ein Friedhofsgärtner. Er hat mir gerade von einem Verdacht auf Grabschänderei berichtet.“

„Wieso ruft der Mann dich an?“ Tanja stellte sich hinter Ansgar, um seine Schultern zu massieren.

„Weil wir einen Teil des Friedhofs gestiftet haben. Es handelt sich übrigens um das Grab von Hanna Novak. Der Leichnam ist verschwunden.“

„Was?“ Tanja hielt in ihrer Massage inne. „Dass die Kleine selbst nach ihrem Tod noch Ärger macht… Meinst du, die Dosierung war zu schwach?“

„Ach was.“ Ansgar wehrte ihre Hände ab. „Nur zwei Tabletten davon hätten einen Elefanten in die Knie gezwungen. Und sie musste jeden Abend drei nehmen.“

„Und wenn sie nun statt der üblichen Dosis an diesem Abend nur eine genommen hat?“

„Wäre sie sonst gestorben?“, fragte Ansgar paffend. „Sei unbesorgt, meine Liebe. Schließlich hatte die Kleine weder Puls noch Herzschlag und ist ganz normal beerdigt worden. Selbst wenn ihr Herz wieder eingesetzt hätte – was übrigens einem Wunder gleichkäme – wird sie sich wohl kaum aus ihrem Sarg befreit haben. Wenn, dann haben da irgendwelche Jugendlichen Grabschändung betrieben. Wäre nicht das erste Mal auf diesem Friedhof…“

„Das will ich hoffen. Sonst, wäre es ein teurer Spaß gewesen. Was glaubst du, was der Arzt von mir dafür verlangt hat, die Tabletten zu vertauschen, ganz abgesehen von dem Pathologen, der Leonard erzählt hat, die kleine Novak wäre an einem Gerinnsel im Gehirn gestorben.“

„Hat er sie eigentlich aufgemacht?“

„Der Pathologe? Wozu? Er wusste ja, was er zu sagen hatte. Der Leichnam ist gleich in die Leichenhalle überführt worden.“ Tanja schritt ans Fenster und beobachtete, wie draußen der Graf mit seiner Cecile durch den Torbogen ritt. Dem Mann würde das Lachen auch noch vergehen. „Hast du den Gärtner davon abgehalten, die Polizei zu informieren?“, wandte sie sich wieder an Ansgar.

„Ach meine Liebe, dass du mich immer noch unterschätzt.“ Ansgar lächelte süffisant. "Selbstverständlich habe ich das. Ein kleines Sümmchen genügte, und der Mann hat absolutes Stillschweigen geschworen. Die Welt ist so bestechlich“, fügte er kopfschüttelnd hinzu. „Carla wird also nichts davon erfahren, und du siehst: wir haben sie genau da, wo wir sie haben wollen. Bei all der Trauer um ihre kleine Geliebte, kann sie sich gar nicht mehr auf das Geschäft konzentrieren.“ Er trat zu Tanja ans Fenster und gab ihr einen Zug von seiner Zigarre. „Zu dumm, dass man sich das in ihrer Position nicht lange leisten kann…“


* * *



Der CD-Player spielte keltische Choralgesänge, als Finn mit Isabelle in der Küche am Frühstückstisch saß. Der Tisch war reichlich gedeckt, denn es sollte ihre letzte Mahlzeit in seiner Wohnung sein. Sven hatte aus dem Zug eine SMS geschickt und seine Ankunft für 10:15 Uhr angekündigt, und es war höchste Zeit, dass Finns Patientin die Wohnung wieder verließ. Zu seiner Erleichterung hatte sie sich in den letzten drei Tagen erstaunlich gut regeneriert. Auch wenn sie körperlich noch schwach war, würde er sie nun ruhigen Gewissens gehen lassen können. Nur an ihrem Gedächtnisverlust hatte sich nichts verändert. Ihm sollte es recht sein, er hatte getan, was er konnte, und je länger sie hierblieb, umso größer wurde das Risiko, dass jemand von den Nächten am Friedhof erfuhr.

„Du magst es gern düster, was?“ Isabelle wies auf den CD-Player. „Bist du Gothic-Anhänger oder so was?“

„Wieso?“

„Naja, die Musik, all die schwarzen Sachen hier.“

„Ich stehe halt auf Nietzsche.“

„Studiert dein Mitbewohner auch Philosophie?“

„Ja, aber er ist zwei Semester unter mir. Übrigens kommt er in einer halben Stunde. Ich wäre dir dankbar, wenn du dann weg bist.“

Isabelle nickte und nagte geistesabwesend auf ihrem Brötchen herum. „Ich weiß gar nicht, wo ich hingehen soll. Vielleicht müsste ich doch erst einmal einen Arzt aufsuchen?“

„Damit sie dich gleich in die Klapse stecken?“, winkte Finn ab. „Dann wirst du nie herausfinden, was los ist. Die sperren dich doch sofort ein, und wer weiß, ob sie dich jemals wieder herauslassen. An deiner Stelle würde ich es auf eigene Faust versuchen.“

„Hast du wirklich überhaupt nichts gefunden im Wald? Keine Papiere? Keinen einzigen Anhaltspunkt?“

Die Verzweiflung in ihren Augen ließ ihn fast die Wahrheit herausplatzen. Aber er durfte jetzt nicht schwachwerden. „Ich habe einen Zettel in deiner Nähe gefunden“, sagte er schließlich. „Aber ich weiß nicht einmal, ob er etwas mit dir zu tun hatte.“

„Was für ein Zettel?“ Isabelle ließ gespannt ihr Brötchen sinken. „Was stand denn drauf? Lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!“

„Nina Ryan.“

„Nur ein Name? Mehr nicht?“

„Nein, das ist alles.“

„Nina Ryan…“ Isabelle zermarterte sich das Gehirn, ob sie diesen Namen schon irgendwo einmal gehört hatte, aber in ihrem Kopf war nur große Leere. Keine Menschen, keine Orte, nichts. „Würdest du mir helfen, den Namen zu recherchieren?“

Finn zögerte. „Ich weiß nicht… Sven wird jeden Moment kommen. Wie du weißt schätzt er es nicht, wenn ich Frauenbesuch habe…“

„Ich gehe ja gleich, aber bitte, Enno, nur fünf Minuten. Dieser Name ist das einzige, was ich habe“, bat sie ihn inständig. „Wer weiß, vielleicht bin ich sogar Nina Ryan.“

„Na gut.“ Finn stand seufzend vom Küchentisch auf und holte seinen Laptop hervor. „Ich kann ja mal nachschauen.“ Er tippte so schnell auf dem Keyboard herum, dass Isabelle Mühe hatte, seinen Fingern zu folgen.

„Und?“

„Also, das Telefonbuch kennt überhaupt keine Nina Ryan, in ganz Deutschland nicht. Und in Facebook gibt es zwei davon. Eine wohnt in den USA und ist Country-Sängerin – ich glaube, die können wir ausschließen – und eine wohnt in Griechenland.“

„Sonst nichts?“

„Nein.“ Finn klappte sein Laptop wieder zu. „Und übrigens hat die Nina in Griechenland gerade gestern noch gepostet. Es ist also ausgeschlossen, dass du das bist.“

„Stand da irgendwo eine Stadt?“

„Nein, aber die Frau scheint ein Restaurant zu besitzen, wenn ich das richtig verstanden habe. ‘Ninas Ambrosia‘, oder so ähnlich.“

Isabelle kritzelte die Information auf einen Papierschnipsel und steckte ihn in ihre Hosentasche. „Danke für alles“, sagte sie ernst. „Sicher hast du mir das Leben gerettet. Das werde ich dir nie vergessen.“

Finn nickte verlegen und hielt ihr einen alten Rucksack entgegen. „Sorry, dass es nur Männerkleidung ist. In deiner Größe habe ich leider nichts da.“

„Ich bin froh, dass du mir die Sachen überlässt.“ Isabelle drückte Finn an sich. „Mach’s gut, Enno. Ich hoffe, ich kann mich irgendwann revanchieren.“

„Warte noch.“ Finn kramte in seiner Jackentasche und holte ein altes Portemonnaie hervor. Er zückte einen 50 Euro Schein und hielt ihn ihr unter die Nase. „Hier. Mehr habe ich leider nicht flüssig.“

„Das kann ich nicht annehmen“, protestierte sie, aber er bestand darauf, dass sie das Geld einsteckte.

„Du wirst es brauchen“, sagte er, als er sie aus der Tür schob. „Viel Glück, Isabelle. Ich wünsche dir, dass du findest, was du suchst.“

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Zuletzt geändert von kimlegaspi am 24.12.2011, 09:39, insgesamt 7-mal geändert.

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Verfasst: 08.04.2011, 21:18 


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Kapitel 2:



Vier Tage lang wanderte Isabelle von Türklinke zu Türklinke, bis sie endlich eine Arbeit und eine bleibende Unterkunft gefunden hatte. Ein heruntergekommenes Hotel in Köln suchte ein Zimmermädchen und war bereit, sie einzustellen und ihr darüber hinaus noch ein Zimmer für Angestellte zu vermieten, auch wenn sie ihre Papiere, wie sie versicherte, noch nachreichen würde. Ihr Chef schien darauf keinen gesteigerten Wert zu legen. Er hörte gar nicht richtig hin, als sie eine weitschweifige Ausrede präsentierte. Sie sollte ihre Arbeit erledigen und damit basta. Alles andere interessierte ihn nicht.

Dazu war Isabelle mehr als bereit. Sie schuftete wie eine Verrückte, denn es half ihr, sich von ihren Grübeleien abzulenken. Jeden Tag hoffte sie, dass sich in ihrem Gehirn irgendeine Tür öffnen würde, und sei sie noch so winzig. Ein Gesicht, das ihr bekannt vorkam, oder ein Ort, der sich vertraut anfühlte. Aber nichts. Die Welt blieb ihr fremd und sie blieb sich fremd.

Zwar bemerkte sie, dass ihr einige Tätigkeiten leichter fielen als andere, doch der Grund dafür offenbarte sich ihr nicht. Sie fühlte sich wie ein Astronaut im Weltall, haltlos und weit weg von allem. Ob sie jemand vermisste? Ob sie jemandem was bedeutet? Ob sich jemand Sorgen machte? Wer mochten ihre Eltern sein? Wer ihre Freunde? Liebte sie jemanden?

Hatte sie einen Beruf? Suchte die Polizei nach ihr? Hatte sie die Waffe, von der Enno gesprochen hatte, je benutzt? Und wenn ja, wofür? Isabelles einziger Strohhalm war der Name auf dem Papierschnitzel in ihrer Tasche. Sobald sie genug Geld beisammen hatte, würde sie sich einen falschen Pass besorgen und nach Griechenland fliegen. In einem Internetcafé hatte sie schon nach dem Restaurant recherchiert. Offenbar gab es ein auf Kreta ein Lokal, das diesen Namen trug. Ob dieses irgendetwas mit der Nina Ryan zu tun hatte, die auf ihrem Papierschnipsel stand, und ob der Zettel im Wald überhaupt etwas mit ihrer Person zu tun hatte, war nach wie vor unklar. Aber Isabelle hatte nichts zu verlieren, und deswegen schuftete sie Tag für Tag in dem Hotel, bis sie endlich das Geld zusammen hatte, um sich einen gefälschten Pass zu besorgen. Die richtigen Leute für diese Gefälligkeit hatte sie über das Hotel leicht kennengelernt.

Am 27. März war es soweit, dass Isabelle um vier Uhr morgens eine Maschine der Olympic Airlines nach Kreta bestieg. Sie hatte all ihre Habseligkeiten bei sich, denn wer wusste schon, ob sie je wieder nach Deutschland zurückkehren würde. Viel Kleidung oder Besitz hatte sich noch nicht angesammelt, denn sie hatte jeden Cent gespart, um an den Pass zu kommen.

Isabelles Herz klopfte ihr bis zum Halse, als sie bei der Passkontrolle stand, aber die Mitarbeiter der Airline hatten nichts zu beanstanden. Der Flug selbst war eine Katastrophe. Sobald sich die Türen des Flugzeuges schlossen, stieg Panik in ihr hoch. Gewöhnlich vermied sie es in geschlossenen Räumen zu sein, und sie hatte nicht bedacht, dass sie jetzt fünf Stunden in diesem Kasten eingesperrt sein würde. Sie war schweißgebadet, als das Flugzeug endlich zur Landung ansetzte.

Der Flughafen von Heraklion platzte aus allen Nähten, aber auch hier gab es mit ihren Papieren keine Probleme, und schließlich stand Isabelle mit ihrem Papierschnipsel am Taxistand. „Could you drive me to this address, please?“ Sie hielt dem Taxifahrer das Papier unter die Nase.

Er nickte und winkte sie ins Auto. „Alles klar. Ninas Ambrosia“, sagte er in gebrochenem Deutsch. Offenbar war man hier auf deutsche Touristen eingestellt. „Kein Problem.“

Isabelle bezweifelte allerdings, dass der Mann wirklich wusste, wo er hinfuhr, denn nach einer halben Stunde Fahrt durch Berg und Tal war das Restaurant noch immer nicht in Sicht. „Do you know where the restaurant is?“, fragte sie zaghaft.

“Alles klar”, nickte er. „Kein Problem.“ Offenbar waren es die einzigen deutschen Worte, denen er mächtig war.

Isabelle lehnte sich seufzend in ihrem Sitz zurück. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn gewähren zu lassen.

Und tatsächlich blieb der Wagen nach einer weiteren Viertelstunde abrupt stehen. „Bitte.“ Der Fahrer hielt seine Hand auf, um sein Geld zu empfangen.

„Just a moment.“ Isabelle reckte ihren Kopf aus der offenen Windschutzscheibe. „Where’s the restaurant?“

Der Fahrer wies mit seinem Finger auf einen Gebirgspfad, der sich hinter dem letzten Haus der Straße emporwand. „No cars.“

Isabelle sah ihn zweifelnd an. Ein Restaurant, das nicht mit dem Auto zu erreichen war? In Deutschland wäre das nicht sehr geschäftstüchtig. Als der Mann ihren Blick bemerkte, rief er etwas auf Griechisch und gestikulierte dabei wild mit den Händen. Offenbar wollte er ihr klar machen, dass man von dort oben eine fantastische Aussicht hatte.

„Okay, okay.“ Isabelle drückte dem Fahrer sein Geld in die Hand. Sie stellte jedoch sicher, dass er ihr die Telefonnummer des Taxiunternehmens nannte für den Fall, dass dieser Pfad im Nichts landen würde.

Ihre Bedenken waren unbegründet, denn der Pfad erwies sich als nicht besonders lang, und sobald sie um eine Kurve herumgegangen war, konnte sie ein größeres Gebäude am Berghang erkennen. „Ninas Ambrosia“ stand in großen Lettern an der Wand. Der Fahrer hatte sie also nicht belogen. Isabelles Herz begann so laut zu klopfen, dass sie einen Moment stehen bleiben musste. Sie war tatsächlich angekommen. Vielleicht lagen hier die Antworten auf ihre Fragen.

Das Restaurant war von einer großen Terrasse umgeben, die in den frühen Morgenstunden noch menschenleer war. Wie vom Taxifahrer vorausgesagt, hatte man hier einen wunderhübschen Blick auf das Meer, doch Isabelle hatte im Augenblick keinen Sinn für schöne Panoramen. Mit weichen Knien überquerte sie die Terrasse und klingelte an einer schmalen blauen Haustür, die offenbar in die Privaträume der Besitzer führte.

Eine große schlanke Frau im Bademantel öffnete ihr die Tür und fragte sie etwas auf Griechisch.

„Verzeihen Sie bitte“, sagte Isabelle errötend. „Aber ich…“

„Oh, Sie sind Deutsche“, unterbrach die Frau sie lächelnd. „Was kann ich für Sie tun?“

Isabelles nahm all ihren Mut zusammen. „Sind Sie Nina Ryan?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Nein, mein Name ist Sander.“ Sie drehte sich um und rief ins Haus. „Nina? Kannst du mal kommen? Hier ist jemand für dich!“

Kurze Zeit später hörte Isabelle Schritte, und eine zweite Frau erschien an der Wohnungstür. Sie lächelte ihr freundlich zu, doch Isabelle sackte das Herz in die Hose, und sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass die Frau sie erkennen würde. Deren Miene ließ allerdings nicht darauf schließen. „Kann ich Ihnen helfen?“

Isabelle suchte nach Worten. Auf diesen Augenblick war sie nicht vorbereitet. Sie hatte so gehofft, dass Nina Ryan sie erkennen würde.

„Wollen Sie vielleicht erst einmal hereinkommen?“ Frau Sander war Isabelles Verwirrung nicht entgangen. „Wir hatten gestern ein großes Fest und machen uns gerade über die Reste her. Sie sind herzlich eingeladen, sich zu uns zu gesellen.“

Erst jetzt spürte Isabelle, dass sie großen Hunger hatte, und sie nahm die Einladung dankend an. Die beiden Frauen führten sie in das leere Restaurant. Frau Ryan brachte ihr sofort einen Teller und Besteck und führte sie an einen großen Tisch in der Mitte des Raumes, an dem die zauberhaftesten Speisen aufgebaut waren. „Das muss ja ein Fest gewesen sein“, murmelte Isabelle.

„Die Griechen verstehen was vom Feiern“, lächelte Frau Ryan und setzte sich ihr gegenüber. „Sie verzeihen, dass wir schon angefangen haben.“

„Selbstverständlich.“ Isabelle beobachtete verwirrt, wie Frau Sander Nina Ryan eine Strähne aus dem Gesicht strich. Die Geste wirkte ungewöhnlich vertraut.

Frau Sander wandte sie sich wieder Isabelle zu. „Nun erzählen Sie doch mal, was Sie hier machen und was wir für Sie tun können“, fragte sie Isabelle, während sie ihr eine Tasse Kaffee einschenkte.

„Sagen Sie…“ Isabelle nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Das klingt jetzt vielleicht etwas absurd, aber komme ich Ihnen irgendwie bekannt vor?“

Die beiden Frauen tauschten einen erstaunten Blick aus. „Sollte ich Sie denn kennen?“, fragte Frau Ryan.

Isabelle starrte auf den Tisch und schwieg. Was sollte sie darauf antworten? „Ich hatte es gehofft“, gestand sie schließlich. Eine dicke Träne tropfte auf ihren Teller. Ihre einzige Spur war eine Illusion gewesen.

„Hören Sie mal, meine Liebe.“ Frau Ryan stand auf, um sich neben sie zu setzen. „Ich weiß zwar nicht, was Sie durchgemacht haben, aber vielleicht verraten Sie uns erstmal Ihren Namen. Möglicherweise können wir ja doch irgendwie helfen.“ Sie legte ihren Arm um Isabelle und reichte ihr ein Taschentuch.

Die tröstende Berührung war zu viel für Isabelle. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr aufhalten und weinte und schluchzte, dass Frau Sander bald aufstehen musste, um eine neue Packung Taschentücher zu holen. Isabelle war ihr Ausbruch furchtbar unangenehm, aber sie konnte ihn nicht stoppen. Zu lange hatte sie ihre Verzweiflung für sich behalten.

Endlich wurden die Schluchzer weniger, und Isabelle kam wieder zu Atem. „Es tut mir so leid, dass ich Sie hier so überfalle“, entschuldigte sie sich bei den beiden Frauen. „Aber ich hatte so gehofft, dass Sie mir helfen können.“

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Frau Ryan tätschelte ihre Schulter. „Nun erzählen Sie doch mal.“

„Ich bin übrigens Erika.“ Frau Sander reichte Isabelle die Hand. „Wir können das alberne ‘Sie‘ doch mal weglassen.“

„Nina.“ Frau Ryan tat es ihrer Freundin nach. „Und du bist…“

„Isabelle“, stieß Isabelle hervor. „Glaube ich jedenfalls…“

Die beiden Frauen tauschten erneut Blicke aus. „Ich mache uns frischen Kaffee“, beschloss Erika. „Das klingt nach was Längerem.“

Es war das erste Mal, dass Isabelle mit jemandem über den Unfall sprach. Sie hatte keine Garantie für die Vertrauenswürdigkeit der beiden Frauen, aber sie beschloss, einfach ihrem Instinkt zu trauen. Und so erzählte sie von dem Unfall im Wald, von Enno, von dem Namen Nina Ryans, von ihrem Gedächtnisverlust und von dem gefälschten Pass. „Jeden Tag habe ich gehofft, dass die Erinnerung wieder kommen würde, und jeden Tag war ich aufs Neue enttäuscht. Irgendwann hört man auf zu hoffen, um sich vor der Enttäuschung zu schützen.“ Isabelle schnäuzte in ihr Taschentuch. „Aber man hört nie wirklich auf. Man lernt nur, sich besser etwas vorzumachen.“

„Das kann ich gut nachvollziehen.“ Nina nickte verständnisvoll. „Selbstverständlich werden wir versuchen, dir zu helfen, auch wenn es mir ein Rätsel ist, woher wir uns kennen könnten. Jedenfalls bleibst du erst einmal hier. Wer weiß, ob die deutsche Polizei dich sucht.“

Erika nickte zustimmend und küsste zärtlich Ninas Hand. Die Geste verursachte einen stechenden Schmerz in Isabelles Magengrube.

„Bist du in Ordnung, Isabelle?“ Nina sah sie besorgt an.

„Jaja, es geht schon.“ Isabelle schaute verwirrt zu Boden.

„Hast du ein Problem damit, dass wir ein Paar sind?“

„Nein, nein.“ Isabelle spürte, wie sie errötete. „Das ist schon okay. Ich bin froh, dass ich eine Zeit bei euch bleiben darf.“

„Na, dann wäre das ja geklärt…“ Nina machte sich daran, das Geschirr abzuräumen. „Wie wäre es, wenn wir heute Nachmittag eine erste Inseltour machen?“

Isabelle nickte eifrig. Ablenkung war jetzt genau das Richtige. Sie beeilte sich, Nina beim Abräumen des Tisches zu helfen, während Erika nach oben ging, um ein Bett für sie zu beziehen.

„Na, eines steht fest“, lachte Nina, als Isabelle sich vollbeladen auf den Weg in die Küche machte.

„Was denn?“

„Du hast definitiv mal gekellnert.“ Nina wies auf die vier Schüsseln und die drei Teller, die Isabelle kunstvoll über ihre Arme gestapelt hatte. „So räumt niemand Geschirr ab.“

Isabelle sah erstaunt an sich herunter. „Meinst du wirklich?“ Irgendwie gefiel ihr der Gedanke.

„Hundert Prozent“, nickte Nina, während sie das Geschirr in die Spülmaschine räumte. „Wenn du willst, kannst du mich im Restaurant unterstützen. Ich könnte gut etwas Hilfe gebrauchen.“

„Ehrlich?“ Isabelle wurde ganz aufgeregt. „Das würde ich sehr gern tun.“

„Großartig“, lächelte Nina. „Erika kann mir nämlich nur an den Wochenenden unter die Arme greifen. Sie arbeitet als Grafikerin unten in der Stadt.“

„Ich hoffe, ich werde euch nicht zu sehr zur Last fallen“, seufzte Isabelle. „Bitte sagt mir rechtzeitig Bescheid, wenn ich gehen soll.“

„Ach, papperlapapp“, wehrte Nina ab. „Jetzt zeigt dir Erika erstmal dein Zimmer, und danach treffen wir uns zu deiner ersten Wanderung auf Kreta.“

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Zuletzt geändert von kimlegaspi am 24.06.2011, 18:29, insgesamt 4-mal geändert.

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Kapitel 3:


„Ich bin in einer Besprechung, Seniora Sanchez. Richten Sie der Dame aus, dass ich sie zurückrufe.“

„Sie ruft aus Griechenland an, Frau von Lahnstein.“

„Von mir aus kann sie aus Timbuktu anrufen, Sie stellen bitte niemanden durch, wenn ich eine Besprechung habe, es sei denn, es geht um meine Tochter.“ Carla schüttelte ihren Kopf über das störrische Verhalten ihrer Sekretärin. Vielleicht war sie doch nicht so ein Glücksgriff gewesen, wie sie gehofft hatte. „Wo waren wir stehen geblieben, meine Herren?“, fragte sie in die Runde.

„Bei dem Karneval des Harlekins von Miró, Frau von Lahnstein.“

„Ganz recht, beim Karneval", nickte sie und setzte sich an den Konferenztisch zurück. Es war eine frustrierende Sitzung, in der es nicht vor und nicht zurückging. Im nächsten Jahr sollte hier in Barcelona eine riesige Miró-Ausstellung gezeigt werden, einschließlich seiner frühen Werke, doch die Versicherung wollte derart viel Geld für die Überführung der Bilder haben, dass man dem schon aus Prinzip nicht zustimmen konnte. Sie würde sich nicht zur Sklavin dieser Geier machen.

Auch nach drei weiteren Stunden war man nicht zu einer Einigung gelangt, und Carla schloss mit müder Stimme die Sitzung. „Lassen Sie uns nächste Woche noch einmal telefonisch konferieren“, schlug sie vor. „Bis dahin haben wir alle unsere Hausaufgaben gemacht.“

Ihre Idee erntete Zustimmung, und die Herren verließen unter vernehmlichem Gemurmel den Konferenzraum. Carla gähnte herzhaft, als sie sich an ihren Schreibtisch zurücksetzte. „Drei Kreuze, wenn dieser Tag zu Ende ist“, versprach sie dem Foto auf ihrem Schreibtisch. Ihre Stella lächelte zurück, als verstände sie, was Carla sagte, und als warte sie nur auf deren Feierabend. „Nur noch ein paar Telefonate, Sophia…“, flüsterte Carla und küsste das Mädchen in Stellas Armen. Seufzend stellte sie das Foto zurück an seinen Platz und durchforstete die Liste der Rückrufwünsche.

Carla drückte auf einen Knopf an ihrem Telefon. „Hat die Griechin ihr Anliegen genannt, Seniora Sanchez?“

„Leider nicht, Frau Gräfin.“

„Könnte es mit der Antiquitätenmesse in vierzehn Tagen zusammenhängen?“

„Ich kann es Ihnen nicht sagen.“

„Seniora Sanchez, bitte fragen Sie einen Anrufer grundsätzlich nach seinem Anliegen.“

„Jawohl, Frau von Lahnstein.“

Carla rollte mit den Augen, als sie das Gespräch beendete. Ihre neue Sekretärin war eindeutig überbezahlt. Sie klemmte sich den Hörer unter das Kinn und begann, eine Telefonnummer zu wählen, während sie mit der anderen Hand Verträge unterschrieb. „Guten Tag. Von Lahnstein hier. Mit wem spreche ich?“, fragte sie, als sich eine Frauenstimme am Telefon meldete.

„Nina Ryan ist mein Name.“

„Was kann ich für Sie…“ Carla unterbrach sich. „Sagten Sie Ryan?“

„Nina Ryan, ja. Sie kennen meine Mutter Elisabeth.“

„Kennen ist gut. Sie ist meine Schwiegermutter.“

„Ja, wir sind gewissermaßen verwandt.“ Die Frau am Telefon lachte. „Meine Mutter ist etwas geschlagen mit lesbischen Töchtern.“

„Sie verkraftet es ganz gut“, schmunzelte Carla.

„Na, bei Ihnen kann sie sich wenigstens nicht fragen, was sie falsch gemacht hat.“

„Hat sie das bei Ihnen? Mir gegenüber war sie immer sehr aufgeschlossen.“

„Jaja, das ist sie auch. Aber Sie kennen doch Mütter. Wer weiß schon, was die im Zweifelsfalle wirklich denken. Trotzdem habe ich sicher Glück gehabt mit ihr.“

„Wir beide“, lächelte Carla.

Nina Ryans Stimme wurde ernster. „Außerdem müssten Sie meinen Namen auch kennen, weil ich lange das ’No Limits‘ geführt habe.“

Das 'No Limits'.... Carla schloss die Augen, um die schmerzlichen Gedanken zu vertreiben. Wann würde das endlich aufhören? Ihr Blick wanderte zu dem großen Portrait neben der Tür. Sie hatte es sorgfältig restauriert und Stella gefragt, ob diese etwas dagegen hatte, wenn sie es in ihrem Büro aufhängte. Die hatte sie ohne Widerspruch gewähren lassen. Stella wusste, welchen Stellenwert Hanna in Carlas Leben gehabt hatte, und wie wichtig es ihr war, sie immer bei sich zu wähnen.

„Sind Sie noch da, Frau von Lahnstein?“

Carla räusperte sich. „“Ja, ich bin noch da. Wenn wir verwandt sind, sollten wir uns vielleicht duzen“, schlug sie vor. „Ich muss dich allerdings warnen. Ich habe überhaupt keine Zeit zu telefonieren.“

„Soll ich ein anderes Mal anrufen?“

Carla zögerte. Sie hatte wirklich keine Zeit. „Worum geht es denn?“, fragte sie widerstrebend.

„Ich brauche mindestens zehn Minuten“, warnte Nina. „Kann ich die haben?“

„Na gut, ich bin ganz Ohr“, gab Carla nach. „Womit kann ich dir helfen?“ Sie hörte wie Nina am anderen Ende der Leitung tief durchatmete. Offensichtlich wusste ihre Gesprächspartnerin nicht recht, wie sie anfangen sollte.

„Wir haben seit ein paar Jahren eine Freundin bei uns wohnen“, begann Nina. „Das heißt, sie wurde erst zu einer Freundin. Wir haben sie bei uns aufgenommen, weil sie eines Tages hier auftauchte und sich an nichts in ihrem Leben erinnerte.“

„Eine generalisierte Amnesie?“

„Ja, so nannte es die Therapeutin, die wir Isabelle empfohlen haben.“

„Isabelle? Ist das ihr Name?“

„Das wissen wir nicht.“ Nina hielt inne. „Entschuldige bitte ganz kurz.“

Carla hörte, wie Nina den Hörer hinlegte und etwas zu jemandem rief. Der Orangensaft geht zu Tisch zwei! Diese Art von Telefonaten kam Carla sehr bekannt vor, und sie musste unwillkürlich lächeln.

„So, da bin ich wieder“, rief Nina ins Telefon. „Also, unsere Freundin hat bis heute ihre Erinnerung nicht zurückerlangt. Ihre Therapeutin sagte uns schon vor Jahren, dass die Revision des Gedächtnisausfalls immer unwahrscheinlich wird, je länger die Amnesie andauert und je mehr neue Erfahrungen jemand in seiner neuen Identität macht.“

„Das ist schrecklich.“ Carla mochte sich gar nicht vorstellen, was ein Mensch aushalten musste, dem so etwas passierte. „Aber warum erzählst du mir das?“

„Manchmal denke ich, man sollte alles so belassen wie es ist, aber nach wie vor hat Isabelle fast jede Nacht Albträume. Wir können das hören, weil sie keine geschlossenen Räume verträgt und deswegen bei offener Tür schläft. Sicher zeigen die Träume, dass ihre Seele noch nicht aufgegeben hat. Sie kämpft immer noch um ihre Erinnerung. Manchmal spricht Isabelle im Schlaf, wenn sie die Träume quälen, aber man kann sie nicht verstehen.“

„Dann können die Erinnerungen ja nicht völlig weg sein“, überlegte Carla. „Sonst würden sie die Arme nicht des Nachts heimsuchen.“

„So sehe ich das auch.“ Aus Ninas Stimme sprach Erleichterung. „Aber am nächsten Tag kann sie sich regelmäßig an nichts erinnern, und das einzige, was wir nachts verstehen können, ist der Name ’Carla‘ .“

Carla lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Deswegen rufst du an?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Nein, deswegen nicht.“ Nina schwieg einen Moment. „Ich rufe an, weil sie letzte Nacht den Namen ‘Carla von Lahnstein‘ gemurmelt hat.“

„Meinen Namen? Bist du sicher, dass du dich nicht verhört hast?“ Carla runzelte die Stirn. „Nun ja, ich stehe nun mal in der Öffentlichkeit. Es gibt viele Menschen, die mich kennen, aber die ich nicht kenne.“

„Wäre es nicht wenigstens einen Versuch wert?“, drängte Nina. „Die Psychologin hat immer gesagt, dass nur etwas oder jemand aus ihrer Vergangenheit ihre Erinnerung anstoßen kann.“

„Wann sagtest du, ist sie zu euch gekommen?“

„Vor etwa fünf Jahren, im Jahre 2005. Carla, kannst du dich an irgendeinen Menschen aus deinem Umfeld erinnern, der verschollen ist?“

„Nein.“ Carla schüttelte den Kopf. „Ich möchte dir auf keinen Fall falsche Hoffnungen machen, aber da ich in vierzehn Tagen eh zu einer Antiquitätenmesse in Athen bin, könnte ich zumindest bei euch auf einen Sprung vorbeikommen. Und dann sehen wir weiter.“

„Das hört sich sehr gut. Allerdings leben wir auf Kreta, nicht in Athen.“

„Ich weiß, das wird kein Problem sein“, beruhigte sie Carla und ging schon mental ihren Terminplan durch. „Nicht zuletzt würde ich dich und deine Partnerin gern einmal kennenlernen. Elisabeth hat oft von dir und Erika erzählt.“

„Na, dann ist das ein Grund mehr, dass du einen kleinen Umweg über Kreta machst“, freute sich Nina. „Ich kann deiner Sekretärin die Einzelheiten noch durchgeben.“

„Oh, das erzähl am besten gleich mir“, lachte Carla. „Da kann ich sichergehen, dass die Information nicht verloren geht.“


* * *



„Was ist denn los? Du bist ja heute so anschmiegsam.“ Stella fuhr mit der Hand zärtlich durch Carlas Locken. „Haben sie dich heute geärgert?“

„Erinnere mich bloß nicht daran.“ Carla schmiegte sich enger in Stellas Arme. „Der Sawatzki ist so ein Sturkopf. Wenn wir den nicht dabei hätten, wäre die Miró-Ausstellung längst in trockenen Tüchern.“

„Kannst du dich nicht an die Konkurrenz wenden?“

„Wenn ich das mache, habe ich das letzte Mal mit Sawatzki Geschäfte gemacht. Ich kann ihn als Kunden nicht verlieren.“

„Das scheint ihm sehr bewusst zu sein.“

„Alter Macho“, brummte Carla. „Aber es gibt auch Erfreuliches zu berichten. Ich werde einen Tag länger in Griechenland bleiben, weil ich Nina Ryan und ihre Freundin besuche.“

„Elisabeths Tochter?“

„Genau die. Sie hat mich heute angerufen und will mich sehen.“

„Irgendwelche Hintergedanken?“ Stella wickelte eine blonde Locke um ihren Zeigefinger. „Habe ich Grund zur Eifersucht?“

„Wie man’s nimmt“, schmunzelte Carla. „Nina hat Kontakt zu einer Frau, die ihr Gedächtnis verloren hat und meinen Namen im Schlaf murmelt.“

Stella lachte. „Ach weißt du, wenn ich auf alle Frauen eifersüchtig wäre, die nachts deinen Namen murmeln, dann würde ich ein ziemlich elendes Dasein führen.“

„Ach, ist das so?“ Carla küsste ihre Nasenspitze. „Ich finde, du gehst etwas sehr sorglos mit deiner Frau um.“

„Ich weiß, dass sie mich liebt“, lächelte Stella. „Das ist mir genug.“

„Das ist gut, dass du das weißt.“ Carla gab Stella einen Kuss auf die Stirn und erhob sich aus ihrem Schoß. „Lass uns schlafen gehen.“

„Weckst du Sophia morgen früh?“

„Natürlich, du hast sie ja schon ins Bett gebracht. Ist sie gleich eingeschlafen?“

„Nein, sie wollte immer wieder die Geschichte von der Ritterin Ohnefurcht hören.“

„Ja, das ist zurzeit ihre Lieblingsgeschichte.“ Carla lächelte bei der Vorstellung, wie Sophia ihre Stiefmutter mit allen Tricks zum Weiterlesen verführt hatte. Carlas Tochter war ihr ganzes Glück, und es zerbrach ihr das Herz, dass sie viele Stunden des Tages auf sie verzichten musste. „Du lässt dir ganz schön von ihr auf der Nase herumtanzen“, neckte sie Stella.

„Ich habe die Erziehung deiner Tochter voll unter Kontrolle“, protestierte Stella entrüstet. „Aber dich wickelt sie um den kleinen Finger.“

„Tut sie nicht.“

„Tut sie doch.“


* * *



Nina hörte lautstark Shakira, als sie mit ihrem kleinen Fiat in Richtung Flughafen brauste. Carla würde mit einem Privatjet kommen, und Nina hatte keine Ahnung, wo sie ihren Gast abfangen sollte. Zum Glück gab es Handys, so dass es kein Problem sein sollte, sich zu finden. Nina war bester Laune und voller Hoffnung, dass Carla von Lahnsteins Anwesenheit sie einen Schritt weiterbringen würde. Laut singend parkte sie ihren Wagen und schlängelte sich dann durch die Menschenmengen zum Eingang des Flughafens.

Kaum hatte sie das Innere des Gebäudes betreten, klingelte ihr Handy. „Carla?“

„Ja, ich bin’s. Ich stehe beim Rent-A-Car Stand. Wo bist du?“

„Schon auf dem Weg zu dir. Bin in fünf Minuten bei dir.“

Kurze Zeit später erspähte Nina ihren Gast. Carla war in die Unterhaltung mit einem Fluggast vertieft, der offensichtlich die Orientierung verloren hatte. „Wow!“, murmelte Nina. Diese Frau war eine Erscheinung. Noch viel schöner als auf den Fotos in der Presse. Mit ihren blonden Locken hatte sie etwas engelsgleiches, und wenn sie lächelte, erstrahlte das ganze Gesicht. Wäre Nina nicht schon bis über beide Ohren in ihre Erika verliebt gewesen…

Jetzt sah Carla auf und schien sie zu entdecken. „Nina!“, rief sie ihr entgegen und winkte.

„Willkommen auf Kreta“, sagte Nina herzlich und schüttelte Carla die Hand. „Woher wusstest du, wie ich aussehe?“

„Von den Fotoalben deiner Mutter“, lächelte Carla. „Und du?“

„Das ist jetzt keine erstgemeinte Frage, oder?“ Nina klemmte sich einen von Carlas Koffern unter den Arm. „Mein Wagen steht direkt am Ausgang.“


* * *



„Wie schön es hier schon im April ist“, staunte Carla, als sie in Ninas kleinem Fiat saßen. „Kein Wunder, dass die deutschen Touristen die Insel stürmen.“

„Man gewöhnt sich daran“, lachte Nina. „Außerdem will ich mich nicht beklagen, denn ich lebe schließlich davon.“

„Hast du in erster Linie Touristen als Gäste?“

„Ja, aber auch die Einheimischen kommen gern. Sie haben nur nicht genug Geld, um häufig Essen zu gehen. Manche kommen auch nur, um auf der Terrasse zu sitzen und etwas zu trinken.“

„Die Lage muss atemberaubend sein, ich habe mir deine Website angesehen. Und das Essen sah phantastisch aus.“

„Das freut mich. Erika hat die Internetseite gerade erst fertiggestellt. Es war übrigens ihre Idee, das Restaurant ‘Ninas Ambrosia‘ zu nennen. Sie behauptet, es gibt auf der ganzen Welt kein besseres Essen, aber sie ist natürlich nicht objektiv“, fügte Nina schmunzelnd hinzu. „Ich hoffe trotzdem, dass es dir gefallen wird. Wie war denn die Antiquitätenmesse?“

„Ganz hervorragend. Antiquitäten sind eine Leidenschaft von mir. Ich könnte mein Leben auch nur auf Antiquitätenmessen verbringen“, lächelte Carla.

„Das glaube ich dir gern.“ Nina ließ die Wagenfenster hochfahren und stellte die Klimaanlage an. „Entschuldige Carla, ich vergesse manchmal, dass mein Wagen eine Klimaanlage hat. Wenn Isabelle mitfährt, muss immer mindestens ein Fenster offen sein.“

„Wegen ihrer Klaustrophobie?“

„Ja, es wird eher schlimmer statt besser trotz der ganzen Therapie.“

„Ich dachte immer, Klaustrophobie sei sehr gut behandelbar?“

„Das ist auch so, aber Isabelle hat es vermieden, das Problem in der Therapie anzugehen. Die Psychologin geht stark davon aus, dass die Angst vor engen Räumen mit einem psychischen Trauma zusammenhängt, das vermutlich auch der Grund für die noch bestehende Amnesie ist. Normalerweise hält unsere Psyche eine solche Abspaltung nicht derart lange aufrecht.“

„Ist Isabelle noch in Behandlung?“

Nina schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat vor zwei Jahren damit aufgehört. Die Therapeutin hat gesagt, sie könne Isabelle erst dann helfen, wenn diese innerlich bereit sei.“

„Und das ist sie noch nicht?“

„Es sieht nicht so aus.“ Nina parkte ihren Wagen auf einem Wendehammer. „So, die letzten Meter müssen wir zu Fuß gehen. Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus, Gräfin.“

„Hätten Sie das doch früher gesagt, Frau Ryan, dann hätte ich die Sänfte kommen lassen“, scherzte Carla und griff nach ihrem Gepäck. „Wie lasst ihr denn die Getränke liefern?“, fragte sie, während sie mit Nina den schmalen Pfad zu deren Zuhause hochstieg.

„So unpraktisch wie es aussieht, ist es nicht“, lachte Nina. „Man kommt von oben mit den Wagen an das Grundstück heran, aber dafür hätten wir einen großen Umweg fahren müssen.“

„Das erklärt, warum ihr nicht alle ein Bandscheibenleiden habt“, kommentierte Carla trocken. „Und du glaubst wirklich, es ist eine gute Idee, dass ich hier bin?“, kam sie auf ihr ursprüngliches Thema zurück. „Wenn eure Freundin noch gar nicht bereit ist, sich zu erinnern…“

„Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung“, gestand Nina. „Aber immer nur auf ein Wunder warten, ist auch keine Lösung.“

„Was soll’s, ich werde sie eh nicht kennen.“ Carla stellte ihre Koffer ab, während Nina die Haustür aufschloss.

„So, da wären wir.“ Nina öffnete die Tür sperrangelweit, damit Carla eintreten konnte. „Hallo Schatz, wir sind’s!“ rief sie laut ins Treppenhaus. „Erika hat sich für heute freigenommen“, erklärte sie Carla. „Damit sie dich kennenlernen kann.“

Carla hörte jemanden die Treppe herunterkommen, und dann stand Erika auch schon vor ihr. Auch sie kannte Carla schon von Fotos, auch wenn ihre Haare etwas dunkler und länger waren als auf den Bildern, die Carla gesehen hatte. „Es freut mich außerordentlich“, lächelte Carla und gab Erika die Hand.

„Und mich erst.“ Erika erwiderte ihren Händedruck und schloss sie dann in eine warme Umarmung. „Willkommen in unserem Zuhause“, sagte sie, sichtlich gerührt. „Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“

„Du“, korrigierte Carla. „Und ja, vielen Dank. In der Tat wäre eine Tasse Kaffee jetzt genau das Richtige.“

„In Ordnung, Carla“, lächelte Erika. „Sollen wir dein Gepäck schon mal nach oben bringen?“

„Das erledige ich nachher selbst“, wehrte Carla ab. „Ich würde ehrlich gesagt lieber erst einmal eure Terrasse ausprobieren.“

„Sehr gern.“ Nina machte sich schon an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Fühl dich hier wie zu Hause.“

Carla sah sich neugierig in dem Restaurant um. Man merkte es ihm an, dass Erika Grafikerin war. Die Ausstattung war ausgesprochen geschmackvoll und hatte nichts von einem spießigen Touristenlokal.

„Montag ist Ruhetag“, erklärte Erika, als sie Carla auf die menschenleere Terrasse führte. „Ansonsten wäre hier schon die Hölle los. Isabelle ist übrigens unten im Dorf und kauft Lebensmittel ein“, fügte sie hinzu.

Carla hatte nichts dagegen, dass sich die Begegnung mit der Unbekannten noch etwas hinauszögern würde. „Dann haben wir ja den Ausblick ganz für uns“, stellte sie zufrieden fest und atmete tief durch, als ihr die frische Meeresluft entgegenblies. „Schön habt ihr es hier“, sagte sie aus vollem Herzen.

„Ja, es ist unser Paradies“, bestätigte Erika nicht ohne Stolz.

„Und wir genießen es immer noch jeden Tag“, ergänzte Nina, die nun mit dem Kaffee auf die Terrasse kam. Sie rückten ein paar Stühle zurecht, so dass sie im Sitzen direkt auf das Meer und die dahinter liegend Bergkulisse schauen konnten.

Carla staunte, wie leicht es ihr fiel, sich mit dem beiden Frauen zu unterhalten. Fast fühlte es sich an, als säße sie mit alten Freundinnen zusammen, so unkompliziert und vertraut war es mit den beiden. Sie waren sehr interessiert an Carlas beruflicher Tätigkeit und an ihrem Leben in Barcelona, und natürlich wollte Nina alle möglichen Dinge über ihre Mutter wissen. „Und du bist inzwischen selbst Mutter, nicht wahr? Es fällt dir bestimmt nicht leicht, deine Tochter ein paar Tage nicht zu sehen.“

„Das ist wahr“, seufzte Carla. „Sie fehlt mir schon, wenn ich sie tagsüber nicht sehe. Ich verbringe so viel Zeit mir ihr wie möglich.“

„Passt jetzt deine Freundin auf sie auf?“

„Meine Frau“, korrigierte Carla lächelnd. „Stella und ich haben geheiratet.“

„Ihr glücklichen.“ Erika verdrehte die Augen. „Wir würden auch sehr gern heiraten, aber die gleichgeschlechtliche Ehe ist in Griechenland nicht erlaubt. Die Ehen von zwei Paaren, die es versucht haben, wurde erst kürzlich wieder annulliert.“

„Warum heiratet ihr nicht in Deutschland? Habt ihr keine doppelte Staatsbürgerschaft?“

„Darüber denken wir in der Tat nach.“ Nina streichelte Erikas Hand. „Auch wenn die Ehe hier nicht anerkannt würde.“

„Aber wenn einer von uns etwas passiert, könnten wir immer noch nach Deutschland zurückkehren und hätten mehr Rechte“, gab Erika zu bedenken.

Ein schepperndes Geräusch ließ sie alle drei aufschrecken. Als Carla sich umdrehte, sah sie ein Tablett auf dem Boden liegen, übersät mit Scherben und rotem Fruchtsaft, der sich auf den Steinen ergoss. In der Terrassentür stand eine junge Frau und starrte ihr entgegen. Dieses Gesicht… nein… es war unmöglich… es war ganz und gar unmöglich…

„Entschuldigt bitte, es tut mir leid.“

Carla wich alle Farbe aus dem Gesicht… Diese Stimme… es konnte nicht sein… sie sah Gespenster…

„Ist alles in Ordnung, Carla?“, hörte sie Erikas besorgte Stimme neben sich. „Geht es dir nicht gut?“

Carla rührte sich nicht. Sie starrte unverwandt an die Stelle, wo die Frau gestanden hatte, die jetzt wieder im Haus verschwunden war.

Nina sah zu Carla und dann zu Erika. „Ich helfe Isabelle beim Auffegen“, verkündete sie und begab sich ins Restaurant.

„Kennst du sie vielleicht?“, fragte Erika vorsichtig. Carla zuckte zurück, als Erika ihre Schulter berührte. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„Das kann gar nicht sein“, flüsterte Carla. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Beine sackten ihr weg.

„Was kann nicht sein?“

„Das… ist Hanna.“


„Welche Hanna?“

„Meine Hanna“, flüsterte Carla. Ihr war plötzlich speiübel. Sie taumelte, als sie erneut versuchte, sich zu erheben. „Entschuldige mich…“ Nur weg hier, nur weg…


* * *



„Was… Carla!“, rief Erika ihr nach, doch Carla schien sie nicht zu hören. Sie rannte den Gebirgspfad hinunter, als sei der Teufel hinter ihr her.

„Was war das denn eben?“ Nina lehnte ihren Besen an den Tisch. „Isabelle ist total verstört, Carla läuft weg. Was ist denn hier los?“

„Sie hat sie erkannt.“

„Meinst du wirklich? Was hat sie denn gesagt?“

„Dass Isabelle Hanna ist.“

„Welche…H…“ Nina unterbrach sich. „Hanna Novak?“

Erika nickte.

„Ach du scheiße.“ Nina ließ sich in einen Stuhl fallen.

Erika stand auf und legte ihre Arme um sie. „Ich glaube, vor uns allen liegt eine schwere Zeit.“


* * *



Carla spürte ihre Füße nicht mehr. Der Sonne nach zu urteilen musste sie schon Stunden am Strand langgelaufen sein, aber sie konnte weder stehenbleiben noch auf die Uhr schauen. Einfach weitergehen, weitergehen… Alles vergessen… Den Kopf ausschalten… Das Bild aus ihrem Hirn verbannen...

Die Sonne war längst hinter den Bergen verschwunden, als Carla sich endlich erschöpft auf einem Stein niederließ. Es war merklich kälter geworden, und der Wind zog durch ihre leichte Bluse. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Hanna, hämmerte es unablässig in ihrem Kopf. Hanna.

„Bitte tu mir das nicht an, Hanna“, flüsterte sie. Fünf Jahre lang hatte sie gegen die Dämonen in ihrem Innern gekämpft. Fünf Jahre lang hatte sie versucht zu vergessen, ins Leben zurückzufinden, sich auf einen neuen Menschen einzulassen. Und jetzt, da alles gut war, da sie den Schmerz in sich bezähmt hatte, jetzt, wo eine neue Liebe in ihrem Leben war, eine Familie, eine neuer Anfang, jetzt kam sie zurück.

Und wenn sie sich getäuscht hatte? Wenn es nur eine Ähnlichkeit gewesen war? Sie hatte die Frau nicht länger als ein paar Sekunden gesehen.

Doch tief in ihrem Innern wusste Carla, dass es wahr war. Hanna war am Leben. Aber war es wirklich ihre Hanna? Wer war ein Mensch, wenn er keine Vergangenheit mehr hatte? Sich nur die anderen erinnerten? Würde sie es aushalten können, wenn Hanna in ihrer Nähe war und sie nicht erkannte? Und würde sie es aushalten können, wenn ihre Erinnerung doch zurückkehren sollte? Was würde dann werden?

Carla wusste nicht, ob sie mehr vor Kälte zitterte oder vor Erschöpfung. Sie würde sich eine dicke Erkältung holen, wenn sie nicht bald im Warmen saß. Mit klammen Fingern holte sie ihr Handy aus der Tasche. Zweiunddreißig Nachrichten. Vier waren von Nina. Beschämt wählte sie Ninas Nummer.

„Carla? Wo um Himmel Willen bist du?“

„Irgendwo am Strand.“

„Bist du okay?“

„Ich glaube schon.“

Carla versuchte, Nina die Gegend zu beschreiben, und Nina lotste sie zu einer asphaltierten Straße, an deren Ecke sie auf einen Freund von Nina warten sollte. Zwanzig Minuten später kam ein sportlicher junger Mann, augenscheinlich ein Surflehrer, in einem alten Mercedes um die Ecke gefahren und fuhr sie zurück zu Ninas Ambrosia.

Carla hatte gehofft, dass die anderen schon im Bett sein würden, aber die drei saßen zusammen im Wohnzimmer und hatten offenkundig auf sie gewartet.

„Entschuldige, dass wir schon gegessen haben“, empfing sie Nina. „Wir wussten nicht, wann du kommst.“

„Ist schon okay“, murmelte Carla und versuchte, an Hanna vorbeizukommen, ohne sie anzusehen.

„Möchtest du einen Teller Lasagne?“, fragte Erika in einem Tonfall, als sei nichts vorgefallen. „Isabelle hat gekocht.“

„Nein danke, ich bin sehr müde. Entschuldigt bitte, wenn ich gleich zu Bett gehe.“

Carla sah aus den Augenwinkeln, wie Nina sich erhob. „Ich zeige dir noch dein Zimmer, Carla“, sagte sie bedeutsam und stieg hinter ihr die Treppe hoch.

„Nicht nötig“, sagte Carla kurz angebunden.

„Oh doch, das ist nötig“, beharrte Nina und führte sie durch einen langen Flur zum letzten Zimmer. „Hanna schläft am anderen Ende des Flurs“, erklärte sie unumwunden. „Ich gehe doch richtig in der Annahme, dass du so viel Abstand wie möglich möchtest?“

Carla nickte. „Wo ist das Bad?“

„Du hast ein eigenes. Es geht direkt von deinem Zimmer ab.“

Carla hatte gehofft, dass Nina sich diskret zurückziehen würde, sobald sie die Koffer hereingetragen hatten, aber das tat sie nicht. Im Gegenteil, sie ließ sich auf der Bettkante nieder und sah Carla erwartungsvoll an.

„Ich möchte nicht darüber reden“, stellte Carla klar. „Wenn du mich jetzt bitte allein lassen würdest.“

„Du willst dich einfach davonstehlen, was?“ Nina nickte verständnisvoll. „Aber es geht hier nicht nur um dein Leben.“

„Das ist mir klar“, nickte Carla. „Aber ich werde morgen früh abreisen.“

„Ich verstehe.“ Nina nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe. „Und wie vereinbarst du es mit deinem Gewissen, Hanna hier in ihrem Elend zurückzulassen? Eine Frau, die du einmal geliebt hast?“

„Das da unten ist nicht die Frau, die ich einmal geliebt habe“, sagte Carla heftig. „Das ist Isabelle, eine Person, die sich an nichts erinnert!“

„Ach ja? Und warum nennt sie sich Isabelle, wenn sie sich an nichts erinnert?“

„Was weiß ich“, murmelte Carla, aber sie wusste, dass Nina recht hatte.

„Und apropos Isabell“, fuhr Nina unbeirrt fort. „Meinst du nicht, dass ihre besten Freundin ein Recht darauf hat zu wissen, dass Hanna am Leben ist? Eigentlich müsste ich Isabell sofort anrufen.“

„Ich verstehe es einfach nicht.“ Carla ließ sich in einen Sessel fallen. „Ihr Körper ist doch obduziert worden. Es ist unmöglich, dass es Hanna ist.“

„Vielleicht ist einiges anders als du denkst. Es passt jedenfalls zusammen. Und jetzt wird mir auch klar, warum sie mir so eine gute Hilfe ist. Sie hat das ‘No Limits‘ besser geschmissen als ich.“ Nina strich eine Falte aus der Überdecke und zog sie glatt. „Warum meinst du, dass Isabelle nicht die Frau ist, die du geliebt hast? Du gibst dir doch gar keine Chance, es herauszufinden.“

„Weil ich es nicht herausfinden will!“, entfuhr es Carla. „Weißt du, was du da von mir verlangst? Ich habe endlich mein Leben zurück! Du hast keine Ahnung, was mich das gekostet hat!“

„Ich sage lediglich, dass du in dieser Sache nicht nur an dich denken solltest.“

„Glaub mir, ich denke nicht nur an mich. Ich denke an meine Frau, mein Kind und an… Isabelle.“

„Hanna.“

„Isabelle.“

„Wie auch immer.“ Nina erhob sich von Carlas Bett. „Diese Entscheidung kannst nur du fällen. Erika und ich sind jedenfalls immer da, wenn du uns brauchst.“

Ihr freundliches Angebot ließ Carla die Tränen in die Augen schießen, und sie war froh, als Nina die Tür hinter sich geschlossen hatte. Zum ersten Mal konnte sie weinen. Sie warf sich auf das Gästebett und weinte und weinte, bis zum Morgengrauen.


* * *



„Du siehst müde aus, Isabelle.“ Erika goss Hanna eine Tasse Kaffee ein. Sie sah aus, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.

Hanna antwortete nicht. „Wo ist euer Gast“, fragte sie, als sie sich zu Erika und Nina an den Tisch setzte.

„Offenbar noch im Bad. Sie wird sicher gleich herunterkommen.“ Nina reichte Hanna den Brötchenkorb. „Entschuldige, wir hatten dir gar nicht gesagt, dass wir Besuch von einer alten Freundin erwarteten. Es hatte sich spontan ergeben.“

„Woher kennt ihr sie?“ Hanna nahm sich ein Brötchen, machte jedoch keine Anstalten, es aufzuschneiden.

„Aus Deutschland. Sie arbeitet in der Kunstszene.“

„Ich…“ Hanna zögerte. „Ich habe mich gefragt… ob ich sie vielleicht kenne.“

„Ach ja? Warum?“

„Weiß nicht. Ist nur so ein Gefühl.“

„Es könnte sein, dass du sie aus den Klatschspalten kennst. Die Presse berichtet manchmal über sie.“

„So etwas lese ich doch nicht.“ Hanna sah nachdenklich auf ihren Teller. „Ich hätte schwören können…“

„Guten Morgen“, rief Carla von der Treppe aus. Sie trug einen Koffer in jeder Hand und verschwand damit im Hausflur.

„Kaffee?“, rief Nina ihr hinterher.

„Nein danke, ich kaufe mir etwas am Flughafen.“ Carla erschien wieder an der Treppe. Nina fand, dass sie noch schlechter aussah als Hanna. Sie war stark geschminkt und ihre Augen waren so gerötet, als hätte die die ganze Nacht durchgeweint.

„Du willst dich gar nicht zu uns setzen?“, fragte Erika enttäuscht. „Lass uns dir wenigstens unsere Freundin Isabelle vorstellen.“

Carla zögerte. „Selbstverständlich“, lenkte sie ein. „Entschuldigt meine Unhöflichkeit, aber ich bin furchtbar in Eile wegen des Fliegers.“

„Schon gut.“ Nina wusste nur zu gut, dass Carlas Privatjet kaum ohne sie abfliegen würde, doch sie hegte nicht die Absicht, Carla noch länger zu quälen.

Carla trat zu ihnen und streckte Hanna ihre Hand entgegen. „Ich bin Carla“, sagte sie und lächelte.

„Hallo Carla.“ Hanna erwiderte ihr Lächeln. „Wie schade, dass ich Sie nicht kennenlernen darf.“

„Vielleicht ein anderes Mal.“ Carla trat einen Schritt zurück. „Ja, ich muss dann mal los.“

„Hätten Sie vielleicht eine Visitenkarte übrig für mich?“, fragte Hanna schnell. „Vielleicht brauche ich ja mal den Rat von jemandem aus der Kunstszene.“

„Ich weiß nicht genau…“ Carla kramte ziellos in ihrer Handtasche.

„Wenn es Ihnen zu viel Mühe bereitet…“

„Nein, nein. Hier sind sie schon.“

Nur Nina konnte sehen, wie Carlas Hand zitterte, als sie Hanna die Visitenkarte reichte. „Leben Sie wohl, Isabelle.“

Hanna sagte nichts, sie starrte nur auf die Karte.

Ein Hupen draußen vor der Tür unterbrach ihre Unterhaltung. „Das wird mein Taxi sein“, erklärte Carla.

„Wir werden dir noch winken.“ Erika und Nina standen auf, um Carla aus der Wohnung geleiten.

„Entschuldigt meinen übereilten Aufbruch, aber ich kann hier nicht bleiben.“ Carla weinte, als sie Nina und Erika umarmte. „Aber ich bin froh, dass ich euch kennengelernt habe. Ihr seid tolle Menschen.“

Ein Klappen der Autotür, ein Aufbrausen des Motors, und dann war sie in einer staubigen Wolke verschwunden.

Erika legte den Arm um Nina und gemeinsam winkten sie, bis das Taxi nicht mehr zu sehen war. „Keine Sorge, Schatz.“ Sie küsste Ninas Schläfe. „Die kommt wieder.“



To be continued...

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Zuletzt geändert von kimlegaspi am 24.06.2011, 18:58, insgesamt 2-mal geändert.

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BeitragVerfasst: 08.04.2011, 22:07 
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Wow, eine wirklich super Geschichte!

Finde es toll, mal von alle in einer Story zu lesen.

Bin schon sehr gespannt wie es weiter geht!

:danke:

LG sunny


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BeitragVerfasst: 08.04.2011, 22:52 
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Kann mich nur anschliessen eine super Story,
Es ist so schön wieder was von Hanna zu lesen und das sie noch lebt.
Auf sollche Ideen Carla zu schade kann auch nur Ansgar und Tanja kommen ich hoffe sie kriegen noch ihr fett weg.
Bin auch sehr gespannt wie es mit den beiden weiter geht.
:danke:

LG
Martina


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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 17:11 
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Vielen Dank, sunny und Martina5! Ich freue mich sehr, dass euch die Geschichte gefällt! Bin schon bei den nächsten Kapiteln :mrgreen: .

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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 17:22 
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Hi Kim.

Hatte noch keine Zeit zu lesen, hole ich bestimmt nach.

Wollte nur mal sagen Toll.

lg

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Martin Luther King


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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 18:17 
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Erika & Nina in einer Canna Fanfiction :hüpf: :danke:

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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 18:18 
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Hi ho :D ! Wie lieb, danke! Also, ich werde deine Geschichte(n) auf jeden Fall auch unbedingt lesen, ich muss nur erstmal mehr über Starla wissen, damit ich es voll genießen kann!

Ich denke das nächste Kapitel sollte heute noch kommen...

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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 18:24 
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Naja sind nicht ungedingt Starla Geschichten, denn alle Carla's Geliebten kommen vorbei. Allerdings in La Diva :wink:

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Our live begins to end the day we become silent about things that matter.

Martin Luther King


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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 20:15 
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Jaja, ich habe in die Diva schon ein bisschen reingeluschert und finde sie klasse und weiß schon, dass ich die als erstes richtig gründlich lesen werde!

Hey Novemberstern! Freut mich, dass dir die Kombi gefällt :lol: . Hier kommt der nächste Teil.

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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 20:17 
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Kapitel 4:


„Wenn wir Ihnen um zehn Prozent entgegenkommen, müssten Sie doch hochzufrieden sein, Frau von Lahnstein.“

„Das ist vollkommen unakzeptabel, Herr Sawatzki.“ Carla fasste sich an ihre pochenden Schläfen. „Wir verschwenden hier beide unsere Zeit. Entweder Sie gehen auf mein Angebot ein, oder Miró wird nur im Fundacio Museum zu sehen sein.“

„Dann lassen Sie mich noch einmal mit Herrn Borchert sprechen.“

„Ja, tun Sie das.“ Carla legte frustriert den Hörer auf. Der Mann war eine Plage. „Ja bitte“, rief sie ungeduldig, als es an die Tür klopfte.

Ihre Sekretärin steckte den Kopf zur Tür herein, in einer Hand eine Akte, in der anderen ein Glas Wasser. „Ihr Aspirin, Gräfin.“

„Danke. War sonst noch was?“

„Herr Peschow wartet draußen, Ihr 11 Uhr Termin.“

Carla warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. „Führen Sie ihn herein. Und ich möchte dann nicht mehr gestört werden.“

„Jawohl, Frau von Lahnstein.“

Kurze Zeit später saß Carlas 11 Uhr Termin vor ihr auf dem Sofa. Herr Peschow war ein etwas untersetzter Mann mit leichtem Bauchansatz und Schnurrbart. Seine Kleidung roch nach Zigarettenqualm, und seine schwarze Lederjacke hatte sicher schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Carla mochte den Mann überhaupt nicht, aber er sollte gute Arbeit machen. Sie hatte sich erkundigt. „Hier ist die Rechnung vom Flug von Frankfurt nach Barcelona und zurück“, sagte er statt einer Begrüßung und legte ihr einen Zettel auf den Tisch. „Dann sagen Sie mir mal, was ich für Sie tun kann, liebe Frau.“

Carla griff nach einer roten Mappe, die ganz oben auf ihrem Schreibtischstapel lag. „Ich möchte, dass Sie etwas für mich herausfinden.“ Sie reichte ihm die Mappe. „Hier sind alle Informationen, die Sie für Ihre Recherche benötigen.“

„Wer ist die Frau auf dem Foto?“, fragte er, als er die Mappe öffnete.

„Es handelt sich um Hanna Novak. Sie ist im Jahre 2004 gestorben und wurde angeblich obduziert. Das Ergebnis der Obduktion war eine Embolie im Gehirn.“

„Und Sie haben daran Zweifel?“

Carla lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Ich möchte, dass Sie herausfinden, ob diese Obduktion tatsächlich stattgefunden hat und was mit dem Leichnam passiert ist.“

Herr Peschow blätterte den restlichen Inhalt der Mappe durch. „Sehr schön…“, murmelte er. „Ich brauche vierzehn Tage.“

„Die sollen Sie haben.“ Carla stand auf, um an ihren Tresor zu gehen. „Ich gebe Ihnen einen Vorschuss und verlasse mich auf die Qualität Ihrer Arbeit. Tun Sie alles, was weiterhelfen könnte. Geld spielt keine Rolle.“

„Sie können sich auf mich verlassen.“

„Auch auf Ihre Diskretion?“ Carla überreichte ihm tausend Euro in einem Umschlag.

„Hören Sie, liebe Frau, ich wäre nicht da, wo ich bin, wenn ich…“ Das Klingeln des Telefons übertönte seine letzten Worte.

Carla griff ungeduldig nach dem Hörer. „Seniora Sanchez, ich habe doch gesagt, ich möchte nicht gestört werden.“

„Ihre Frau und Ihre Tochter sind hier, Gräfin.“

„Ist etwas passiert?“

„Nein, Sie sind mit Ihnen zum Essen verabredet.“

„Ach ja…“ Carla ärgerte sich über ihre Zerstreutheit. „Sie sollen im Konferenzraum warten.“

„Sehr wohl, Frau von Lahnstein.“

„Ich denke, ich habe dann alles, was ich brauche.“ Herr Peschow erhob sich. „Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, wissen Sie ja, wo Sie mich erreichen.“

Carla nickte. „Ich hoffe, ich höre bald von Ihnen.“

Auf dem Weg aus der Tür wäre Carlas Gast fast mit ihrer Tochter zusammengestoßen, die in einem Affenzahn über den Flur rannte. „Sophia!“, mahnte Carla. „Das ist hier kein Spielplatz.“

„Mama!“ Sophia warf sich in ihre Arme. „Wir haben Elefanten gefüttert.“

„Was habt ihr?“ Carlas Stimme wurde sofort weich. „Ihr wart bei den Elefanten?“

Sophia nickte eifrig. „Ich habe ihnen Äpfel gegeben“, verkündete sie stolz.

„Ist ja toll!“ Carla hob ihre Tochter auf den Arm und ging Stella entgegen. „Ihr wart im Zoo?“, fragte sie nach dem Begrüßungskuss.

„Wenn ich schon einen freien Tag habe, muss ich unserem kleinen Wildfang ja auch was bieten“, lachte Stella. „Nur zu Hause spielen, ist auf die Dauer keine Konkurrenz für den Kindergarten.“

„Am Montag geht er ja wieder los“, tröstete Carla sie. „Dann musst du dir kein Programm mehr einfallen lassen.“

Stella folgte ihr ins Büro. „Bist du soweit? Können wir los?“

„Gebt mir fünf Minuten.“ Carla setzte ihre Tochter auf das Sofa. „Ich beeile mich.“

„Schon wieder Kopfschmerzen?“ Stella wies auf das leere Glas auf dem Schreibtisch.

„Ja, vielleicht ist es das Wetter…“

„Du solltest mal ein paar Tage ausspannen. In letzter Zeit gefällst du mir gar nicht.“ Stella räumte das Glas weg und stellte es auf das Tablett vor dem Sofatisch. „Du siehst erschöpft aus, Liebes.“

„Ja, das Miró-Projekt raubt mir den letzten Nerv.“

„Warum hast du das Bild ausgetauscht?“ Stella nahm neben Sophia auf dem Sofa Platz und begann, Fingerspiele mit ihr zu spielen.

„Welches Bild?“ Carla sah angestrengt auf ihre Unterlagen.

„Du weißt genau, was ich meine.“

„Ich hatte keine Lust mehr, dauernd draufzugucken.“ Carla wich Stellas Blick aus. „Ich dachte, es ist an Zeit, nur noch nach vorn zu schauen.“

„Was ist denn los, Carla?“

„Wieso? Gefällt dir der Rothko nicht?“ Carlas Stimme war harscher als sie beabsichtigt hatte. „Entschuldige“, sagte sie weicher. „Lass mich das hier noch abarbeiten, und dann können wir losgehen.“



* * *




„Ich mache mir Sorgen um Hanna.“ Nina blinzelte gegen die Sonne zu Erika, die neben ihr im Sand lag. „Deine Schultern werden übrigens rot.“

„Dann hat mich meine Liebste wohl nicht gut genug eingecremt.“ Erika reichte Nina die Sonnenmilch, ohne die Augen zu öffnen. „Ich bitte um Nachkorrektur.“

Nina lachte und robbte näher an Erika heran. „Dann dreh dich mal zu mir, du Krebs. Sonst bekomme ich heute Abend nichts zu essen.“

„Hanna wird sich deiner schon erbarmen.“

Nina verteilte mit ihrer Tube kleine weiße Punkte auf Erikas Armen. „Ich hatte gehofft, dass der Besuch von Carla ein Schritt nach vorn wäre. Aber jetzt fühlt es wie ein Schritt zurück an. Hanna wirkt so abwesend in den letzten Tagen.“

„Naja, laut Sigmund Freud sind 90 Prozent unserer Handlungen unbewusst. Wer weiß, was Hannas Unterbewusstsein gerade alles anstellt, ohne dass wir das mitkriegen.“ Erika seufzte wohlig, als Nina die kühle Milch auf ihren Armen und Schultern verteilte. „Wir sollten die Flinte nicht zu früh ins Korn werfen.“

„Aber was ist der nächste Schritt?“

„Carla muss den nächsten Schritt machen.“

„Du hast ja gesehen, wie sie reagiert hat.“ Nina verzog das Gesicht, als ihr Kuss auf Erikas Schultern nach Sonnenmilch schmeckte. „Und irgendwie kann ich sie auch verstehen.“

„Ja, natürlich. In ihrer Haut möchte ich nicht stecken.“

„Kannst du nicht nochmal mit ihr reden? Ich habe mich toll mit Carla verstanden, aber du hast noch einen besseren Draht zu ihr.“

Erika schüttelte den Kopf. „Wir können Carla diese Entscheidung nicht abnehmen, Nina. Auch wenn es schwer zu ertragen ist.“



* * *




„Isabell Brandner. Hallo?“

„Hallo Isabell. Hier ist Nina.“

„Hey Nina! Das ist ja eine Überraschung! Wie geht’s dir?“

„Sehr gut geht’s mir. Es ist Hochsaison, und die Gäste rennen mir die Türen ein. Und bei dir?“

„Alles bestens. Carolin wird im Sommer eingeschult, und wir haben uns lange mit der Frage herumgeplagt, ob wir sie auf eine deutsche oder auf eine italienische Schule schicken sollten. Wir haben uns jetzt für eine deutsche entschieden.“

„Ihr wollt aber noch ein paar Jahre in Mailand bleiben?“

„Erst einmal ja. Die Gegend ist ein Traum, und Florian gefällt seine Arbeit sehr.“ Isabell unterbrach sich. „Entschuldige Nina, aber ich habe leider maximal zwanzig Minuten Zeit, weil ich Carolin vom Schwimmen abholen muss.“

„Kein Problem, ich will nicht lange stören.“

„Worum geht es denn? Kommt ihr mal wieder nach Mailand?“

„Lieber wäre es mir, wenn ihr nach Kreta kommt.“

„Ist das eine offizielle Einladung?“, fragte Isabell erfreut. „Wie wäre es mit den Herbstferien?“

„Früher geht nicht?“

„Wieso? Ist es eilig?“

„Nun ja.“ Nina zögerte. „Ich muss dir etwas erzählen. Aber am besten ist, du setzt sich vorher hin.“

„Na, du machst es ja spannend.“ Nina konnte hören, wie Isabell durchs Haus ging. „So, jetzt sitze ich“, sagte sie. „Nun erzähl schon. Wollt ihr heiraten?“

Nina umfasste nervös den Telefonhörer. „Versprich mir, dass du nicht gleich auflegst, okay?“

„Ja klar, was denkst du denn von mir.“ Auch Isabell schien jetzt nervös zu werden. „Ist es etwas Schlimmes?“

„Wie man’s nimmt. Eigentlich nein.“

Isabell musste lachen. „Du hast schon zu lange in Griechenland gelebt, du klingst wie das Orakel von Delphi.“

„Hanna lebt.“

„Was?“

„Deine Freundin Hanna Novak. Sie lebt.“

Am anderen Ende war es totenstill. „Was erzählst du da?“, fragte Isabell verwirrt. „Nein, sie ist schon Jahre tot… Ich weiß es noch wie heute, wie Lars und ich…“

„Lass es mich dir erklären…“

„Nina, was soll das? Wir wissen doch beide, dass…“

„Darf ich es erklären?“

Isabell seufzte. „Na gut.“

Und dann begann Nina, von den letzten fünf Jahren zu erzählen. Wie ‘Isabelle‘ eines Tages an ihrer Türschwelle aufgetaucht war, ohne zu wissen, wer sie war. Wie Nina und Erika sie aufgenommen hatten und wie daraus eine Freundschaft entstanden war, und wie sie beschlossen hatten, Carla anzurufen.

„Carla war bei euch? Carla von Lahnstein?“ Isabells Stimme klang immer noch skeptisch.

„Ja, wir haben sie gebeten zu kommen. Wir hatten ja keine Ahnung, was wir damit auslösen. Wir wussten ja nicht, dass es sich bei Isabelle um Hanna handelt. Wir haben es erst erfahren, als Carla sie erkannt hat.“

„Oh Gott, die Arme.“

„Das kann man wohl sagen. Sie war völlig überfordert und ist sofort abgereist.“

„Aber wieso… ich verstehe nicht… wir haben sie doch beerdigt… Carla war doch dabei, als sie gestorben ist…“ Isabell wurde immer verwirrter. „Ihr müsst euch irren.“

Nina schüttelte den Kopf. „Glaubst du wirklich, dass Carla von Lahnstein sich irrt?“

Isabell atmete tief durch. „Und wie erklärt ihr euch das dann?“

„Ich weiß, es macht nicht viel Sinn…“

„Eben.“

„Aber was wäre, wenn Hanna gar nicht wirklich tot war? Vielleicht gar nicht in dem Grab gelegen hat?“

„Es tut mir leid, Nina, aber das klingt mir zu sehr nach einen Kriminalfilm.“

Nina rollte mit den Augen und hielt den Hörer ein Stück von ihrem Kopf weg. „Isabelle?“ rief sie in Richtung Restaurantküche. „Kannst du mal kurz kommen? Ich habe eine Freundin am Telefon, die uns mit ihrer Familie besuchen möchte. Könntest du die Details mit ihr absprechen? Ich müsste mal dringend nach der Wäsche schauen…“ Nina drückte Hanna den Hörer in die Hand, als diese um die Ecke kam. „Aber gib sie mir nachher nochmal, okay?“

„Mach ich.“ Hanna nickte. „Hallo?“, fragte sie ins Telefon. „Wir sollen Termine absprechen? Ich bin Isabelle.“

„Hier auch Isabell.“

Nina machte Hanna ein Zeichen und verschwand in Richtung Waschraum. Sie spitzte die Ohren, aber konnte das Gespräch beim besten Willen nicht verstehen. Ab und zu hörte sie Hanna lachen. Was für ein Glück, dachte Nina. Dieses Lachen hatte sie schon lange nicht mehr gehört.

Hanna war ganz aufgeräumt, als sie Nina den Hörer zurückgab. „Isabell muss die Termine noch mit ihrem Mann absprechen, aber wir haben schon eine Vorauswahl getroffen“, informierte sie Nina vergnügt und rief in Richtung Hörer: „Ciao Isabell, ich gebe dir jetzt wieder Nina.“

Nina wartete, bis Hanna wieder in der Küche verschwunden war. „Und?“, fragte sie ins Telefon.

„Sie ist es.“ Isabell war fassungslos. „Wie kann das bloß sein?“

„Vielleicht wird Hanna das irgendwann beantworten können.“

„Vorausgesetzt, dass sie sich jemals erinnert.“

„Du kannst sie darin unterstützen, Isabell. Viel besser als Erika und ich. Du bist ihre beste Freundin.“

Isabell schnäuzte sich die Nase. „Ich rufe dich später nochmal an, ja? Ich…“

„Natürlich, Isabell. Lass dir alle Zeit, die du brauchst…“



* * *



Carla schaute zum dritten Mal auf ihre Armbanduhr. Der Mann wusste wirklich, wie man einen Auftritt inszenierte. Sie war nahe dran, das Lokal wieder zu verlassen, als er ihr endlich entgegenschlenderte. „Na, Sie haben ja die Ruhe weg“, begrüßte sie ihn.

„Gut Ding will Weile haben“, entgegnete er und setzte sich zu ihr, ohne seine Lederjacke auszuziehen.

„Und?“

„Zunächst würde ich mir auch gern ein Kaffee bestellen, wenn Sie gestatten.“ Er winkte den Kellner an den Tisch und orderte in umständlichem Spanisch einen Milchkaffee und ein Stück Kuchen. „So, jetzt bin ich ganz für Sie da“, verkündete er dann. „Ich habe einiges herausgefunden.“

Carla spielte nervös mit den Zuckerpäckchen auf ihrer Untertasse. „Dann lassen Sie mal hören.“

„Also, eine Obduktion hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden.“

„Was heißt das?“

„Das heißt, dass es zwar einen Obduktionsbericht gibt, in dem die Todesursache vermerkt ist, doch diese Obduktion taucht in den Prototollen der Pathologie nicht auf.“

„Wollen Sie damit sagen, dass der Obduktionsbericht gefälscht ist?“

„Ganz genau.“

„Wer hat den Bericht denn ausgestellt?“

„Der Pathologe Professor Melmert hat ihn unterschrieben, und die Unterschrift ist zweifellos echt. Ich habe sie überprüfen lassen.“

„Welchen Grund sollte der Professor haben, eine Obduktion zu behaupten, die nicht stattgefunden hat?“ Carla rührte nachdenklich in ihrem Kaffee. „Vielleicht Zeitmangel?“

„Ich denke eher an Bestechung.“

„Bestechung? Aber weswegen denn?“

Herr Peschow biss herzhaft in sein Stück Kuchen. „Sie glauben ja gar nicht, was man alles Schönes herausfinden kann, wenn man die richtigen Leute kennt“, muffelte er mit vollem Mund. „Ich habe mir erlaubt, das Konto von Professor Melmert überprüfen zu lassen und siehe da, eine Woche nach dem Tod von Frau Novak ist ein beachtliches Sümmchen an ihn überwiesen worden.“

Carla fiel fast ihre Tasse aus der Hand. „Warum sollte jemand ein Interesse daran haben, eine Obduktion zu verhindern?“

„Zum Beispiel, weil die Todesursache nicht bekannt werden soll.“

„Sie… „ Carla sah ihn verstört an. „Sie denken doch nicht etwa an….“

„Mord“, nickte er. „Es ist die schlüssigste Erklärung.“

„Aber…aber… sie… das kann nicht sein…. sie ist doch in meinen Armen gestorben… ich…“ Carla kämpfte mit den Tränen. „Ich habe sie geliebt, wissen Sie.“

„Ja, das weiß ich natürlich“, lächelte er und reichte ihr ein Taschentuch. „Geheimnisse gehören zu meinem Job.“

„Entschuldigen Sie bitte.“ Carla schnäuzte in das Taschentuch. „Für mich macht das alles keinen Sinn.“

„Für mich schon“, sagte er und füllte sich noch mehr Sahne auf den Rest seines Kuchens. „Hanna Novak musste Tabletten nehmen nach ihrem Unfall, nicht wahr? Solche kleinen Dinger können leicht ausgetauscht werden.“

Vor Carlas innerem Auge entstand wieder der letzte Abend am Rhein. Wie immer hatte Hanna vorm Schlafengehen ihre Tabletten einnehmen wollen. Beim Herausnehmen der Pillen aus ihrem Döschen waren zwei davon herunter auf den Rasen gefallen, und Carla hatte Hanna gebeten, sie nicht mehr zu nehmen. Man wusste ja nie, was sich sonst so alles an Vögeln und Hunden dort aufhielt. Hanna hatte sich amüsiert über Carlas übertriebene Besorgnis, aber tatsächlich nur die eine Tablette genommen, die sie noch in ihrer Hand hielt.

„Vielleicht war eine tödliche Dosis beabsichtigt, die schließlich doch nicht so tödlich war?“, erriet Herr Peschow Carlas Gedanken.

„Aber wer…“ Carla hielt sich die Hand vor den Mund. Das durfte alles nicht wahr sein.

„Ich bin diesem Verdacht natürlich nachgegangen“, fuhr Herr Peschow fort. „Und ich habe nachgeforscht, wer Professor Melmert die Summe überwiesen hat.“ Er machte eine dramatische Pause. „Die Spuren führen zum Schloss Königsbrunn.“

„Was?!“ Carla sah ihn entgeistert an. „Das muss ein Irrtum sein.“

„Wohl kaum.“ Herr Peschow verputzte den Rest seines Kuchens und wischte sich mit der Serviette den Mund ab. „Frau von Lahnstein, bedenken wir einmal die Tatsache, dass Ihnen diese Frau sehr wichtig war, könnte es da nicht vielleicht sein, dass jemand Ihre Freundin benutzt hat, um Ihnen zu schaden?“

„Aber es wusste ja niemand“, sagte Carla tonlos. „Nur unsere besten Freunde.“

„Vielleicht täuschen Sie sich da.“

„Selbst wenn. Wer könnte mir so schaden wollen, dass er bereit war, einen Mord zu begehen?“

Herr Peschow wiegte bedächtig mit dem Kopf. „Immerhin geht es in Ihrer Familie um eine ganze Menge Geld. Denken Sie einmal zurück: Gab es irgendwelche Konkurrenzen innerhalb Ihrer Familie?“

Ansgar. Die Lahnstein Holding. Er wollte immer schon die Geschäfte führen, und er hatte Angst, dass Vater sie zu seiner Nachfolgerin ernennen würde. Aber Mord? „Herr Peschow, ich würde jetzt gern allein sein“, presste Carla hervor. Sie fühlte sich wie betäubt. „Sie haben mir sehr weitergeholfen. Ihr Honorar ist selbstverständlich Ende der Woche auf Ihrem Konto.“

„Nun gut, dann will ich mich mal auf den Weg machen.“ Herr Peschow schüttelte ihr die Hand. „Aber eines sollten Sie noch wissen: Ich hatte ein interessantes Gespräch mit einem Friedhofsgärtner, der mir berichten konnte, dass in der Nacht nach der Beerdigung die Leiche von Frau Novak verschwand. Ihr Bruder Ansgar hat dem Mann 8000 Euro dafür bezahlt, dass er dies nicht publik gemacht hat.“



* * *




„Carla, willst du nicht wenigstens die Suppe essen? Du hast seit drei Tagen nichts Vernünftiges mehr zu dir genommen.“ Stella streichelte Carlas Hand. „Ich mache mir richtig Sorgen um dich.“

„Ich habe eine Magenverstimmung, das ist alles.“

„Ach hör doch auf mit deiner Magenverstimmung.“ Stella wirkte verletzt. „Warum sagst du mir nicht, was los ist?“

Carla schüttelte den Kopf. „Ich will dich damit nicht belasten, Stella. Mir machen Unstimmigkeiten mit Ansgar zu schaffen.“

„Und das schlägt dir so auf den Magen? Du hast doch dauernd Unstimmigkeiten mit Ansgar.“

„Diesmal ist es ernster.“

„Aha.“ Stella hob Sophias Spielsachen auf, die überall auf dem Boden verstreut lagen. „Ich dachte, wir hätten eine Beziehung, in der wir uns alles sagen.“

Carla stand auf und legte die Arme um sie. „Das haben wir immer gehabt, und das soll auch so bleiben“, sagte sie sanft. „Ich brauche im Moment nur mehr Zeit für mich. All der Stress im Büro und mit Ansgar. Mir ist das zurzeit alles zu viel.“

Stella küsste sie zärtlich. „Warum kommst nicht mit, wenn ich im nächsten Monat nach Wien muss? Wir hätten endlich mal Zeit füreinander.“

„Ich überlege es mir.“

Das Klingeln des Telefons befreite Carla von weiteren Nachfragen. „Ich mach das schon“, sagte Stella und ging zum Telefon. „Ist für dich!“, rief sie wenig später aus dem Wohnzimmer.

„Wer ist es denn?“ Carla sah ärgerlich auf die Standuhr. Wer störte sie jetzt noch?

„Frau Brandner“, sagte Stella, als sie ihr den Hörer in die Hand drückte.

„Susanne?“ Carla warf Stella einen fragenden Blick zu. „Susanne?“, sagte sie ins Telefon. „Was gibt es?“

„Nein, ich bin’s. Isabell.“

Carla atmete tief durch. Sie wusste, warum sie anrief. „Nina hat es dir erzählt.“

„Carla, entschuldige, dass ich dich hier so überfalle. Ich habe Nina gebeten, mir deine Nummer zu geben…“

„Ist schon gut.“ Carla machte eine Pause, als Stella sich zu ihr setzte. „Warte mal…“ Sie beugte sich zu Stella. „Ich geh nach oben, dann störe ich dich nicht.“

„Aber du störst mich gar nicht“, widersprach Stella, doch Carla war schon auf dem Weg zur Tür.

„So, jetzt können wir sprechen“, sagte sie, als sie die Schlafzimmertür schloss. „Ich bin froh, dass Nina es dir erzählt hat.“

„Dann glaubst du also auch, dass es tatsächlich Hanna ist?“

„Ich weiß es sogar inzwischen, ich habe einen Privatdetektiv engagiert.“

„Einen Detektiv? Hat er etwas herausgefunden?“

„Jawohl, das hat er.“ Carla rang mit sich, was sie Isabell sagen konnte. Es war einfach alles zu schrecklich, doch schließlich war Isabell neben ihr der Mensch, der Hanna am nächsten gestanden hatte, und Carla wusste, dass sie ihr absolut vertrauen konnte. „Bitte hab Verständnis, wenn ich dir nicht alles erzählen kann“, sagte sie vorsichtig. „ Aber unter anderem hat der Mann herausgefunden, dass Hanna nicht an einer Embolie im Gehirn gestorben ist und nie obduziert worden ist. Sie wurde vergiftet.“

„Aber… ddu warst doch bei ihr?“, stotterte Isabell.

„Ja.“ Carla schwieg, als die Erinnerung an den Abend sie übermannte. „Wie sollte ich denn ahnen, dass ihre Tabletten vertauscht waren?“ Sie presste ihre Augen zusammen, um die Tränen zurückzuhalten.

„Ist sie denn überhaupt beerdigt worden?“, fragteIsabell.

„Wahrscheinlich.“ Carla wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Die Dosis war aber wohl zu gering, so dass sie wieder aufgewacht ist…“ Die Stimme versagte ihr. Die Vorstellung, dass Hanna in einem Sarg wieder zu sich gekommen war und nicht herauskommen konnte, war nicht zu ertragen.

Auch Isabelle weinte. „Und du meinst, jemand hat sie gehört?“, fragte sie nah einer Weile.

„Vermutlich.“

„Oh Gott...“

„Ich bin so froh, dass ich es dir erzählen kann“, sagte Carla mit tränenerstickter Stimme. „Ich ertrage das alles nicht.“

„Weiß deine Frau davon?“

„Stella?“ Carla schüttelte den Kopf. „Das kann ich ihr nicht antun. Ich kann ihr doch nicht sagen, dass Hanna lebt. Sie weiß, was sie mir bedeutete.“

„Willst du Hanna denn zurück?“

„Ach, darum geht es doch jetzt gar nicht.“

„Vielleicht geht es ja genau darum?“

Carla schwieg. „Sie ist doch gar nicht mehr hier“, sagte sie ausweichend.

„Sie ist mehr hier als du zugeben magst, und das weißt du auch“, sagte Isabell sanft. „Ich verstehe, wenn du deine Beziehung nicht gefährden willst, aber Hanna in diesem Albtraum zu belassen…“

„Ich weiß, ich weiß…“ Carla fuhr sich durch ihre Locken. „Könntest du nicht nach Kreta reisen? Vielleicht genügt das ja, um ihre Erinnerung zurückkehren zu lassen.“

„Ja vielleicht.“ Isabell machte eine lange Pause. „Ich frage mich nur, wie es Hanna gehen wird, wenn sie ihre Erinnerung zurückbekommt und erfährt, dass du dich rausgezogen hast.“

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BeitragVerfasst: 09.04.2011, 22:06 
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Wow was für eine tolle Geschichte.
Ich leide mit Carla und Hanna.
Du schreibst richtig gefühlsvoll.
Ich freue mich schon auf mehr und kann es kaum abwarten.

:danke:

lg
Martina


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 Betreff des Beitrags: Re: Ambrosia
BeitragVerfasst: 10.04.2011, 04:06 
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Beiträge: 477
kimlegaspi hat geschrieben:
... Achso, und noch was: Leider kann ich nicht so stringent und ***zügig*** schreiben wie die meisten hier. Ich neige zur Läääääänge….

schön, schön. danke .-)

sabam

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ich werde mir vor deinem tor eine hütte bauen,
um meiner seele, die bei dir haust, nah zu sein.


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