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„Ausgezeichnete Arbeit! Habe nur wenige Änderungen gemacht. Sind von Hand markiert. Bitte noch anpassen, Danke“, stand auf der ersten A4-Seite meines Entwurfs für das Referat, das sie am Investorentag der Bank halten würde. Ich hatte für ihre Rede und der dazugehörenden Powerpoint-Präsentation jede Menge recherchiert sowie entsprechende Grafiken erstellt und das jeweils bis tief in die Nacht. Dass ich einen derartigen Aufwand betrieben hatte, behielt ich natürlich für mich. Sie sollte vielmehr denken: Was für ein „Genie“ ihre Assistentin doch ist...!
Ich war überglücklich, dass sie zufrieden war.
Sie musste bereits am frühen Morgen im Büro gewesen sein und mir den Draft hingelegt haben. Jetzt war sie, wie ich wusste, an einer Sitzung mit ihren Brüdern. Ich machte mich schnurstracks an die Änderungen, wobei ich dennoch ausgiebig Zeit fand, ihre Schrift zu bewundern, die zu meiner Überraschung einen Tick verspielt war. Ich liebte ihre Schrift.
Oder besser: Ich war einfach in alles verliebt, was mit dieser Frau zu tun hatte, war selbst darüber glücklich, im selben Raum sein zu können wie sie, dieselbe Luft zu atmen, denselben Leuten auf den Gängen zu begegnen, denselben Fahrstuhl nutzen zu können…
Ich druckte die korrigierte Version aus und schlurfte rüber in ihr Büro. Ein Hauch ihres Parfüms lag in der Luft… Ich legte den Ausdruck auf ihren Tisch und schrieb auf ein Post-it, wo das elektronische Dokument auf dem Server zu finden war. Meine Augen wanderten über den Tisch, auf dem Researchberichte lagen, Zeitungen sowie ein edler Füllfederhalter, der einige Jährchen auf dem Buckel zu haben schien. Wahrscheinlich ein Einzelstück… Hatte sie mit diesem meinen Vertrag unterschrieben? Wie schön! Mein Blick wanderte weiter zu den Fotos. Ich nahm sie in die Hand, stellte sie aber unverzüglich wieder hin in der Angst, sie könnte unerwarteterweise zurückkommen.
Ich starrte auf die Bilder: Schöner Mann, ihr Stecher, stellte ich angewidert fest. Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen, gestand ich mir ein. Sie hatte Geschmack – in jeder Hinsicht. Typ französischer Schauspieler, dessen oberstes Ziel es war, jede Frau zu verführen, die ihm verführenswert erschien und das im Wissen, dass ihm keine widerstehen können würde: Braune Haut, schwarzes, gewelltes, nach hinten gekämmtes Haar und eine Strähne, die ihm lässig ins Gesicht fiel; markante, breite Nase; hohe, elegante Wangenknochen; sinnliche Lippen und umwerfend schöne, schwarze, katzengleiche Augen. Das Dunkelgrün des sportlichen Pullovers über dem schneeweissen Hemd unterstrich seinen Teint.
Was er ihr gesagt haben mag, das sie derart amüsiert hatte, als wir im Bentley unterwegs gewesen waren, dieser eingebildete Crétin?
Neben ihm stand ein blondgelockter Teenager, der seinen Vater verehrte, wie man unschwer erkennen konnte. Das Mädchen war brav und adrett gekleidet. Auf seinem Schoss sass ein zweites Kind, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, genauso dunkel wie der Papa, aber der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Der mürrische Blick verriet, dass sie die Rotznase der beiden Schwestern sein musste. Sie war mir augenblicklich sympathisch.
Das Bild kam einer Inszenierung gleich und erinnerte mehr an ein Gemälde als an eine Fotografie. Offenbar hatte man sich den Fotografen etwas kosten lassen.
Das zweite Foto war dagegen schlicht. Darauf umschlang Carla Berenstein ihren Mann von hinten. Beide lächelten in die Kamera. Meine Stimmung sank ins Unterirdische. Tränen schossen mir in die Augen.
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Ich sass an meinem Bürotisch und schrieb eine Email an eine Freundin, bei der ich mich über die viele Arbeit ausliess – wobei mein Ärger eigentlich Carla Berenstein und ihrem Gatten galt –, als ich sie ins Büro zurückkommen hörte. Sie knallte einen Stapel Papier auf den Tisch und stöhnte kurz auf. „Frau Martens, bringen Sie mir eine kühle Cola, bitte – ohne Eis und ohne Zitrone“, sagte sie in den Lautsprecher der Telefonfreisprechanlage. „Ohne Eis und Zitrone – also wie immer“, hörte ich die Stimme von Martens via Sprechanlage nur trocken antworten. Die Tür ging auf. Frau Martens kam mit einer Cola, schenkte der Chefin ein Glas ein und stellte die Flasche etwas unsanft auf den Tisch: „Ohne Eis und ohne Zitrone“, betonte sie nochmals. Sie kam zu meinem Büro rüber, streckte den Kopf durch die Zwischentür und fragte, ob ich auch was wolle.
„Haben Sie einen Tee gegen Übelkeit?“, fragte ich.
„Oh je, geht es Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus. Ist Ihnen ein Gespenst begegnet?“
„Kann man so sagen…“, erwiderte ich.
„Ich werde schauen, was ich finde. Brauchen Sie Medikamente?“
„Nein, nein, nur nen Tee. Ist nur ne kleine Verstimmung.“
„Gut, ich bringe Ihnen sofort einen, ja“.
„Merci, lieb von Ihnen.“
Sie ging wieder ins Büro der Chefin. „Die Luft hier drin ist so dick, dass man sie schneiden könnte“, sagte sie zu ihr in einem leicht provozierenden Unterton.
Die Chefin ging auf den Wink betreffend dicker Luft nicht ein und nörgelte nur:„Kein Wunder bei den Klimaanlagen, die nicht richtig funktionieren wollen.“
„Dann öffnen Sie doch einfach die Fenster.“
„Bei der Hitze, ich bitte Sie, Bernadette.“
„Aber, Carla, geniessen Sie doch den Jahrhundertsommer!“
Ich musste fast laut lachen. Die beiden siezten sich, redeten sich aber hin und wieder mit Vorname an. Das war mir vielleicht eine Gesellschaft, in die ich hier geraten war.
„Das wäre einfacher, wenn mein Bruder nicht so bescheuerte Geschäfte um jeden Preis durchboxen wollen würde“, erwiderte Madame. „Frau Frank, kommen Sie bitte mal!“
Ich ging zu ihr, wie mir befohlen. „Setzen Sie sich kurz!“ Ich setzte mich. „Das alles ist streng vertraulich. Es geht um folgende Bank“, sie schob die Unterlagen zu mir über den Tisch rüber. „Massimiliano hat sich in den Kopf gesetzt, sie zu übernehmen. Meiner Meinung ist der Preis, den er bezahlen will, zu hoch. Deren Profitabilität ist geringer als die der unsrigen, auch überschneiden sich die Geschäfte geografisch zu stark. Schauen Sie sich die Due Dilligence durch, die wir haben machen lassen und prüfen Sie sie auf Plausibilität. Ich weiss, Sie sind keine Expertin in diesen Dingen, aber gerade der unvoreingenommene Blick hilft oft weiter.“
„Klar, mach ich, aber wie Sie selbst sagen: Ich bin keine Expertin. Vor diesem Hintergrund stellt sich doch die Frage, ob es tatsächlich weiterhilft, wenn ich eine Plausibilitätsprüfung mache … Ich meine… Ich will nicht klemmen, aber…“, sagte ich und guckte betont unschuldig zu Frau Martens.
Diese lächelte mich an und sah sodann mit einem „hat-sie-nicht-recht-Carla?“-Blick zur Chefin.
„Aha, daher weht der Wind. Ich hab mir neben Frau Martens noch ein zweites subversives Element in meine Entourage geholt…“, sagte sie schmunzelnd und zog ihre wunderschöne Augenbraue hoch, so elegant, wie nur sie das konnte. „Sie haben ja recht. Ist nicht plausibel. Ich gebe mich geschlagen“, meinte sie versöhnlich. In Wahrheit hatte sie wohl nur testen wollen, wie ich auf einen sinnlosen Auftrag reagieren würde. Schliesslich fragte sie mich doch noch:„Hatten Sie gesagt, dass es Ihnen nicht gut gehe?“
„Ach, der Magen.“
„Sie brauchen vielleicht etwas frische Luft.“
„Ja, das wird es sein“
„Ich sag ja, Klimaanlage abstellen und Fenster öffnen“, lachte Frau Martens breit. „Ich hol Ihnen Ihren Tee.“
Carla Berenstein öffnete die Fenster. „Kommen Sie, tief einatmen… Lassen Sie die Abgase unserer bezaubernden Stadt ihre Lungen streicheln. Frau Martens meint, das hilft…“
„Wie Sie wissen, liebe ich Autogestank. Schon vergessen?“
„Nein, ich habe bislang keiner Ihrer Worte vergessen… “, und ich meinte, dass sich ihre Stimme für einen Sekundenbruchteil veränderte hatte, etwas rauer wurde. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein.
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