Kapitel 69: Running out of time
„Was heißt nicht die ganze Wahrheit?“, wollte sie wissen. Er zögerte. „Ich habe dir gesagt, dass ich Rebecca und Marlene einen Schrecken einjagen wollte. Das mit der Entführung, die ich so nicht geplant hatte, weißt du.“ Bella nickte. „Ich habe nicht aufhören können.“ „Womit?“ „Damit, mich an den beiden zu rächen.“ Die Rothaarige sah ihn fassungslos an. „Was hast du getan?“, fragte sie fast tonlos. „Ich wollte sie vernichten.“ „Vernichten?“, hauchte sie. Ihre Augen waren aufgerissen, sahen in die Tristans, ihn kaum wiedererkennend. „Ich KONNTE einfach nicht vergessen was sie mir angetan haben.“ „Was sie dir ANGETAN haben? Tristan, ja, ich weiß, Marlene hat dich vor dem Altar stehengelassen aber letztendlich ist es kein Verbrechen, dass sie dich nicht genügend geliebt hat und das weißt du! Was genau hast du vorgehabt?? Sag es mir!“
Der Dunkelhaarige holte tief Luft und begann dann weiterzureden: „Ich habe zuerst dafür gesorgt, dass Rebecca ihren Job verliert durch gezielte Manipulation. Ich habe zwei Typen engagiert, die ihr die Entwürfe stehlen. Diese Entwürfe wurden der Konkurrenz zugespielt, die damit eine Kollektion rausbrachten und es so aussehen lassen sollten, dass Rebecca ihre Entwürfe für mehr Geld an dieses andere Label verkauft hatte. Ricky Pflock hat auch eine Rolle gespielt in dem Ganzen. Er war involviert in alles. Ein Bericht erschien in der „Glanz und Gloria“ , in dem Rebeccas Ruf in der Branche zerstört wurde. Um Rebecca zu rehabilitieren, bot Pflock ihr ein Interview an, bei dem sie eine Gegendarstellung zum besten geben konnte. Sie tat das auch. Um sie noch mehr zu demütigen, hat er ihr ein unmoralisches Angebot gemacht. Es gab – gefakte – Beweise, ein Telefongespräch, aus dem hervorging, dass die Entwürfe gestohlen worden waren. Das hat Pflock Rebecca vorgespielt. Wenn sie eine Nacht mit ihm verbringt, so sagte er ihr, dann würde er ihr die Beweise aushändigen. Rebecca ist nicht drauf eingegangen.“
Bella hatte während Tristans Monolog fassungslos zugehört. Sie konnte nicht glauben, was er ihr erzählte. Es war zu schrecklich. „Du – du wolltest Rebecca zerstören, erst ihre Karriere, dann ihre Beziehung zu Marlene“, fasste sie zusammen. Tristan sah sie an, seine Augen waren fast ausdruckslos. Er nickte. „Ja. Ich wollte sie vernichten. Ich habe sie gehasst.“ Bella wich zurück. Sie hatte auf einmal regelrecht Angst vor Tristan. „Bitte geh nicht“, setzte er an und wollte die Hand nach ihr ausstrecken. „Bitte….“ Bella starrte ihn an. „Ich kenne dich nicht, habe dich anscheinend nie gekannt. Wie konntest du so etwas tun? Wie konntest du mir vormachen, mich zu lieben, wenn du hinter meinem Rücken deine eigene Schwester vernichten wolltest? Wie geht so etwas?“ „Das sind zwei verschiedene Punkte. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun“, versuchte er eine Erklärung. Die Rothaarige schnaubte entsetzt. „Du bist krank, Tristan, richtig krank.“ Es schien als wurde Tristan das Ausmaß seines Handelns erst jetzt so richtig bewusst. „Bitte Bella, egal, was ich getan habe. Eins musst du mir glauben. Ich liebe dich. Das ist die Wahrheit.“ „Nimm das Wort Liebe nicht in den Mund. Denn du weißt höchstens wie es geschrieben wird aber nicht was es bedeutet.“ Sie hob abwehrend die Hand als er näherzukommen drohte. „Und bleib mir vom Hals.“ Tristan erschrak. „Hast du – hast du Angst vor mir?“, fragte er und seine Stimme klang erschüttert. „Bleib wo du bist, hörst du?“ Ihre Hand griff in ihre Tasche und zog ein Handy hervor. „Komm mir nicht zu Nahe.“ Tristan blieb jetzt stehen. Er spürte, dass er sie verlor, endgültig. „Ich will dir keine Angst machen. Ich habe selbst vor mir Angst“, sagte er und sah zu Boden. Bellas Hand umklammerte das Handy. „Ich möchte dir nur eins sagen, wenn ich darf.“ Er sah sie an. Sie blickte ihn ihrerseits auch noch immer noch an, sagte nichts, blieb nur auf der Hut wie ein Hase vor dem Jäger, fixierte ihn weiterhin. „Ich habe dich geliebt auch wenn du mir das nicht mehr glauben kannst. Und ich liebe dich immer noch.“ Wieder wollte er einen Schritt auf sie zugehen und wieder hob sie abwehrend die Hände. Der Graf wusste, es hatte keinen Sinn. Er hatte sie verloren. Langsam ging Bella rückwärts, immer einen Schritt nach dem anderen. Tristan blieb stehen. Um ihr zu beweisen, dass er ihr niemals etwas tun würde, ging er ebenfalls rückwärts. Als sie weit genug entfernt war, begann Bella zu rennen. Sie rannte so lange bis sie vor ihrem Roller stand. Sie sprang hinauf und warf den Motor an. Dann bretterte sie wie eine Verrückte die Auffahrt von Königsbrunn entlang so dass der Kies in alle Richtungen flog.
Freitag, 01.02.2013 - 09.00 Uhr
Geschäftig liefen die Mitarbeiter hin- und her. Sie hatten grade eine Mitarbeiterversammlung, die Tanja von Lahnstein um 08.00 Uhr einberufen hatte, hinter sich und waren bemüht, ihre Arbeit so schnell wie möglich auszuführen um sich noch mehr der Ungnade der Herrscherin über LCL auszusetzten. Grade schrie Tanja eine Näherin an, die eine Naht nicht zu ihrer Zufriedenheit verarbeitet hatte. Danach rannte sie in ihr Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Dilettanten! Sie war nur von Dilettanten umgeben. Fast wünschte sie sich Rebecca zurück, die hatte wenigstens noch etwas Professionalität mitgebracht. Ihre neue Designerin war doch nicht so erfolgreich wie Tanja es zunächst dachte und seitdem Irina nicht mehr in der Firma war, war es noch schlimmer geworden, denn die Designassistentin war durchaus fähig gewesen. Tanja klopfte mit den Fingernägeln auf ihrem Schreibtisch herum. Es war unausweichlich. Sie musste beide zurückbringen. Rebecca und auch Irina. Die Blondine wählte die Nummer ihrer Schwägerin. Es dauerte ein wenig bis Rebecca sich meldete. Sie klang verschlafen. „Ich bin´s“, kam die schneidende Stimme der Gräfin Lahnstein. „Hör zu Rebecca, ich brauche dich“, kam sie ohne Umschweife zum Punkt. „Es ist mir egal, was die Presse sagt, die schreiben sowieso was sie wollen. Schwing deinen hübschen Hintern hierher und liefer mir die perfekte Kollektion.“ „Tanja, du hast mich gefeuert, schon vergessen?“, sagte Rebecca mit einer Mischung aus Verunsicherung und dem Gefühl, nicht sofort nachgeben zu wollen obschon es in ihr brodelte, bei der Aussicht, ihren Job wieder zu bekommen. „Du bist hiermit wieder eingestellt. Bis gleich.“ Und dann hatte Tanja aufgelegt.
Sie saß einen Augenblick lang völlig verdattert im Bett bis sie begriff was so eben passiert war. Sie hatte ihren Job wieder. Ein kleines bisschen Hoffnung keimte in ihr auf. Es wurde vielleicht doch noch alles gut. Vielleicht was das ein Zeichen. Dann strahlte sie. Erst deutete sich nur ein kleines, vorsichtiges Lächeln an, das sich dann zu einem breiten Grinsen ausdehnte. Sie hatte ihren JOB WIEDER!! „Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“, schrie sie und sprang mit einem Satz aus dem Bett, rannte ins Bad. Sie hatte ihren Job wieder!
10.00 Uhr
Nervös fingerten seine Hände eine Zigarre aus der Box, zündeten sie mit fahrigen Bewegungen an. Er zog heftig an der Havanna, inhalierte den Rauch tief und blies ihn dann wieder aus. Er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab und immer wieder überlegte er, was er tun sollte. Doch sein Stolz ließ nicht zu, dass er zum Telefon griff.
11:00 Uhr
Rebecca war wieder an ihrem Arbeitsplatz bei LCL. Sie sah sich um, saugte die Atmosphäre ein, die sie so liebte, sah die Mitarbeiter geschäftig umherlaufen, sah nach unten, blickte auf die Eingangshalle, sah Menschen rein und rausgehen, hörte Tanja unten in ihrem Büro keifen und gestand sich ein, wie sehr sie das alles vermisst hatte, sogar Tanja. Irina wurde ihr als Designassistentin zur Seite gestellt, die sie sofort sympathisch fand. Armanda Kensington wurde entlassen. Sie hatte nicht die gewünschten Erfolge erzielt und Tanja hatte keine Gnade gekannt. Rebecca wusste, dass ihre Schwägerin es nicht aus Nächstenliebe zu ihr getan hatte, dass sie ihr den Job wiederbeschafft hatte, sondern weil ihr sprichwörtlich der Arsch auf Grundeis ging aber das war der Brünetten egal, solange sie nur ihre geliebte Arbeit wiederhatte. Ein Piepen ihres Handy riss sie aus ihren Gedanken. Eine SMS. „Rebecca, es tut mir sehr leid, dass ich mich nicht eher gemeldet habe. Gib mir noch ein wenig Zeit. Marlene.“ Wieder eine sehr kurze, marleneuntypische SMS, doch immerhin gab es ein Lebenszeichen von ihr. Glücklich steckte Rebecca das Handy wieder ein und umarmte kurzerhand Tanja von Lahnstein als diese an ihr vorbei ging. „Ähh, Rebecca, es ist ja schön, dass du mir so dankbar bist, dafür, dass ich dich wieder eingestellt habe aber nun doch nicht sooo dankbar.“ Rebecca konnte nur lachen und widmete sich dann wieder ihrer Arbeit. Es würde doch noch alles gut.
12.00 Uhr
Tristan konnte sich kaum bewegen. Er hatte die ganze Nacht dagesessen und vor sich hin sinniert, sich volllaufen lassen und war dann irgendwann in Klamotten auf dem Boden eingeschlafen. Er fasste sich an den Kopf, der entsetzlich dröhnte. Bella. Das war das Einzige, was er denken konnte. Bella. Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er sie endgültig verloren hatte. Er wusste, das was er getan hatte war so unverzeihlich, dass sie ihm keine erneute Chance geben würde und die hatte er auch nicht verdient. Tränen kamen doch er wischte sie weg, wütend. Wütend auf sich selbst, dass er es verbockt hatte, dass sein Zorn, sein verdammter Hass auf Marlene und Rebecca alles zunichte gemacht hatte. Und dieses Mal konnte er keinem anderen die Schuld geben. Er allein war schuld. Niemand sonst. Tristan ließ sich aufs Bett fallen. Er hatte sich nie so allein gefühlt wie an diesem Morgen.
13:00 Uhr
Nervös blickte er auf seine Uhr. Sollte er die Drohung ernstnehmen? War er zu weit gegangen? War alles aus dem Ruder gelaufen? Sicherheitshalber hatte er die Million besorgt. Alle zehn Minuten sah er auf die Uhr, bemerkte, dass er eigentlich nur darauf lauerte, dass es 16 Uhr wurde und er weitere Informationen erhielt.
14:00 Uhr
„Hör zu, ich muss mit dir reden“, insistierte er. „Ich kann nicht reden, merkst du doch“, lallte sein Gesprächspartner in den Hörer. „Du MUSST aber zuhören. Kennst du die beiden näher? Bodo? Und Fechner? Was weißt du über die?“ „Ich muss nur eins, trinken. Prost“, sagte er dann zu sich selbst und hob die Flasche erneut. Dann schmiss er das Handy in die Ecke. Für ihn war das Thema erledigt.
15:59 Uhr
Rebecca war wie aufgedreht. Sie arbeitete konzentriert und fast besessen. Tanja kam zu ihr und besah sich ihre Ergebnisse. Sie war sehr zufrieden. „Ich wusste doch, es war eine gute Idee, dich wieder zu holen“, sagte sie fast freundlich. „Und das mit Marlene, das bekommst du auch wieder hin“, fügte sie aufmunternd hinzu. Rebecca horchte auf. „Was weißt du?“, schoss es aus ihr hervor. Tanja zögerte kurz, dann sagte sie: „Ich habe vor ein paar Tagen mit ihr telefoniert. Sie hat mir gesagt, dass ihr euch gestritten habt und dass sie Zeit für sich braucht. Mehr weiß ich auch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass Marlene – ja, Herrgott, dass sie dich liebt, Rebecca, warum auch immer.“ Tanja wedelte mit den Händen herum, ein Zeichen dafür, dass sie sich unwohl fühlte, über Gefühle zu reden. „Gott, ich klinge schon wie eine verkappte Psychologin“, sagte sie zu sich selbst und ging wieder in ihr Büro. Rebecca aber strahlte vor sich hin und war ihrer Chefin unendlich dankbar für diese Bemerkung.
16:20 Uhr Nichts. Kein Anruf. Keine weiteren Anweisungen. Verdammt. Wieder blickte er auf seine Uhr. Das durfte nicht wahr sein. Dann, endlich um 16:21 klingelte sein Handy
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