Kapitel 63: (Love ist he light) scaring darkness away
Ein nervöser Ansgar stieg die Treppenstufen im Schneiders herab und sah sich um ob er Irina schon irgendwo entdeckten konnte, doch alles was er sah war Tanja, die am Tresen lungerte und sich Champagner hinter die Binde goss. Ansgar fand, dass seine Ex-Frau nicht gut aussah, gar nicht gut. Das hatte bestimmt etwas mit Irinas Arbeit zu tun. Der Graf frohlockte, der Abend konnte nur gut werden.
Tanja hatte ihn nun gesehen und kam auf ihn zu, leicht schwankend. „Na, meine liebste Ex – Frau von allen, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, etwa deine Wurst?“, fragte Ansgar feixend. „Geh und laber einen Baum an aber lass mich in Ruhe“, fauchte sie ihn an jedoch nur mit der Hälfte ihrer gewohnten Bissigkeit. „Nana, wer wird denn so schlecht gelaunt sein?“, fragte er und verlieh seiner Stimme seinen so typischen zynischen Sing-Sang. „Ansgar – HAU AB“, fauchte sie erneut und betonte jeden einzelnen Buchstaben. Dieser hob abwehrend die Hände und ging fast tänzelnd zu einem der Tische im hinteren Bereich um auf Irina zu warten. Doch sie kam nicht, auch nicht um zwanzig nach acht. Ansgar sah alle zwei Minuten auf seine Uhr und wurde merklich nervöser und er merkte, wie viel es ihm ausmachte auch wenn er das nicht wirklich wollte.
Um halb neun kam die Brünette endlich auf seinen Tisch zu. Sie wirkte total abgehetzt und warf mit Schwung ihre Clutch – Handtasche auf einen Stuhl. Ansgar zog die Augenbrauen hoch. „Es tut mir leid, ich habe keinen Parkplatz gefunden, heute ist die Hölle los“, sagte sie außer Puste. Ansgar konnte ihr nicht böse sein und stand auf um ihr einen Kuss zu geben. Er traute sich jedoch nicht sie auf den Mund zu küssen und so wurde ein halbherziges Bussi-Bussi daraus, was er für gewöhnlich verabscheute, er durch seine Tochter Kim jedoch gewohnt war.
Schuldbewusst sah Irina ihn an und legte sachte ihre manikürte Hand mit den langen French – Nägel auf seinen Arm. Allein die Berührung ihrer Hand entfachte in Ansgar ein Sturm der Gefühle, denen er sich kaum noch erwehren konnte. „Jetzt bist du ja da“, sagte er und in seiner Stimme klang Unsicherheit mit. „Ja, ich hatte schon Angst, dass du weg bist“, gab sie zurück. „Für gewöhnlich warte ich nicht so lange auf eine Frau, auch wenn sie so schön ist wie du“, gab er galant zurück, sich wieder fangend. „Aber Tanja hat mich ein wenig freudig gestimmt wie sie so total betrunken an der Bar hing. Ich wette mein Plan ist aufgegangen“, frohlockte Ansgar. Irina sah ihn entsetzt an. Tanja von Lahnstein war hier?! „Was – was hat sie gesagt?“, wollte die Brünette wissen. Ansgar beugte sich vor, linste einen Augenblick in Irinas großzügigen Ausschnitt und spielte dann mit seiner Zunge wie es seine Art war. „Nicht viel“, sagte er bedeutungsschwanger. „Viel interessanter ist, was ich zu Sebastian gesagt habe.“ Irina sah ihn aufmerksam, ängstlich an. „Na, ich habe ihm nahegelegt, dass ich seiner Frau eine schöne Speicherkarte zukommen lasse, auf der er – na, sagen wir mal, etwas unvorteilhaft aussieht.“ „Das hast du gemacht?“ Ihre Stimme war unsicher. „Na, hör mal, Schätzchen, das war doch unser Plan.“ „Dein Plan, es war dein Plan. Ich habe nur deinen Auftrag ausgeführt“, berichtigte sie. „Wie dem auch sei. Ich habe ihm gesagt, dass er nur eine Chance hat, dass ich seiner Frau nichts sage und das ist die Übertragung LCLs an mich.“
Irina sah ihn verdattert an. „Aber LCL gehört Tanja zumindest ein Stück weit, oder?“ „Tanja gehört genau die Hälfte. Die andere Hälfte wird von der Enterprise verwaltet. Diese andere Hälfte sollte in meinen Besitz.“ „Aber du bist doch eh schon der Chef von dem ganzen Kasten“, wandte Irina ein. „Ja, das ist wahr, ich bin der alleinige Geschäftsführer der Enterprise aber deswegen gehören Tanja dennoch 50 % der Anteile an LCL. Ich wollte eigentlich Sebastian noch soweit treiben, dass er auch die Anteile, die seiner Frau gehören, ihr irgendwie abluchst, wozu ist er Rechtsverdreher aber er ließ sich nicht auf irgendetwas ein, so dass ich annehme, die schlechte Laune Tanjas kommt daher, dass er ihr die Wahrheit über seinen Fehltritt mit dir gestanden hat. Na, gut, ich habe nicht wirklich erwartet, dass die Wurst zur Bad Wurst mutiert und sich von mir erpressen lässt. Dennoch konnte ich Unfrieden stiften.“
Irina sah ihn fassungslos an. „Deswegen musste ich mit Sebastian schlafen? Für „etwas Unfrieden"?“ Sie ließ die Karte zuklappen, die sie zum Gerichtaussuchen in der Hand gehalten hatte. Ihre Augen funkelnden Ansgar bitterböse an. Dieser blickte sie erstaunt an. „Das hast du doch gewusst, warum jetzt das Entsetzen?“ „Vielleicht hab ich mich doch in dir geirrt“, sagte sie leise und stand auf. Blitzschnell schoss er vor und griff nach ihrer Hand, hielt sie fest. „Du weißt, wie ich gestrickt bin, das wusstest du von Anfang an und du hast dich nicht gescheut das Geld zu nehmen. Warum machst du so einen Aufstand jetzt? Ich dachte, wir machen uns einen schönen Abend?“ Sein Blick wurde weicher und Irina setzte sich wieder hin. Jetzt! Jetzt war der Moment wo sie ihm die Wahrheit sagen konnte aber sie schaffte es nicht. Sie holte tief Luft und sah Ansgar an. „Ja, vielleicht hast du Recht. Ich habe mitgemacht. Und ja, ich bin eine Prostituierte aber ich bin auch die Assistentin von der Designerin von Tanja und ich möchte aufhören mit meinem – Job, also dem anderen.“ „Irina, ich denke, die Assistentin von Armanda bist du die längste Zeit gewesen oder was glaubst du? Dass Tanja dich noch weiter beschäftigen wird? Nachdem sie weiß was gelaufen ist mit Sebastian?“ Daran hatte Irina noch gar nicht gedacht. Sie schluckte. Das gehörte zum Deal. Sie mussten es so aussehen lassen als ob Irina die Sache durchgezogen hatte. Ihren Job war sie also los. „Aber ich habe mir schon etwas ausgedacht. Da Victoria Wolf mittlerweile Personalreferentin ist suche ich noch nach einer persönlichen Assistentin für mich.“ Er blickte sie direkt an. Irina wusste auf was er abzielte. „Und da hab ich an dich gedacht.“ „Ansgar, das.. das ist eine große Chance für mich. Ich danke dir. Aber meinst du nicht, dass etwas durchsickern könnte wegen dem was ich.. was ich vorher gemacht habe?“ Ansgar sah sie verständnislos an. „Das lass´mal meine Sorge sein“, sagte einfach nur und nahm ihre Hand. „Und jetzt lass uns zu Abend essen.“ Das Thema war für ihn erledigt.
Rebecca hörte nicht zu. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Marlene bemerkte es nicht, da sie aufgeregt drauf los plapperte, da sie zu einem Casting für eine Fernsehproduktion eingeladen gewesen war, das sehr gut gelaufen war. Die Brünette dachte an die vergangene Nacht, in der sie draußen vor der Orangerie gesessen hatte und vor sich hin geweint hatte. Still und heimlich. Sie hatte in den Himmel geschaut und hatte in Gedanken mit ihrem Papa geredet, ihn um Hilfe gebeten, auch wenn sie wusste, dass es vergeblich war. Marlene redete und redete und schien nicht im Geringsten zu merken, was in ihrer Freundin vor sich ging. Auf einmal stand Rebecca mit einem Satz auf. Die Bonde sah sie überrascht an. Rebecca öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber. „Marlene, Marlene, immer nur Marlene. Ich kann´s nicht mehr hören! Es dreht sich nicht alles nur um dich aber das merkst du nicht, oder? Ich halt das nicht mehr aus!“ Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und ließ eine völlig entsetzte Marlene zurück.
Ansgar und Irina hatten grade das Dessert hinter sich als plötzlich jemand hinter sie trat, jemand, der offensichtlich zu viel getrunken hatte, viel zu viel. „Ach, da sind Sie ja, Sie Flittchen“, rief sie aus und sah Irina an. Diese stand auf weil sie Angst bekam vor Frau von Lahnstein. Sie war sich unsicher ob das nun zum Spiel gehörte oder ob es echt war. Tanja griff sie am Ärmel und sah sie von oben herab an. Mit ihren extrem hohen Stillettos war sie noch ein Stück größer als die kleine, zierliche Irina. „Du verdammtes Miststück, hast meinen Mann gefi**t und jetzt machst du dich an Ansgar ran.“ Zu Ansgar gewandt sagte sie: „Ansgar, du lässt dich doch wohl nicht im Ernst auf so eine – eine..“ ihr fehlten die Worte, der Alkolhol forderte seinen Tribut. Doch sie kam auch nicht weiter, denn Ansgar war aufgesprungen und hatte Tanja am Arm gepackt. „Lass mich los!“, schrie sie ihren Ex-Mann an, der sehr fest zugegriffen hatte. „So redest du nicht mit meiner Freundin!“, zischte er. „Was kann sie dafür, dass deine Wurst seinen Zipfel nicht in der Hose lassen kann?“ Blitzschnell hatte Tanja den Champagner vom Tisch genommen und Irina den Inhalt des Glases ins Gesicht geschüttet. Diese zuckte zusammen. „So, jetzt reichts!“ Ansgar riss Tanja von Irina weg und schob sie brutal in Richtung Ausgang. Tanja wehrte sich erstaunlicherweise nicht stark und als sie mit Ansgar den Ausgang erreicht hatte war es als würde sie plötzlich stocknüchtern sein. Sie sah ihn hämisch an und sagte völlig ohne Lallen: „Viel Spaß noch mit deiner Nutte.“ Sie hinterließ einen Ansgar, der völlig perplex dastand. Irgendetwas war hier seltsam. Er wusste nur noch nicht was.
„Ich habe Angst“, gestand sie ihm. „Wovor?“ „Davor, dass du mir nicht alles gesagt hast.“ Die Rothaarige sah ihn prüfend an, Ängstlichkeit lag in seinem Blick. „Du brauchst keine Angst haben, hörst du?“ „Hab ich aber. Ich will dich nicht verlieren, nicht noch einmal.“ „Das wirst du nicht, niemals.“ Ein Blick in seine Augen, die sie so ehrlich anblickten, genügte und sie nickte. „Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, alles.“ „Ich weiß das, Bonnie.“ Dann versunken die beiden in einem innigen Kuss und vergaßen alles um sich herum.
Als Ansgar zu Irina zurückkam fand er sie weinend vor. Er nahm an, dass es wegen Tanjas Auftritt war und konnte nicht ahnen was sie wirklich beschäftigte. Ansgar konnte sehr schlecht eine Frau weinen sehen und er gab ihr etwas unbeholfen seine noch sauberere Serviette. Doch Irina konnte nicht aufhören zu weinen. Der Graf stand auf und legte etwas linkisch einen Arm um die Polin, zog sie an sich. „Hör mal, vergiss was Tanja gesagt hat. Sie war betrunken. Das wagt die nicht noch einmal.“ Irina sah mit tränenüberströmten Gesicht zu Ansgar auf. Wieder überlegte sie, ihm die Wahrheit zu sagen aber sie schaffte es nicht als sie an seine breite Brust geschmiegt war und sein Rasierwasser einatmete, seinen Herzschlag spürte, kräftig und etwas schneller als normal. Sie liebte ihn und sie wollte ihn nicht verlieren. Sie hoffte, dass Tanja von Lahnstein sich an die Abmachung halten würde. Vorsichtig ließ sie zu, dass Ansgar sie zu sich hochzog. Achtlos warf er drei Hundert – Euro – Scheine auf den Tisch und nahm Irinas Clutch und ihren magentafarbenen Mantel. Dann führte er sie nach draußen. Es war noch reichlich frisch an diesem Frühjahrsabend und so legte Ansgar Irina den Mantel über und drückte sie an sich. Irina, die seit Jahren keinen Mann mehr an sich herangelassen hatte außer für Sex auf Bezahlung fühlte sich so unglaublich geborgen und schmiegte sich an ihn. Es fühlte sich so verdammt gut und richtig an mit Ansgar. Langsam fand sie ihre Sprache wieder. „Danke“, flüsterte sie und sah ihn unter tränenverhangenen Wimpern an. Ansgars Herz zog sich zusammen bei ihrem Anblick und wieder einmal spürte er was er eigentlich nicht wahrhaben wollte, etwas wie ein tiefes Gefühl von Zuneigung. „Wofür?“ „Dafür, dass du mich verteidigt hast“, gab sie leise zurück. „Ich meine, aus der Sicht von Tanja kann ich das schon verstehen, ich bin eine Nutte und ich habe ihren Mann verführt.“ „Sie hat nicht das Recht so mit dir zu reden!“, schoss es aus Ansgar heraus. Irina sah ihn verwirrt an.
„Warum? Was ist es?“, wollte sie wissen. „Was meinst du?“ „Was ist es, dass du dich auf jemanden wie mich einlässt? Ist es weil es mal was Neues ist, Pretty Woman reloaded, das Mädchen von der Straße gerät an einen mächtigen Mann und er holt sie aus dem Sumpf, gibt es dir was, dass du dich wie der geiler Macker fühlen kannst? Was ist es, Ansgar?“ Sie sah ihn immer noch intensiv an. Ansgar fühlte etwas in seinem Magen durcheinanderwirbeln. Er wusste keine Antwort, zumindest keine, die er ihr geben wollte. „Ansgar, ich meine es ernst. Was ist es? Warum ich?“ War es der Alkohol oder waren es ihre grünblauen Augen, die noch immer vor Tränen schwammen? Oder war es die heimliche Sehnsucht nach Liebe in ihm, die ihn antrieb? Er schaute sie nicht an als er den Mund öffnete um etwas zu erwidern.
„Hier bin ich. Bringen wir es hinter uns.“ Ihre Stimme war fest und sie sah ihn herausfordernd an.
Das was er sagte, zog ihr den Boden unter den Füßen weg, ließ sie innerlich taumeln.
„So schnell hätte ich nicht mit dir gerechnet!“
„Weil ich dich liebe.“
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