Kapitel 18: unforseen advantages
„Ich? Ach, das war nur so daher gesagt“, sagte Andi lapidar. „Wie, nur so DAHER-gesagt? So was sagt man nicht einfach so daher! Du weißt doch was!“ Andi wand sich. „Wie schon gesagt, ich habe es nur so angenommen, dass er sich nach Sex nicht meldet, das war alles. Und außerdem muss ich jetzt zu Brandner-Bau.“ Er war aufgesprungen und schnappte sich seine Arbeitstasche, die auf dem Stuhl lag, um zur Tür zu gehen. Auf einmal prustete Bella los. Der Anblick war einfach zu komisch. Andi drehte sich entsetzt um. Was war denn jetzt schon wieder mit seiner Mitbewohnerin los? Eben war sie doch noch stinksauer gewesen. Dann bemerkte er selbst, dass er mit Schlappen zur Wohnungstür gelaufen war. Er war wütend auf sich selbst. Warum konnte er nicht einmal seine Klappe halten? Etwas peinlich berührt drehte er sich um und warf seine Tasche, wütend über sich selbst auf das Sofa. Er konnte Bella kaum ansehen, die sich noch immer die Hand auf den Mund presste, um nicht laut loszulachen. „Ei – eigentlich müsste ich ja sauer sein, und bin es auch, aber..“ sie hielt wieder inne, weil ein erneuter Lachanfall sie überkam, „das ist einfach – zu KOMISCH.“ „Haha“, sagte Andi sarkastisch, der es nicht verknusen konnte, wenn man über ihn lachte. ‚“Ne, du hast recht, es ist wirklich nicht lustig, dass Tristan diese intimen Details weitergegeben hat“, sagte Bella und wurde wieder ernst. „Ich kann mir genau vorstellen, wie das abgegangen ist. Ihr habt euch mal wieder in der Wolle gehabt, und Tristan hat dann geprahlt damit, dass er mich rumgekriegt hat.“ Bella verzog angewidert das Gesicht. In Andi arbeitete es. Bella dachte dass Tristan gequatscht hatte. So hatte er es ja noch gar nicht betrachtet. Vielleicht war hatte ihm der Zufall jetzt einen Trumpf in die Hände gespielt. Andi überlegte, ob es fair war, Bella die Wahrheit zu verschweigen, aber was hätte er sagen sollen? Nein, Bella, so war es nicht, ich war es, der euch beim Sex zugesehen hatte? Andi schüttelte innerlich den Kopf. Das konnte er ihr auf keinen Fall sagen. Doch er konnte nicht länger nachdenken, denn Bella hatte sich ihre Lederjacke, die sie von Charlie geschenkt bekommen hatte, übergeworfen und war im Begriff, die WG zu verlassen. „Wo willst du hin?“, fragte er sie. „Na, wo will ich schon hin, zu Tristan natürlich“, erwiderte Bella. „Bella, warte mal“, sagte Andi und war selbst erschrocken dass er sie zurückhielt. „Ich muss dir noch was sagen.“
Tristan war zufrieden. Er hatte alle Vorbereitungen getroffen, und der Überraschung für Bella stand nichts mehr im Wege. Er freute sich jetzt schon über ihr Gesicht, und er hoffte sehr, dass ihr gefallen würde, was er sich für sie ausgedacht hatte. Er wollte Bella sofort anrufen und ihr sagen, dass sie für das kommende Wochenende nichts vornehmen sollte. Grade, als er zum Handy greifen wollte, sah er die Rothaarige wutentbrannt die Treppe hochlaufen. Tristan sprang auf. „Hey, Bella, dich wollte ich grade anrufen“, sagte er, etwas irritiert darüber, dass sie anscheinend sehr aufgebracht war. „Den Anruf kannst du dir sparen, so wie auch die Anrufe in nächster Zeit und überhaupt alle Anrufe an mich.“
Gedankenverloren besah sich Rebecca die verschiedenen Knöpfe und ließ ihre Finger sachte über die Oberflächen gleiten. Sie sah wieder die Begegnung mit ihrem Vater vor sich, hier bei LCL, und in ihre Augen schossen Tränen. Sie wollte nicht an diesen Moment denken, aber die Erinnerung war übermächtig. Es tat ihr so weh, dass ihr Vater so krank war, und dass sie ihm nicht helfen konnte, nichts für ihn tun konnte. Sie fühlte sich so machtlos. Wieder sah sie sich vor ihrem geistigen Auge auf der Treppe sitzen mit Ludwig und fühlte, wie ihr Vater sie tröstend an sich zog, dabei hätte sie es sein müssen, die ihn tröstete, sofern es überhaupt Worte des Trostes geben konnte angesichts dieser Situation, in der er sich befand. Rebecca wischte die aufkommenden Tränen mit dem Handrücken entschlossen weg. Sie musste sich konzentrieren, Tanja war schon wieder am Rumschnauzen im Hintergrund, dass sie Ergebnisse sehen wollte. Rebecca konnte sich jetzt kein Fauxpas leisten. Die Firma war immer noch in einer handfesten Krise, und LCL war das einzige Unternehmen, das wirklich gut dastand. Das wollte sie nicht aufs Spiel setzen.
Sie war so konzentriert auf ihre Arbeit, dass sie nicht hörte, wie jemand näherkam. Erst als von hinten Arme um sie gelegt wurden, schreckte sie auf. „Na, meine Süße, sind wir fleißig?“, vernahm sie die sanfte Stimme ihrer Freundin, und sie entspannte sich automatisch. „Ach, Marlene, wie gut, dass du da bist“, sagte Rebecca, und in dem Moment fingen die Tränen an zu laufen, sie konnte sie nicht mehr aufhalten. „Was ist passiert?“, fragte die Blondine alarmiert. „Tristan? Hat er wieder..“ Rebecca schüttelte den Kopf. „Es ist wegen – Papa“, sagte sie dann leise. Marlene nickte verstehend und mitfühlend. „Habt ihr beide nichts zu tun?“, vernahmen die beiden Frauen eine keifende Tanja hinter sich, die mit dem Zeigefinger zwischen Marlene und Rebecca hin- und herwedelte wie es ihre Art war. „Ich meine, außer hier rum zu schmachten, so dass einem das Mittagessen von vorgestern wieder hochkommt?“ Ihr Blick war eine Mischung aus Abneigung, Ironie und leichter Belustigung, doch Rebecca war klar, dass nicht gut Kirschen essen war mit ihrer Chefin. Sie wischte sich mit einer raschen Handbewegung die restlichen Tränen aus den Augenwinkeln und schob Marlene sanft von sich. „Tanja hat recht. Wir müssen unseren Zeitplan einhalten. Wir stehen unter totalem Druck, die Kollektion muss fertigwerden.“ „Na, du benutzt ja deinen hübschen Kopf doch zu mehr als nur zum Friseur zu gehen“, sagte Tanja sarkastisch, aber auf ihre Art fast schon liebevoll. Zu Marlene gewandt sagte sie im Gehen: „Und du, meine Liebe, solltest dich mal wieder dringend bei mir auf der Suite blicken lassen, mir ist immer noch nicht klar, wie das so funktioniert mit dem Sex zwischen zwei Frauen. Ich möchte endlich wissen was man da so…“ sie fuchtelte wieder wild mit den Händen.. „macht.“ Tanja sprach das Wort „macht“ sehr zweideutig, provozierend aus, aber Marlene, die ihre Freundin kannte, und wusste, dass sie das nicht unbedingt ernst meinte, schmunzelte nur. „Das werde ich“, versprach sie lachend.
„Kannst du mir mal sagen, was los ist?“, wollte Tristan irritiert wissen. „Was los ist?“, wiederholte Bella, immer noch vor Wut schnaubend. „Du erzählst Andi vom Sex im Lager und fragst was LOS IST?“ „Bitte?“ fragte Tristan, das Wort stark betonend. „Tu doch nicht so unschuldig“, pflaumte Bella ihn weiter an. „Ich weiß genau wie es gewesen ist. Du und Andi, ihr habt mal wieder eure Revierkämpfe ausgetragen, nach dem Motto, wer den Größeren hat, und dann ist es dir sicherlich „raus-ge-rutscht““. Sie spuckte „rausgerutscht“ verächtlich aus. Tristan war aufgesprungen. „Ehrlich, Bella, ich habe Andi nichts erzählt“, sagte er, und sah sie ernst an. „Das soll ich dir glauben?“ ereiferte sich die Rothaarige. „Du lässt doch keine Gelegenheit aus, Andi eins reinzuwürgen, willst ihm immer beweisen was für ein toller Hecht du bist.“ „Das stimmt, aber in diesem Fall habe ich meinen Mund gehalten. Was denkst du von mir?“ „Genau das, was du bist. Nämlich ein arroganter, schnöseliger Großkotz. Andi hatte schon ganz recht, und weißt du was? Ich habe die Schnauze voll von dir. Schönen Tag noch.“ Damit war sie auf dem Absatz umgekehrt und hinterließ einen nachdenklichen Tristan. Er klappte die Broschüre wieder zu, die er noch offen auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Aus der Überraschung für Bella würde anscheinend nichts werden.
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