„Ähm Schatz, schau mal, ich glaub daraus wird nichts.“ Carla hielt ihr eine Postkarte vor die Nase, die sie aus dem Stapel Briefe gezogen hatte.
[center]„Meine Kleine, deine Mutter und ich wünschen dir schöne Weihnachtstage. Die Ärzte sagen, sie bräuchte einen Tapetenwechsel. Wir fliegen für sechs Wochen nach Jamaika. Ich hoffe, es geht dir gut. Dad“[/center]
Stella ließ sich auf ihr Bett fallen. Ihr kamen die Tränen, die sie sofort wegwischte.
„Stella, was ist los?“
„Es geht ihr schlechter…“
„Wem?“
„Meiner Mutter. Sie ist“, sie brach ab und schluckte hörbar, „depressiv…“
Carla nahm sie in ihren Arm und versuchte sie zu beruhigen. Die Tränen flossen wie kleine Wasserfälle ihre Wangen entlang. „Scht, ist gut. Dein Vater wird sich um sie kümmern.“
„Mein Vater hat keine Ahnung wie er mit ihr umgehen soll. Niemand kann das. Und ich bin Schuld?“
„Wieso solltest du denn daran Schuld sein?“
„Weil sie so geworden ist, weil ich so scheiße war.“
„Stella, schau mich mal an!“ Sie nahm das Gesicht ihrer Freundin in ihre Hände und sah ihr tief in die Augen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du jemals scheiße gewesen bist. Und obendrein glaube ich nicht, dass es deiner Mutter nur deswegen schlecht geht. Weißt du, dazu gehört meist viel mehr als eine Tochter, die auf die schiefe Bahn geraten ist.“
„Meinst du?“
„Ja. Und jetzt komm, wir packen unsere Sachen aus und schmeißen sie in die Waschküche.“
„Mutter? Ich hab Stella mitgebracht“, öffnete Carla die gefühlte drei Meter hohe linke Seite der Schlosspforte.
„Gräfin Lahnstein, darf ich Ihnen die Mäntel abnehmen?“, kam ein Dienstmädchen auf die beiden zu.
„Gern. Können Sie mir sagen, wo meine Mutter ist?“
„Zuletzt gehört und gesehen habe ich die Dame im Flügelzimmer.“
„Hat sie ihre Violine vom Dachboden geholt?“
„Ja, Gräfin.“
Carla Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. Ihre Mutter hatte ihr oft die Geschichte erzählt, wie ihre Tante ihr zum fünften Geburtstag eine kleine Kindervioline geschenkt hatte und sie seither wie verzaubert an diesem alten Instrument hing. Jedes Jahr zu Weihnachten holte sie sie vom Dachboden und spielte mit Klavierbegleitung von ihrem Mann ein paar Weihnachtslieder. „Komm. Es wird Zeit, dass ich dich offiziell vorstelle.“
„Ach, deshalb musste ich mich also so rausputzen.“
„Ich weiß, du wolltest nicht noch mehr Familienbesuch. Aber ich wollte nicht, dass du ganz alleine auf dem Schloss bleibst. Außerdem möchte ich dir zeigen, wie ich wohne. Und meine Mutter mag dich.“
„Weil du es bist. Und weil ich Ablenkung im Moment gut gebrauchen kann.“ Ihr fiel es schwer, nicht an ihre Mutter zu denken, dennoch versuchte sie- so gut es eben ging- ein entspanntes Gesicht zu zeigen.
„Mutter?“
„Oh Carla, seid schon wieder da?“
„Ja. Ich hab Stella mitgebracht. Sie wäre sonst alleine.“
„Oh, das ist aber schön. Kommt doch rein. Nicholas, sieh mal, wer da ist.“
„Meine kleine. Komm, setz dich neben deinen alten Herren.“
„Vater, ich möchte dir erst jemanden vorstellen. Das ist Stella. Sie ist… meine Freundin.“
„Nun, ich denke, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Guten Tag Stella. Ich bin“, er machte eine Pause, als würde er überlegen, ob er sich mit Vornamen oder mit Graf vorstellen sollte, „der Vater von Carla.“
„Guten Tag, Graf Lahnstein“, antwortete Stella. Sie wirkte etwas unbeholfen. Alles hier war so groß. Nochmal größer als das Internat. Die Wände waren so hoch. Die Fenster bodentief. Das einzige, was diesen Raum erfüllte, war der große schwarze Flügel und 2 Stillleben an der Wand. Und dch reichte es vollkommen aus. Stella starrte wie geband auf den Flügel.
„Magst du dich neben mich setzen? Ich beiße auch nicht, versprochen.“
„Gerne, wenn es Ihnen nichts ausmacht?“
Nicholas lächelte. „Ganz und gar nicht. Du darfst auch gerne Nicholas zu mir sagen.“
Innerlich atmeten Carla und Stella fast gleichzeitig erleichtert aus. Auch Sophia schien es so zu ergehen. Ihr Mann war- wie sie auch- dem Charme des kleinen zierlichen Wirbelwindes erlegen.
„Was spielen wir denn?“, fragte Carla.
Stella setzte sich neben Nicholas und legte ihre Finger vorsichtig auf die Tasten. „Wunderschön“, sagte sie leise. „Darf ich?“ Mit großen Augen schaute sie hinauf zu Carlas Vater, der neben ihr stand.
„Nur zu“, antwortete er lächelnd.
_________________ “If you live to be a hundred, I want to live to be a hundred minus one day so I never have to live without you.” https://www.fanfiction.net/s/8764822/1/Two-In-A-Million
|