"Kann ich kurz mit dir reden?"
"Klar. Worum geht’s?"
"Nicht hier."
"Ist was passiert?"
"Kann man so und so sehen."
"Du machst es aber spannend. Na komm, dann gehen wir in mein Büro." Ich folge ihr. Innerlich bereite ich mich auf alles vor, was passieren könnte. Ausraster, Enttäuschung, Verletzung. Ich weiß nicht wie sie auf meine direkte Art reagiert, und andersrum habe ich keine Ahnung wie ich auf was auch immer reagieren soll. "Also?", fragt sie als sie die Tür hinter uns, nicht nur zu, sondern auch abschließt. Sie nähert sich mich bis auf wenige Millimeter und beginnt sofort mit dem Aufknöpfen meiner Bluse. Einen Augenaufschlag später folgen ihre Küsse.
"Wer war Susanne?", drücke ich sie von mir weg.
"Wieso fragst du?"
"Dein Bruder hat sie erwähnt. Ich weiß, ich habe kein Recht auf etwas eifersüchtig zu sein was vor mir war, aber…
"Nun, zu allererst mal ist Susanne nicht irgendetwas und auch nicht irgendwer."
"'Tschuldige bitte."
"Ich kann deine ja Frage verstehen. Und ich bin ehrlich froh, dass du damit zu mir kommst…"
"Aber reden willst du nicht?"
"Nein. Das ist es nicht. Es ist nur alles sehr kompliziert." Sie lässt sich in ihren Stuhl fallen und beginnt zu erzählen. Nach etwas mehr als einer Dreiviertelstunde hat sie mir die ganze Geschichte mit ihr und Susanne, Susanne und Lars und Lars und Hanna erzählt. Es ist bemerkenswert mit anzusehen wie ruhig sie dabei bleibt. Ich glaube, ich hätte zwischendurch mit viel Tränen und Wut zu kämpfen gehabt. Aber so ist sie halt. So wird es in Adelskreisen von Geburt an gehandhabt. Souveränität steht immer an oberster Stelle. "Hast du noch mehr fragen?"
"Hast du noch Kontakt zu ihr? Wegen Sophia, meine ich." Puh, gut gerettet.
"Nein. Wir haben damals, wenn auch nicht immer ganz einig, diesen Schlussstrich gezogen. Für Sophia bin ich ihre einzige Mama und ich habe mir geschworen mich nie wieder so auf eine Frau einzulassen, die-"
Ich muss sie unterbrechen. "Und warum dann das hier alles?"
"Lass mich doch ausreden!", herrscht sie mich an, dann schließt sie die Augen und atmet tief durch. "Entschuldigung. Ich wollte sagen, dass ich mich nie wieder auf eine Frau einlassen werde, die nach etlichen Enttäuschungen mit Männern meint, es mit mir auszuprobieren."
"Aber Susanne hat dich doch geliebt…"
"Ja, natürlich. Aber ich hätte es wissen müssen, dass sie sich früher oder später wieder zum männlichen Geschlecht hingezogen fühlen wird. Gut, dass es dann ausgerechnet Lars war, war natürlich ein unglücklicher Zufall. Es gibt Erfahrungen, die belehren einen für den Rest seines Lebens."
"Darf ich dich was fragen?"
"Alles was du willst, meine Schöne."
Dieses Mal ist es an mir rot zu werden. Aber wie! Ich fühle das Blut förmlich in meine Wangen strömen. "Ähm…seit wann…also ich meine…wie lange…"
"Ich schon weiß, was ich will?"
Ich nicke stumm und setze mich in den Stuhl ihr gegenüber.
"Eine Weile", antwortet sie trocken. Weil ich damit auch so viel anfangen kann. Das scheint sie selbst zu merken. "Als ich mich im Internat in meine Klassenlehrerin und anschließend direkt in meine Englischlehrerin verliebt habe, wusste ich, dass das kein Zufall sein konnte."
"Hattest du damals auch schon dieses außerordentlich interessante Gesicht und diese fantastischen Locken? Oder diesen Sinn für Stilsicherheit mit dem du jede Frau schwach machst?"
"Wohl eher diese außerordentlich hässliche Zahnspange und diese absolut nicht fantastische Mähne. Und von Stil war ich so weit weg, wie Ansgar vom Chefsitz der Holding."
"Dein Lieblingsbruder ist er nicht gerade, was?"
"Sagen wir es so: wenn ich einen Bogen um ihn machen kann, nehme ich den Umweg dafür gerne in Kauf. Leider kann man sich seine Familie nicht aussuchen."
"Seine Freundin dafür schon."
"Oh ja. Und da habe ich eine sehr gute Wahl getroffen."
"Findest du, ja?"
"Ja, finde ich."
"Schön, dann sind wir wenigstens einer Meinung." Ich grinse sie frech an. Bitte lass die Zeit schnell vergehen bis zum Feierabend. "Sehen wir uns nachher?"
"Wäre eine Nacht ohne mich denn auszuhalten?"
"Nein."
"Da hast du deine Antwort. Um acht bei dir?"
"Sehr gern. Soll ich dich gleich mitnehmen oder nimmst du dein eigenes Auto."
"In Anbetracht dessen, dass uns niemand sehen kann-"
"Außer Leonard", unterbreche ich.
"Gehe ich davon aus", fährt sie fort, ohne meine Aussage groß zu beachten, "dass ich deinen Fahrdienst in Anspruch nehmen kann. Und zudem schützen wir noch ein bisschen die Umwelt."
"Das ist natürlich der wichtigste Punkt", sage ich sarkastisch.
_________________ “If you live to be a hundred, I want to live to be a hundred minus one day so I never have to live without you.” https://www.fanfiction.net/s/8764822/1/Two-In-A-Million
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