Hallo ihr Lieben, ich hoffe, es ist okay, wenn ich hier nochmal zwei Geschichten poste. Schließlich schreibe ich in diesem Forum nicht mehr so viel, was u.a. daran liegt, dass ich keinen Fernseher mehr habe (bzw. ich habe noch einen, aber kein Fernsehen mehr) . Aber ich finde es nach wie vor schade, dass hier kein Fanfiction mehr gepostet wird, und dachte, dann kann ich wenigstens ein bisschen etwas beitragen hier. Hier kommt also die erste von zwei Geschichten mit zwei naja, etwas "gewöhnungsbedürftigen" Hauptfiguren: Hermine Granger und Professor Minerva McGonagall aus "Harry Potter". Als ich vor einigen Monaten das erste Mal diese Konstellation angetroffen habe, war meine Reaktion "Oh mein Gott, die Fanfiction-Schreiberinnen machen aber auch vor nichts halt!" Da ist schließlich dieser unglaubliche Altersunterschied und außerdem ist Professor McGonagall Hermines Lehrerin. Ganz abgesehen davon, dass man den Subtext mit der Lupe suchen muss.Aber als ich mich etwas näher mit den beiden Figuren beschäftigte, wurde mir deutlich, dass sie ganz schön seelenverwandt sind und Minerva McGonagall eigentlich die einzige Figur in "Harry Potter" ist, die überhaupt für Hermine in Frage käme (Ron jedenfalls nicht, hmpf). Und trotzdem war ich nicht recht zufrieden mit den Geschichten, die ich las, weil sie mir in der Regel zu "out of character" waren und die Frage, wie die beiden überhaupt zukommenkommen können, oft mehr oder weniger übersprangen. Deshalb habe ich mich gefragt: Können diese beiden Figuren nur zusammenkommen, wenn man sie ihrer Authentizität beraubt und sie in etwas anderes verwandelt? Und wie sind sie zusammenzubringen, ohne dass Faktoren wie Alter und Machtgefälle eine ethische Grenze setzen? Um diese Frage zu beantworten, habe ich diese Geschichte versucht. Und auch, weil J.K. Rowlings in ihren Harry Potter Romanen viele wunderbare Frauenfiguren erschaffen hat, die es wert sind, in jeder Form von Fanfiction weiterzuleben. FelicitasZusammenfassung:Hermine Granger-Weasley, erfolgreiche Zaubereiministerin und Mutter von zwei Kindern, wird zur Schulleiterin von Hogwarts Minerva McGonagall für ein Elterngespräch einbestellt. Danach ist nichts mehr wie es war.Anmerkung:Diese Geschichte beginnt ein halbes Jahr nach dem Ende des 7. Buches. Sie ignoriert die Ereignisse in „Harry Potter und das verwunschene Kind“, bezieht aber Informationen von "Pottermore" ein. Kapitel 1Februar 2018Die letzten Strahlen der Februarsonne schienen noch schwach auf die alten Backsteinhäuser der Highfield Road, als sich in dem kleinen Ort Ottery St. Catchpole der Tag dem Ende zuneigte. Ein eisiger Wind hielt die Menschen von den Straßen fern und aus den Schornsteinen der Häuser quoll silbriger Rauch empor.
Auch in dem Haus mit der hochgewachsenen Buchenhecke im Vorgarten brannte Feuer im Kamin und aus einem Fenster im Erdgeschoss drang ein merkwürdig grünes Licht. Wenn jemand von der Straße aus in der Lage gewesen wäre, durch die Hecke zu schauen, wäre ihm die zierliche Frau mit den buschigen, braunen Haaren aufgefallen, die hektisch in der Küche umherwirbelte. Das Bekochen von Gästen gehörte nicht zu Hermine Granger-Weasleys Lieblingsbeschäftigungen, denn sie war im Zubereiten von Mahlzeiten inzwischen reichlich ungeübt.
Jahrelang hatte sie sich erfolgreich gegen den Vorschlag ihres Ehemanns Ronald Weasley gewehrt, endlich einen Hauselfen anzustellen. Aber als sie vor einiger Zeit das Amt der Zaubereiministerin übernommen hatte, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als seinem Drängen nachzugeben. Schließlich war auch Ron im Scherzartikelladen seines Bruders George voll beschäftigt, und ihre beiden Kinder Rose und Hugo forderten die restliche Zeit des Paares. An einen geordneten Haushalt war längst nicht mehr zu denken, und so war eines Tages Danny, ein stolzer, aber eifriger Hauself, bei ihnen eingezogen und sorgte seitdem für einen reibungslosen Alltag im Hause Granger-Weasley.
Um ihr Gewissen zu beruhigen, hatte Hermine auf eine exzellente Bezahlung des Elfen bestanden und lobte seine Leistungen manchmal mehr als er es verdient hatte. Im Großen und Ganzen hätte Danny es also nicht besser treffen können, und er dankte es dem Haus mit unerschütterlicher Loyalität und großem Fleiß. An diesem Abend ließ Hermine es sich jedoch nicht nehmen, selbst ein leckeres Essen zu kochen, dessen Rezept sie kürzlich in der
Hexenwoche gefunden hatte. Schließlich hatten Harry Potter und seine Frau Ginny nicht mehr oft die Gelegenheit, sie zu besuchen.
Wie Hermine war auch Harry beruflich sehr eingespannt, besonders seit er die Leitung der Aurorenzentrale im Ministerium übernommen hatte. Seine Frau Ginny war als Korrespondentin für Quidditch-Spiele beim
Tagespropheten ebenfalls viel unterwegs, weshalb ihre gemeinsamen Treffen in letzter Zeit seltener geworden waren. Umso wichtiger war es Hermine, ein köstliches Mal für ihre Gäste zuzubereiten, aber die Hoffnung, dass ihr dies gelingen würde, schwand von Minute zu Minute mehr.
Seufzend wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und fluchte leise, als aus einem der Töpfe erneut eine grüne Stichflamme emporstieg. Wieso hatte es in der
Hexenwoche so einfach geklungen?
„Brauchst du Hilfe, Hermine?“ Ron schob seinen roten Haarschopf durch den Türspalt. „Irgendwie riecht es hier komisch.“ Er hob den Kopf in die Luft und schnupperte demonstrativ.
„Du kannst Harry und Ginny schon mal ein Glas Butterbier anbieten“, grummelte Hermine, verärgert über seine indirekte Kritik an ihren Kochkünsten. „Das Essen dauert nicht mehr lange.“ Sie reichte Ron Pfeffer und Salz und atmete tief durch, als sein Kopf wieder aus der Küche verschwunden war. „Danny?“, flüsterte sie leise.
Ein vernehmlicher Knall erfüllte die Küche, dann stand Danny vor ihr, den kleinen Körper in einen warmen, grauen Mantel gehüllt und mit einem von Hermines wollenden Strickhüten auf dem Kopf. „Was kann Danny für Sie tun, Herrin?“ Hermine hatte ihm diese unterwürfige Anrede nicht abgewöhnen können, so sehr sie es auch versucht hatte.
„Ach, Danny.“ Hermine sah verlegen zu den sprudelnden Töpfen auf dem Herd. „Ich weiß, du hast heute deinen freien Tag, aber da muss irgendein Fehler im Rezept sein…“
„Coc au vin?“ Danny lugte mit seinem für einen Elfen recht großen Kopf über die Töpfe, wobei sich feuchte Tropfen auf seinem Wollhut bildeten. „Haben Sie beim Marinieren einen Zauber verwendet, Herrin?“
„Ja, natürlich.“ Hermine wurde rot und wischte sich die feuchten Hände an ihrer Schürze ab. „Ich hatte gestern keine Zeit, für das Essen einzukaufen.“
Der Hauself nickte wortlos, aber seine Miene zeigte deutlich, dass er Hermines Kochkünste für erbärmlich hielt. „Danny bräuchte etwas mehr Platz“, sagte er schließlich, was wohl heißen sollte, dass Hermine sich aus der Küche zu verziehen hatte.
Also verschwand sie ins Badezimmer und machte sich daran, ihr durch den heißen Dampf verschmiertes Make-Up wieder zu korrigieren und ihre teilweise wild abstehenden Haare wieder in eine Frisur zu verwandeln. Als sie zurück in die Küche kam, standen eine dampfende Auflaufform und vier reichlich gefüllte Teller neben dem Herd und ein lieblicher Duft erfüllte den Raum.
Hermine warf dem Hauselfen einen dankbaren Blick zu und mit einem Schwung ihres Zauberstabs fischte sie einen Strauß weißer Rosen aus der Luft. „Damit du nicht mit leeren Händen zu Winky gehst“, sagte sie augenzwinkernd. „Habt einen schönen Abend zusammen.“
Danny verneigte sich tief und Hermine meinte, eine Spur Röte auf seinem gräulichen Gesicht zu entdecken. Ein kurzer Knall, dann war er verschwunden und Hermine widmete sich den vollen Tellern, solange das Essen noch heiß war.
„Wingardium Leviosa“, murmelte sie leise und öffnete die Küchentür, um die schwebenden Teller zum Esstisch zu dirigieren.
Wie nicht anders zu erwarten war, schmeckte der Coc au Vin köstlich, und auch wenn sicher niemand davon ausging, dass Hermine das Mal selbst zubereitet hatte, waren die Freunde doch höflich genug, das Thema nicht anzusprechen.
Während des Essens erzählte Ginny von zwei Quidditch-Spielen in der vorigen Woche, die aufgrund des schlechten Wetters zu einer wahren Schlammschlacht geworden waren. „Das Spiel gegen QC Liverpool dauerte 10 Stunden und ich war zum Schluss so durchgefroren, dass ich nicht mehr mitschreiben konnte.“ Ginny schüttelte sich bei der Erinnerung. „Harry musste früher sein Büro verlassen, um die Kinder zu versorgen, was an dem Tag wirklich schwierig war.“ Ginny gab Harry einen Kuss auf die Wange, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie nicht glücklich darüber war, wie spät Harry in den letzten Wochen von der Arbeit gekommen war.
„Wir haben seit einiger Zeit einen Anstieg von Angriffen auf Muggel zu verzeichnen“, nahm Hermine ihren alten Freund in Schutz. „Das führt leider besonders im Amt für magische Strafverfolgung zu Überstunden.“
Harry nickte besorgt und legte seine Hand auf Ginnys. „Wir hoffen alle, dass es nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Noch ist unklar, ob es nur eine zufällige Häufung ist, oder ob mehr dahinter steckt.“
„Man fragt sich ja, wo all die Todesser von früher abgeblieben sind“, warf Ron stirnrunzelnd ein. „Kaum war Voldemort besiegt, will es keiner mehr gewesen sein. Niemand hatte jemals irgendetwas gegen Muggel, und alle waren schon immer der Meinung, dass das Ministerium grundlegend reformiert werden müsste.“
„Bei vielen Familien sind muggelfeindliche Einstellungen über Generationen verankert“, pflichtete ihm Harry bei. „So etwas verändert sich nicht einfach, nur weil es keinen Anführer wie Voldemort mehr gibt.“
„Natürlich müsst ihr in der Aurorenzentrale etwas dagegen tun“, seufzte Ginny. „Das verstehe ich ja auch. Aber ich möchte nicht wie Mum enden, die sich Tag und Nacht um ihre Kinder kümmern musste, weil ihr Mann ständig Überstunden schob.“
„Mum hat das ziemlich genossen“, grinste Ron. „Seitdem all ihre Kinder aus dem Haus sind, stürzt sie sich auf ihre Enkelkinder.“
„Zum Glück ist das so.“ Ginny nahm einen kräftigen Schluck Butterbier. „Manchmal wüsste ich gar nicht, was wir ohne sie machen sollten – und euch geht es sicher nicht anders“, fügte sie mit einem Blick auf Ron und Hermine hinzu. In der Tat hütete Molly gerade die jüngsten Sprösslinge Hugo und Lily, damit deren Eltern einen ungestörten Abend miteinander verbringen konnten.
„Ich befürchte, es wird noch eine Weile so weitergehen.“ Harry füllte sich noch einen zweiten Teller auf, bevor Ron ihm alles wegessen würde. „Bisher haben wir keinen der Attentäter gefasst.“
„Wir müssen das Problem von verschiedenen Seiten angehen“, erklärte Hermine. „Neben der Verbrechensbekämpfung brauchen wir auch mehr Öffentlichkeitsarbeit und eine Intensivierung der Bildung an den Schulen. Zusätzlich zur Muggelkunde sollte es Projekte und Curricula geben. In der Schule erreichen wir die Menschen am besten - dort muss jeder hin.“
„Hast du schon mit McGonagall darüber gesprochen?“, erkundigte sich Ginny interessiert. „Das klingt nach einer guten Idee.“
„Nein, noch nicht.“ Hermine schüttelte den Kopf. „Das ist noch zu unausgegoren und ich möchte erst einen Entwurf ausarbeiten, bevor…“
Ein klackerndes Geräusch an der Fensterscheibe unterbrach ihre Unterhaltung und Ron stand auf, um die aufgeregt vor dem Fenster umherflatternde Eule hereinzulassen. „Wenn man vom Teufel spricht…“, murmelte er, als er ein Pergament vom Fuß des Vogels löste. „Post von der Schulleiterin.“ Er drehte die Pergamentrolle auf die andere Seite. „Für uns beide“, fügte er hinzu und reichte Hermine das Dokument.
Diese verkniff sich die Bemerkung, warum Ron die Nachricht nicht selbst lesen könnte und brach vorsichtig das Siegel auf. Sie erkannte sofort die energische Handschrift McGonagalls:
Sehr geehrte Mrs. Granger-Weasley, sehr geehrter Mr. Weasley, ich bitte Sie, sich am nächsten Dienstag um 16:30 Uhr in meinem Büro zu einem Elterngespräch einzufinden. Bitte geben Sie mir Bescheid, ob Sie den Termin wahrnehmen können. Mit freundlichen Grüßen Minerva McGonagallLeiterin der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei„Sie möchte, dass wir nach Hogwarts kommen.“ Hermine rollte nachdenklich das Dokument wieder zusammen. „Zu einem Elterngespräch.“
„Stimmt etwas nicht mit Rose?“, fragte Ginny besorgt.
„Nicht dass ich wüsste…“, antwortete Hermine zögernd. Ihre Tochter war im letzten Sommer in Hogwarts eingeschult worden und Hermine hatte sie seitdem nur in den Weihnachtsferien gesehen. Damals war Rose ihr bedrückt und traurig vorgekommen, aber als Hermine nachgefragt hatte, war ihre Tochter ihr ausgewichen. Schließlich hatte Hermine es aufgegeben – in der Hoffnung, dass sich ihre gedrückte Stimmung schon wieder geben würde. Gab es einen Zusammenhang mit McGonagalls Brief, oder ging es der Schulleiterin um etwas anderes? „Ist es jetzt üblich, Elterngespräche in Hogwarts zu führen?“, fragte Hermine in die Runde.
„Uns hat sie noch nicht angeschrieben.“ Harry zuckte die Achseln. „Aber wenn mit Rose etwas Gravierendes wäre, hätte Albus es uns sicher gesagt. Die beiden sind schließlich im selben Jahrgang.“
Hermine nickte, wenig überzeugt. „Kannst du es denn einrichten am nächsten Dienstag?“, wandte sie sich an Ron.
Ron nippte umständlich an seinem Butterbier. „Kannst du da nicht allein hingehen, Hermine? Du hattest schon immer den besseren Draht zu McGonagall…“
Hermines Miene verdüsterte sich, bevor er ausgesprochen hatte. Ron war ein wunderbarer Vater, aber immer, wenn ein Problem auftauchte, verdrückte er sich und überließ Hermine die Angelegenheit. Mit einem Ruck stand sie auf und brachte die Eulenpost ins Arbeitszimmer, um das Thema für beendet zu erklären. Sie hatte wenig Lust, sich in Anwesenheit von Harry und Ginny mit Ron zu streiten.
Doch für ihre Gäste war das Thema damit keineswegs beendet. „Hast du denn am Dienstag einen wichtigen Termin, Ron?“ erkundigte sich Ginny, als Hermine sich wieder an den Tisch setzte. „Das Wohl deiner Tochter liegt dir doch bestimmt auch am Herzen“, fügte sie in vorwurfsvollem Ton hinzu.
Ron, der sich in die Ecke gedrängt fühlte, reagierte unwirsch. „Es ist völlig überflüssig, wenn wir da beide hingehen“, verteidigte er sich, ohne Hermine anzusehen. „Schule war noch nie mein Ding, das wisst ihr doch.“
Hermine ärgerte sich über sich selbst, dass sie auf seine Bemerkung einging, aber es gelang ihr nicht, sich zurückzuhalten. „Hier geht es aber nicht um dich, Ron“, sagte sie spitz. „Es geht um unsere Tochter.“
„Das weiß ich selbst“, schoss Ron zurück. „Aber das Gespräch läuft garantiert besser, wenn du da allein hingehst, Hermine. Schließlich kannst du viel besser mit McGonagall. Ihr versteht euch blind, das war schon immer so.“ Wütend füllte er sich das restliche Essen auf seinen Teller. „Außerdem muss ich mir von ihr nicht sagen lassen, dass unsere Tochter zu wenig lernt oder sonst irgendwelche Probleme macht.“
„Du gehst natürlich gleich davon aus, dass sie irgendetwas falsch gemacht hat“, ereiferte sich Hermine. „Wenn du so an das Gespräch herangehst, kann da auch nichts Gutes bei herauskommen.“
„Vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn du erst einmal allein hingehst, Hermine“, griff Harry vorsichtig ein. „McGonagall hat Ron und mich zwar immer sehr geschätzt, aber du musst zugeben, dass du schon immer einen besonderen Draht zu ihr hattest. “
„Wie kommt ihr denn darauf?“ Hermine ärgerte sich, dass sie errötete. „Nur weil sie mir damals den Zeitumkehrer geliehen hat?“ Sie sah hilfesuchend zu Ginny, die jedoch nur wissend lächelte.
„Wir können ja alles besprechen, sobald du zurück bist“, schlug Ron vor, der merkte, dass er Oberwasser bekam.
Hermine setzte an, etwas zu sagen, aber ihr war bewusst, dass der Rest des Abends ruiniert sein würde, wenn sie nicht nachgab. „Na gut“, lenkte sie ein und stand auf, um das Dessert zu servieren. „Ich wünschte nur, McGonagall hätte irgendeine Andeutung gemacht, worum es geht.“
* * *
An den folgenden Tagen musste Hermine immer wieder über den eigenartigen Brief von Professor McGonagall nachdenken. Warum hatte die Schulleiterin nicht geschrieben, worum es ging? War es einfach nur ihre kurzangebundene Art, oder war die Sache so belanglos, dass sie nicht weiter erwähnenswert war? Oder war es gar so schlimm, dass McGonagall sie nicht schon im Vorhinein beunruhigen wollte?
Irgendetwas war nicht in Ordnung, das spürte Hermine, auch wenn ihre Freunde so taten, als ginge es um eine Bagatelle. Immerhin konnte es nichts Dringendes sein, denn dann hätte McGonagall sie sofort einbestellt.
Hermine war froh, dass die Grübelei bald ein Ende haben würde, als sie am Dienstagnachmittag pünktlich vor die Tore von Hogwarts apparierte. Sie war nach der Arbeit noch kurz zu Hause gewesen, um sich umzuziehen, da sie nicht den Eindruck erwecken wollte, die Schule als Ministerin zu besuchen. In aller Eile hatte sie nach einem nachtblauen, wollenen Umhang gegriffen, der ihr nun schwer um die Schultern fiel. Wenigstens war er warm.
Hermine fühlte ihr Herz in ihrer Brust klopfen, als sie durch das Tor zu ihrer alten Schule trat. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen und über dem Gelände wehte ein Wind, der sie frösteln ließ. Mit hochgestelltem Kragen stapfte sie den Weg zur Schule hoch und merkte, wie ihr beim Anblick des alten Schlosses sofort wieder wärmer wurde. In ihrer Funktion als Zaubereiministerin war sie zwar öfter in Hogwarts zu Gast, aber zum ersten Mal seit ihrem Schulabschluss kam sie privat hierher.
Der See unten im Tal war zugefroren und Hermine konnte aus der Ferne eine Horde von Schülern erkennen, die sich gegenseitig mit Schneebällen bewarfen. Am Ufer dieses Sees hatte sie oft gesessen, meistens mit einem Buch in der Hand, und hatte eifrig Zaubersprüche auswendig gelernt. Sie kannte jeden Winkel und jeden Grashalm dieses Geländes, schließlich hatte sie mit Harry und Ron oft die offiziellen und inoffiziellen Wege des Schlosses erkundet.
Hermine hätte den Schülern gern noch eine Weile zugeschaut, aber sie war spät dran und wollte McGonagall nicht warten lassen. Mit einem flauen Gefühl im Magen betrat sie die große Halle und ein neuer Hausmeister, den Hermine noch nie zuvor gesehen hatte, führte sie am Wasserspeier vorbei zum Büro der Schulleiterin.
„Mrs. Granger-Weasley.“ Professor McGonagall war von ihrem Schreibtisch aufgestanden, als sie das leise Scharren der sich aufwärts windenden Wendeltreppe zu ihrem Büro vernommen hatte. „Schön, dass Sie es einrichten konnten.“
Hermine spürte ein nervöses Ziehen in der Brust, als sie der Schulleiterin gegenüberstand. Beim Blick in das kluge Gesicht mit den lebhaften Augen war ihr, als sei seit ihrem letzten Schultag keine Zeit vergangen. Professor McGonagall trug einen langen grünen Umhang, dessen samtartiger Stoff im Licht der Kerzen schimmerte und ihre schwarzen Haare waren wie üblich zu einem festen Knoten zusammengebunden. Auch die quadratischen Brillengläser verliehen ihr etwas Puritanisches, aber so streng ihre äußere Erscheinung auch war, vermochte sie doch das feurige Temperament darunter kaum zu verbergen.
Die Tatsache, dass etwa 30 Prozent der Hexen und Zauberer ab dem 60. Lebensjahr kaum noch zu altern schienen, war eines der Forschungsprojekte, die Hermine in diesem Jahr in Auftrag gegeben hatte. Die Ursache für die unterschiedlichen Alterungsprozesse bei Magiern war noch völlig ungeklärt, wenngleich es erste Theorien dazu gab. Albus Dumbledore hatte dieses Gen besessen, aber auch Pomona Sprout, Rolanda Hooch und Minerva McGonagall schienen damit gesegnet zu sein. Andere Magier, wie zum Beispiel Arthur und Molly Weasley, schienen hingegen normal zu altern wie Muggel auch. Hermine hatte sich oft gefragt, ob sie wohl zu den 30 Prozent oder zu den 70 Prozent gehörte, aber die Natur würde dieses Geheimnis erst lüften, wenn sie ihren 50. Geburtstag überschritten hatte.
„Mein Mann ist leider beruflich verhindert“, erklärte Hermine rasch, als sie den fragenden Blick der Schulleiterin bemerkte. „Wir dachten, es wäre besser, wenn ich allein komme, als den Termin noch einmal zu verschieben.“
Professor McGonagall schien nicht erfreut über die Nachricht zu sein, kommentierte sie jedoch nicht weiter. „Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?“, fragte sie stattdessen und wies auf einen Sessel am Kamin. „Setzen Sie sich sich, Mrs. Granger-Weasley."
„Gern, vielen Dank.“ Hermine nahm in dem Sessel Platz und sah sich in dem großen Büro um. Der runde Raum hatte seit Beginn von Hermines Schulzeit einige Veränderungen erfahren. Schon Severus Snape hatte Albus Dumbledores verspielte, summende Instrumente entfernen lassen und sie durch allerlei furchteinflößende Gerätschaften ersetzt. McGonagall hingegen bevorzugte es schlicht und übersichtlich. An den Wänden reihten sich Bücherregale, die nur durch die zahlreichen Porträts ehemaliger Schulleiter unterbrochen wurden. Auf dem großen Schreibtisch, hinter dem ein großes Porträt von Albus Dumbledore hing, stapelten sich Berge von Papieren, bei denen es sich um Klassenarbeiten zu handeln schien.
Hermine begrüßte höflich ihren ehemaligen Schulleiter, der ihr aus seinem Porträt freundlich zunickte. Zu ihrer Erleichterung lehnte Dumbledore sich sogleich wieder in seinem Rahmen zurück und schloss wie seine schlummernden Kolleginnen und Kollegen die Augen. „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit mir über Rose zu sprechen“, begann Hermine nervös, als Professor McGonagall ihr eine Tasse Tee reichte. „Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes?“
Die Tatsache, dass die Schulleiterin ihr nicht umgehend widersprach, beunruhigte Hermine nur noch mehr. Professor McGonagalls Miene ließ mit keiner Regung erkennen, worum es ging, und so blieb Hermine nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die ältere Hexe neben ihr Platz genommen hatte.
Incendio. Mit einer sanften Bewegung ihres Zauberstabs ließ Professor McGonagall das Kaminfeuer weiß aufglühen und es verbreitete sich eine wohlige Wärme im Raum. „Ich halte es für das Beste, wenn wir gleich zur Sache kommen“, begann sie, nachdem sie sich einen Ingwerkeks genommen hatte. „Ich mache mir Sorgen um Ihre Tochter Rose.“
„Sorgen?“ Hermine stellte ihre Teetasse klappernd auf ihrer Untertasse ab. „Warum Sorgen?“
„Es ist…“ Professor McGonagalls grüne Augen schauten Hermine ernst an. „Es scheint ihr hier nicht gut zu gehen.“
„Warum denn nicht?“ Der durchdringende Blick der Professorin machte Hermine Angst. „Kommt sie denn mit dem Lehrstoff nicht zurecht?“
Bei ihrer Bemerkung huschte die Spur eines Lächelns über Professor McGonagalls Gesicht. „Sie ist Ihre Tochter, Mrs. Granger-Weasley. Natürlich kommt sie mit dem Stoff mehr als gut zurecht.“
Hermine lehnte sich erleichtert in ihrem Sessel zurück. Das war es also nicht. Sie konnte sich noch gut an ihre eigenen Versagensängste erinnern, obgleich sie damals die Klassenbeste gewesen war. Aber gute Schulleistungen und Ängste hingen manchmal nicht unmittelbar zusammen. Es war kein Zufall gewesen, dass Hermines Irrwicht im dritten Schuljahr ausgerechnet die Gestalt von Professor McGonagall angenommen hatte, die ihr mitteilte, dass sie in allen Tests durchgefallen wäre. Ob Rose ähnliche Sorgen quälten?
„Traut Rose sich zu wenig zu?“, hakte Hermine nach. „Oder findet sie keine Freunde?“
Professor McGonagall blickte nachdenklich in das knisternde Holz im Kamin. „Anfangs hat Rose noch viel mit Albus Potter zusammen unternommen, aber schon bald hat sie sich mehr und mehr von ihren Klassenkameraden zurückgezogen, auch von Albus. Er unternimmt jetzt mehr mit Scorpius Malfoy.“
Draco Malfoys Sohn??? Hermine runzelte die Stirn. Das würde Harry nicht gefallen. War Scorpius nicht nach Slytherin gekommen? „Aber Rose war doch so froh, dass der Hut sie nach Gryffindor geschickt hat…“
„Das ist auch so geblieben“, stellte Professor McGonagall klar, ehe Hermine ihren Gedanken zu Ende führen konnte. „Das Problem scheint mir anderer Natur zu sein. Hat Ihre Tochter in ihren Briefen jemals erwähnt, dass sie nicht in Hogwarts sein möchte?“
„Nein.“ Hermine schüttelte den Kopf. Es war für sie unvorstellbar, dass ihre Tochter sich hier nicht wohlfühlen könnte. Sie selbst war früher überglücklich gewesen, in Hogwarts sein zu dürfen. „Mir ist in den Weihnachtsferien nur aufgefallen, dass sie abgenommen hat und ich hatte den Eindruck, dass sie etwas bedrückt“, gab Hermine zu. „Aber sie ist meinen Fragen ausgewichen und ich habe schließlich aufgehört, mich damit zu beschäftigen.“ Sie runzelte die Stirn, als Reue sie überkam. „Warum habe ich nicht nachgehakt?“
Professor McGonagall erhob sich und trat mit ihrer Teetasse ans Fenster. Draußen hatte leichter Schneefall eingesetzt und die weißen Flocken tanzten im Licht der Fackeln, bevor sie sachte auf den Boden fielen. „Ich habe Ihre Tochter mehrfach auf meinen Eindruck angesprochen“, sagte sie und wandte ihr Gesicht wieder Hermine zu. „Auch mir ist sie jedes Mal ausgewichen. Aber in der letzten Woche ist sie während des Nachsitzens plötzlich in Tränen ausgebrochen und hat mich angefleht, sie nach Hause zu schicken.“
Hermines starrte Professor McGonagall entgeistert an. So schlimm war es? Warum hatte sie nicht gemerkt, dass es ihrer Tochter so schlecht ging?
„Rose hat mir nur sehr stockend erzählt, was sie bedrückt, und manches musste ich mir zusammenreimen“, fuhr Professor McGonagall fort. „Aber aus ihren Worten habe ich geschlossen, dass sie sich Sorgen um ihre Eltern macht.“
„Um… uns?“ Hermine ließ fast ihre Tasse fallen. „Aber…“
„Sie hat Angst, dass Sie und Mr. Weasley sich trennen werden“, erklärte Professor McGonagall in einem für sie ungewöhnlich empathischen Tonfall. „Sie erzählte mir, dass sie zu Hause immer versucht habe zu schlichten, wenn es Streit zwischen Ihnen und Ihrem Mann gab. Aber seit sie hier sei, könne sie dies nicht mehr tun. Deshalb würden sich ihre Eltern nun wohl scheiden lassen.“
Hermine sackte tiefer in ihren Sessel. Sie fühlte sich wie betäubt. Wie hatte sie das nicht bemerken können? Wie hatte sie übersehen können, dass ihre elfjährige Tochter die Verantwortung fühlte, ihre Familie zur retten?
„Natürlich geht mich das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Mann nichts an...“ Professor McGonagall war jetzt neben sie getreten. „Aber ich rate Ihnen, Ihre Tochter zu entlasten, unabhängig davon, wie recht oder unrecht sie mit ihrer Befürchtung hat.“
Hermine nickte stumm. Sie fühlte sich so beschämt. Nicht nur, dass sie über sich selbst enttäuscht war, sie schämte sich auch vor Professor McGonagall. Wie keinen anderen Menschen hatte sie ihre ehemalige Hauslehrerin immer beeindrucken wollen. Professor McGonagall war stets ihr großes Vorbild gewesen und mehr als alle anderen hatte Hermine ihr beweisen wollen, was für eine begabte Hexe und was für eine mutige Person sie war. Und nun saß sie hier und hatte komplett versagt – als Mutter und als Ehefrau.
Professor McGonagall schien zu ahnen, was in ihr vorging, denn Hermine fühlte plötzlich eine tröstende Hand auf ihrer Schulter. „Wir können nicht immer alles richtig machen im Leben“, sagte die Lehrerin mitfühlend. „Das gilt für uns alle.“ Als Hermine aufblickte, zog sie ihre Hand fort und nahm wieder in ihrem Sessel Platz. „Wichtig ist, dass wir uns bemühen.“
Hermine hatte plötzlich das Bedürfnis, sich zu erklären. „Ron und ich streiten uns, seit wir uns kennen“, sagte sie, als ob das die Sache besser machen würde. „Das gehörte einfach zu uns und ich habe mir nie etwas dabei gedacht. Ich liebte Ron ja trotzdem…“
Hermine wagte einen Blick zu Professor McGonagall, die ihr aufmerksam zuzuhören schien. Es gab Dinge, über die sie noch nie mit jemanden gesprochen hatte, weil es sicher niemand verstanden hätte. „Wenn man… wenn man durchgemacht hat, was wir durchgemacht haben…“, erklärte sie zögernd. „Dann entfernt man sich so sehr von der Welt, dass man den Eindruck hat, niemand anderes könnte jemals nachvollziehen, was in einem vorgeht… Nur Ron und Harry konnten das. Wir wussten voneinander, was wir erlebt haben, wir waren dabei… Und über eine lange Zeit, besonders als wir nach den Horkruxen gesucht haben, hatten wir nur uns.“
„Natürlich.“ Zu Hermines Überraschung lag keinerlei Urteil in Professor McGonagalls Stimme. Sie schien voll und ganz zu verstehen, vielleicht, weil sie selbst schon mehrere Kriege überlebt hatte.
„Damals war es für mich das Natürlichste der Welt mit Ron zusammenzukommen“, fuhr Hermine fort, ermutigt durch McGonagalls Reaktion. „In unserer Welt gab es irgendwie nur uns drei. Harry war von Anfang an wie ein Bruder für mich, Ron hingegen hat mich gereizt, hat mich zur Weißglut getrieben, hat mich begehrt, hat mich bewundert und unterstützt.“ Sie wischte sich eine Träne von der Wange. „Er ist ein toller Mensch“, fügte sie ein wenig trotzig hinzu. „Ich habe ihn wirklich geliebt, aber…“ Sie rang nach den richtigen Worten. „Aber letztlich… leben wir doch in verschiedenen Welten.“
Es war schwer, sich die Wahrheit einzugestehen. Schließlich hatten sie Kinder zusammen und Hermine konnte nicht einfach gehen oder bleiben, wie es ihr beliebte. „Seit er den Scherzartikelladen von George mit übernommen hat, ist es noch schlimmer geworden“, seufzte sie. „Ron ist oft so pragmatisch und oberflächlich. Er versteht gar nicht, was ich meine, wenn ich mir um etwas Sorgen mache. Entweder er bagatellisiert die Dinge, oder wir streiten uns…“
„Mrs. Granger-Weasley.“ Professor McGonagall hatte ihre Hände in den Schoß gelegt und räusperte sich, bevor sie weitersprach. „Sie sind eine brillante Hexe. Aber Brillanz macht oft einsam. Eine Führungsposition macht ebenfalls einsam. Und auch die Folgen des Kampfes gegen Voldemort und seine Anhänger werden Sie Zeit Ihres Lebens begleiten. Für jemanden wie Sie wird es immer schwierig sein, sich in einem anderen Menschen wirklich wiederzufinden.“
Hermine schluckte schwer. Es war für sie in der Tat schwierig, Menschen zu finden, denen sie sich wirklich nah fühlte. Dabei war es keineswegs so, dass sie keine Freunde hatte, im Gegenteil. Allein durch die Familie der Weasleys war Hermine Teil eines großen Freundeskreises, und sie wusste auch, dass Ginny und Harry immer für sie da sein würden.
Ihr war klar, dass es liebe Menschen um sie herum gab, die ihr etwas bedeuteten und denen sie etwas bedeutete. Aber es gab Bereiche in ihrem Herzen und in ihren Gedanken, wo ihr kaum jemand folgen konnte oder wollte. Anderen Menschen war sie oft zu kompliziert oder zu abgehoben, und wenn sie begeistert über bestimmte Fragen philosophierte, die sie irgendwo gelesen hatte, nahm sie kaum jemand ernst.
Hermine wollte auf keinen Fall undankbar erscheinen, denn ihr war nur zu bewusst, wie viel Glück sie im Leben gehabt hatte. Sie hatte zwei tolle Kinder und sie war eine erfolgreiche und beliebte Zaubereiministerin. Menschen schätzten und mochten sie, jedenfalls in der Regel. Aber die Momente in ihrem Leben, in denen sie jemand inspiriert und berührt hatte, in denen sie sich in einem anderen Menschen wiedergefunden hatte, waren äußert rar gesät. Die Welt der Bücher, die Welt des Lernens, die Welt der Logik, des Schlussfolgerns und Entdeckens… hierhin folgte ihr niemand.
Professor McGonagall saß nach wie vor ruhig in ihrem Sessel und beobachtete Hermine durch ihre quadratischen Brillengläser. Hermine erinnerte sich noch gut, wie oft sie als Schülerin mit glühenden Wangen an das Büro ihrer Lehrerin für Verwandlung geklopft hatte, weil sie eine Frage hatte, ihr eine Idee gekommen war, oder ihr ein Widerspruch zwischen zwei Theorien aufgefallen war. Professor McGonagall hatte sie nicht ein einziges Mal abgewiesen, sie war immer auf ihre Fragen eingegangen, auch wenn sie noch so nebensächlich gewesen waren. Weil sie verstanden hatte, dass Hermine ein Gegenüber brauchte.
Die Mädchen in Hermines Schlafsaal hatten sie damals aufgezogen, weil sie McGonagall so oft zitiert hatte. Insbesondere Lavender und Parvati hatten sie manchmal geneckt, dass sie in ihre Lehrerin verknallt sei. Natürlich hatte sie das abgestritten. Aber abends, wenn sie im Dunkeln in ihrem Bett lag, hatte sie sich oft vorgestellt, wie Professor McGonagall sie zu sich rufen würde und ihr unter Tränen beichten würde, dass sie ihre Lieblingsschülerin sei, obwohl es ihr eigentlich so wichtig sei, niemanden vorzuziehen.
Sie stellte sich vor, wie sie Professor McGonagall aus einer brenzligen Situation rettete, am besten eine lebensgefährliche, und wie die Lehrerin ihr bis zum Ende ihrer Tage dankbar sein würde. Sie malte sich aus, wie Professor McGonagall ihr ihre intimsten Geheimnisse anvertraute, oder wie sie Hermine, als diese von ihren Alpträumen berichtete, in ihrem Bett schlafen ließ. Und einmal hatte sie sich sogar vorgestellt, dass sie sie geküsst hatte.
All diese Phantasien hatten Hermine nie wirklich beunruhigt. So gut wie alle Mädchen in ihrer Klasse schwärmten für jemanden. Oft waren es Lehrer oder Lehrerinnen, manchmal auch Rockstars oder andere Prominente. Es schien genauso ein Teil des Schullebens zu sein wie die Unterrichtsfächer, und Hermine war überzeugt gewesen, dass es mit dem Schulabschluss ebenso verschwinden würde wie alle anderen Erfahrungen in Hogwarts.
Und tatsächlich hatte Hermine nach ihrem Schulabschluss einen großen dicken Strich unter ihr Leben in Hogwarts gemacht. Sie wollte beruflich erfolgreich sein, sie wollte heiraten und Kinder bekommen, und all das war ihr auch gelungen. Sie hatte wesentliche Veränderungen für die magische Gemeinschaft herbeigeführt, auf die sie stolz war. Sie hatte wichtige Gesetzesänderungen erwirkt, sie hatte die Elfenrechte verbessert und die Diffamierung von Werwölfen abgeschafft. Und sie hatte geholfen, das Ministerium von einem korrupten Klüngelhaufen in eine ordentlich arbeitende Behörde zu verwandeln.
„Wahrscheinlich tue ich Ron Unrecht“, überlegte Hermine laut. „Sie haben Recht, Professor. Es ist für mich schwierig, jemanden zu finden, von dem ich mich voll und ganz verstanden fühle. Vielleicht erwarte ich zu viel von Ron...“ Hermine zögerte, dann schaute sie Professor McGonagall gerade ins Gesicht. „Aber Sie, Professor, Sie waren mir immer ein Gegenüber“, sagte sie mit großer Dankbarkeit. „Also ist es nicht unmöglich, oder?“
Es war das erste Mal in den 27 Jahren, die sie sich kannten, dass Hermine Professor McGonagall erröten sah. „Es freut mich, dass Sie das sagen, Mrs. Granger-Weasley“, antwortete sie, während sie mit ihrer Hand über die Polsterlehne fuhr. „Als Lehrerin wünscht man sich, das für seine Schüler zu sein.“
Hermine fragte sich, ob Professor McGonagall wohl jemals ein Gegenüber für sich gefunden hatte, jemanden, der sie voll und ganz verstand. Angeblich war die Professorin einmal verheiratet gewesen, aber der Ehemann war wohl nur wenige Jahre nach der Hochzeit an der Begegnung mit einer giftigen Tentakelpflanze gestorben. Ob dieser Mann ihr ein Gegenüber gewesen war? „Professor McGonagall?“
„Ja?“ Die Schulleiterin blickte abrupt auf, überrascht vom Tonfall in Hermines Stimme.
Hermine merkte, wie Hitze in ihr Gesicht schoss. „Sie sind inzwischen die einzige Lehrkraft in Hogwarts, die mich noch mit meinem Nachnamen anspricht…“
„Oh…“ Professor McGonagall erhob sich und streckte Hermine ihre langgliedrige Hand entgegen. „Minerva“, sagte sie mit einem warmen Lächeln.
Hermine ergriff dankbar die angebotene Hand. „Hermine“, erwiderte sie und versuchte, in den Händedruck all die Wertschätzung und Zuneigung zu legen, die sie für die ältere Frau empfand. „Wenn Sie erlauben, Minerva, würde ich jetzt gern zu meiner Tochter gehen.“
„Natürlich. Tun Sie das.“ Minerva McGonagall begleitete sie aus dem Büro. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Hermine.“
„Nochmals vielen Dank für diesen Termin.“ Hermine reichte ihr zum Abschied noch einmal die Hand. „Ich weiß das sehr zu schätzen.“