Danke für die vielen Analysen, Vero
! Also, ich ändere hiermit meine Meinung. Nach den ersten Stunden der Nominierung war ich etwas befremdet von den vielen enttäuschten Reaktionen und dachte "Warum immer auf das Negative fokussieren? Sechs Oscar-Nominierungen sind der Hammer!" Ist auch so, aber es ist richtig und wichtig, dass Menschen sich empört Luft machen im Netz - wie soll sich sonst jemals etwas ändern in Hollywood?
Die Theorie, dass die Nominierungen als "Bester Film" und "Beste Regie" nicht deswegen ausgeblieben sind, weil Hollywood homo-feindlich ist, sondern weil Hollywood frauenfeindlich ist, finde ich besonders interessant. Meine eigene Analyse wäre die:
1.
Der Film ist zu introvertiert. Als ich das erste Mal in den Film gegangen bin, habe ich mir vorsichtshalber eine ganze Packung Taschentücher auf den Schoß gelegt, weil ich davon ausging, den ganzen Film durchzuheulen. Und was war? Nicht eine Träne. Weil dieser Film so still und introvertiert ist, dass er von einigen als "kalt" empfunden wird. Das ist er nicht, aber er arbeitet null mit Effekthascherei und Tränendrüse. Das ist eigentlich ein
"No Go" für Hollywood, es sei denn man macht einen männlichen Action-Film.
2.
Der Film ist zu frauenbezogen.Es hat ja schon öfter Nominierungen für die Darstellung von lesbischen bzw. transgender Plots gegeben - "Monster", zum Beispiel, oder "The kids are alright" oder "Boys don't cry". Aber IMMER gab es wichtige Männer - als Freunde, als Liebhaber, als was auch immer. "Carol" gibt diesem Hollywood-Gebot zwar insofern nach, dass Harge sehr viel sympathischer dargestellt wird als im Buch, aber es bleibt so, dass die Männer im Film eigentlich nur als Störfaktoren auftreten. Ein zweites
"No Go" in Hollywood.
3.
Der Film ist zu "independent gay" - und zwar "hinter den Kulissen". Ich bin mir nicht sicher, ob Hollywood wirklich mit dem lesbischen Plot ein Problem hat - das glaube ich tatsächlich weniger. Wohl aber mit der ausschließlichen Frauenbezogenheit (siehe oben) und damit, dass der Film zu sehr aus lesbischer Hand kommt: Eine lesbische Autorin, eine lesbischer Drehbuchautorin, zwei sehr engagierte lesbische Filmproduzentin, ein schwuler Regisseur, und mindestens eine lesbische Schauspielerin (da sind garantiert noch mehr im Cast, und auf welcher Seite Sandy Powell so steht, würde mich auch mal diskret interessieren
. Die ganze Handschrift des Films ist lesbisch, und das ist das Problem. Nicht der Plot an sich, sondern der Film in seiner gesamten Machart. Das dritte
"No Go" in Hollywood.
Fazit: Ich dachte, der Film wäre nicht revolutionär, zumal er das auch gar nicht sein will. Aber es stellt sich nun heraus, dass er auf seine eigene Art doch genau das ist. Und genau deswegen hat er die beiden wichtigsten Nominierungen nicht bekommen.