"Ich kann es gar nicht glauben! Du hast einen Studienplatz in Essen bekommen und ich gehe zurück nach Köln." Carla und ich hatten nahezu zeitgleich die Zusagen bekommen. Ich konnte mein- unser- Glück kaum fassen.
"Der Abstand wird kleiner", freute Carla sich am anderen Ende der Telefonleitung.
"Ja. Ich hatte schon befürchtet, ich müsse dich an Heidelberg, Jena oder Passau abgeben. Dort würdest du dann einer hübschen Frau über den Weg laufen und mich ganz schnell vergessen haben."
"Hey! Also nun gehst du aber zu weit!"
"Carla, ich weiß wie das läuft. Aus den Augen, aus dem Sinn."
"Ich dachte, ich wäre deine erste Beziehung. Die immerhin nun auch erst sieben Wochen jung ist."
"Freundschaft oder Liebe. Eine großen Unterschied gibt es in dem Punkt nicht. Beides ist Liebe. Beides verschwindet, wenn man sich nicht sieht."
"Bist du deswegen mit Anne zusammen weggegangen?"
Ich antwortete nicht.
"Gehst du zurück nach Köln, weil sie zurückgeht? Oder weil ich in Essen sein werde?"
"Weil meine Familie in Köln ist", antwortete ich trocken. Es stimmte. Zu einem Drittel.
"Puuh, geschafft. Ich denke, so kann es bleiben." Wir hatte ihr Bett an die Wand geschoben. Die Wand dahinter war tiefrot, ihr gegenüber färbte ein satter Sandton die Wand ein.
"Ich hoffe es für dich. Ich möchte deine Möbel nicht noch mal rumtragen. Wieso habt ihr reichen Leute immer so massive Holzmöbel?"
"Wir reichen Leute?"
"Na, du weißt schon. Arm seid ihr nicht gerade." Ich sah beschämt zu Boden. Ich hatte mir für den Umzug und die Kaution die letzen Wochen die Füße abgearbeitet. Zehn Stunden fast jeden Tag. "Ich kann dir nichts bieten."
"Liebe. Zärtlichkeit. Aufrichtigkeit. Deine Wärme. Deine Nähe. Dich. Das alles kann ich mit Geld nicht kaufen."
Ihre Worte halfen ein wenig. Aber ich fühlte mich dennoch schlecht in ihrer Gegenwart. Ich musste mich mit dem Studentenwerk rumschlagen um BAFöG zu bekommen, damit meine Miete und meine Ernährung gesichert waren. Nebenher brauchte ich dringend einen Job. Das alles unterschied mich von ihr.
"Bitte, hör mir zu", flehte ich sie an. "Du musst mir zuhören, bitte. Ich liebe dich. Ich habe dich die ganze Zeit geliebt, ich habe es nur nicht gesehen." "Stella. Ich brauche Zeit." "Ich brauche dich. Du kannst nicht gehen. Du bist mein Leben. Du kannst mir nicht mein Leben nehmen." "Ich bin nicht dein Leben. Du hast immer gesagt, dass ich dir nicht reiche, dass du deine Freunde brauchst, deine Familie." "Das sind doch normale Bedürfnisse." Ich weinter unerbittlich. Ich habe nicht aufgehört zu weinen. Ich bin durch den Park gelaufen. Ich war immer noch hier. Es war dunkel. Ich war allein. "Stella bitte. Geh nach Hause, geh zu Bee, ruf Luna an." "Ich will sie nicht. Ich will sie alle nicht. Bitte komm zurück." "Ich kann nicht." Das nächste was ich hörte, war das Besetztzeichen. Erste Gedanke: vielleicht war das Netz abgebrochen. Zweiter Gedanke: vielleicht war es ein Versehen. Ich versuchte noch drei Mal sie zu erreichen, sie ignorierte es. Es war kein Versehen. Es war Absicht. Ich sackte erneut zusammen, klammerte meine Arme um meine Beine und hielt mich an mir fest um nicht auseinander zu brechen.
"Was ist los mit dir? Du bist schon die ganze Woche so still."
"Nichts...nur... es sind acht Monate."
"Na und?"
"Carla. Es kann doch kein Zufall sein, dass deine anderen Beziehungen alle nach acht Monaten zerbrochen sind. Ich mache mir doch nur Gedanken."
"Du kannst das nicht vergleichen. Ich habe noch nie so tiefe Liebe empfunden, wie für dich. Ich lasse dich nicht gehen. Komm her." Sie deutete mir an, dass ich mich zu ihr legen sollte. Ich kroch in ihre Arme und ließ mich halten. "Weißt du, auch wenn du größer bist als ich, so bist du manches Mal auch um einiges kleiner", flüsterte sie.
Ich hielt mich an ihr fest, krallte meine Finger in ihr T-shirt und versuchte nicht weiter daran zu denken. Die letzen Wochen war Carla anders gewesen. Die Uni stresste sie. Die Leute stressten sie und ich bekam das einfach nur ab.
"Carla?"
"Ja?"
"Ich liebe dich."
"Und ich liebe dich. Alles ist gut, vertrau mir."
"Würdest du...mit mir schlafen?" Ich fragte nicht gerne. Ich hasste diese Frage. Sie verließ meine Lippen nur schwer.
"Heute nicht. Ich bin müde."
Heute und müde in Kombination hörte ich schon sehr lange. Sie hielt mich zwar im Arm, aber berühren tat sich mich nur selten. Sie duschte alleine. Die anfängliche Lust war weg seit sie in Essen wohnte. Ich hatte es versucht zu ignorieren, zu verdrängen, als belanglos abzutun. Aber drei Monate war eine sehr lange Zeit. Für mich.
"Stella, was wird das?"
"Ich...", ich sprach nicht weiter. Ich küsste Annes Schulter, meine Hände wanderte nach vorne und umfassten ihre Brüste.
"Lass mich noch kurz ins Bad."
Ich nickte. Anne verschwand durch die Tür und ich schmiss alles vom Sofa, was stören könnte. Ich war mir teilweise bewusst, dass ich dabei war den letzten Schritt zum Betrug zu machen. Aber der andere Tel genoss den Kick, den es mir gab. Es hauchte mir Leben ein und gab mir das Gefühl, begehrt zu werden. Ich liebte Anne nicht. Nicht mehr, als ich meine beste Freundin lieben sollte. Es war nur Sex. Sex, der mir in dem Moment sehr gut tat. Ich genoss die Nacht. Wir genossen die Stunden zu zweit. Die Welt hatte angehalten.
Der Morgen danach kam wie ein Hammerschlag. Sobald ich meine Augen schloss, sah ich Bilder in Fetzen der letzten Nacht. Ich wollte zwei Dinge niemals sein. Ich wollte niemals die Frau sein, mit der betrogen wird und ich wollte niemals die Betrügerin sein. Mit 21 Jahren konnte ich hinter beides ein 'versagt' schreiben.
Ich knallte auf dem Boden auf. "Anne, was soll ich machen?"
"Das ist deine Entscheidung. Ich weiß, dass ich dir damit nicht helfe. Ich bin bei dir, egal was du tust. Aber was du tust, das musst du selbst mit dir ausmachen."
"Du hast Recht. Ich werde es ihr nicht sagen."
"Okay. Ich stehe hinter dir."
"Danke."
"Ich habe dich lieb."
"Ich dich auch." Sie sagte es selten. Aber wenn sie es sagte, bedeutete es umso mehr.
_________________ “If you live to be a hundred, I want to live to be a hundred minus one day so I never have to live without you.” https://www.fanfiction.net/s/8764822/1/Two-In-A-Million
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