7. Kapitel
Rebecca stand, die Hände auf dem Waschbeckenrand aufgestützt, vor dem Spiegel und blickte in ihr kreide bleiches Gesicht. Die Krämpfe in ihrem Bauch hatten nachgelassen, als sie sich in der Schlossküche von ihrem Mageninhalt befreite. Sie atmete mehrfach ein und aus, doch das flaue Gefühl blieb ihr treu. Der verbale Ausbruch vor ihrer Familie war mehr als überfällig gewesen,doch wie sollte es nun weiter gehen? Sie formte ihre Hände zu einer Schale und ließ kaltes glasklares Wasser hinein laufen. Warum konnte nicht alles so klar sein wie dieses kühle Nass, dachte sie bei sich als sie den gesamten Wasserschwall in ihr Gesicht warf. Als Rebecca ihre Augen wieder öffnete war ihr Gesicht nach wie vor blass und zeigte Erschöpfungserscheinungen. Sie musste raus aus dem Schloss, an die frische Luft und einfach mal wieder den Kopf frei kriegen. Nachdem sie noch mehrfach versuchte Christina zu erreichen, aber ohne zu ihr durchzudringen, hatte sie sich entschlossen Marlene anzurufen und sich mit ihr in der Stadt zu treffen. Der Mond stand bereits hoch am Himmel und schaute auf die wenigen einsamen Herzen die zu dieser späten Stunde noch durch die Stadt schlenderten. Rebecca stand am Geländer der Rheinpromenade und schaute in die dunkle Nacht. Im Wasser spiegelten sich einige Lichter der Stadt und tanzten auf den leichten Wellen, die im Mondschein zu erkennen waren. Zwei Arme umschlangen ihren Körper und Rebecca spürte die wohlige Wärme und roch den zuckersüßen Duft ihrer Marlene, die sich ihr schier unbemerkt genähert hatte. Rebecca drehte sich um und just in dem Moment spürte sie die warmen und zarten Lippen von Marlene auf ihren. Beide mussten sich nicht erzählen wie ihr Tag verlaufen war, denn die Eindrücke spiegelten sich in ihren Gesichtern wieder. Rebecca erzählte Marlene dennoch von dem Abend und ihrem Ausflug in die verbalen Untiefen und wurde bei dem Gedanken daran wieder etwas blass um die Nase. Hand in Hand schlenderten die Beiden, ungeachtet der Uhrzeit, entlang des Rheins. Denn Hauptsache sie waren zusammen und konnten sich spüren. Rebecca wollte nicht zurück aufs Schloss, denn dort fühlte sie sich als läge sie in Ketten. Mal davon abgesehen, dass sie keinen Drang hegte irgendeinem ihrer Familie zu begegnen, was trotz ihrer abgelegenen Wohnung erstaunlich oft passierte. Was Marlene lächelnder Weise zu der Äußerung trieb, dass Rebecca dann wohl oder übel in ihrem Bett Asyl suchen musste. Rebecca zögerte, obwohl sie nichts lieber täte als in Marlenes Armen zu verweilen. Sie wollte in Marlenes Augen sehen, bevor sie abends einschlief, wollte ihren Körper spüren während sie sich im Traum besuchten und sie wollte von ihren Lippen am Morgen geweckt werden. Marlene riss sie aus ihren Gedanken, denn sie bemerkte dass Rebecca zögerte. Sie stellte sich vor sie hin, nahm ihre Hände und sprach mit anmutender Stimme „Rebecca von Lahnstein, ich frage dich hier und jetzt, möchtest du die Nacht mit mir gemeinsam im Hause Wolf verbringen? „ Rebecca begann sofort zu lächeln und antwortet mit einem leicht schüchternen „ja, ich will“. Sie schafften es einfach sich gegenseitig immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern und besiegelten diesen Pakt mit einem innigen Kuss im Mondlicht. Als Marlene wenig später die Wohnungstür aufschloss und Rebecca Eintritt gewährte, fühlte sich diese sichtlich wohl. Marlenes Eltern waren schon im Bett, da die Zeiger der Uhr bereits weit nach Mitternacht angezeigt hatten. Beide zogen sich in Marlenes Zimmer zurück, kuschelten sich ineinander und schliefen dann glücklich ein. Der Nachrichtenton von Marlenes Handy weckte die Beiden am frühen Morgen. Es war Tristan, der ihr mitteilte, dass er sie zu ihren nächsten Terminen nicht begleiten würde, aber für dringende Rückfragen telefonisch erreichbar wäre. Was auch immer das jetzt wieder für eine Anwandlung war, Marlene schien es ganz recht zu sein, denn so musste sie sich wenigstens nicht den verbalen Attacken und erdrückenden Blicken von Tristan erwehren. Sie legte das Handy zurück auf den Nachtschrank und wandte sich dem einzig wichtigen zu und hauchte Rebecca ein zärtliches „Guten Morgen“ ins Ohr. Diese streckte sich und berührte mit den Fingerspitzen Marlenes Lippen „träum ich?„ Marlene küsste sie innig um ihr die Realität vor Augen zu führen. Es war einfach traumhaft schön und immer wieder prickelnd wenn ihre Herzen miteinander verschmolzen und ihre Träume zur Wirklichkeit wurden. Eine Männerstimme, die Marlenes Namen rief, bahnte sich ihren Weg durch die dünne Holztür bis hin zu den Beiden. Es war Marlenes Vater, der zum Frühstück rief. Rebecca zuckte zusammen und auch Marlene saß aufrecht im Bett. Ihre Eltern und Geschwister wussten nun zwar, dass die Liebe zu Rebecca Marlenes Herz erfüllte, doch wie würden sie reagieren wenn sie beide aus dem Zimmer kamen?
Beide schlüpften in ihre Sachen, standen nun direkt hinter der verschlossenen Tür und lauschten. Rebecca befand, dass es besser wäre zu gehen, um nicht auch noch in Marlenes Familie ein Spannungsfeld zu erzeugen. Marlene schaute sie traurig an, konnte aber die Bedenken ihrer Freundin verstehen und schließlich war sie sich auch nicht sicher was passieren würde. Zumal ihre Familie ja erst einen Tag zuvor die überraschende Wende im Leben ihrer Tochter zu erfahren bekam. Nichts desto trotz würden auch sie begreifen müssen, dass es mit Rebecca und ihr ernst war und nicht nur eine vorrübergehende Laune der Natur. Doch an diesem Morgen musste ein vorläufiger Abschiedskuss die Stunden bis zum Wiedersehen überbrücken, aber Marlene wollte es sich nicht nehmen lassen, Rebecca wenigstens zur Tür zu bringen. Sie drückte vorsichtig und leise die Türklinke herunter und ein leichtes Unbehagen breitete sich bei Rebecca und ihr aus. Die leicht geöffnete Tür gewährte einen Einblick in den Wohnbereich der Familie. Dort herrschte ein beinahe wildes Durcheinander, weil Victoria und Thomas bei den Vorbereitungen zum Frühstück waren. Dieser durchaus positive Aspekt gab Marlene die Möglichkeit Rebecca nahezu unauffällig zur Tür zu begleiten. Sie schlichen los in Richtung Wohnungstür und gerade als Rebecca nach der Klinke griff prallte den Beiden ein donnerndes „HALT“ in den Rücken. Marlenes Vater hatte die sie bemerkt und den kläglichen Versuch jemanden unbemerkt aus der Wohnung zu lotsen, mit einem militärisch zackigen Ton, vereitelt. Rebecca und Marlene stockte der Atem und sie standen wie Zinnsoldaten an der Tür und bewegten keine Faser ihres Körpers. Sie kniffen ihre Augen zusammen und suchten nach der Hand der Anderen. Wie kleine Kinder, die etwas ausgefressen hatten und nun dem großen Donnerwetter ihrer Eltern entgegen sahen, drehten sich Marlene und Rebecca um. Marlenes Vater stand mit verschränkten Armen vor dem Esstisch, während ihre Mutter bereits Platz genommen hatte und die Beiden etwas ernst ansah. Mit der Ansage was denn bitte dies für eine Aktion sei, winkte Marlenes Vater die Beiden zu sich heran. Im Normalfall hätte er jetzt von seiner Tochter erwartet, dass diese ihren Besuch vorstellt, aber da Fräulein von Lahnstein ja keine Unbekannte war, hatte sich dies erübrigt. Stattdessen sprach er mit fester Stimme zu Marlene und wollte wissen was sie sich dabei gedacht hatte. ** Erst lässt sie alle wochenlang im Unklaren über ihre Gefühle und nun dieser heimlich nächtliche Besuch** Marlene schluckte und auch Rebecca rutschte das Herz eine Etage tiefer. Sie sagte es wäre wohl besser jetzt zu gehen und wollte sich gerade umdrehen, als die kräftige Stimme vom Marlenes Vater sie erneut zusammen zucken lies „sie gehen nirgendswo hin“ Nach einer kurzen Pause fügte Marlenes Vater noch einen kleinen Nachsatz hinzu, „nicht ohne gefrühstückt zu haben“. Rebecca drehte sich um und sah in ein zwinkerndes Gesicht welches mit einem verschmitzten Lächeln dekoriert war. Marlene und Rebecca pusteten gleichermaßen durch als ihnen klar wurde, dass sie einer kleiner veralbernden List aufgesessen waren. Ihnen fielen tausend Steine vom Herzen als Marlenes Vater sie beide an den Tisch bat und meinte in diesem Haus würde niemand beißen. Nun lag es noch an Marlenes Mutter Victoria etwas zu sagen, denn sie war auffallend still gewesen. Um dieser Situation wieder etwas die Spannung zu nehmen versuchte es Marlenes Vater mit Humor, indem er seine Frau in die Seite knuffte und meinte, dass der familiäre Hang zu den Lahnsteins ja weiterhin bestehen bliebe. Nun musste auch Victoria etwas lächeln und entschuldigte sich für ihre Schweigsamkeit. Thomas drückte sich an ihre Seite und wies seine Frau mit einem Dackelblick darauf hin welch ein süßes Paar ihnen gegenüber säße und das doch nur eines zählt, nämlich dass ihre Tochter glücklich wird. Nun schaltete sich auch Marlene in das Gespräch ein, kuschelte sich an Rebecca und gab ihrer Mutter zu verstehen dass sie diese Frau über alles liebt. Diesem bildlichen Argument konnte Victoria dann auch nichts mehr entgegen setzen außer Rebecca in der Familie willkommen zu heißen. Doch in ihrem Inneren tobte ein kleiner Konflikt, denn Mütter sehen zuweilen einen starken Mann an der Seite ihrer Töchter und auch irgendwann Enkelkinder. Eine solche Mutter war auch Victoria und deshalb war sie ja auch so entzückt von Tristan gewesen. Doch sie sah ihre Tochter vor sich sitzen, die ihrer großen Liebe immer wieder verliebte Blicke zuwarf. Sie war befreit und strahlte, was kann man seiner Tochter mehr wünschen? Rebecca fühlte sich sichtlich wohl, die Stimmung war in keiner Weise beklemmend, wie manchmal auf dem Schloss. Hier wurde gelacht, gescherzt und die Gespräche waren warm und ehrlich. Sie fühlte sich zu Hause und dies war auch der Grund warum sie in den folgenden Tagen mehr Zeit im Hause Wolf verbrachte als auf dem Schloss. Ihr Vater hatte zwar mehrfach versucht ein Gespräch aufzubauen, doch Rebecca fehlte der nötige Freiraum im Kopf und so beließ sie es vorerst bei normaler Konversation alla „von Lahnstein“.
Tristan zog es ebenfalls vor sich erst einmal abzuschotten und beließ es dabei ausschließlich telefonisch erreichbar zu sein. Er brauchte genau wie alle anderen ausreichend Zeit um alles Geschehene der vergangenen Tage zu ordnen und für sich einen Weg zu finden damit umzugehen. Marlene war somit das erste Mal auf sich allein gestellt, was ihre berufliche Karriere anging. Sie wusste zwar sie könne Tristan jederzeit anrufen, aber das wollte sie unter allen Umständen vermeiden. Sie musste und wollte vor allem sich selbst beweisen, dass sie auch alleine dazu in der Lage wäre ihre Karriere am Laufen zu halten. Rebecca stand ihr mit Herzblut zur Seite, doch rein geschäftlich konnte sie ihr nicht helfen, da sie in dieser Welt keinen Einfluss hatte. Demnach verließ Marlene fast jeden Tag zu früher Stunde die Wohnung, um sich für gewisse Termine richtig Zeit zu nehmen und eventuell neue Kontakte knüpfen zu können. Rebecca bekam schon beinahe Entzugserscheinungen aber neben dieser wundervollen Frau aufzuwachen war wie der Himmel auf Erden. Als Rebecca wieder einmal allein in Marlenes Zimmer im Bett lag und mit verträumten Blicken imaginäre Wölkchen an die Decke starrte, hörte sie die Stimme von Victoria, die wohl etwas zu Hause vergessen haben musste. Sie warf einen Blick auf die Uhr und realisierte, dass auch sie langsam mal in die Firma musste, denn auch als Chefdesignerin hatte man nicht alle Freiheiten. Als sie ins Bad ging lief sie Victoria in die Arme, die sich freundlich lächelnd nach dem Befinden von Rebecca erkundigte. Zwischen ihnen beiden herrschte zwar ein wohlwollendes Miteinander, aber Rebecca spürte dass es Victoria nicht so leicht fiel zu akzeptieren. Für sie war es, im Gegensatz zu Marlenes Vater, nicht so entspannt mit der Tatsache umzugehen, dass ihre Tochter eine Frau liebte. Umso angespannter wurde Rebecca als Victoria sie bat einen Moment auf dem Sofa Platz zu nehmen. Rebecca war sich nicht sicher was nun passieren würde, denn die Situation mit Marlenes Mutter ein Vieraugengespräch zu führen ließ ihr ein mulmiges Gefühl in die Magengegend schießen. Doch das Gespräch gestaltete sich angenehmer als zuerst geglaubt und das war es was Rebecca so an dieser Familie mochte. Egal welche Bedenken oder Probleme man hatte, es wurde offen und einfühlsam besprochen. Victoria fragte Rebecca wie sie sich fühlte in Bezug auf Tristan, weil er ja nun mal ihr Bruder war. Diese Frage stellte sie aber keineswegs abwertend oder vorwurfsvoll. Victoria wollte nur wissen wie es Rebecca mit dieser ganzen Situation ginge. Sie sagte ihr auch wie sehr sie Tristan an Marlenes Seite mochte, aber dies alles mit einer Herzenswärme welche Rebecca dennoch das Gefühl gab willkommen zu sein. So offen wie an diesem Morgen mit Marlenes Mutter hatte sie noch nie mit jemandem aus ihrer Familie gesprochen. Mit Tristan würde sie einen Weg finden müssen, das war ihr klar, aber dies würde die Zeit mit sich bringen. Rebecca versicherte Victoria, das sie Marlene über alles liebte und für sie da sein würde wenn sie nach ihr ruft. Doch vor allem würde sie an ihrer Seite sein wenn Marlene schweigt, denn dann schrie ihre Seele. Victoria fragte zaghaft ob eine Umarmung in Ordnung wäre und Rebecca willigte zufrieden lächelnd ein bevor sich beide auf den Weg zur Arbeit machten. Marlene hatte unterdessen die ersten Termine schon hinter sich gebracht und saß in einem Café. Sie war völlig geschafft, denn wenn sie etwas nicht leiden konnte, dann waren es Pressetermine am frühen Morgen. Und wie es nun mal in der Öffentlichkeit so ist, es bleibt nichts lange geheim. Demnach hatte sich die Klatschpresse mit viel Engagement auf die geplatzte Traumhochzeit gestürzt und Marlene diesbezüglich Löcher in den Bauch gefragt. Alle anderen Themen in Bezug auf ihren Job waren Nebensache und das nervte Marlene so, dass sie das letzte Interview abbrach. Sie suchte ein paar ruhige Minuten in dem Café und blätterte in verschiedenen Tageszeitungen aus aller Welt. In der New York Times stieß sie auf eine Schlagzeile, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. In großen Lettern zogen die Buchstaben an ihren Augen vorbei, **Beliebte New Yorker Jungdesignerin verstorben**. Marlene schaffte es noch den Untertitel **Christina M., Designerin mit Leib und Seele, starb an unheilbarer Krankheit** zu lesen, bevor ihr die Kaffeetasse aus den Händen glitt und am Boden in unzählige Scherben zerbrach. Der milchig braune Kaffee schlängelte sich durch die Scherben und Marlene hielt den Atem an. Das Klirren der zu Boden fallenden Tasse hallte in ihren Ohren noch einige Augenblicke nach bevor sie wieder zu atmen begann. Ihre Lippen waren staub trocken, klebten wie zusammengeschweißt und schmerzten bei dem Versuch einen Ton hindurch zu pressen. Ihre Gedanken flogen durch die Stadt und ihr Herz schrie „Rebecca“.
Marlene lies alles Stehen und liegen, warf ein paar Euro auf den Tisch und rannte aus dem Café. Ihr Herz klopfte und ihr war klar, wo sie so schnell wie möglich hin musste. In der Modewelt würde sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer ausbreiten und wenn diese Welle Rebecca traf sollte sie nicht alleine sein. Marlene hetzte durch die Stadt ungeachtet all dem was sich ihr in den Weg stellte. Sie selbst konnte die schockierende Nachricht noch nicht einmal wirken lassen, denn der Adrenalinrausch und die Gedanken an Rebecca machten es ihr unmöglich zu realisieren was sie da vor wenigen Augenblicken gelesen hatte. Sie musste einfach schneller bei Rebecca ankommen als diese Schlagzeile. In der Firma herrschte reges Durcheinander als Marlene durch die Tür stürmte. Überall waren Leute unterwegs und standen unkontrolliert, in hitzige Gespräche verwickelt, in der Gegend rum. Marlene schaute sich verwirrt um, konnte Rebecca in dem Gewühl jedoch nicht entdecken. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge bis in Rebeccas Atelier wo sie ihre Freundin jedoch auch nicht erblicken konnte. Stattdessen fiel ihr Blick auf den langen Tisch wo zwischen Stoffrollen, gezeichneten Mustern und Designerkram die neueste Ausgabe der New York Times lag. Die Seite, die an diesem Tag eine schreckliche Gewissheit offenbart hatte, lag ausgebreitet vor ihr. Aus Marlenes Gesicht verschwand jegliche Farbe und in ihren Augen blitzte die pure Angst auf. Rebecca musste es wie ein Schlag getroffen haben dies zu lesen, nur wo war sie? Marlene war in größter Sorge, denn ihr war durchaus bewusst wie sehr Rebecca an Christina hing und was sie ihr bedeutete. Aber was noch viel schlimmer für sie sein musste, war die Tatsache dass sie Christina nicht mehr erreicht hatte. Nun stiegen auch in Marlene diese beklemmenden schmerzvollen Emotionen hoch, die sie langsam begreifen ließen was geschehen war. Sie stand genau an der Stelle wo Christina ihr ins Gesicht sagte, dass sie Rebecca liebte und ihr dieselbe Frage knallhart ins Gesicht donnerte. Dann fiel ihr die Situation im Park wieder ein und wie warmherzig ihr Christina zu verstehen gab, dass es für die wahre Liebe nur eine Chance gäbe. Marlene spürte wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, doch sie durfte jetzt nicht zusammen brechen, nicht jetzt wo Rebecca irgendwo mit ihren Gefühlen kämpfte. Sie rannte in der Firma von Raum zu Raum, sprach alle an und fragte nach Rebecca. Doch niemand wusste wo sie war, bis ihre Assistentin Marlene ansprach und sagte, dass Rebecca fluchtartig die Firma verlassen hatte. Außer ihren Motorradhelm hatte sie nichts mitgenommen. Marlenes Sorge wuchs ins Unermessliche. Wo sollte sie suchen? Ihre Verzweiflung ließ alle rationalen und logischen Gedanken wild durcheinander existieren, bis sie den Entschluss fasste auf dem Schloss und in Rebeccas Wohnung mit der Suche zu beginnen. Als Marlene in Rebeccas Wohnung ankam bahnte sich Erleichterung ihren Weg, denn die Tür stand halb offen. Als sie jedoch eintrat fand sie nur den Buttler vor, der frische Handtücher und Bettzeug gebracht hatte. Sie fragte ihn ob Rebecca auf dem Schloss wäre, doch dies entzog sich seiner Kenntnis. Mittlerweile war es früher Abend und die Familie fand sich im Esszimmer ein. Marlene trat einen schweren Gang an, denn sie war seit der Sache mit Tristan nicht wieder in den heiligen Hallen der Familie gewesen. Doch nun ging es um Rebecca und da sollten alle Zwistigkeiten einfach außen vor gelassen werden. Marlene ließ sich ins Esszimmer führen und sah sich einer Meute von verwundert schauenden Gestalten gegenüber, nur Tristan konnte sie nicht erblicken. Sie entschuldigte sich für ihr Eindringen und berichtete der Familie von den Geschehnissen. Doch ihre Sorge um Rebecca schien nicht auf die Lahnstein Familie über zu springen. Jeder versuchte objektiv eine plausible Erklärung für das Verschwinden zu finden und zu erklären warum man sich keine Sorgen machen brauchte. Wenn diese Todesnachricht von dieser Designerin Rebecca schwer getroffen haben sollte, dann brauchte sie vielleicht einfach nur etwas Zeit für sich und würde dann wieder auftauchen. Helena kam auf Marlene zu und versuchte sie mit beruhigenden Worten von ihrer Sorge zu befreien, doch Marlene wollte nicht tatenlos rumsitzen. Sie wandte sich von allen ab und wollte gerade das Esszimmer verlassen, als sich die großen Flügeltüren öffneten und der Buttler zwei Herren der Polizei anmeldete. Ein Raunen durchströmte den Saal und alle starrten auf die Gesichter der beiden Polizisten. Helena schob Marlene einen Stuhl zu, weil diese drohte die Bodenhaftung zu verlieren. Rebeccas Vater bat die Polizisten herein, und Marlene schrie auf, schlug die Hände vor das Gesicht und rutschte den Tränen nah von ihrem Stuhl. Einer der Polizisten hatte Rebeccas Motorradhelm unter dem Arm. Die Geschwister waren traumatisch entsetzt, Marlene hockte auf dem Boden und eine eisige Kälte durchzog ihre Körper. Rebeccas Vater rang um Haltung und wollte wissen was passiert sei. Die Polizisten teilten der Familie mit, dass man Rebeccas Motorrad samt Helm und halb im Wasser liegend am Ufer des Rheins gefunden hatte. Helena erkundigte sich nach Rebecca, während sie sich zu der am ganzen Körper zitternden Marlene kniete. Doch die Polizisten konnten keine Auskunft über den Verbleib von Rebecca machen, erklärten aber dass bereits am, im und auf dem Wasser diverse Suchmaßnahmen eingeleitet wurden. Man würde der Familie auftretende Neuigkeiten umgehend mitteilen. Mit diesen Worten verabschiedeten sich die Polizisten und eine gleichermaßen schockierte und verängstigte Familie blieb zurück.
Marlene lag zusammen gekauert in den Armen von Helena und flüsterte leise Rebeccas Namen, immer und immer wieder sah sie ihr Motorrad am Rhein liegen. Dieser Gedanke hatte sich als Bild in ihrem Kopf manifestiert. Rebeccas Brüder beschlossen die Suche zu unterstützen, denn keiner wollte nun untätig die Zeit abwarten. Doch was war mit Tristan, er wusste ja noch nicht einmal Bescheid. Da er sich seit Tagen abschottete und am Familienleben nicht mehr teilnahm, war er auch an diesem Abend ahnungslos in seiner Suite. Helena sah zu den Männern auf und wollte Tristan über die neuesten Geschehnisse in Kenntnis setzten, doch erst nachdem sie Marlene nach Hause gebracht hatte, die nach wie vor beinahe schon lethargisch in ihren Armen lag. Rebeccas Vater ließ für die Beiden einen Wagen bereitstellen und wollte sich anschließend mit seiner Frau in sein Büro zurückziehen, um die Suchmaßnahmen von dort aus telefonisch zu intensivieren. Helena erhob sich und zog Marlene mit sich in den Stand. Ihre Brüder halfen ihr sie zum Auto zu geleiten und versprachen sie würden Rebecca finden. Die Autotür klappte zu und Marlene verschlang die im Flug an ihr vorbei ziehenden Lichter der Stadt. Im Glanze der Autoscheibe spiegelte sich die Silhouette eines sich in den Armen liegenden Paares, versunken in einem innigen Kuss. Ihre Gedanken ließen dieses Paar wie auf einer Drehscheibe erscheinen und sie erkannte ihre Rebecca und spürte ihren Kuss. Ihre Fingerspitzen berührten die kalte Scheibe so als wolle sie nach Rebecca greifen. Doch die Silhouette wurde blasser und blasser und verschwand im Dunkel ihrer Gedanken. Marlene hob den Kopf und schrie erneut nach Rebecca, sie rüttelte an den Türen des fahrenden Wagens und alles in ihr schien sich in Panik entladen zu wollen. Helena löste ihren Sicherheitsgurt und befreite auch Marlene davon, fasste ihre Schultern und versuchte die Panik zu zügeln. Sie sah Marlene an und redete beruhigend auf sie ein. Als der Wagen vor der Wohnung von Marlenes Eltern hielt und sich die Verriegelung löste, riss Marlene die Tür auf und schnappte mit weit offenem Mund nach Luft. Die Gedanken an Rebecca zogen sich wie eine Schlinge um ihren Hals zu und nahmen ihr die Luft zum Atmen. Helena umfasst Marlene und begleitete sie in die Wohnung. Victoria war allein zu Hause und empfing die Beiden an der Tür. Voller Entsetzen und mit der gleichen plötzlich auftretenden Angst hörte sie Helenas Worte und sah die verzweifelten Tränen ihrer Tochter. Als Helena Marlene in die beschützenden Hände ihrer Mutter gegeben hatte, brach auch in ihr der Damm der Verzweiflung und der Sorge. Sie rutschte an der geschlossenen Wohnungstür runter und sprach in die Leere des dunklen Flurs „Becci, wo bist du?“ Sie musste unbedingt zu Tristan bevor er es von jemandem anders erfuhr, dass Rebecca als verschwunden galt. Als sie ins Schloss zurück kam lag eine unheimliche Stille in der Luft und ein Blick ins Büro ihres Vaters zeigte ihr, dass es keine neuen Erkenntnisse gab. Nun lag es an ihr ihrem Zwillingsbruder zu sagen, dass Rebecca verschwunden war und als sie in seiner Suite ankam und Tristan in Selbstmitleid badend auf dem Bett liegen sah war ihr klar es würde nicht leicht werden. Augen zu und grade raus dachte sich Helena, als sie Tristan berührte und ihm seine Kopfhörer von den Ohren nahm. Er war sofort wieder genervt und ließ Helena kaum zu Wort kommen, doch sie umfasste kräftig seine Handgelenke und sagte ihm ruhig aber bestimmend ins Gesicht, dass eine groß angelegte Suchaktion in die Wege geleitet wurde um Rebecca zu finden. Erst schien es so als sei diese Information nicht zu ihm durchgedrungen, denn er sprang auf und fluchte Helena an, warum sie ihn störte und nicht akzeptierte, dass er seine Ruhe wollte. Doch als Helena sich vor ihm aufbaute und sagte „Tristan, man hat Rebeccas Motorrad halb im Rhein liegend gefunden“, wurde er nachdenklich und rannte nervös im Zimmer auf und ab, während ihm Helena alles erzählte was an diesem Abend geschehen war. Die Kombination von Rebeccas und Marlenes Namen in einem Satz löste bei Tristan nach wie vor Aggressionsgefühle aus, aber diese schob er beiseite, denn der Gedanke seiner Schwester sei etwas passiert ließ ihn frieren. Auch er wollte alles Mögliche tun um Rebecca zu finden und entfloh aus seiner Isolation zur Unterstützung der Familie. Es waren nun mehrere Stunden ins Land gezogen ohne ein Lebenszeichen von Rebecca. Die Suchmaßnahmen im und auf dem Wasser wurden wegen der Dunkelheit und der unbeständigen Witterung unterbrochen, doch an Land ging die Suche weiter. Die halbe Lahnstein Familie unterstütze auf den Düsseldorfer Straßen aktiv die Suche, während der Rest auf dem Schloss verweilte. Marlene unterdessen durchlief ein Extrem nach dem nächsten. Victoria hatte große Mühe ihre Tochter in der Wohnung zu halten, denn Marlene wollte auch nach ihrer Freundin suchen und zwar so lange bis sie sie gefunden hatte. Das Herz in ihrer Brust schmerzte, ihre sonst so warme Haut war eiskalt und ihre Augen tränenleer. Marlene rannte ins Bad und übergab sich zum wiederholten Male. Ihr Spiegelbild glich einem Schatten ihrer selbst und sie flehte „Christina, bring sie mir zurück, bitte…Du hast sie mir gegeben, jetzt nimm sie mir nicht wieder weg…Bring sie mir zurück.“
Marlene brach vor dem Waschbecken zusammen und hämmerte, in unzähligen Tränen schwimmend, wütend und flehend zugleich auf die Fliesen ein. Ihre Fäuste schmerzten, ihre Augen brannten und waren kaum mehr offen zu halten, doch die Verzweiflung bohrte sich wie Messerstiche in ihr Herz. Sie griff nach allem was sie zu fassen bekam und schleuderte es durch den Raum, begleitet von nicht enden wollenden stockenden Schreien. Victoria riss die Tür zum Bad auf und fand ihre Tochter inmitten von Handtüchern, Duschutensilien und zerbrochenem Glas. Sie schaffte es irgendwie Marlene bis ins Wohnzimmer zu geleiten wo sie völlig entkräftet auf dem Sofa zum Liegen kam. Victoria kniete vor ihrer Tochter, strich ihr einige der sinnflutartig laufenden Tränen aus dem Gesicht und zog eine Decke über ihren kalten und ausgelaugten Körper. Marlene hatte alles an Kraft aus ihrem Körper verpulvert, lag nun einfach nur da und starrte auf das Telefon vor ihr. Es hatte seit Stunden keinen Ton von sich gegeben und schwieg auch weiterhin. Marlenes Mutter ertrank in ihrer Hilflosigkeit und es tat ihr im Herzen weh ihre Tochter so zu sehen. Sie konnte ihr nicht helfen außer mit sanften Streicheleinheiten etwas Ruhe in Marlenes Körper zu bringen. Die Entkräftung übernahm die Kontrolle über Marlene und zwang sie zur Aufgabe. Ihre Augenlider wurden schwerer und schlossen wenig später die tränendurchweichten Pforten. Victoria entfernte sich leise, nahm das Telefon und ging zurück ins Bad. Sie rief auf dem Schloss an, um zu erfahren ob es Neuigkeiten gäbe. Dort was alles hell erleuchtet, keiner schlief und jeder versuchte sich wie irgend nur möglich nützlich zu machen. Rebeccas Vater hielt unentwegt Kontakt zu seinen Söhnen, die auf der Straße suchten. Niemand wollte glauben, dass Rebecca im Rhein war, denn wenn es so wäre hatte die Polizei der Familie nicht viel Hoffnung auf einen positiven Ausgang der Suche gemacht. Bei den Strömungsverhältnissen, der Dunkelheit und der doch schon kühlen Nächte gingen die Überlebenschancen in Richtung Null. Doch daran wagte keiner zu denken, es durfte einfach nicht sein. Suchhunde durchkämmten jeden Winkel entlang des Rheinufers und jeder Passant der zu dieser Stunde noch unterwegs war wurde von den Suchmannschaften belagert. Doch je mehr Zeit verging, umso mehr schwanden bei allen Beteiligten die Kräfte, doch die Hoffnung auf ein Lebenszeichen war ungebrochen. Nichts war schlimmer als diese erdrückende Ungewissheit. Victoria hatte gerade das Telefonat mit Rebeccas Vater beendet als es an der Tür klingelte. Sie eilte ins Vorzimmer, da sie dachte Marlene wäre davon wach geworden. Doch sie schlief wie betäubt und schluchzte hin und wieder. Victoria öffnete die Tür und sah in das verängstigte und sorgenvolle Gesicht von Tristan. Es war ihm unangenehm um diese Uhrzeit zu stören, doch er hatte nach langem innerem Zögern den Drang sich nach Marlenes Befinden zu erkundigen. Trotz der Geschehnisse der letzten Tage war ihm Marlene alles andere als egal, denn er liebte sie nach wie vor. Victoria winkte Tristan herein, bat ihn aber leise zu sein. Ihr Blick fiel dabei in Richtung Sofa wo Marlene im Schlaf zur Ruhe kam. Tristan ging einen Schritt näher zu Marlene und sah eine gebrochene Frau. Ihr äußerer Glanz war einer sorgenvollen verschwommenen Blässe gewichen und selbst jetzt im Schlaf sah man wie es in ihr zu toben schien. Tristan wollte zu ihr konnte sich aber nicht von der Stelle rühren, denn er spürte förmlich ihren Leidensdruck. Victoria zog ihn aus Marlenes Bann und sprach auch ihm tröstende Worte zu. Die Beiden unterhielten sich bei einer Tasse Kaffee und Tristan fand in Marlenes Mutter endlich eine Zuhörerin die nicht urteilte oder bewertete, sondern die einfach nur da war und zuhörte. Nach dem Kaffee verabschiedete er sich, denn er wollte Marlene nicht wecken und stattdessen seine Brüder unterstützen, die seit Stunden durch die Straßen liefen. Die Tür fiel ins Schloss und Victoria war mit ihrer Tochter wieder allein. Marlenes Vater hatte ja schon am Morgen angekündigt, dass es ein langer Arbeitstag werden würde und das gerade heute, wo sie die Unterstützung und die extrem feinfühlige Art ihres Mannes mehr als hätte gebrauchen können. Seit Tristan da war verging die Zeit noch schneller, denn mittlerweile war es weit nach Mitternacht und Victoria war auf dem Sessel neben Marlene eingeschlafen als die winselnde Stimme ihrer Tochter sie weckte. Marlene schien zu träumen, sie wühlte und strampelte mit den Beinen, drehte sich von links nach rechts und sprach mit flehender Stimme „ Rebecca nein….bleib…Christina bring sie mir zurück…nein“. Victoria strich Marlene übers Gesicht und wollte sie beruhigen, doch ihr Traum hielt sie fest und sie flehte immer wieder Christina an ihr Rebecca zurück zu bringen. Plötzlich klackte das Schloss der Wohnungstür und Thomas trat ins gedämpfte Licht des Vorzimmers er sah seine Frau an und zog die völlig unterkühlte und in eine Decke gehüllte Rebecca in die Wohnung. Ohne ein Wort zu sagen umfasste er Rebecca und brachte sie zum Sofa wo Marlene sich immer noch flehend hin und her drehte. Victoria ging zur Seite und fand in dem Armen ihres Mannes Zuflucht, während sich Rebecca vor das Sofa kniete und Marlene beim nächsten „bitte bring sie mir zurück“ sanft übers Gesicht strich und ihren Namen hauchte. Marlene öffnete die Augen und als sie sah wessen Hand sie berührte durchzog es sie wie ein Blitz, sie schoss nach oben und direkt in Rebeccas Arme.
Ihre geballte Besorgnis entlud sich und prallte in Form von unzähligen schnell aufeinander folgenden Fragen auf Rebecca ein. Marlene hatte ihre wieder gefundene Freundin im Eifer der Freude förmlich umgeworfen so dass sie übereinander zwischen Sofa und Tisch lagen. Wo warst du? Was ist passiert? Wie geht’s dir? Wieso bist du so durchgefroren? Wo zum Teufel warst du? Marlene verstummte erst als Rebecca ihr die Hand auf den Mund legte und sie mit verweinten und müden Augen ansah. Erst jetzt setzten sich beide auf und Marlene kroch unter die Decke die Rebecca noch immer um sich geschlungen hatte. Sie umarmten sich und Marlene hauchte Rebecca ein „ich glaubte ich hätte dich verloren“ ins Ohr. Thomas zog Victoria mit sich, sie verschwanden in ihr Schlafzimmer und ließen die Beiden allein. Er erzählte seiner Frau, dass er Rebecca, durchgefroren und weinend im Wald, nahe der Stelle wo seine Kollegen und er vor Tagen schon mal eine junge Frau gefunden hatten, liegen sah. Er hatte seine Kollegen noch im Scherz gefragt, ob es jetzt zur Gewohnheit werden würde, dass junge Frauen bei Dunkelheit im Wald rum liegen. Bei näherer Betrachtung erkannte er erst Rebecca, die keinen Ton der Erklärung heraus brachte. Er hatte keine Sekunde gezögert und fuhr mit ihr erst zur Kontrolle ins Krankenhaus, wo er dann erfuhr, dass man seit Stunden nach Rebecca suchte. Während sie von Ricardo untersucht wurde hatte Thomas die Möglichkeit genutzt ihre Familie zu informieren, denen ein Stein vom Herzen fiel. Alle atmeten tief durch und Rebeccas Vater informierte die Polizei, dass man seine Tochter unversehrt gefunden hatte. Thomas konnte Rebecca dann mit nach Hause nehmen, da ihr bis auf eine leichte Unterkühlung körperlich nichts fehlte. Ihre Schweigsamkeit verriet ihm dass ihr einiges im Kopf herum spukte, aber er drängte ihr kein Gespräch auf sondern fuhr sie einfach nur zu seiner Tochter. Marlene und Rebecca saßen immer noch im gedämpften Licht unter der Decke zwischen Tisch und Sofa. Ihre Körper fest aneinander gekuschelt spendeten sie sich gegenseitig Wärme und plötzlich begann Rebecca mit leiser Stimme zu erzählen. Marlene legte ihren Kopf auf Rebeccas Schulter und hielt sie während sie sprach ganz fest im Arm. **Die Zeitung in ihren Händen begann zu flattern als sie die Schlagzeile von Christinas Tod las. Ihre Finger schienen mit dem Papier zu verschmelzen. Christina, ihre einstige große Liebe, die Frau mit der sie vor wenigen Tagen noch gelacht und geweint hatte, sie war tot, einfach nicht mehr da. Kein Blut mehr, das warm durch ihre Adern floss, keine taktvollen Schläge des Herzens, kein Glanz mehr in ihren Augen und kein Lächeln mehr auf ihren Lippen. Sie war einfach nicht mehr da, nur ein seelenloser kalter Körper blieb sichtbar übrig. Christina war schon einige Tage vor Erscheinen der Nachricht verstorben. In ihr brachen alle Dämme und sie wollte einfach nur raus. Ihr Motorrad hatte sie ziellos durch die Stadt getragen und der Wind rief ihren Namen. Die gleichen Gefühle hatte sie als sie in New York auf einem Bike gegen den Wind flog. Das war der Moment gewesen, wo sie Christina für immer verloren glaubte und ihre Liebe unter der Fassade einer starken taffen Frau begrub. Und jetzt fuhr sie wieder gegen den Wind nachdem sie Christina ein zweites Mal, und diesmal endgültig, verloren hatte. Sie krallte sich auf der Maschine fest, schrie unter ihrem Helm und raste in Richtung Rheinufer. Kurz vor dem Wasser bremste sie abrupt ab sprang wütend von der Maschine und schob sie schwungvoll halb in den Rhein. Das Bike musste weg, denn es war immer da als sie Christina verlor. Wenn sie nicht Motorrad fuhr wäre Christina bestimmt wieder da. Sie riss sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn am Ufer entlang. Sie starrte ihr Bike an und von Tränen überströmt rannte sie einfach los. Sie lief und lief und hatte nur ein Ziel. Das Bike war weg also musste Christina wieder da sein. Genau da wo sie gefunden wurde, im Wald. Dort würde sie Christina finden. Sie lief so schnell sie ihre Füße trugen, ihr Körper übersäuerte, die Muskeln verkrampften und schmerzten. Sie Sonne begleitete sie auf ihrem Weg zu Christina bevor sie hinter den Bäumen der Lahnstein Wälder unter ging. Die Dunkelheit überrollte sie und verschlang auch Christina, sie war nicht da. Die Stelle im Wald war verlassen. Sie rannte den Weg entlang auf und ab, doch nichts. Verdammt das musste doch die Stelle gewesen sein, warum war Christina denn nicht hier? War sie zu langsam gerannt? Nun umfasste die Dunkelheit auch sie und ihr Körper sank auf den nassen, kalten Boden. Sie vergrub ihre Finger im Waldboden, ergab sich der Trauer und begriff dass Christina in der Ewigkeit verloren war.** Rebecca schluchzte in den Armen vom Marlene und begann bitterlich zu weinen. Marlene bestärkte sie die Trauer zuzulassen und gab ihr die Möglichkeit sich einfach fallen zu lassen. Sie zog alles an Kissen vom Sofa und polsterte ihre Ruhestätte. Rebecca klammerte sich Schutz suchend an Marlene, die keinen Zentimeter von ihrer Seite wich. Beide ließen sich in die Kissen fallen und schliefen im Sog der körperlichen und seelischen Erschöpfung nach wenigen Minuten ein.
Als die morgendlichen Lichtstrahlen durchs Fenster fielen wagte es Marlene Rebecca mit sanftem Fingerspitzengefühl zu berühren und strich ihr über ihre Stirn. Sie hatte nach einer kurzen Schlafphase ihre Augen geöffnet und fortan keinen Blick mehr von ihrer Freundin gelassen. Rebecca hatte friedlich ausgesehen als sie schlief und doch wusste Marlene dass sie innerlich weinte. Unter ihrer Hand öffnete nun auch Rebecca ihre Augen und beide tauschten all das mit Blicken aus, was mit Worten nicht zu beschreiben war. Sie fixierten und berührten sich mit jeweils einer Hand, ihre Finger kreuzten sich spielerisch und so genossen sie die wohltuende Stille an diesem Morgen. Als sich dann beide unter der Decke streckten bemerkten sie zeitgleich wie unkomfortabel ihr Nachtlager war, denn der harte Fußboden hatte sich plötzlich sehr deutlich in ihren Körpern bemerkbar gemacht. Rebecca nahm Marlene in den Arm, küsste ihren Hals und hauchte ein leises „danke, das es dich gibt“ in den Kuss. Marlene lächelte und erkundigte sich nach dem Wohlbefinden von Rebecca. Die Worte die Beide wechselten schwebten leicht und leise durch die Luft und spendeten Trost und Halt zugleich. Rebecca schien es etwas besser zu gehen obgleich die Trauer in ihr sie zu verschlingen drohte. Auch Marlene hatte in der Nacht wehmütig an Christina gedacht und sie wusste dass Rebecca sie immer lieben würde, doch sie wusste auch, dass ihre Liebe stark genug war, um nicht unter zu gehen. Ein kleiner Zweifel legte sich jedoch wie eine Nebelschwade über ihr Herz und Marlene versuchte ihn gedanklich zu verwischen, doch ohne Rebeccas Hilfe würde dieser Nebel nicht verschwinden. Thomas und Victoria hatten inzwischen auch den Weg aus dem Bett gefunden, lugten vorsichtig in Richtung Wohnbereich und in der Tat, die beiden Frauen lagen noch eingekuschelt zwischen Tisch und Sofa. Ein frischer Kaffee und ein gutes Frühstück sollten für ein wenig Aufmunterung sorgen und Kraft für alles Kommende bringen. Rebecca und Marlene aßen als gäbe es keinen Morgen mehr, denn die letzten vierundzwanzig Stunden hatten all ihre Energien auf so unterschiedliche Art und Weise geraubt. Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür, wer konnte das so früh sein? Marlenes Vater öffnete die Tür und sah sich Rebeccas Vater gegenüber, der sich nach seiner Tochter erkundigen wollte. Diese verschluckte sich beinahe an dem heißen Kaffee war aber dennoch froh das er gekommen war. Der Anblick seiner Tochter zauberte ihm ein Lächeln auf das Gesicht und er bekundete wie froh und dankbar er sei, dass ihr nichts passiert war. In einem rührenden Appell vor versammelter Mannschaft bat er Rebecca zurück nach Hause zu kommen. Er wollte sich in Zukunft bemühen auf die Sorgen und Nöte seiner Familie einzugehen und das Geschäft auch mal hinten anzustellen. Doch vor allem zeigte er großes Interesse an Rebeccas momentaner Gefühlswelt. Er ging auf sie zu, nahm ihre Hände und flehte sie fast an ihm zu erzählen was geschehen war. Doch Rebecca löste sich aus seinem Griff, denn sie wollte nicht zu dieser Stunde und zwischen Tür und Angel mit ihrem Vater ein emotionales Gespräch führen. Er verstand ihre Zurückhaltung, bat sie jedoch wenigstens zum Mittag essen aufs Schloss zu kommen, die Familie würde sich freuen. Noch während dieser Bitte ihres Vaters nahm Rebecca Marlenes Hand und demonstrierte, dass sie zusammen gehörten und sie nicht zu einem Familienessen käme, wenn Marlene als ihre Partnerin nicht akzeptiert werden würde. Ludwig bemerkte die Geste und reagierte prompt indem er auch Marlene zu diesem Essen einlud. Rebecca erwiderte, dass sie es sich überlegen würden und Ludwig verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Stirn von seiner Tochter. Und bevor er sich von den beiden Frauen abwandte legte er Marlene seine Hand an den Oberarm und nickte ihr wohlwollend zu, um ihr zu zeigen dass er sie an der Seite von Rebecca akzeptierte. Als Ludwig gegangen war protestierte Marlene etwas, denn sie wollte bei Tristan nicht noch mehr in der Wunde bohren. Rebecca verstand es und wenn Marlene nicht gehen wollte, wäre sie auch nicht gegangen, doch irgendwann mussten sie sich auch ihrer Familie stellen und dieses Essen wäre ein Anfang. Wenn es zu belastend werden würde, dann könne man ja jederzeit gehen. Marlene merkte, wie wichtig Rebecca dieser erste Schritt in Richtung Familie war und sagte dem Treffen zu und entgegen aller Vorurteile wurde es ein sehr entspanntes wenn auch etwas kühles Treffen. Alle brachten ihre Besorgnis zum Ausdruck und sprachen ihr Mitgefühl aus. Rebecca ließ Marlene nicht von der Hand was nicht nötig gewesen wäre, denn auch sie wurde empfangen und geherzt. Doch Tristan, der gehört hatte welch Mittagsgäste im Hause erwartet würden, zog sich auf seine Suite zurück und bat um Verständnis. Er wusste nicht wie er seiner einstigen Verlobten und seiner Schwester entgegen treten sollte. Er lief auf seiner Suite auf und ab. Ja er liebte Marlene immer noch und seine Schwester beinahe verloren zu haben lag ihm schwer im Magen. Und ja, sie hatten ihn vor sich selbst und seiner Unfähigkeit mit der Wahrheit umzugehen gerettet. Doch würde er vorbehaltslos ihre Liebe akzeptieren können? In ihm kroch langsam wieder die Wut hoch und er wusste nicht was passieren würde wenn er den beiden direkt in die Augen sah. Er musste es herausfinden und das war nur in einem Gespräch möglich. Er zögerte und wälzte in seinem Kopf seine gesammelten Gefühle hin und her doch wenn nicht jetzt wann dann? Er machte sich auf den Weg ins Esszimmer, doch als er dort ankam war das Essen bereits vorüber. Ludwig sagte ihm, dass Rebecca wohl nochmal in ihre Wohnung wollte um sich diverse Sachen und Materialien zu holen. Tristan zögerte nicht und ging zügigen Schrittes in Richtung Rebeccas Wohnung, bevor seine Zweifel ihn wieder zurückholten. Er musste sich Luft machen, sonst würde er kaputt gehen. Während dessen suchten die Frauen einige Dinge zusammen, die Rebecca brauchte und stießen auf Christinas Brief und auf das Herz welches sie vor nicht allzu langer Zeit zusammengelegt hatten. Beide sahen sich an und beteuerten ihre Liebe zueinander. Marlene küsste Rebecca zärtlich und gab ihr zu verstehen dass Christina niemals ganz weg sein würde, denn sie wäre das Band, welches ihre Liebe umschließt. Das Klopfen an der Tür unterbrach diesen innigen Moment der Zweisamkeit und Rebecca öffnete. Die offene Tür gewährte einer starken Hand, die sich wie eine Kralle an Rebeccas Hals fest saugte, Einlass. Marlene erschrak und eilte zu Hilfe, doch sie konnte gegen diese Kraft nichts ausrichten. Rebecca hob fast vom Boden ab und wurde durch diese kraftvolle Hand an die nächste Wand gedrückt. Ihre Augen sahen in ein wutverzerrtes Gesicht. Sie griff nach dem Handgelenk doch sie konnte sich aus dieser Klammer nicht befreien. Adrenalin durchflutete ihren Körper, panische Angst machte sich in ihr breit und das Atmen war beinahe unmöglich. Sie versuchte zu sprechen, doch jeder Ton versickerte schon im Hals.Sie spürte den heißen verzweifelten und feuchten Atem ihres Gegenübers in ihrem Gesicht, da er ihr bis auf wenige Zentimeter nahe kam.
Marlene konnte und wollte nicht zusehen wie Rebecca mehr und mehr versuchte diesem Wahnsinn zu entkommen und sie rannte auf den Angreifer zu. Sie sprang ihn förmlich von hinten an, umklammerte seinen Oberkörper und schrie wie wild. Doch ein einfaches schwungvolles Schütteln reichte aus um Marlene los zu werden. Sie verlor den Boden unter den Füßen, stolperte nach hinten und stieß gegen das Sofa. Rebecca riss an der Kleidung ihres Gegenübers und rang nach Luft, ihre Kräfte schwanden von Sekunde zu Sekunde. Marlene setzte zum erneuten Versuch an, nahm sich einen Stuhl und hob ihn ausholbereit in die Luft. Der Schlag auf den Rücken sollte Rebeccas Befreiungsschlag werden, doch der Angreifer ließ von ihr ab und drehte sich zu Marlene. Er fing den Stuhl im Schwung ab, warf ihn in die Ecke und schmetterte Marlene seine glatte große Handfläche direkt ins Gesicht, bevor er Rebecca erneut mit wutverzerrtem Gesicht anging. Marlenes Körper flog wie betäubt über die Sofalehne, abfangen konnte sie sich nicht und schlug mit dem Kopf auf die Tischplatte. Die Augen weit aufgerissen spürte sie den Schmerz des Aufpralls bevor für sie in tiefschwarzer Dunkelheit versank. Rebecca sah aus den Augenwinkeln wie Marlene bewegungslos hinterm Sofa liegen blieb. Sie strampelte und boxte auf den Angreifer ein, sie kratzte einmal quer über sein Gesicht und verschaffte sich so etwas Freiraum, da er zusammen zuckte. Doch an Flucht war nicht zu denken, denn er packte Rebecca an den Schultern und drückte sie wieder gegen die Wand, nun brach es aus ihm heraus „du bist Schuld, du hast sie auf dem Gewissen“. Rebecca schnappte nach Luft als ihr Blick plötzlich auf Tristan fiel, der durch die noch offene Tür stürmte und sah in welcher Bedrängnis seine Schwester sich befand. Er packte, den in seinen Augen Fremden, kräftig an der Schulter, drehte ihn um und verpasste ihm einen Faustschlag, der ihn zu Boden rauschen ließ. Tristan beugte sich über ihn und wollte zu einem zweiten Schlag ausholen, doch sein erster Schlag hatte für absolute Regungslosigkeit gesorgt. Rebecca stützte sich währenddessen auf ihren Knien ab und versuchte ihre Lungen wieder mit Luft zu füllen. Ihre Kleidung war vom Angstschweiß durchtränkt doch dann fiel ihr Blick auf das Sofa. „Marlene“, rief sie, rannte zu ihrer Freundin und kniete sich neben sie. Auch Tristan reagierte, sprang auf, schob den Tisch beiseite und kniete sich ebenfalls zu Marlene. Rebecca nahm ihren Oberkörper langsam etwas vom Boden hoch und sprach Marlene immer wieder an. Tristan starrte auf den regungslosen Körper der Frau, die er nach wie vor liebte und wollte von Rebecca wissen was passiert sei. Noch bevor seine Schwester ihm eine Antwort geben konnte öffnete Marlene die Augen und stöhnte vor Kopfschmerzen. Rebecca stricht ihr die langen blonden Haare aus dem Gesicht und war sichtlich erleichtert dass sie Marlene wieder in ihre glasklaren Augen sehen konnte. Und diese Augen zogen sie in diesem Moment in ihren Bann, denn auch Marlenes Gesicht begann zu strahlen als sie sah, dass es Rebeccas Augen waren, in die sie eintauchte. Beide fielen sich um den Hals und küssten sich zärtlich. Tristan, der immer noch neben ihnen kniete, sah wie sich ihre Lippen berührten, wie ihre Hände sanft über die Haut des anderen fuhren und welcher Leidenschaft die beiden erlegen waren. Er begriff, dass er Marlene als Liebe verloren hatte, denn er sah mit eigenen Augen für wen ihr Herz schlug und wem sie ihre Liebe schenkte. Er erhob sich und überließ sie der Hingabe an ihre Liebe. Plötzlich ein Stöhnen aus der anderen Ecke des Zimmers und ein Versuch sich vom Boden zu erheben. Tristan stürmte zu dem Fremden, packte ihn am Kragen und hielt ihm die geballte Faust vor sein Gesicht. Rebecca bekam dieses Szenario mit und forderte ihren Bruder auf den Mann los zu lassen. Sie ging zu ihm, begab sich auf seine Augenhöhe und sprach mit weicher Stimme „alles ok Roger“. Marlene hatte sich trotz ihres Brummschädels und der Schmerzen auch erhoben und stand neben Tristan. Alle drei sahen auf den am Boden liegenden und zitternden Roger, der wortlos zu Rebecca sah. Diese setzte sich zu ihm auf den Boden und nahm ihn in ihre Arme was bei ihm alle Anspannung fallen ließ. Er erwiderte diese Umarmung und mit stockender tränengetränkter Stimme brach er in sich zusammen „Sie ist tot Rebecca“. Beide ließen ihrer gemeinsamen Trauer freien Lauf und kauerten auf dem Boden. Marlene nahm Tristans Hand und zog ihn auffordernd in Richtung Tür. Rebecca und Roger brauchten Zeit für sich und auch Marlene befand dass es an der Zeit war mit Tristan zu reden. Dieser nickte und so gingen beide in den Park.
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