Kapitel 11: Veränderungen
Innerhalb der nächsten Wochen gelang es Rebecca zunehmend aus ihrem festgefahren Trott auszubrechen und ihre Zeit wieder vermehrt für Dinge zu nutzen, die ihr Freude machten. Doch erst, als sie auch ihr Arbeitspensum bei LCL deutlich reduzierte, wurden andere auf die Veränderung aufmerksam, allen voran Tanja, die es sich natürlich nicht nehmen ließ, die Gräfin gewohnt freundlich auf ihre Pflichten als Chefdesignerin hinzuweisen „Rebecca“ sagte sie, und es klang nicht gerade fröhlich „wann hast Du eigentlich entschieden nur noch Dienst nach Plan zu machen, und wie kommst Du darauf, dass ich mir das länger als eine gewisse Zeit lang ansehe? Du bist Chefdesignerin und es gibt massenhaft zu tun, was macht das bitte für einen Eindruck auf die restlichen Mitarbeiter? Ich erwarte, dass Du Dich ab sofort wieder mehr engagierst, verstanden? Ansonsten bekommst Du eine Abmahnung, und es ist mir völlig egal, ob Du eine von Lahnstein bist! Wer seinen Job nur halbherzig macht, hat hier nichts verloren und kann gehen. Ist das angekommen?“ Die junge Gräfin ließ den Ausbruch über sich ergehen und gab sich ungerührt „okay“ erwiderte sie nur und widmete sich wieder den Stoffen, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Tanja war anzumerken, dass sie mit einer anderen Reaktion gerechnet hatte „gut, dann ist das ja geklärt. Und Rebecca, ich meine das ernst. Falls Du glauben solltest, dass Du hier weiterhin einen Sonderstatus genießt, vergiss das besser ganz schnell. Die Zeiten sind vorbei, denn jetzt habe ich hier wieder das Sagen, und ich lasse mir von niemandem mehr auf der Nase herum tanzen“ verlieh sie ihrer Aussage noch einmal Nachdruck, was Rebecca dazu veranlasse zu grinsen, denn sie wusste genau, warum Tanja derart biestig war „das würde ich doch niemals denken, Tanja. Ach, übrigens, was ich Dich noch fragen wollte...wie läuft es eigentlich mit Frida? Also Sebastian ist ja völlig aus dem Häuschen, dass sie für ein paar Wochen berufsbedingt in Düsseldorf ist. Und der kleine Carl ist wirklich ein süßer Fratz, findest Du nicht? Ich finde ja, dass er Sebastian ziemlich ähnlich sieht.“ Sie lächelte süffisant, als sie sah, dass Tanjas Gesichtszüge für einen Moment entglitten, doch die Blondine fing sich schnell wieder und schaute sie düster an „treib es nicht zu weit“ zischte sie und stapfte wütend davon. Rebecca genoss ihren kleinen Triumph, viel zu lange war es her, dass sie sich stark genug gefühlt hatte, um es mit ihrer Chefin aufzunehmen, aber nun sah sie dem Ganzen entspannt entgegen, denn sie wusste etwas, was noch kein anderer aus ihrer Familie ahnte. Sie betrachtete ihren Arbeitsplatz, nickte zufrieden und kümmerte sich um das, was noch erledigt werden musste, ehe sie aufs Schloss fahren würde, um mit ihrer Familie zu essen.
Zwei Stunden später war es soweit, die komplette Familie mit Ausnahme von Ansgar, der sich einen Virus eingefangen hatte und bis auf weiteres ans Bett gebunden war, hatte sich am Lahnstein Esstisch eingefunden und beendete gerade den Hauptgang. Es fanden die üblichen, etwas spitzfindigen Gespräche statt und Tanja ließ es sich nicht nehmen, auch vor den anderen noch einmal zu demonstrieren, dass sie bei LCL alles im Griff hatte „wie ich vorhin erkennen konnte, hast Du Dir unser Gespräch zu Herzen genommen, und offenbar eingesehen, dass Dein Verhalten der letzten Zeit nicht angemessen war. Die Stoffproben, die Du zusammengestellt hast, gefallen mir jedenfalls sehr gut, das ist genau das, was ich mir vorgestellt hatte“ erklärte sie großspurig an Rebecca gewandt, die diese Vorlage gerne annahm und den Moment nutzte, um sich zu revanchieren. Sie legte die Arme locker neben ihren Teller auf den Tisch und lächelte der anderen freundlich zu „gern geschehen. Betrachte es als Abschiedsgeschenk“ erwiderte sie und nahm voller Genugtuung die verwirrten Gesichter zur Kenntnis, die sich ihr nach und nach zu wandten. Sebastian war der erste, der auf ihre kryptische Aussage reagierte „was genau hat das zu bedeuten? Das klingt fast so, als hättest Du vor LCL zu verlassen. Aber das hast Du doch sicher nicht damit gemeint, oder?“ frage er hörbar verwundert „natürlich nicht, Deine Schwester probt nur gerade ihren üblichen Zwergen Aufstand gegen mich, weil sie sich nicht der Tatsache beugen will, dass ihre Zeiten als Chefin der Kreativ-Abteilung vorbei sind. Egal was Du diesmal für Forderungen stellst, Rebecca, vergiss es. Es wird keine kreative Freiheit mehr geben, jedenfalls nicht, solange ich Chefin von LCL bin“ stellte sie klar und schob sich genüsslich das letzte Stück Filet in den Mund. „Vielleicht lassen wir Rebecca einfach mal ausreden, bevor wir anfangen wild herum zu spekulieren“ schlug Hagen vor, der es hasste, wenn alle einfach drauf los redeten, ohne Sinn und Verstand „hm, komisch...ich höre schon wieder diese Stimmen. Müssen aus dem Jenseits kommen“ bemerkte Tanja zynisch, die den ältesten Lahnstein Sohn am liebsten höchst persönlich wieder genau dort hin befördern würde, da er mit seinem Auftauchen bislang nur für Ärger gesorgt hatte. Rebecca ignorierte ihren Kommentar und nickte Hagen kaum merklich zu, bevor sie zu einer Erklärung ansetzte „ich denke, Ihr habt das schon ganz richtig verstanden. Es handelt sich weder um einen Aufstand, noch um irgendwelche Forderungen von meiner Seite. Im Gegenteil, ich habe endlich eingesehen, dass es keinen Sinn mehr macht und bin daher Tanjas Wunsch nachgekommen, meine Sachen zu packen und zu gehen. Die Kollegen habe ich soweit eingearbeitet, dass Ihr vorerst keine Probleme bekommen solltet, aber es sollte natürlich trotzdem möglichst schnell ein neuer Chefdesigner eingestellt werden. Meine Kündigungsfrist betrachte ich aufgrund meiner zahlreichen Überstunden und meines nicht genommenen Urlaubs als abgegolten“ stellte sie fest und trank danach etwas von ihrem Wein. Es brach eine hitzige Diskussion aus, die in erster Linie von Tanja befeuert wurde, die sich sowohl mit Hagen, als auch mit Elisabeth heftige Wortgefechte lieferte, bis Sebastian auf den Tisch haute, weil es ihm zu bunt wurde „Schluss jetzt! Das führt doch zu nichts und außerdem sollten wir lieber überlegen, wie wir mit dieser Neuigkeit umgehen“ sagte er genervt und wandte sich wieder an seine Schwester „Du klingst nicht so, als würdest Du Dich noch einmal umstimmen lassen, aber wärst Du wenigstens dazu bereit uns für den Übergang zur Verfügung zu stehen, falls mal ein Engpass vorliegen sollte?“ Rebecca nahm sich Zeit für ihre Antwort, obwohl es nichts mehr zu überlegen gab, aber sie fand es ganz angenehm, dass zur Abwechslung mal sie im Mittelpunkt stand „grundsätzlich würde ich das sogar tun, aber ich fürchte daraus wird leider nichts“ erwiderte sie bedeutungsschwer, woraufhin Tanja sie äußerst heftig anfuhr „spiel Dich gefälligst nicht so auf, wir sind nicht auf Dich angewiesen! Ich finde an jeder Straßenecke einen besseren Designer als Dich. Und lass Dir eines gesagt sein, Rebecca, diesmal gibt es kein zurück. Also erwarte bloß nicht, dass ich Dich wieder einstelle, wenn Du angekrochen kommst, weil Du leider feststellen musstest, dass der Name Lahnstein allein Dir nicht Tür und Tor öffnet.“ Es war ungewöhnlich still im Saal, bis Tristan plötzlich anfing zu lachen und die Blicke der anderen auf sich zog „was denn? Ich finde das irrsinnig komisch und sehr unterhaltsam“ merkte er an und richtete seinen Blick auf die Blondine, die ihm gegenüber saß „ich meine, dass ausgerechnet Du das sagst, Tanja, wo der Name Lahnstein Dir nicht nur Tür und Tor geöffnet hat, er hat Dir sogar so gut gefallen, dass Du gleich mehrere von uns geehelicht hast. Und um ihn auch ja nie wieder abgeben zu müssen, hast Du gleich noch für zwei Nachkommen gesorgt...also wenn DAS alles nicht für unseren Namen spricht, dann weiß ich auch nicht“ erklärte er sarkastisch. Sebastian funkelte seinen Bruder böse an „sehr Witzig, Tristan, und außerordentlich hilfreich noch dazu. Vielleicht solltest Du Dich besser ganz raus halten, wenn doch nur Mist dabei herum kommt“ motzte er ihn an, während Rebecca, die neben Tristan saß, diesen anschaute und sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Es war das erste Mal, dass die beiden wieder zusammen über etwas lachten, was auch Tristan in diesem Moment klar wurde, der ihr verstohlen zu zwinkerte „okay, wenn wir dann bitte wieder zurück zum Thema kommen könnten...warum genau ist es nicht möglich, dass Du bei Problemen zur Verfügung stehst? Hast Du bereits eine neue Verpflichtung?“ wollte Sebastian wissen, der mehr als bedient war. Rebecca riss sich wieder zusammen und nannte ihrer Familie den Grund „nein, es gibt noch keine neue Stelle, aber ich werde für unbestimmte Zeit verreisen. Morgen im Laufe des Tages breche ich auf. Und bevor Ihr fragt...ich weiß selbst noch nicht wohin, ich weiß nur, dass ich mal hier raus muss, etwas Neues sehen und einfach mal an nichts anderes denken, als an mich. Es wird Zeit für ein paar Veränderungen in meinem Leben, denn so wie es sich entwickelt, gefällt es mir nicht mehr und außerdem braucht jeder kreative Kopf auch mal eine Schaffenspause, damit wieder Raum für neue Ideen entstehen kann. Genau diesen Luxus werde ich mir jetzt gönnen, denn ich kann es mir erlauben...außerdem hat LCL ja Tanja, und mehr braucht es schließlich nicht, um erfolgreich zu sein, habe ich mir sagen lassen“ erklärte sie leicht ironisch und rückte ihren Stuhl ab „und jetzt entschuldigt mich bitte, ich habe noch ein paar Dinge zu regeln, bevor ich abreise.“ Die restlichen Lahnsteins blieben verdattert zurück, Hagen tauschte einen kuren Blick mit Elisabeth, woraufhin beide sich zurückzogen, Tristan grinste noch immer und Sebastian war endgültig bedient, als seine Freundin ihn wenig freundlich aufforderte, ihr in die gemeinsame Suite zu folgen, wo er sich mit Sicherheit noch jede Menge unschöne Dinge würde anhören müssen.
Rebecca war gerade dabei zu packen, als es leise an der Tür klopfte „kann ich kurz rein kommen?“ fragte Tristan und gesellte sich zu der Gräfin, als diese ihre Zustimmung gegeben hatte „Du machst also wirklich ernst und haust einfach ab?“ Rebecca stopfte die letzten Sachen in ihren Koffer und machte ihn zu „hast Du etwa daran gezweifelt?“ erwiderte sie, woraufhin er mit den Schultern zuckte „keine Ahnung, obwohl...nein, eigentlich nicht. So warst Du ja schon immer“ sagte er und setzte sich auf ihr Bett. Die Gräfin versuchte den Reißverschluss zu zu machen, gab dieses Unterfangen jedoch nach einer Weile auf „was meinst Du damit? Ist das jetzt gut, oder schlecht?“ wollte sie wissen und setzte sich neben ihn „gut, denke ich. Du tust wenigstens etwas und lässt Dir nicht einfach länger auf der Nase herum tanzen“ bemerkte er und es klang fast ein bisschen wehmütig. Rebecca sah ihren Bruder von der Seite an, sie hatte nach langer Zeit wieder das Gefühl, dass hier wirklich Tristan neben ihr saß, der Tristan, den sie immer gemocht hatte, trotz seiner Macken „Du kannst das auch, jederzeit. Du musst es einfach nur tun. Ich habe allerdings auch meine Zeit gebraucht diesmal, es ist so unglaublich viel passiert in den letzten Monaten“ gestand sie ihm „Du meinst wegen Marlene?“ Er blickte ihr direkt in die Augen, und diesmal erkannte Rebecca das Bedauern in ihnen, was sie damals vergeblich gesucht hatte „nicht nur, aber auch. Sie fehlt mir immer noch schrecklich. Aber es ist die gesamte Situation hier, alles dreht sich im Kreis...ich will das einfach nicht mehr“ ließ sie ihn wissen „kann ich verstehen. Aber ich wollte mich wenigstens von Dir verabschieden...unser Streit, und wie wir zuletzt miteinander umgegangen sind...so sollten wir nicht auseinandergehen, Rebecca. Ich habe diesen Fehler einmal gemacht, damals bei unserem Vater...und das brauche ich kein zweites Mal“ sagte er hörbar traurig. Die Gräfin war gerührt „ich möchte das auch nicht, und ich bin sehr froh, dass Du extra noch mal hergekommen bist“ erklärte sie und schloss ihn in die Arme „mir ging es damals nicht nur um die Sache mit Marlene, aber Du hast so unglaublich gleichgültig gewirkt, als wäre ich Dir vollkommen egal, und das hat mich einfach sehr verletzt.“ Tristan löste sich von ihr und nickte „inzwischen weiß ich das und es tut mir leid, dass ich so ein Arsch war. Aber was mich ehrlich gesagt brennend interessiert...hast Du wirklich kein Ziel, oder hast Du das nur behauptet?“ hakte er nach und Rebecca ahnte, worauf er hinaus wollte „Du denkst, dass ich nach L. A. gehe, zu Marlene? Oh, ich wünschte wirklich es wäre so, aber leider nein...Aber es gibt in der Tat ein vorläufiges Ziel und wenn Du es für Dich behältst, dann verrate ich es Dir.“ Als er erneut nickte, verriet sie es ihm und Tristan half ihr noch dabei den Koffer zu schließen, bevor er sich vorläufig von ihr verabschiedete „was ist denn jetzt mit Dir? Was hast DU vor?“ rief Rebecca ihm zu, als er an der Tür angekommen war „ich weiß nicht genau, aber vielleicht nehme ich mir ja auch eine Auszeit. Helena würde sich bestimmt über einen Besuch freuen, oder was meinst Du?“ entgegnete er „ganz bestimmt sogar“ bestätigte Rebecca lächelnd und auch Tristan lächelte, als er die Suite seiner Schwester verließ.
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