„Carla, wach auf. Carla.“
„Stella“, sagte Carla nur.
„Sie fiebert immer noch. Die letzte Woche muss sie sehr geschwächt haben. Wer ist diese Stella?“, fragte Elisabeth.
„Ich habe keine Ahnung. Ich dachte, du würdest sie kennen. Arbeitet sie vielleicht in der Holding?“, fragte Leonard. Er hatte die ganze letzte Woche fast Tag und Nacht bei ihr im Krankenhaus gewacht.
Carla blinzelte leicht ins das helle Neonlicht. „Stella“, murmelte sie erneut.
„Ich rufe deinen Vater an. Er wollte sofort Bescheid wissen, wenn sich etwas Neues ergibt.“
„Elisabeth, warte damit noch. Es ist nicht gesagt, dass sie aufwacht.“
„Aber sie blinzelt doch. Sie spricht.“
„Das hat sie schon ein paar Mal gemacht. Und doch ist sie immer wieder eingeschlafen.“
„Leonard. Was sagst du da?“
„Es tut mir leid. Ich hätte es euch sagen müssen, aber ich wollte Vater nicht beunruhigen. Sein Herz ist nicht das Stärkste. Ich wollte ihn nur schonen.“
„Das war richtig von dir.“ Elisabeth kam zurück zu Leonard und stellte sich neben das Krankenbett. „Wie hoch sind die Chancen, dass sie aufwacht?“, fragte Elisabeth.
„Ihre Werte sind gut. Aber irgendetwas scheint sie festzuhalten.“
„Bitte Carla, du musst aufwachen. Du musst aufwache, bitte.“ „Elisabeth, du solltest nach Hause fahren und meinen Vater beruhigen. Ich melde mich bei euch, sobald es wirklich etwas zu berichten gibt. Habt Geduld. Die Malaria tropica steckt niemand so leicht weg.“
„Wieso musste sie auch abfliegen, ohne sich vorher impfen zu lassen?“
„Sie ist Susanne hinterher gereist. Da hätte niemand daran gedacht, dass eine Impfung erneuert werden muss.“
„Meinst du, sie kommt zurück?“
„Nein. Sie hat angerufen. Sie wusste noch gar nicht, dass Carla im Krankenhaus liegt. Sie kommt morgen Abend an. Vielleicht könnt ihr sie abholen. Vielleicht hilft es Carla.“
„Natürlich. Carla wird sich freuen.“
„Sie muss nur aufwachen.“ Leonard warf einen besorgten Blick auf seine schlafende Schwester. Niemand konnte sich erklären, wer Stella war. Aber er hatte den Namen schon öfters gehört. Öfters als Susannes.
„Carla, ich bin es. Susanne.“ Carla blinzelte immer deutlicher. Sie wachte auf. „Carla. Hörst du nicht? Ich bin hier.“
„Su-sanne?“, flüsterte Carla und schlug etwas mehr die Augen auf.
„Carla, du hast uns einen ganz schönen Schreck eigenjagt.“
„Vater? Elisabeth? Du? Wo bin ich?“
„Im Krankenhaus“, antwortete Leonard. „Wie fühlst du dich?“
„Schlapp. Durst. Was ist denn passiert?“
„Das erklären wir dir, wenn du gesund bist“, sagte Susanne und erhob sich. „Meine Arbeit ist getan. Seid mir nicht böse, wenn ich jetzt gehe. Wir hatten alles geklärt.“ Sie sah zu Carla. „Du weißt das auch.“ Carla nickte kaum merklich. „Es ändert nichts daran. Wir haben einfach keine gemeinsame Basis mehr und es wäre falsch auf Biegen und Brechen etwas fortsetzen zu wollen, was nicht mehr existent ist.“ Sie verabschiedete sich von allen und verließ das Zimmer.
Carla hatte sich damit abgefunden, dass sie keine gemeinsame Zukunft mehr verband. Wenigstens waren sie nicht im Streit auseinander gegangen. „Wann kann ich nach Hause?“
„Wenn du vollkommen genesen bist. Du brauchst noch Ruhe, denk nicht mal daran, dir Arbeit herbringen zu lassen. Du musst dich erholen. Dein Körper ist ausgelaugt.“ Aus Leonard sprachen Arzt und Bruder. Beide machten sich Sorgen.
„Wie lange, Leo.“
„Ich kann es dir nicht sagen. Eine Woche, vielleicht länger. Wichtig ist, dass dir die Zeit nimmst, die du brauchst.“
Carla nickte. Sie fühlte sich kraftlos.
„Wir lassen dich jetzt auch alleine. Schlaf noch ein wenig. Du brauchst viel Kraft, wenn du nach Hause und in die Holding kommst.“ Elisabeth und Johannes verließen ebenfalls das Zimmer.
Leonard schob einen Stuhl an Carlas Bett und setzte sich zu ihr. „Darf ich dich ein paar Sachen fragen?“
„Natürlich“, antwortete Carla leise.
„Kennst du eine Stella?“
Carla verneinte. „Wieso fragst du?“
„Du hast eine starke Fieberphantasie gehabt. Du hast immer wieder diesen Namen gesagt. Stella. Immer wieder.“
„Ich hatte einen ganz merkwürdigen Traum“, begann Carla und erzählte Leonard alles. „Ich glaube, es sollte mir helfen, mit meiner Ehe abzuschließen. Es war nicht die netteste Art, aber ich glaube, ich komme jetzt besser damit klar.“
„Solche Phantasien sind nicht selten, Carla. Aber manches Mal hatte ich das Gefühl, dass diese Phantasie dich festhält.“
„Ich habe keine Ahnung, Leo.“
„Ist nicht so wichtig, Carla. Wichtig ist, dass es dir besser geht. Ich sehe nachher nochmal nach dir. Meine Patienten warten.“
„Natürlich.“
Leo küsste seine Schwester auf die Wange und ließ sie dann alleine.
„Guten Tag, ich habe heute ein Vorstellungsgespräch.“
„Würden Sie mir bitte ihren Namen sagen.“
„Mann, wie Frau.“
„Ah ja, hier habe ich Sie. Frau von Lahnstein erwartet Sie bereits. Folgen Sie mir bitte.“
Sie tat, wie ihr gesagt.
„Gräfin Lahnstein, Frau Mann wäre jetzt da.“
Carla deutete nur an, dass sie eintreten solle.
„Danke“, sagte sie und die andere Dame verschwand.
„Sie sind zu spät.“
„Entschuldigen Sie bitte. Es gab einen schweren Unfall und ich kenne mich noch nicht gut genug in Düsseldorf aus, dass ich einfach einen anderen Weg hätte nehmen können.“
„Es macht keinen guten Eindruck, dessen müssen Sie sich bewusst sein.“ Carlas Blick haftete auf den Unterlagen die vor ihr lagen.
„Es tut mir wirklich sehr leid. Aber ich bin davon überzeugt, dass meine Referenzen diesen Fauxpas zumindest ein bisschen ausbügeln können.“
„Na dann lassen Sie mal sehen.“ Carla legte das Geschäftliche beiseite und sah auf. „Wie…wie war Ihr Name noch gleich?“
„Mann. Stella Mann.“
Carla schluckte. Blondes kurzes Haar. Blaue Augen. Stella Mann. Sie bist es. Ohne Zweifel. Carla schluckte erneut, als Stella verlegen das kurze Haar hinter ihr Ohr schob. In ihrem Kopf hallte die Feuervogel Suite von Igor Stranwinski wider. Ihr Traum. Ihr erstes Mal. Es hatte sich so echt angefühlt. „Sie sind Schwedin?“
„Zur Hälfte, ja.“
„Sie…stehen auf Frauen?“ Carla legte alles auf eine Karte.
„Woher wissen Sie…?“
„Haben Sie heute Abend schon etwas vor?“
„…Nein“, antwortete Stella zögernd.
„Gehen Sie mit mir aus. Feiern wir Ihren neuen Job“, sagte Carla und hielt ihr lächelnd ihre Hand hin.
Stella lächelte ebenfalls. „Gerne!“
E N D E
_________________ “If you live to be a hundred, I want to live to be a hundred minus one day so I never have to live without you.” https://www.fanfiction.net/s/8764822/1/Two-In-A-Million
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