21. Vergangenheit! -> Gegenwart… -> Zukunft?
Rebecca legte ihre Skizzen zu den anderen in die Präsentationsmappe, schloss sie, und legte sie auf ihren Schreibtisch. Das würde ihre erste Präsentation bei Style Up Fashion werden, und sie fühlte wie jedes Mal diese Angespanntheit. Wie würde ihre Arbeit ankommen, vor allem in einer neuen Firma, mit einem neuen Chef? Hatte sie die Ausrichtung der Firma mit ihren Entwürfen getroffen? Sie sah auf die Uhr. Es war Zeit, Finn abzuholen. Müde ächzend stand sie auf, nahm ihren Schluss, und stieg schlapp die Treppen hinunter. Sie klingelte an Steves Tür. Etwas überrascht stellte sie fest, dass die Tür nicht von Steve geöffnet würde, sondern von einem gut aussehenden Mann, der sein Haar lässig zurück gegelt hatte. Rebecca sah ihn überrascht an. „Lass mich raten: Du bist Rebecca!“, stellt der Mann mit einem Grinsen fest. Rebecca sah ihn an. „Äh…“, machte sie zuerst, bevor sie sich wieder gefangen hatte. „Ja, sorry. Du musst Paul sein, oder?“ Paul nickte. Die beiden schüttelten sich die Hände. „Freut mich, dich endlich kennen zu lernen. Steve hat mir schon viel von dir erzählt!“, berichtete Rebecca. „Dasselbe kann ich auch zu dir sagen!“, berichtete Paul, und zwinkerte Rebecca flirtend zu. „Komm doch rein!“ Paul ließ Rebecca in die Wohnung. „Du siehst mitgenommen aus!“, stellte Paul fest. Antworten konnte Rebecca aber nicht, denn schon sauste Finn auf die zu. „Mama!“ Finn lief auf Rebecca zu und umarmte sie. „Na, mein Kleiner, hast du die beiden schön auf Trab gehalten?“, wollte sie wissen. „Ach, eigentlich war er ganz brav!“ Steve kam zu ihr, und umarmte sie. „Hi, Beccy!“ „Hey, Steve!“, grüßte Rebecca halbherzig. „Oha, als ist es nicht gut gelaufen?“, wollte Steve wissen. „Kaffee?“, bot Paul an. „Oder vielleicht doch Schokoladeneis?“, fügte er hinzu. Rebecca nickte. Steve und Paul tauschten einen wissenden Blick aus. Paul bereitete den Kaffee vor, und kam mit einem großen Becher Ben & Jerry’s zurück. „Wir haben leider keine Portionsbecher, tut mir leid!“ „Das macht nichts!“, entgegnete Rebecca, und nahm sich den Becker und einen Esslöffel. „War Finn wenigstens schön brav?“, wollte Rebecca wissen. „Ja, wir haben einen schönen Tag gehabt!“, versicherte Steve ihr. „Du hast echt einen aufgeweckten kleinen Jungen!“, komplimentierte Paul. „Danke!“ Rebecca lächelte müde. Finn kam zu ihr. „Guck mal, Mama, das habe ich gezeichnet!“ Rebecca sah sich Finns Bild an. Es war ein Bild von Steve und Paul, das erkannte Rebecca. Vom Stil her ging es in die Richtung japanischer Manga, aber man konnte durchaus die Konturen von Steve und Paul erkennen. „Das ist sehr schön, Finn, wirklich!“ Auch Steve und Paul sahen das Bild an. „Wow, das ist echt gut geworden, Finn, wirklich. Wie alt, hast du gesagt, bist du?“, fragte Paul Finn überrascht. „Fünf!“, antwortete Finn artig. „Der Junge hat echt Talent!“ Paul wand sich an Rebecca. „Er scheint viel von dir geerbt zu haben, was ich so gehört habe.“ Rebecca sah ihn an. „Ja, wobei er sehr viel von Tim hat.“ „Wenn er irgendwann mal was daraus machen will, sag mir Bescheid. Ich arbeite bei einem Verlag, da habe ich ein paar Kontakt, natürlich nur, wenn ihr das wirklich wollt!“, bot Paul an. Rebecca nickte. „Danke. Aber jetzt soll er erst einmal Kind sein dürfen. Gott sei Dank hat er keine Zielscheibe auf seinem Rücken, so wie viele seiner Verwandten…“ Rebecca würde melancholisch, als sie an ihre Familie dachte. Steve schien das bemerkt zu haben. „Also, was war jetzt mit Marlene?“. Rebecca sah ihn an. Sie nahm sich einen großen Löffel Schokoladeneis. „So schlimm?“, wollte Steve wissen. Rebecca nickte. Danach erzählte sie den beiden Männern alles, was passiert war. „Sie hat also gesagt, sie liebt dich nicht mehr?“, wollte Steve wissen. „Ja!“, meinte Rebecca traurig. „Und was haben ihre Augen gesagt?“, wollte Paul wissen.
Über dieser Frage brütete Rebecca noch lange. Am Abend kramte sie ihre alten Fotoalben hervor, gönnte sich ein Glas Rotwein, entschied sich dann aber anders: Der Anlass war nicht passend für Rotwein. Sie suchte in den Schränken nach etwas anderem. Da. Sie hatte es gefunden, Ansgars Abschiedsgeschenk: Eine Flasche von seinem heißgeliebten Whiskey. Sie goss sich ein Glas ein, nahm einen Schluck, setzte sich, und öffnete das Fotoalbum. Fotos aus längst vergangenen Tagen ließen Erinnerungen in ihr wieder lebendig werden. Erinnerungen an eine Zeit mit Marlene, in der sie glücklich waren, in der es nur sie beide gab, sie beide, Marlene und Rebecca, Marbecca, gegen den Rest der Welt. Es war ihnen egal, wer gegen sie war, sie beide waren glücklich, die Liebe, die sich gegenseitig schenkten, so ehrlich, so aufrichtig, so intensiv. Da waren sie und Marlene, im Pool. Marlene bei der Modenschau… Rebecca lächelte, als sie daran dachte. Für einen kleinen Moment war es so, als könnte sie diese vergangene Liebe, die unvollendet geblieben war, sozusagen mit einem Cliffhanger geendet hatte, fortsetzen, wieder aufleben lassen. Marlene liebte sie nicht mehr, dass hatten ihre Lippen gesagt, aber was hatten ihre Augen gesagt. Rebecca schloss die Augen, und versuchte, sich Marlenes Gesicht vorzustellen in dem Moment, als Marlene ihr gesagt hatte, dass sie sie nicht mehr liebte. Waren dass die Augen einer entschlossenen Frau gewesen, oder einer zweifelnden Frau? Rebecca wusste es nicht…Aber…war das nicht die Antwort auf die Frage? Wenn Rebecca Zweifel hatte, hatte Marlene, ihre einstige Seelenverwandte, nicht auch Zweifel?
Gab es vielleicht doch noch Hoffnung darauf, dass diese Glut, wieder zu einer lodernden Flamme werden konnte?