"Stella, Kindchen, wenn du so verwirrt bist, wird es das Beste sein, wenn du Carla aus dem Weg gehst."
"Gregor! Sprich nicht mit mir, als wärst du meine Mutter!" Dass mein Cousin sich aber auch immer aufspielen muss.
"Ist ja schon gut, Stella. Aber wenn sie dich so durcheinander bringt wie du sagst, dann solltest du es vielleicht vermeiden, ihr über den Weg zu laufen. Vorausgesetzt du willst deinen Job behalten, natürlich nur."
"Natürlich Gregor. Du bist wie immer eine große Hilfe."
"Ich weiß. Ich hab dich auch lieb, Cousinchen. Richtest du liebe Grüße aus? Ach nein, das geht ja nicht. Dann könntest du ihr ja nicht aus dem Weg gehen. Na dann, komm die Tage mal auf dem Schloss vorbei."
"Untersteh dich!" Doch er hört es nicht mehr. Er hat schon aufgelegt. Am liebsten würde ich ihm mein Handy irgendwo gegen hauen. Irgendwo, wo es richtig weh tut. Mein Problem lös ich damit allerdings auch nicht. Ich kann nicht raus gehen mit dem Wissen, dass ich ihr ständig irgendwo begegnen könnte. Ich kenne mich. Ich werde zum größten Tollpatsch der Geschichte Königsbrunn, wenn ich versuch souverän und beschäftigt zu wirken. Besser ich gebe Justus Bescheid, er soll alles Kostbare in Zeitungspapier einwickeln. "Stella, sei nicht dumm", höre ich mich sagen, als es an der Tür klopft. "Ja, bitte?"
"Ich wollte nur kurz schauen, ob alles zu Ihrer Zufriedenheit ist."
"Aber sollte das nicht meine Aufgabe sein?"
"Ja, und jetzt habe ich den Spieß umgedreht. Geht es Ihnen gut? Sie sehen blass aus."
"Also eigentlich…"
"Ja?"
"Na ja, man wird ja nicht jeden Tag von einer bildhübschen Frau geküsst."
"Von einer bildhübschen Frau? Hatten Sie Besuch?"
Ich fasse es nicht. Sie tut es schon wieder. Leugnen, verstecken, unter den Tisch fallen lassen. Ich dachte sie wollte nicht spielen. Was ist das dann hier? "Nein."
"Oh. Bildhübsch. Danke."
"Ach kommen Sie. Als würden Sie nicht wissen, dass Sie unwiderstehlich, anziehend, attraktiv und wunderschön sind."
"So viel auf einmal? Das ist schon en ziemlicher Hammer." Wieder lacht sie. Selbst wenn sie mich auslacht, wirkt sie charmant.
"Ich glaube, ich muss arbeiten." Aber vor allem muss ich hier raus. Wenn kein Unglück passieren soll, brauche ich frische Luft und andere Menschen um mich herum.
"Es gibt mit Sicherheit viel zu tun."
"Genau. Auf so einem großen Anwesen steht schließlich immer was an. Und aus diesem Grund werde ich mich jetzt auch daran machen, die Liste zu verkürzen indem ich Dinge erledige. Wenn ich bitten darf?" Ich führe sie in Richtung Tür.
"Sie dürfen so einiges."
Okay, ganz schnell weg hier. Diese Anspielungen. Ich pack das nicht mehr. "Ja, klar."
"Viel Spaß."
Gott hat ein Einsehen mit mir und schickt die Gräfin rechts den Gang entlang während meine Wege mich nach links führen. Um die Ecke gebogen muss ich erst mal wieder beginnen zu atmen. Ich bin so froh wenn ich heute Nacht in meinem Bett liege, wenn die Gräfin schläft und ich nicht Gefahr laufe, sie in irgendeiner Art und Weise sehen zu müssen- außer vielleicht in meinen Träumen.
Türe zu, Pyjama an, Licht aus und ab ins Bett. Ich habe den Tag doch wahrhaftig ohne weitere Vorkommnisse überstanden. Gut, ich bin das eine oder andere Mal der Gräfin ausgewichen. Ich habe Umwege im Schloss in Kauf genommen, oder gewartet ehe ich einen Raum betrete. Im Kalender habe ich den ersten Tag abgehakt. Wenn die nächsten sechs auch nur ähnlich wie dieser verlaufen, brauche ich für meine Aufgaben immer mindestens fünf Minuten länger, als eigentlich geplant. Allerdings bin ich mir jetzt schon ziemlich sicher, dass ich nicht hierher ziehen werde. Bleibt nur die Frage, ob es besser ist aus Höflichkeit zu bleiben, oder aus Rücksicht zu gehen. Ich beschließe den morgigen Tag abzuwarten. Auch das "Verhältnis" zwischen mir und der Gräfin hat eine zweite Chance verdient.
Mit den Gedanken an die nächsten Tage schlafe ich ein. Obwohl Ungewissheit mir in der Regel jeglichen Schlaf raubt, überwiegt heute die Müdigkeit. Und doch merke ich, dass ich total unruhig bin. Eine Kamera in meinem Zimmer würde bestimmt aufzeichnen wie ich mich hin und her wälze. So lange, bis ich schließlich aufwache. Habe ich mein Licht angelassen?
"Verzeihen Sie, ich wollte sie nicht wecken."
"Gräfin Lahnstein?" Plötzlich hellwach, setze ich mich auf und ziehe- wie in einem Film- die Decke vor meine Brust. "Was tun Sie hier."
"Ich wollte Sie nicht erschrecken."
"Das beantwortet nicht meine Frage."
"Malen."
"Mich?"
"Ihre Vorhänge."
Obwohl ich verstehen müsste, dass ihre Äußerung ironisch gemeint war, wende ich meinen Kopf zum Fenster. Wie durch ein Wunder stelle ich fest, dass ich gar keine Vorhänge habe. "Wieso tun Sie das."
"Weil die bildhübsche Frau gerne wunderschöne Frauen malt."
"Aber doch nicht wenn ich schlafe." Es ist seltsam. Ich sollte empört sein und bei jeder Anderen wäre ich das vermutlich auch. Ich sollte sie rauswerfen, und jede Andere wäre schon längst vor der Zimmertür. Ich sollte meine Sachen packen und gehen und bei jeder Anderen hätte ich das auch schon getan. Aber irgendwie kann ich ihr nicht böse sein.
"Sie sehen süß aus wenn Sie schlafen."
Ich kann nicht anders als sie mit hochgezogener Augenbraue zu mustern. "Süß. Wenn ich schlafe. Haben Sie mit meiner Mutter telefoniert?"
"Nicht, dass ich wüsste." Sie erhebt sich, legt Block und Stift auf dem Sessel ab und setzt sich ohne zu fragen zu mir aufs Bett.
Wieder muss ich schlucken und tief einatmen. Nur zu dumm, dass ich das zur gleichen Zeit versuche, was zur Folge hat, dass ich mich erst einmal gehörig verschlucke. "Sehen Sie, was Sie mit mir anrichten?"
"Ich sehe nur, dass Sie wunderschön sind."
"Gräfin Lahnstein, ich kann nicht einmal mehr klar denken wenn Sie in meiner Nähe sind. Wie soll ich dann noch hier arbeiten. Sie verwirren mich mit jedem Mal mehr." Wahnsinn. Ihr die Wahrheit zu sagen ist gar nicht so schwer. "Was haben Sie vor?"
"In deine Verwirrtheit ein bisschen Klarheit zu bringen, Stella Mann." Sie beugt sich vor, legt ihre Hände um meinen Hals und küsst mich. Nicht so vorsichtig wie heute Morgen. Weit mehr bestimmt, als ich es mir je hätte ausmalen können. Und definitiv schneller, als ich es erwartet hätte. "Stella", beginnt sie als sie kurz von meinen Lippen ablässt, "so etwas habe ich schon lange nicht mehr gespürt."
Ich könnte mich fallen lassen. Ich könnte eine schöne Nacht mit ihr verbringen. Ich könnte die Welt für ein paar Stunden vergessen. Und doch hindert mich etwas daran. "Gräfin Lahnstein", setze ich an.
"Carla!", unterbricht sie mich.
"Carla, das können wir nicht machen. Sie sind…du bist…ich bin deine Angestellte."
"Es bleibt doch alles hier in diesem Raum." Sie hat schon begonnen meinen Hals zu küssen.
"Aber das will ich nicht!" Ich drücke sie von mir weg. Ich kann und will das so nicht. "Versteh mich…verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte weiter für Sie arbeiten, aber das heißt auch, dass ich mich an gewisse Regeln halten muss. Es gibt Grenzen. Auch, wenn es nicht leicht wird. Ich bitte sie daher, jetzt zu gehen."
Sie wirkt verärgert, geht aber ohne etwas zu sagen. Wieder ein Grund mehr, mich zu feuern, denke ich, und versuche wieder einzuschlafen.
to be continued...
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