Gab es Elke Heidenreichs Artikel hier im Forum schon? Habe ihn nicht gefunden.
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Medien
Verlorene Liebe
Für den feinen Witz, die Ironie, die großen Stoffe der Weltliteratur in einer so herrlichen Seifenoper wie "Verbotene Liebe" hat die ARD keinen Sinn - sonst würde sie diese nicht absetzen. Wieder geht es nur um die dämliche Quote. Von Elke Heidenreich
Es wird entsetzlich. Das unsägliche Quizduell mit dem netten Herrn Pilawa sowieso, das wollen wir nur hui, schnell mal zwischendurch auf unseren Handys spielen und sonst nirgends und schon gar nicht moderiert. Nein, es wird entsetzlich am Abend ohne die Verbotene Liebe , eine der langlebigsten und gewiss originellsten aller Serien. Was ist los mit dem Programmdirektor der ARD, der findet, alles Verbotene und Glamouröse sei nun mal fertigerzählt? Hat er mehr als, na, sagen wir, höchstens zehn dieser mehr als 4500 Folgen gesehen? Was weiß er vom Westforst, durch den bald ein Autobahnzubringer gebaut wird, obwohl dort die seltene Sumpfrohreule wohnt, was vom Schimmel im Ostflügel von Schloss Königsbrunn? War er je im sozialen Zentrum für alles, dem "No Limits", oder in der gehobenen Kategorie, dem "Schneider's"? Weiß er nicht, wie sich LCL um die jeweils neueste Modekollektion bemüht?
Nein, nichts von all dem wissen die Verantwortlichen bei der ARD, die gucken auf die unfassbar dämliche Einrichtung der Quote, was immer das sein soll. Das ist so ein Messkasten in geschätzten 2000 Haushalten, und wenn die ein- oder eben nicht einschalten, das ist dann die Quote. Daran glauben die beim Fernsehen tatsächlich seit Jahrzehnten. Kann aber auch sein, dass das so etwas rundum Manipuliertes ist wie die Lügenrangliste Männer/Frauen neulich beim ZDF, die stecken doch alle unter einer Gebührendecke.
Etwa 1,22 Millionen Zuschauer hat nach dieser Quote die Verbotene Liebe angeblich allabendlich nur noch. Na und? Wissen die bei der ARD nichts von den sieben bis acht Millionen, die die Serie im Netz anklicken? Man fragt sich wirklich, ob im Sender die ARD Mediathek bei der Zählung eigentlich vollkommen ignoriert wird. Denn wir lassen uns schon lange nicht mehr vorschreiben, dass wir am hellen Abend möglichst bei 36 Grad auf dem Sofa sitzen und Fernsehen gucken. Manchmal tun wir das, ein fester Termin kann was Gutes sein, aber oft eben machen wir uns um 23 Uhr ein schönes Fläschchen auf, und dann heißt es mit iPad auf dem Schoß weinen mit Elisabeth, intrigieren mit Tanja und Ansgar, gutmenscheln mit Sebastian, schwärmen für Emilio, zicken mit Kim, lieben mit Charlie, leiden mit Olli, rechtschaffen sein mit Karo, verlogen mit Giselle, grundgut mit Biggi, deftig mit Thomas undsoweiter - was wissen die im Sender von all diesen Leuten. Dort ruinieren sie lieber Harald Schmidt mit Oliver Pocher, hieven Gottschalk live dahin, wo so etwas keiner sehen will, muten uns eine Schminkshow mit Bruce "Drama" Darnell zu oder eben, wie gesagt, diesen netten Herrn Pilawa mit den grottendämlichen Rätselfragen.
Kochen und Raten - fällt euch vielleicht mal irgendwas anderes ein? Müssen wir unentwegt um irgendetwas wetten, unwichtiges Wissen beweisen, um Millionär zu werden, endlich kochen lernen und uns nun auch noch im Besserwisser-Quiz duellieren? Können wir nicht einfach mal zugucken, wie Leute auf dem Schloss ihren hundert Jahre alten Whisky trinken und Millionen verschieben und wie es in der Modebranche hinter den Kulissen aussieht und was eine WG heute noch so treibt? Für den feinen Witz, die Ironie, das Abgehobene einer so herrlichen Seifenoper haben sie bei der ARD offenbar keinen Sinn. Wissen die Verantwortlichen, dass der bis in Grab treue Butler Haikus dichtet und neuerdings gern in Versen spricht und wir täglich vor Lachen darüber zusammenbrechen? Wissen sie, wie wenig wir sonst im Fernsehen zu lachen kriegen?
Nirgends gibt es Vergleichbares: hier die durch und durch intriganten Lahnsteins, Adelsbastarde auf Schloss Königsbrunn mit hässlichem Kaffeegeschirr und heimlicher Tapetentür, dort die Wohngemeinschaft mit Schwulen, Ganzkörpertätowierten, Kloputzplan und unehelichem Kind, und dann noch der Modekonzern mit bildschöner, energischer Designerin, verzickten Models, und der hinreißenden Assistentin Jessica, Prototyp der dämlichen Blondine in Pink und Leoprint. Kein Klischee wird ausgelassen, und das seit nunmehr fast 20 Jahren, und noch immer ist es witzig und schlagfertig und unüberbietbar unterhaltend.
Tolstoi, Flaubert, Balzac, Dickens, sie haben einige ihrer Romane als Fortsetzungsgeschichten für Zeitungen geschrieben - nichts anderes passiert hier: der große Fortsetzungsroman in täglichen Häppchen. Und sage keiner, es ginge bei Verbotene Liebe nur um Schmonzetten aus adeligen Betten. Es geht um Themen wie Ausländer, Balkankrieg, Schwulenehe, Goldschmuggel, Fahrerflucht, Inzest - da sind sie, die großen Themen der Weltliteratur, der Opern, der Menschen schlechthin. Betrug, Ehebruch, Demenz, Versöhnung, Steuerflucht, Bruderzwist, alles da. Und alles steht, wie im echten Leben, am nächsten Tag mit Foto und Lügen in der Glanz und Gloria oder wie die bunten Blätter eben so heißen: Sohn liebt Frau des Vaters, Schwester liebt Bruder, Vater hasst südamerikanischen Schwiegersohn, gestandene Frau scheitert an schwachen Männern, ach, Charlie, nach 20 Jahren soll ich dein Leben nicht weiter verfolgen dürfen, sondern soll bei Pilawa raten: Welches Metall wird für die Schrauben verwendet, wenn man einen neuen Zahn eingesetzt bekommt? Richtig! Titan. Lieber wären wir Fans von VL ja wohl tot, als uns zu so etwas herabzulassen.
Die Schauspieler der Verbotenen Liebe sind durchweg gut und machen ihre Sache mit Lust und Leidenschaft ganz fabelhaft. Die Autoren sind es auch, immer wieder freue ich mich an Dialogen wie "Kann ich etwas für dich tun, Ansgar?" "Wenn du so fragst, Tanja, dann fall tot um."
Wenn Blondine Jessica erzählt, man habe ihr Ähnlichkeit mit Angelina Jolie attestiert, fragt Bauarbeiter Andi: "Wer, der Düsseldorfer Blindenverein?" Nach Monaten im Koma wacht Tanja wieder auf (die Schauspielerin hatte ihrer Kinder wegen pausiert) und zack, geht es mit den Bosheiten einfach weiter. Endlich mal wird nicht alles plausibel erklärt und begründet (schwere Kindheit, böse Mutter, Vater früh weg). Es ist, wie es ist. Chefarzt Ricardo schient gebrochene Beine, holt Kinder auf die Welt, operiert Gehirntumore und heilt Querschnittslähmungen - endlich mal ein Arzt, der alles kann!
Wie viel augenzwinkernden Charme hat diese Serie - Currywurst und Champagner, das ist die Verbotene Liebe , ganz unten und ganz oben, ganz gut und ganz schlecht sind die Menschen, die Köchin heißt Frau Linse und der Butler Justus, der Gerechte. Geht es schöner, geht es ironischer? Aber, finden die Herren bei der ARD, jetzt ist es genug, es ist ja alles erzählt.
Ach, doch noch längst nicht. Was wird denn aus Thore und Caro? Der wird doch wohl nicht mit Giselle glücklich? Kriegen sich Olli und Sascha nicht vielleicht doch noch? Kriegt Bella vom doofen Andi ein Kind? Kehrt Dana tatsächlich zu Hagen zurück, obwohl der neuerdings hässliche Strickjacken trägt? Was plant eigentlich Marlene? Hält die Ehe von Charlie und Helmke? Ist Ansgar wirklich tot? Taucht der Vater von Alexa Berg (Bösewicht!) nicht doch noch mal auf? Und könnte er nicht dann doch Elisabeth heiraten?
In dieser Serie ist man gefälligst nicht tot. Man wird erschossen oder stürzt mit dem Flugzeug ab oder ertrinkt im Sturm in der Karibik, und dann taucht man nach zwanzig, dreißig, hundert, ach was, nach tausend Folgen eben wieder auf. So soll es sein! Das hat uns damals schon Dallas prima vorgemacht. Man könnte getrost immer weitererzählen, aber stattdessen raten wir jetzt Metall für Zahnschrauben.
Ratet nicht mit, ihr traurigen Fans. Schaltet aus. Drückt die unselige Quote, an welche die da oben immer noch glauben, unters Erdniveau.
Ach, wir Zuschauer werden ja eh nie gefragt. Die mögen uns einfach nicht, die Fernsehdirektoren. Wir kriegen serviert, was ein paar wichtige Herren und einige Damen sich so fürs Volk ausdenken. Und das Volk weint. Hört ihr, lest ihr das? Euer Volk weint!
Das Vorabendprogramm soll leicht und schön auf den Abend einstimmen. Die Verbotene Liebe tut das seit Anbeginn, und sie leidet darunter, mal 20, mal 45 Minuten lang sein zu müssen, mal vor, mal nach, mal genau um 18 Uhr anzufangen und mit Werbung zugeknallt zu werden. Aber all diese Misshandlungen hat die Serie mit den Millionen treuen Fans überstanden. Den Geschmack eines Programmdirektors jetzt übersteht sie nicht.
Dabei hat Volker Herres im Jahrbuch der ARD 2009 sogar einen Aufsatz geschrieben zum Thema "Qualität trotz Quote". Die geliebte Verbotene Liebe hat Qualität - trotz Quote. So herum gilt das nämlich auch.
Kann man Fernsehdirektoren abwählen? Gibt es einen Quotenknopf dafür? Dann drück ich den jetzt mal eben.
Wissen die bei der ARD nichts
von den sieben bis acht Millionen,
die die Serie im Netz anklicken?
Wir Zuschauer werden ja
eh nie gefragt. Hört ihr, lest ihr
das? Euer Volk weint!
Bildunterschriften: Elke Heidenreich, 71,ist Schriftstellerin, Literaturkritikerin und Moderatorin. Seit Jahren bekennt sie sich zur Verbotenen Liebe , was ihr die Produzenten mit drei kurzen Auftritten als Detektivin Felizitas Haverdorn dankten.
Es geht nicht nur um ein paar Adelsbastarde auf Schloss Königsbrunn, es geht auch um Betrug und Bruderzwist. Und jetzt sollen wir beim Quizduell raten, welches Metall in Zahnimplantate gehört? Im Zentrum der Soap (von links): Sebastian, Tanja und Ansgar von Lahnstein nebst seiner großen Liebe Eva Baumann.