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Re: Charité - Überleben in der ARD

17.04.2017, 21:57

Guten Abend Elsie,

ich habe ja noch mal ein bisschen geschaut und in den Szenen besonders auf Schwester Martha geachtet. Die bei mir im Windschatten der Geschichte um die Seeligwerdung Thereses leider ein bisschen untergegangen ist.

Ich finde, Du hast das schön beobachtet. Ich denke, sie ist jemand, der genau versteht, was in Therese vor sich geht.

Besonders aufgefallen ist mir diese Situation, wo sie vor dem Krankenzimmer steht und lauscht, wie Therese mit Ida redet.

Wir wissen nicht, wie lange sie da schon steht, vielleicht bereits das ganze Gespräch über? Und sie geht nicht harsch dazwischen, sie hört zu und geht nachdenklich weg, wie jemand, der gerade vielleicht zum ersten Mal von einer Frau gehört hat, die ihre Gefühle für eine andere beschreibt. Und die das und die Reaktion darauf nicht verpassen wollte.

Als sie Ida Thereses Geld gibt, sagt sie ihr ja auch, dass Therese sie sehr geliebt hat. Da ist sie offen. Das muss sie ja nicht mit diesen Worten sagen. Und auch dass sie ihre eigene Geschichte erzählt. Sie sieht in Ida wohl jemand, der sie deswegen nicht verurteilt. Einerseits vielleicht, weil Ida selbst außerhalb steht, weil sie etwas Ungewöhnliches will, aber auch weil sie eben Therese nicht weggestoßen hat, sondern um sie trauert. Also traut auch Oberin Martha sich Ida zu öffnen.

Es kann gut sein, dass Martha wie Therese empfindet. Aber wie Du bereits geschrieben hast, wird die Figur sehr schön subtil gespielt und nicht jede Botschaft auf einem Silbertablett serviert. Das macht es interessant, über sie nachzudenken.

Die Charité ist eigentlich keine Serie, wo einem richtige Personen begegnen. Mehr so Ausschnitte.

Aber Martha ist so gut gespielt und vielleicht auch geschrieben, dass sich die Tür nen Spalt öffnet und Du nen Blick werfen kannst auf das, was sie als Mensch ausmacht. Martha ist so eine Figur.

Edith, wo ich die Schauspielerin auch mag, hat nicht so eine private Geschichte.

EBeth hat geschrieben:Edith ist was für die, die in Geschichte aufgepasst haben.

:hehe:

Du hast Edith eine zweite Sissi genannt. Aber als platte Heldin empfand ich sie trotzdem nicht. Sie wahr ne wirklich ungewöhnlich nüchterne Sissi. Ohne einen Hauch Wiener Nachkriegsdeutsch und süße Ponyrettungsaktionen. :danke:

Das Regie und Drehbuch diese beiden Figuren nicht platt gegeneinander ausgespielt haben, fand ich wirklich gut. Passte aber auch dazu, dass in dieser Serie die Frauen die positiven Identifikationsfiguren waren, wie Du schon geschrieben hast.

Müsste ich mich bei den Männern entscheiden, wen ich interessant dargestellt fand, würde ich vielleicht Virchow nehmen.

EBeth hat geschrieben:Im Kontrast dazu, der doch eigentlich liberale Virchow. Er sieht ärztemäßig in ihr nur die attraktiven Pocken und bittet Hagenbeck um "lassen Sie sie hier". "Nur" ein Versuchstier. Korrekterweise wäre noch zu erzählen gewesen, dass Teile von ihr sicherlich in einem der virchowschen Gurkengläser gelandet sind. Hat man uns erspart, wäre aber ehrlich gewesen. Bei dem rachitischen Becken einer verstorbenen Arbeiterin waren sie nicht so zimperlich.

Er war eine hübsche Mischung aus liberal, spießig, altklug und menschlich beschränkt.

Behring war auch gut. Ich habe nicht das Gefühl, den echten Behring in irgendeiner Minute dieser Serie kennengelernt zu haben, aber dieses hochfahrende in Uniform mit einem Schaf spazieren, kriegt nicht jeder hin. Er hat es als unzuverlässiger manisch-depressiver Anschmacht-Mann gebracht.

Aber jetzt kommen wir schon echt in Richtung Telenovela.

Ich kann nicht genau sagen, was ich von Therese halte. Frau Lied hat das in ihrem Text gut beschrieben. Therese als Figur läuft auf so absolut bekannten Bahnen. Zum einen, weil sie eine Fernsehlesbe ist und auch weil sie ein Telenovela-Support ist. Und das ist einfach frustrierend. Noch vom Sterbebett aus verkuppelt sie ergeben und sich selbst verleugnend ihre Freundin weg. Und das Letzte, was Ida ihr in den Hades hinterherflüstert, ist ja dann auch, dass Therese doch ihre Trauzeugin werden sollte. What?

Mir war früh klar, was Therese blüht und ich konnte ihr nicht unvoreingenommen zuschauen. Mir war bei der Geschichte unwohl. Und als sie vorbei war, ging's mir besser.

Sie hat gut mit der Ida-Darstellerin zusammengespielt. Es war manchmal echt berührend.

Aber sie war eine Figur, wo ich Stationen abgehaken konnte, und registriert habe, was sie jetzt gerade nicht machen oder sagen durfte, um nicht zu stören.

So was macht mich traurig.

Zur Hauptdarstellerin habe ich schon was geschrieben. Ich glaube nach Folge 4? In Folge 5 hat sie mich dann echt fertig gemacht mit ihrer Romy 2.0-Attitüde. In Folge 6 wurde das Ganze dann wieder zurückgefahren.

Aber da ist das ganze Telenovela-Schmonz-Gebäude ja dann sowieso kurz und schmerzhaft in sich zusammengestürzt. Was ich erfrischend fand.

Sie war das Gegenstück zu Behring. Eine tolle Heldin. Und nicht doof dargestellt.

Es hat mir gefallen, dass sie am Anfang da bleiben musste, um ihre Schulden abzuzahlen. Dass das nicht von ihr ausging, war schön prosaisch.

Ich mochte auch die ausgewählte Zeit, in der das Ganze spielt. Ne wirklich gute Idee, daraus eine historische Serie zu machen.

17.04.2017, 21:57

Re: Charité - Überleben in der ARD

18.04.2017, 08:54

Guten Morgen liebe Heidi,
ich schaffe es nur kurz reinzuspringen, um ein kurzes :knuff: und :danke: abzuwerfen. Schön hast du geschrieben.

Ich mag solche Figuren wie Martha, meistens, weil sie niemand mag und sie Opfer des gesamten "Musterguckens" sind.

Zu Therese:
Aber sie war eine Figur, wo ich Stationen abhaken konnte, und registriert habe, was sie jetzt gerade nicht machen oder sagen durfte, um nicht zu stören.
So was macht mich traurig.


:knuff: ja, das kann ich verstehen, denn so ist es. Nichts störendes.
In Folge drei oder vier darf sie Ida ja noch bitten, den Tischendorf nicht zu heiraten. Danach schwenkt sie in den BF-TN-Support und nimmt alles duldend hin. Die "unnatürlichen Gefühle sind einfach da" und fertig. Kann man ja doch mit Trauzeuge werden.

Und sie hat keine Perspektive, keine Ziele wie Edith oder Ida, im Heimatfilmmodus hat gelitten zu werden, was anderes als die Opferbilder hat einfach keinen Platz in der Musterlandschaft.

Dazu melde ich mich noch mal, allerdings wohl im Schneckentempo - bin erstmal ein paar Tage weg.

Heute ist ja erst offiziell letzter Charitétag, also werden die Kamelle so schnell nicht oll....

:hdl:

Re: Charité - Überleben in der ARD

18.04.2017, 14:00

Hach, ich komme doch noch dazu was zu Edith zusagen.
Nein, natürlich ist sie keine süße "Sissi", das war nur ein "noch eine Heldin", der ich einfach den Begriff telenovelamäßig übergebraten habe.

Edith muss nicht privat sein, sie symbolisiert halt die Arbeiterklasse und diejenigen darunter, die für deren Besserstellung kämpfen.

Edit ist aber auch "System", ein neues und eigenes. Edith kämpft nicht für Gleichstellung und individuelle Selbstverwirklichung, sondern für Verbesserung. Ihren Stand stellt sie nicht in Frage, hat sogar einen gewissen Stolz, dazuzugehören.

Und sie kritisiert Ida, die für sich individuell "hoch hinaus" möchte. Das haben die Leute tatsächlich noch jahrzehntelang gemacht.

Insbesondere Frauen, die für sich Bildung, Aufstieg etc. wollten, wurde gerne vorgeworfen, dass sie sich zu fein seien, den Platz unter ihresgleichen einnehmen zu wollen. Dieses "du heiratest später ja doch mal" war kam später noch hinzu.

Ida ist geradezu hyperrevolutionär. "Wurde" ja auch nicht geheiratet... :liebe2:

:huhu:

Re: Charité - Überleben in der ARD

18.04.2017, 17:14

EBeth hat geschrieben:Insbesondere Frauen, die für sich Bildung, Aufstieg etc. wollten, wurde gerne vorgeworfen, dass sie sich zu fein seien, den Platz unter ihresgleichen einnehmen zu wollen. Dieses "du heiratest später ja doch mal" kam später noch hinzu.

Ida ist geradezu hyperrevolutionär. "Wurde" ja auch nicht geheiratet... :liebe2:

:huhu:


Nö. :razz:

Ich freu mich ja fast jeden Tag darüber, in was für ner Zeit ich lebe. Auch wenn so was wie Nachrichten durchklickern manchmal schwer fällt.

Gibt da so einen schönen Film, "Between two women". Spielt in den 50ern auf der Insel. Da geht u. a. eine Ehe den Bach runter und eine neue hoffnungsvolle Beziehung entsteht. (Rate zwischen wem? Genau! "Zwischen zwei Frauen".)

Und dem Mann wird alles zuviel, was seine Frau neuerdings macht. Lesen, mit der Lehrerin des Sohnes treffen, den Sohn zu Schul-Wettbewerben anmelden etc.. Immer mit dem Hinweis, wir sind doch "working class". Klingt so aufgezählt hier vielleicht nen bisschen plakativ, ist aber ein schöner Film.

:huhu: Dir ne schöne Woche!!

Der Drops is noch nicht gelutscht. :trippelelch:

Re: Charité - Überleben in der ARD

02.03.2019, 21:25

Wir retten das Baby... :liebe2:

Heute Morgen habe ich mal, medieninfo-unbelastet, die ersten zwei Folgen von Charité II gesehen und mich danach an diesen Thread mit dem Ausblick auf die Nazizeit an der Charité erinnert - ja, wie wollen die das erzählen? Dieses ganze Leid der Versuchsopfer? Erzählen sie das überhaupt?

Bisher gar nicht richtig. Man zeigt unschuldige, vertrauensselige behinderte Kinder, die vom Dr. freundlich mit Tuberkoloseimpfstoff gepiekt werden, wird aufgeklärt, dass sie zu den Aussortierten gehören und ihren Eltern ohne deren Einwilligung weggenommen wurden. Die Eltern sieht man nicht, die Kinder nicht leiden, die anderen, die so interessante Experimente wie Kriegswundensimulation, Zwangssterilisation, Euthanasie und dergleichen mehr erdulden mussten, auch nicht - also bisher.

Das Nazisystem schwebt eher wie eine Glocke über allem und unsere Identifikationsfigur ist die Frau, die ein wahrscheinlich behindertes Kind hat und das natürlich retten will. Ein dreifach tragisches Element wird in der Gestalt ihres Mannes reingemixt, der die Kinderexperimente für seine Habilitation benötigt, wenn er die nicht schafft, an die Front muss und nun eben dieses Kind hat, dessen mögliche Behinderung er auch verbergen muss.

Interessanter Kniff, so hat man nun so gar nichts damit zu tun bei dieser Konstruktionsgewalt. Ich fand ja schon die Multifax-Scan-und-Kopiergerätefiguren in Babylon Berlin bemerkenswert, aber dort erzählte man eine Geschichte, hier eine Geschichte aus der Geschichte, die so sicher niemals passiert ist. Also der Mann schwappt uns nicht verstörend auf's gemütliche Sofa.

Wir retten mit der Frau das Baby gegen die bösen Nazis... :liebe2:

Einer der bösen Nazis ist ein gegen Homos und Behinderte dozierender Prof in dessen Hörsaal die sympathische Stimme aus dem Volk, eine rundliche Krankenschwester, ihrem Nachbarn ins Ohr flüstert, det der Joebbels ja ooch hinkt. Verquere Nazilogik einfach und lustig erklärt.

Aber ich habe auch gelernt: Morgenurin in einen männlichen Frosch gespritzt, voilà, hat man einen Schwangerschaftstest. Beurteile nie Ausländer nach ihrer Herkunft, sondern nach ihrer Qualifikation. Wie es die tapfere Lichtgestalt Dr. Sauerbruch tut - der dort nicht ein einziges Mal unumstritten rüberkommt. Gut, gebe zu, dass ich manchmal eingeschlafen bin.

Dr. Sauerbruch kommt auch super mit selbstbewussten Frauen zurecht. Bisher sind die einzigen Nazifrauen die schnöselige arrogante Magda Goebbels und die naziinfiltrierte Krankenschwester, die sicher den süßen, blutspendenden, auch naiven schwulen Arzt zu Fall bringen wird. Da mache ich schon mal das Todeszettelchen dran.

Die beiden Frauengestalten sind auch herrlich Fifties, arrogante Stadttusse und naives Dienstmädchen. Für uns hält Nico Hofmann modern Luise Wolfram, die gerne interessante, spöttisch distanzierte wissende Frauen darstellen darf, als Frau Dr. Sauerbruch parat oder/und die Hauptdarstellerin mit der wir das Baby retten.

So richtig kann ich mich über alles aber nicht aufregen, zu sehr ist mir das Bild im Kopf, dass ambitionierte, gesunde, wohlgenährte, aufgeklärte Gestalten sich um elf nach dem Frühstück im Café Einstein nach Babelsberg begeben und wichtige Filme machen.

Ab und zu erwartete ich schon Charlotte Ritter um die Ecke biegen, auch eine von Männern erzählte tapfere Frau. Die Mühe hatte, mit ihrem Job für 1,60 Mark/Stunde und der ganzen Nacht Prostitution für 3 Mark pro Freier (selbst ausgesucht) die 20 Mark Miete plus ein paar Bratwürste und die Gasuhr zusammenzukriegen. Und die, nimmt man nur eine Bestattungsfrist von 12 Tagen an, für das 80 Mark teure Begräbnis ihrer Mutter ca. sieben Freier pro Tag zusätzlich hätte machen müssen, die sie sich mit Sicherheit dann nicht mehr aussuchen konnte. Auch keinen männlichen Frosch brauchte, nur mit müden, heroinromantischen Augenringen im Kino sitzen durfte anstatt mal gepflegt eine Runde zu kotzen. Nur so nach meiner Ansicht.... :mrgreen:

Gucke mir den Rest der Staffel Charité natürlich an - einer Erzählung muss man immer eine Chance geben und außerdem will ich vom Sofa aus das Baby mitretten . :liebe2:
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