Ana I
"Liebling, ich bin jetzt weg."
"Klar, Schatz. Mach dir ein paar schöne Wochen in der Kur."
Kur, der hat gut reden. Immer wenn ich zur Kur fahre, muss Ana auf Tour. Natürlich darf mein Mann das nicht wissen. Wenn er sich für Popmusik interessieren würde, hätte ich mehr bedenken dass er mich unter der brünetten Perücke erkennen würde. Da er aber ausschließlich und unter gar keinen Umständen etwas anderes als Klassik hört, stufe ich das Risiko eher sehr gering ein. "Pitlochry ist bestimmt sehr schön."
"Bestimmt mein Schatz. Aber nun mach, dass dein Taxi nicht ohne dich abfährt." Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und schließt hinter mir die Tür, als ich den schmalen Pfad der den Gehweg mit unserer Eingangstür verbindet, entlang gehe.
"Pitlochry ist bestimmt sehr schön", äffe ich mich selbst nach. Ich hab nicht mal eine Ahnung ob es dort noch ein Kurhotel gibt. Ich weiß, dass meine Großtante da mal war, das ist allerdings auch schon fast zehn Jahre her. Aber genau wie die Chance, dass er mich auf irgendeiner Bühne herumspringen und singen sieht, ist auch die Chance dass er im Internet meinen Aufenthalt checkt, sehr gering.
"Wohin?"
"Flughafen Liverpool, bitte." Sein Blick in den Rückspiegel verrät alles. "Ja, ich weiß, dass das teuer ist. Aber anstatt mich hier weiterhin blöd anzuglotzen und so zu verhindern, dass ich meinen Flug erwische, könnten Sie bitte losfahren."
Achselzuckend wendet er seinen Blick wieder nach vorne und lässt den Motor aufheulen.
"Himmel Herr Gott, Kindchen, wo bleibst du denn? Und wie siehst du aus? Hat dich ein Traktor überfahren?"
Das, was sich gerade so aufregt, ist Juliette, meine Visagistin. Sie darf sich gleich um meine Haare kümmern, die Dank des Taxifahrers aussehen als hätte ich mich in einem Heuhaufen gewälzt. So ein Trottel. Macht der doch einfach das Fenster auf während irgend so ein Bauer seinen Acker pflügt. "Juli, das ist nicht meine Schuld. Das war…", doch sie interessiert sich gar nicht für meine Geschichte. Viel lieber zeiht sie mich hinter sich her in die Maske und schubst mich in den Stuhl vor dem Spiegel. Wie von der Tarantel gestochen beginnt sie mein Show- Make-up in mein Gesicht zu zaubern. Sie ist gut, sehr gut sogar. Innerhalb von 20 Minuten hat sie mein- durch Kinder, Ehemann und Hausarbeit- gestresstes Gesicht in das einer bildhübschen Powerfrau verwandelt.
"Zeig mir deine Hände!", befiehlt Juliette. "Oh Gott Ana, was tust du nur? Denkst du, ich hab jedes Mal vor einem Deiner Auftritte die Zeit, dich frisch zu maniküren? Also wenn du Gartenarbeit machen möchtest, dann ab sofort bitte mit Handschuhen."
Hallo, ich hab ein Haus, einen Mann und noch viel wichtiger: zwei Kinder! Da brechen Fingernägel nun mal manchmal ab. Aber gut, ihr sei verziehen. Sie hat von meinen Doppelleben schließlich nicht den blassesten Schimmer. "Ich gelobe Besserung", lüge ich. In dem sicheren Wissen, dass sie nächstes Mal wieder ausflippen und mich belehren wird, lasse ich sie ihre Arbeit machen und lehne mich zurück. Innere Ruhe soll ja gegen Stressfalten helfen, sagt Juli immer. Wenn die wüsste, dass mich auf einer Tour weite weniger Stresserwartet als zu Hause, und dass eine Tour für mich immer ein Stück weit Urlaub bedeutet, würde sie sich so manche Belehrungen und Tipps sparen.
"Ana, zehn Minuten bis zur Show." Das war Mike, der neben seiner Aufgabe als Tondirector irgendwann auch die Aufstellung und den Überblick über den Zeitplan übernommen hat. Eigentlich ist er so eine Art Mädchen für alles. Ich glaube es gibt keine Aufgabe mit der Mike überfordert wäre. "Du bist heiß!"
Ich werfe einen ganz genauen Blick in den Spiegel. Ja, doch, ich muss sagen, Juli hat ganze Arbeit geleistet. Meine Perücke sitzt, das Make-up ist ein Traum, einfach nur perfekt und das Outfit rundet alles ab. So muss ein Star aussehen, glaube ich. Auch wenn ich mich als Nina nie mit einem, nicht einmal mit Ana vergleichen würde. Ich schnüre nochmals meine Stiefel als ich höre, wie die Vorband- eine Newcomer-Band aus Newcastle- hinter die Bühne in den Backstagebereich kommt. Anscheinend kamen sie gut an. Das Geschrei meiner Fans ist, wenn auch nur sehr dumpf, immer noch zu vernehmen. Okay, Ana, tief durchatmen. Du kannst das. Du machst das seit fast vier Jahren. Noch nie hat dein Mann irgendeinen Verdacht geschöpft. Noch nie hat deine Stimme versagt, warum dann ausgerechnet heute?
"Ana, es kann losgehen. Bist du bereit?" Mike steht wieder im Türrahmen. Wie immer noch mit einer Tasse heiße Milch mit Honig in der Hand, die ich gleich hinunterwürgen soll. Warum würgen, fragen Sie? Nun, es ist nicht gerade mein Lieblingsgetränk, sagen wir es so. Nein, sein wir ehrlich: ich HASSE heiße Milch mit Honig. Es ist abstoßend, geschmacklich die Hölle und schon bei dem Geruch zieht sich in mir alles zusammen. Und trotzdem schlucke ich dieses Gesöff jedes Mal vor einem Aufritt, vollkommen egal ob es nun Tourauftakt, oder ein simpler Fernsehauftritt ist.
Und jetzt noch die letzten Stufen vor dem Start. Jedes Mal fühlt es sich an wie ein Countdown, wie die letzten Sekunden vor dem Start der Rakete. Ich weiß, dass ich mich kurz vor dem Ja- Wort auch so, oder zumindest so ähnlich, gefühlt habe. Doch wenn ich meinen Mann jetzt heiraten würde, bin ich mir fast sicher, dass es nicht einmal annähernd an das Gefühl von damals herankommen würde. Traurig, aber leider wahr.
"Hallo Schottland! Geht es euch gut?"
"Jaaa!"
"Ich kann euch nicht hören", schmolle ich gespielt.
"JAAAAAAA!", kommt es erneut zurück, wesentlicg lauter und kräftiger als zuvor. Prompt setzt die Musik ein. Natürlich beginne ich mit meinem aktuellen Song 'We love to entertain you'. Der Song zum Pro7- Slogan ist in fünf Ländern Europas ein Nummer 1-Hit gewesen, unter anderem auch in Schottland und Großbritannien. Die Berechnung meines Managers geht auf. Die Masse singt und klatscht begeistert mit, lacht und strahlt mir der Sonne über der Open-Air-Bühne um die Wette. Und mir bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen, dass das angekündigte Gewitter bis nach 21 Uhr wartet. Dann sollte ich nämlich mit allem durch, umgezogen und vielleicht sogar schon im Tourbus sein.
"Zugabe! Zugabe! Zugabe!" Das Publikum ist immer noch außer sich und gibt einfach keine Ruhe. Vor fast fünf Minuten habe ich mit 'Goodbye'- meine erste Single überhaupt- die Bühne verlassen. Das war schon die Zugabe und sie rufen immer noch.
"Tut mir leid, Ana, ich befürchte, du musst noch ein Mal raus. Sing doch noch 'To Heart' und 'Love is not for granted'."
"Aber Mike, das sind doch absolute keine Songs für die Bühne. Die kann man…warte, ich hab eine Idee! Hol mir Nancy und Sergej. Und lass schon mal einen Hocker auf die Bühne stellen. Und, ach ja, Tom und Greg sollen auch wieder her!" Etwas verwirrt von meinem leichten Befehlston geht er. Normalerweise benehme ich mich nicht wie eine zickige Diva. Aber mit einem Lächeln hab ich entschuldigt und das genügt ihm auch schon.
"Das sind wir", kommt Sergej an. Sergej ist ein gutgebauter Mann mit durch und durch russischer Abstammung. Nancy dagegen die kleine zierliche Französin mit britischem Vater. Keine zwei Minuten nach meiner Attacke auf Mike stehen die beiden vor mir. Wow, das ging schnell. "Könnt ihr euch noch mal umziehen? Ich weiß, ihr habt schon frei, aber ihr hört es ja. Ich hab mir folgendes gedacht, passt mal auf." Auch Tom und Greg kommen gerade an als ich anfange meine Idee im Flüsterton mitzuteilen. Alle sind begeister. Nancy und Sergej verschwinden in ihre Umkleide, Tom und Greg gehen schon zurück auf die Bühne um alles vorzubereiten.
"Kanns losgehen?" Nancy und Sergej nicken. "Na dann, los!" Ich geben den Jungs auf der Bühne ein Zeichen, dass sie mit 'To Heart' beginnen sollen. Kaum ist der erste Akkord in die Menge gedrungen, schicke ich meine beiden Tänzer hinaus. Und zu guter Letzt, ich.
"Ana, das war toll! Das war der perfekte Abschluss für das Konzert. Deine Stimme nur mit Gitarrenbegeleitung- einfach genial. Und die Choreographie- ein Traum." Mike sieht mich begeister an.
"Das war keine Choreographie", widerspreche ich. Das war reines Gefühl." Ich schaue zu Nancy und Sergej. Irgendwie sind sie andern als vorher. Irgendwie vertrauter und zugleich verfremdet. Gehemmt und verkrampft. Und Nancy ist ganz rot. Vielleicht noch vom Tanzen, vielleicht aber auch…das wäre ja toll! "So, nun aber an in den Bus."
gut...und dan hört es auch schon wieder auf, weil mir die Zeit fehlt und ich so was nicht mal einfach so runterschreiben kann wie eine FanArt über Starla
_________________ “If you live to be a hundred, I want to live to be a hundred minus one day so I never have to live without you.” https://www.fanfiction.net/s/8764822/1/Two-In-A-Million
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