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BeitragVerfasst: 05.04.2014, 21:18 
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Kapitel 5

Vorsichtig lehnte Katrin die Tür zu ihrem Schlafzimmer an, nicht ohne vorher noch einmal einen Blick auf ihre schlafende Tochter zu werfen, die ihr in ihrem Doppelbett beinahe verloren vorkam. Der Raum war in das gedämpfte Licht einer der Nachttischlampen gehüllt. Katrin wusste aus der Vergangenheit, wie schreckhaft Jasmin manchmal auf vollkommene Dunkelheit reagierte. Dann wandte sie sich zurück zum Wohnzimmer, wo Jo am Fenster stand und still in die Nacht hinaus starrte. Dominik hatte sich vor einer halben Stunde verabschiedet als Jasmin entschieden hatte, die Nacht bei ihrer Mutter zu verbringen. Er musste ins Vereinsheim zurück.

"Sie schläft jetzt.", sagte Katrin leise, und Jo drehte sich zu ihr herum. Er konnte die Erschöpfung und die Sorge in ihrem Gesicht sehen und das beunruhigte ihn mehr als er zugeben wollte. Katrin konnte neben dem Ärger um Metropolitan Trends wirklich nicht noch mehr Stress gebrauchen. Nicht, wenn sie nicht einen erneuten Zusammenbruch riskieren wollte. Doch Jo wusste auch, dass das, was Jasmin passiert war, Katrin nicht loslassen würde.

"Es ist gut, dass sie morgen mit Dominik zur Polizei geht." Jos Stimme war fest und klar, wie immer, wenn er rational an eine Sache heranging. Katrin legte den Finger auf den Mund und bedeutete ihm, leiser zu sprechen. Dann lachte sie bitter auf. "Als ob die nach über einer Woche die Schweine noch bekommen würden." Die unterdrückte Wut ließ Katrins Hände zittern. Jo trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.

"Katrin", er klang jetzt ein wenig weicher, "natürlich wäre es besser gewesen, wenn Jasmin sofort die Polizei eingeschaltet hätte. Und natürlich ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sie die Männer jetzt noch aufspüren, aber jeder Hinweis hilft. Wer weiß, ob Jasmin das erste Opfer von ihnen war. Ändern können wir an der Situation momentan sowieso nichts."

"Wie kannst du da so ruhig bleiben, Jo?", Katrins Stimme überschlug sich beinahe, auch wenn sie sich bemühte zu flüstern, "Jasmin liegt dort drin und sieht aus, als hätte sie seit Tagen nicht geschlafen. Ich hab schon darüber nachgedacht, ihr eine von meinen Schlaftabletten zu geben, damit sie überhaupt zur Ruhe kommt." Sie gestikulierte fast wild mit ihren Händen und das Zittern in ihrer Stimme wurde stärker als sie versuchte die Lautstärke unter Kontrolle zu halten, um ihre Tochter nicht zu wecken.

Jo sah sie scharf an.

"Katrin, das darfst du nicht machen, hörst du!", Katrin sah ihn verständnislos an und Jo fing leise an zu auf sie einzureden, "Hast du irgendeine Ahnung, was für Nebenwirkungen diese Medikamente haben? Deine Tochter kann dann nicht mehr klar denken!" Jo fasste Katrin bei den Schultern und schüttelte sie sanft. "Wenn Jasmin morgen früh nicht klar im Kopf ist, kann sie die Aussage bei der Polizei gleich ganz vergessen."

Katrin wurde bleich. Das hatte sie nicht bedacht. Jo schüttelte mitfühlend den Kopf. Er hatte fast vergessen, wie impulsiv Katrin sein konnte, wenn es um ihre Töchter ging.

"Tu ja nichts Unüberlegtes, in Ordnung?" Katrin nickte. "Und sag ihr, sie soll vor der Aussage nochmal kurz bei mir vorbeikommen. Wenn sie will, begleite ich sie auch."

"Danke, Jo.", erwiderte Katrin hörbar erleichtert.

"Schon gut.", antwortete er. Er konnte sehen, wie viel Anstrengung es seine Ex-Frau kostete, ruhig zu bleiben und sich vor Sorge nicht verrückt zu machen. Jo blickte ihr hinterher, als sie zum Kühlschrank ging und sich ein Glas Wasser eingoss. Dann nahm sie ein weiteres Glas aus dem Schrank, schenkte einen Schluck Cognac ein und reichte es ihm. Fast musste er ein wenig lächeln. Sie kannte ihn so gut. Jo nahm ihr das Glas ab und setzte sich auf's Sofa. Er beobachtete Katrin, wie sie ans Fenster trat und in die Dunkelheit hinaussah. Dann hörte er sie leise sagen:

"Ich will nicht, dass die Presse davon erfährt, Jo."

Er zuckte mit den Schultern. "Wenn jemand von der Polizei redet oder sie die Männer erwischen und es zum Prozess kommt, dann werden wir es nicht verhindern können."

Katrin drehte sich um. Eiskalte Entschlossenheit lag in ihrem Blick. Jo schluckte.

"Das ist mir egal. Die Presse wird meine Tochter nicht benutzen! Nicht dieses Mal." Sie funkelte ihn herausfordernd an. "Es ist mir egal, wen du bestechen oder bedrohen musst! Du wirst dafür sorgen, dass die Sache nicht an die Öffentlichkeit kommt!"

"Katrin, wie stellst du dir das vor? Ich kann der Presse nicht verbieten, über Fakten zu berichten. Nicht, wenn sie der Wahrheit entsprechen."

"Die Fakten!", in Katrins Stimme schwang unverhohlene Verachtung mit. "Als ob sich auch nur einer von diesen Schreiberlingen für die Fakten interessieren würde! Du weißt genau so gut wie ich, dass sie Jasmin durch den Dreck ziehen werden nach allem was vorgefallen ist."

"Daran ist deine Tochter leider nicht ganz unschuldig.", mahnte Jo, "Schließlich kommt ihr aktuelles Image ja nicht von ungefähr."

Katrin hob aufgebracht ihre Hände. "Herrgott nochmal! Meinst du, das weiß ich nicht?" Sie drehte sich zurück und beobachtete die Lichter der Stadt. "Wie oft hab ich sie gewarnt, wie oft hab ich versucht, ihr klarzumachen, dass sie in ihr Unglück rennt? Aber nein, sie musste ihren Dickkopf durchsetzen, ohne Rücksicht auf Verluste." Der Frust in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Jo musste ein bisschen schmunzeln und erwiderte mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme "Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, findest du nicht?"

Entrüstet drehte sich Katrin zu ihrem Ex-Mann um. "Entschuldige bitte, aber ich war nie so naiv wie Jasmin."

Jo schüttelte den Kopf. "Nein, naiv nicht. Aber stur und eigenwillig? Glaub mir, Katrin, ich kann ein Lied davon singen."

"Vielleicht hast du recht", lenkte Katrin ein und blickte nachdenklich zur Tür ihres Schlafzimmers, "Vielleicht sind wir uns ähnlicher als ich dachte."

Jo trank sein Glas aus und erhob sich. Katrin begleitete ihn zur Tür, um ihn zu verabschieden. Als Jo sich allerdings zu ihr beugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, trat sie einen Schritt zurück, damit es nicht dazu kam. Sie war ihm dankbar für seine Unterstützung, aber zu mehr Vertraulichkeiten war sie nicht bereit. Zuerst war Jo irritiert, doch schon bald wich dies echter Enttäuschung, hatte er doch geglaubt, seine Unterstützung in den letzten Wochen hätte seine Ex-Frau dazu gebracht, die Trennung nochmal zu überdenken. Auch wegen Johanna.
Jo versuchte, sich nicht anmerken zu lassen wie enttäuscht er war, dass Katrin einmal mehr auf Distanz zu ihm ging und verabschiedete sich von ihr, nicht ohne sie nochmal daran zu erinnern, Jasmin zu ihm zu schicken.

Dann fiel die Tür ins Schloss und Katrin war allein.

Einen kurzen Moment lang lehnte sie sich gegen die Wand neben der Tür und schloss die Augen. Die Stille des Raums legte sich wie eine schwere Decke über sie und für einen Moment hatte Katrin Angst, keine Luft zu bekommen. Es war einfach zu viel. Sie war erschöpft und müde. Ihre Rückkehr aus Indien war erst zwei Tage her und sie wusste, dass der abgeschlossene Vergleich mit den Indern Metropolitan Trends nicht würde retten können. Dass sie trotz ihrer Therapie noch immer kein Stück weiter war, wieder lesen und schreiben zu können, half auch nicht. Und jetzt noch Jasmin...


Als ihre Tochter vor zwei Stunden mit Dominik und Jo im Schlepptau vor ihrer Tür gestanden hatte, hatte sie schon geahnt, dass dies kein normaler Besuch war, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging. Einen Moment lang war Katrin versucht gewesen, die Drei wegzuschicken, weil sie wirklich keine Lust und Kraft für das neueste Drama ihrer Familie hatte. Schon komisch, dass sie trotz der Scheidung von Jo, sie alle immer noch als ihre Familie betrachtete. Aber wahrscheinlich würde das wegen Johanna auch immer so bleiben.

Noch während Jasmin, Dominik und Jo in der Tür gestanden hatten, war Katrin aufgefallen, wie blass und unsicher Jasmin war. Dass Jasmin auf die direkte Frage, was los war, zusammenzuckte und der erschrockene Blick, den sie ihrer Mutter daraufhin zuwarf, versetzte Katrin in die Zeit zurück, als sie noch alle zusammen im Townhouse gewohnt hatten. Zu der Zeit hatte Katrin gerade angefangen, Jasmin richtig kennenzulernen und hatte erfahren müssen, was ihrer Tochter in ihrer Kindheit Schreckliches widerfahren war. Die Tage und Monate, die dem gefolgt waren, hatten sich Katrin für immer tief ins Gedächtnis gebrannt.

Als Jasmin sie schließlich mit zittriger Stimme gewarnt hatte, dass die Möglichkeit bestand, dass sie in den nächsten Wochen wieder verstärkt von der Presse verfolgt wurde, war Katrins erste Reaktion ein genervtes Augenrollen und die Frage: "Was hast du denn nun schon wieder gemacht?" gewesen. Jasmin hatte jedoch nur beschämt zu Boden geschaut und geschwiegen. Erst Jo erklärte ihr, dass Jasmin am nächsten Morgen zur Polizei gehen und Anzeige wegen sexueller Belästigung gegen Unbekannt erstatten würde. Ungläubig und sprachlos hatte Katrin Jo angestarrt, während Jasmin ins Badezimmer geflüchtet war. Nach ein paar Minuten hatte der Schock ein wenig nachgelassen und Katrin hatte Dominik aufgebracht gefragt: "Wo war Kurt als das passiert ist?"

Dominik hatte so leise gesprochen, dass selbst Jo neben ihm, ihn kaum hören konnte. "Kurt ist weg, in L.A. Er hat sich von Jasmin getrennt."

"Wann?"

"Vor ungefähr zwei Wochen."

Und dann hatte Dominik in kurzen Sätzen berichtet, was in den zwei Wochen, in denen Katrin in Indien gewesen war, passiert war. Katrin konnte kaum glauben, dass Jasmin tatsächlich dieses unsägliche Sextape selbst online gestellt hatte, aber all ihr Ärger darüber verflog, als Dominik von dem sexuellen Übergriff erzählte und wie knapp Jasmin tatsächlich an einer erneuten Vergewaltigung vorbeigeschrammt war. Die gleiche Hilflosigkeit wie vor ein paar Jahren, als sie Jasmin vor Nowak gerettet hatte, hatte Katrin erfasst. Warum musste das noch einmal passieren? Wie sollte ihre Tochter das verarbeiten? Sie hatte unglaubliche Angst, dass durch diesen einen Zwischenfall all die Fortschritte, die Jasmin in den letzten Jahren gemacht hatte, auf einen Schlag zunichte gemacht worden waren.

Katrin war dann ins Badezimmer gegangen, um nach ihrer Tochter zu sehen. Jasmin hatte hinter der Tür auf dem Boden gesessen, die Knie an den Körper gezogen und mit tränennassen Wangen. Schweigend hatte Katrin sie in die Arme genommen und versucht sie zu trösten, doch anstatt sich zu beruhigen hatte Jasmin nur noch lauter geschluchzt. Es war gewesen, als ob all der Schmerz und die Angst, die sich in den letzten zehn Tagen in ihr aufgestaut hatten, aus ihr herausbrachen. Katrin kamen selbst die Tränen. Vor Wut darüber, dass Jasmin all ihre Warnungen in den Wind geschlagen hatte, aber auch vor Schmerz darüber, dass sie nicht da gewesen war, als ihre Tochter sie am Meisten gebraucht hätte. Schon wieder.

Nach einer Weile war Jasmin so erschöpft gewesen, dass ihr Schluchzen immer leiser wurde. Schließlich hatte sie sich kraftlos gegen die Wand gelehnt und ihre Mutter angesehen.

"Es tut mir leid.", hatte Jasmin geflüstert.

"Shhh,", Katrin hatte ihr die Tränen sanft aus dem Gesicht gewischt. „Es gibt nichts, was dir leid tun müsste."

"Doch", widersprach ihre Tochter vehement, "wenn ich dieses scheiß Video nicht online gestellt hätte..."

Katrin hatte ihrer Tochter sanft über ihren Kopf gestrichen, um sie zu beruhigen und zum Schweigen zu bringen, genau wie damals, als Jasmin sich selbst die Schuld an dem Missbrauch gegeben hatte. Wiedermal machte sich Jasmin Vorwürfe für etwas, wofür sie letztendlich nicht verantwortlich war. Und auch das hatte Katrin unfassbar wütend gemacht.

"Es ist völlig egal, was du gemacht hast. Das gibt niemandem das Recht, dich gegen deinen Willen anzufassen.", hatte sie aufgebracht gemurmelt.

Jasmin hatte genickt und ihren Kopf an Katrins Schulter sinken lassen. Langsam hatte Katrin ihren Kopf gestreichelt und gespürt, wie ihre Tochter etwas entspannte. "Warum hast du mich nicht angerufen?", hatte sie leise gefragt.

Jasmin hatte den Kopf gehoben und unsicher mit den Schultern gezuckt. "Ich wollte dich nicht belasten nach deinem Schlaganfall und auch wegen MT.", hatte sie ebenso leise geantwortet und dann zu Seite geschaut bevor sie stockend hinzugefügt hatte "Außerdem hab ich mich geschämt. Niemand außer Dominik wusste davon."

"Jasmin, ich bin deine Mutter.", hatte Katrin mit einem leisen Anflug von Vorwurf in der Stimme erwidert.

Jasmin hatte sich zurück an die Wand gelehnt und ihren Kopf in die Hände gestützt. "Ich weiß, okay? Aber ich konnte einfach nicht." Verzweifelt hatte sie Katrin angesehen, neue Tränen in den Augen. "Es tut mir leid."

Katrin war im Angesicht der Resignation und Erschöpfung, die Jasmin ausstrahlte, fast das Herz gebrochen. In den letzten Tagen, das war nur allzu offensichtlich gewesen, hatte Jasmin nicht viel Schlaf bekommen. Gerne hätte Katrin mehr getan, als ihre Tochter nur zu trösten. Doch wie sollte sie ihr helfen und womit? Zu oft waren sie in der Vergangenheit aneinander geraten, wenn sie versucht hatte, Jasmin Ratschläge zu geben.

"Kann ich heute Nacht hier schlafen?"

Jasmins geflüsterte Frage hatte Katrin aus ihren Gedanken gerissen. "Natürlich kannst du hier schlafen.", hatte sie sofort eingewilligt. Jasmin hatte erleichtert die Augen geschlossen. "Danke."
Ein sanftes Lächeln auf den Lippen hatte Katrin sie angeschaut, glücklich, dass Jasmin doch ihre Nähe suchte anstatt sich zurückzuziehen, wie sie befürchtet hatte. "Komm, ich helf dir hoch. Zeit für dich ins Bett zu gehen."
Beim Blick auf die Uhr war Jasmin ein kleines, aber amüsiertes Lächeln über das Gesicht gehuscht, denn es war erst 21:30 Uhr. "Gott, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal vor Mitternacht ins Bett gegangen bin.", hatte sie gegrinst.
"Es wäre wirklich schön, wenn du wenigstens einmal auf deine Mutter hören würdest!", hatte Katrin gespielt streng gekontert.
"Okay, okay, okay – Mama.", hatte sich Jasmin mit erhobenen Händen in ihr Schicksal ergeben. Katrin war ein wenig überrascht gewesen über die Bezeichnung 'Mama', die aus Jasmins Mund so ungewohnt klang und auch Jasmin hatte diesen besonderen Moment registriert und war ein wenig verlegen geworden. Schließlich hatte Jasmin die ausgestreckte Hand ihrer Mutter ergriffen und sich aufhelfen lassen.

Auf dem Weg aus dem Badezimmer waren die gedämpften Stimmen von Jo und Dominik an ihre Ohren gedrungen. Offenbar hatten sie sich über die Anzeige, die Jasmin am nächsten Tag bei der Polizei erstatten sollte, unterhalten. Jasmin hatte ihren offensichtlich so besorgten Freund umarmt und ihm versichert, dass es ihr gut ginge. Sie würde die Nacht bei ihrer Mutter verbringen.
Dominik hatte Katrin einen Blick zugeworfen und die hatte ihm zugenickt mit dem stummen Versprechen, sich gut um Jasmin zu kümmern. Beruhigt und mit dem Versprechen, Jasmin abzuholen hatte sich Dominik von allen verabschiedet und Katrins Wohnung verlassen.


Jetzt, eine gute Stunde später, und in Gedanken immer noch bei Dominiks Verabschiedung, schreckte Katrin ein leises Wimmern aus dem Nebenzimmer auf, in das Jasmin sich zuvor zurückgezogen hatte. Sofort machte Katrin sich auf den Weg zu Jasmin, und stellte fest, dass ihre Tochter, geplagt von Alpträumen, sich in ihrem Bett hin und her wälzte. Bei dem Anblick wurde Katrin ganz schwer ums Herz und wiedermal fühlte sie sich in die Zeit zurückversetzt, als sie von dem Missbrauch erfahren und Nowak Jasmin um ein Haar noch einmal vergewaltigt hatte. Damals hatte Katrin sich genauso hilflos gefühlt wie jetzt. Und wie damals konnte sie nicht mehr tun, als sich neben Jasmin auf das Bett zu legen und ihre wimmernde Tochter schützend in ihre Arme zu nehmen. Leise begann sie zu singen:

Wolken ziehn am Himmelszelt
Übers Land und übers Meer
Weit in eine ferne Welt
Der Abschied fällt nicht schwer.

Sie winken dir ein letztes Mal
Und schwingen mit dem Wind
Du bleibst in meinen Armen hier
Mein allerliebstes Kind.


Erst als die Strophe beendet war, bemerkte Katrin, dass Jasmin die Augen aufgeschlagen hatte und sie mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen ansah.

"Das hast du mir nicht mehr vorgesungen seit ich zwei Jahre alt war."

Katrin traten Tränen in die Augen. Unbeholfen nahm Jasmin ihre Mutter in die Arme.
"Es tut mir so leid, Jasmin.", hörte sie ihre Mutter flüstern. Jasmin strich Katrin zögerlich über den Rücken "Es ist okay, Katrin, es ist okay." Sie spürte, wie das Schluchzen von Katrin zunahm und versuchte sie zu beruhigen. Als die Tränen langsam nachließen, löste sich Katrin aus Jasmins Armen und sah ihre Tochter traurig an.
Beide schienen in diesem Moment von der Vergangenheit gefangen zu sein. Und auch wenn sie und Jasmin die Situation rund um Katrins Weggang von ihrer Familie und Jasmins Adoption schon besprochen hatten, wusste Katrin, dass es immer noch in Jasmin nagte, damals zurückgelassen worden zu sein. Die Schuldgefühle, die Katrin deswegen empfand, waren über die Jahre weniger geworden, ganz verschwunden waren sie jedoch nie.
"Du weißt nicht, wie oft ich an dich gedacht habe, wenn ich Johanna dieses Lied vorgesungen habe. Das Lied, die Spieluhr – ich konnte es nicht loslassen, auch wenn ich noch so sehr versucht habe, meine Vergangenheit zu vergessen."
"Du hast mich vergessen." warf Jasmin leise ein, doch Katrin schüttelte vehement den Kopf.
"Nein! Niemals! Ich dachte nur, dass es dir woanders besser geht. Besser als bei meiner versoffenen Mutter oder bei mir. Wenn ich geahnt hätte..." Katrin brach ab und sah zur Seite. Das hatten sie alles schon einmal und es war Vergangenheit.
Katrin schwor sich, dass sie dieses Mal für ihre Tochter da sein würde, komme, was da wolle. Plötzlich spürte sie die warme Hand von Jasmin an ihrer Wange und sah auf. Jasmin lächelte. Traurigkeit und Sanftheit mischten sich in dem Lächeln und Katrin begriff, dass Jasmin mit diesem Teil ihrer Vergangenheit im Reinen war. "Es ist okay, Katrin, wirklich. Es ist vorbei.", wisperte Jasmin und küsste ihre Mutter leicht auf die Stirn. Gemeinsam schliefen sie schließlich ein.


Müde und frustriert hatte Jasmin am nächsten Tag um die Mittagszeit Probleme, die Tür zur WG aufzuschließen. Der Vormittag bei der Polizei war genau so verlaufen, wie es ihnen Jo prophezeit hatte. Immer wieder war die Frage gestellt worden, warum sie sich nicht sofort an die Polizei gewandt hatte und am Ende war Jasmin nur noch wütend über die Art der Befragung, die suggerierte, sie sei die Schuldige an dem Übergriff und nicht das Opfer. Weitere zwei Stunden hatten Dominik und sie damit zugebracht, sich durch Bilder von polizeilich bekannten Männern mit einem Hintergrund von sexueller Gewalt zu klicken – ohne Erfolg. Als einer der Beamten dann noch eine dämliche Bemerkung in Richtung Jasmin machte, die erkennen ließ, dass er das Sexvideo im Netz gesehen hatte, musste Jasmin Dominik zurückhalten, damit er nicht auf den Polizisten losging.

Endlich bekam sie den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Jasmin hatte nur noch den Wunsch, sich in ihr Zimmer zurück zu ziehen und in Ruhe gelassen zu werden. Gereizt holte sie aus, um ihren Schlüssel und ihre Tasche auf den Tisch pfeffern, doch etwas, nein, jemand, ließ sie innehalten. Anni saß am Esstisch vor einem Haufen von Büchern, manche aufgeschlagen, andere noch geschlossen, von denen eines ihr als Kopfkissen diente. Mit einem Mal fiel sämtliche Wut von Jasmin ab. Ohne es tatsächlich zu bemerken lächelte sie, dann ging sie neben Anni in die Hocke und beobachtete sie eine Weile. Sie musterte die langen dunklen Wimpern, die glatte Haut und die vollen Lippen ihrer Freundin. 'Sie ist schön.', der Gedanke durchfuhr Jasmin und unbewusst streckte sie ihre Hand aus, um Anni eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Die leichte Berührung reichte aus, um Anni zu wecken. Blinzelnd schlug sie die Augen auf. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, bevor Jasmin sie mit einem leisen "Hi" begrüßte.
"Hi", räusperte sich Anni.
Jasmin grinste sie schelmisch an. "Wieso gehst du nicht ins Bett, wenn du müde bist?"
Anni streckte sich. "Hab 'ne Nachtschicht eingelegt. Ich schreib morgen Klausur. Aber ich glaub, ein paar Stunden Schlaf in meinem Bett wären doch ganz gut."
"Dann lass ich dich mal schlafen..." Jasmin wollte sich schon auf den Weg in ihr Zimmer machen, als sie von Anni leise zurück gerufen wurde. Interessiert drehte sie sich ihrer Freundin zu.
"Wie war es bei der Polizei?"

Jasmin senkte den Blick, unsicher, ob es richtig war, Anni schon wieder mit ihren Problemen zu belasten. Doch sie wusste, dass ihre Freundin nicht locker lassen würde und so stellte Jasmin den Blickkontakt wieder her. Sie zuckte mit den Schultern. "Viel Hoffnung haben sie uns nicht gemacht. Ich hätte eben sofort hingehen sollen. Jetzt ist es so gut wie ausgeschlossen, dass sie die Kerle kriegen."
Anni entging der Selbstvorwurf nicht, der in Jasmins Worten mitschwang. "Du hattest deine Gründe", erwiderte sie sanft.

"Klar, ich hab immer meine Gründe, nicht wahr?" Die Selbstverachtung, mit der sich Jasmin strafte, war jetzt nicht mehr zu überhören. Anni spürte, dass es hier nicht nur um die Aussage bei der Polizei ging. Spontan griff sie nach Jasmins Hand. Jasmin ließ sie gewähren, doch ihr Blick schien Anni herauszufordern, sie solle zugeben, dass auch sie ihr die Schuld an der Misere gab. Doch Anni schüttelte nur mit dem Kopf. In diesem Moment könnte ihr nichts ferner liegen als Jasmin Vorwürfe zu machen. Das hatte sie in den letzten Wochen schon genug getan und es hatte fast zu einer Katastrophe geführt.
Mit jeder Minute, die sie schweigend voreinander standen, verwandelte sich Jasmins Wut auf sich selbst in echte Verzweiflung und Scham, die ihr schließlich die Tränen in die Augen trieben. Hilflos blickte Jasmin zur Seite, unfähig die Tränen aufzuhalten, die ihr über die Wangen rollten. Plötzlich spürte sie Annis warme Hand auf ihrem Gesicht, die die salzigen Tropfen wegwischte. Ihre Blicke trafen sich erneut und Anni sah wieder diese abgrundtiefe Erschöpfung in Jasmins Gesicht. Blass und abgekämpft sah sie aus, die dunklen Augen eingesunken und anscheinend hatte Jasmin in den letzten Wochen auch abgenommen, wenn Anni sie sich genau anschaute. Sie beschloss, dass Jasmin Ruhe brauchte , und zwar echte Ruhe und nicht nur den Anschein davon. Und so zog sie Jasmin, die ihr ohne Widerstand folgte, in ihr Zimmer, wo sie sie zu ihrem Bett führte, ihr bedeutete, sich hinzulegen und den Wecker für drei Stunden später stellte. Anni selbst platzierte sich hinter Jasmin und legte schützend ihre Arme um sie.
"Schlaf!", forderte Anni ihre Freundin sanft auf, ehe sie selbst die Augen schloss. Es war ungewohnt, aber auch unbeschreiblich schön, Jasmin so nahe bei sich zu spüren. Und hier ging es nicht um Sex. Anni wollte einfach nur, dass Jasmin sich sicher fühlte und endlich zur Ruhe kam. Sie lächelte, als sie spürte, wie die Anspannung langsam aus Jasmins Körper wich und sie ruhig und gleichmäßig atmete. Anni schoss flüchtig der Gedanke durch den Kopf, dass sie sich daran gewöhnen könnte so einzuschlafen. Mit Jasmin in ihren Armen.


Ende Kapitel 5.

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Verfasst: 05.04.2014, 21:18 


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BeitragVerfasst: 06.04.2014, 17:11 
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Mal wieder unbeschreiblich schön.... :herzschlag: :danke:


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BeitragVerfasst: 06.04.2014, 18:05 
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Ich finde es toll, dass du dich an eine Geschichte mit den beiden gewagt hast :respekt:
Habe kürzlich auf meinem PC eine angefangene, unvollendete (und nie gepostete) Starla-Geschichte entdeckt. :type:

Dein neues Kapitel ist wieder toll geschrieben. Schön, dass am Schluss auch Anni noch helfen kann.
Freue mich bereits auf die nächsten Kapitel :liebe2:


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BeitragVerfasst: 18.04.2014, 16:37 
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Hallo Nike

Ich hoffe, es gibt bald eine Fortsetzung deiner Geschichte?


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BeitragVerfasst: 27.04.2014, 18:55 
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Speedy hat geschrieben:
Hallo Nike

Ich hoffe, es gibt bald eine Fortsetzung deiner Geschichte?

Sollte die kommende Woche auf jeden Fall klappen, hab das neue Kapitel gerade zu meiner Beta-Readerin geschickt.

LG,
Nike

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BeitragVerfasst: 27.04.2014, 20:12 
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:happysmilie: Freu mich schon!:)))))


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BeitragVerfasst: 05.05.2014, 21:23 
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Hier kommt das neue Kapitel - mal ein bisschen Zeit zum Durchatmen. Und ich schwöre, die Idee, dass Jasmin Anni beim Lernen hilft, hatte ich bereits vor ein paar Wochen und nicht erst nach der Folge der letzten Woche.

Viel Spaß beim Lesen!


Kapitel 6

Es dämmerte bereits, als Jasmin aufwachte und für einen Moment lang war sie orientierungslos. Lediglich, dass sie in einem fremden Bett, in einem anderen Zimmer, Annis Zimmer, lag, begriff Jasmin sofort. Sie schloss seufzend die Augen in Erwartung der in den letzten Tagen so allgegenwärtigen Angst, doch zu ihrer Überraschung stellte sich keine Angst ein. Im Gegenteil, sie verspürte den Wunsch, sich nochmal in die Kissen zu kuscheln und weiterzuschlafen. Ein Kichern erregte ihre Aufmerksamkeit und als Jasmin die Augen aufschlug, sah sie Anni grinsend im Türrahmen stehen.
"Na, du Schlafmütze, aufgewacht?", erkundigte sich Anni gut gelaunt.
Zaghaft lächelte Jasmin ihre Mitbewohnerin an, nun keinerlei Anspannung mehr verspürend. Gelassen streckte sie sich erst, lehnte sie sich dann zurück und musterte Anni.
"Und ich dachte schon, ich müsste die Prince Charming Methode anwenden.", neckte diese sie und kam zu ihr herüber, um sich auf die Bettkante zu setzen.

Jasmin brauchte einen Augenblick um zu verstehen, was ihre Mitbewohnerin meinte, bevor eine tiefe Röte ihr Gesicht überzog, was Annis Grinsen nur noch verstärkte. Spielerisch schlug Jasmin ihr auf den Arm: "Das hättest du wohl gern, hm?" Anni jedoch zuckte nur mit den Schultern und steckte ihr kurz die Zunge raus. Jasmin konnte nicht anders, sie musste einfach lachen. Überraschenderweise bereitete ihr Annis leichtes Flirten keinerlei Unbehagen. Es war, wie es schon so oft zwischen ihnen gewesen war – Anni brachte sie zum Lachen und es fühlte sich gut an. Schließlich griff Jasmin nach Annis Hand und hielt sie fest.

"Danke.", sagte sie leise. Ihre Stimme zeugte von ehrlicher Dankbarkeit für alles was Anni für sie schon getan hatte.

"Gern geschehen.", kam die sanfte Antwort und sie schauten sich in die Augen. Doch bevor der Moment zu intensiv wurde, ließ Anni Jasmins Hand los, stand auf und ging zur Tür. Dort angekommen, drehte sie sich noch einmal zu Jasmin um. "Ich hab Pizza bestellt, falls du mitessen willst. Reicht für uns beide."
Sie beobachtete, wie sich Jasmin zurück an die Wand lehnte und einen Augenblick lang in sich hineinzuhorchen schien.

"Ich hab Hunger."

Die Verblüffung in Jasmins Stimme entlockte Anni ein zufriedenes Lächeln. Da klingelte es schon an der Tür und Anni verließ das Zimmer, um den Pizzaboten in Empfang zu nehmen.

Jasmin blieb zurück und schloss noch einmal die Augen. Alles fühlte sich ein bisschen leichter an. Es war als ob die Nacht in den Armen ihrer Mutter und die paar Stunden Schlaf an diesem Nachmittag, ihre Kraftreserven zumindest ein wenig aufgefüllt hatten. Und jetzt hatte sie tatsächlich Hunger. Sie lachte leise auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

Neugierig schaute sie sich um. Zunächst hatte es den Anschein, als wäre sämtliche Einrichtung und selbst die Dekoration in schwarz und weiß gehalten. Erst bei näherem Hinsehen, entdeckte Jasmin einen blauen Farbtupfer, verborgen hinter etwas Stoff. Sanft berührten Jasmins Hände den Stoff, worauf dieser wellenartige Schwingungen aussendete.
Als Leselampte diente Anni eine einfache Glühbirne in einer Fassung an einem langen Kabel, das von einem Maßband gehalten wurde, was Jasmin schmunzeln ließ. In diesem Zimmer gab es keinen Schnickschnack, keinen überflüssigen Kram, der im Fall der Fälle nur im Weg rumstand. Der Raum war Anni – einfach, klar, aber nicht unpersönlich.
Gerade als Jasmin aufstehen wollte, um sich eine bestimmte Fotografie an der Wand genauer anzusehen, steckte Anni den Kopf zur Tür rein und fragte: "Kommst du?". Erschrocken und ein bisschen verlegen ob ihrer Neugierde, blickte Jasmin Anni an, die jedoch nichts von ihrer Nervösität zu bemerken schien. "Ja, ja, ich komme." Sie stand auf und quetschte sich schnell an Anni vorbei, um ins Bad zu gehen. Die schaute ihr ein wenig verwundert nach.

Zehn Minuten später kam Jasmin frisch geduscht aus dem Bad und verschwand kurz in ihrem Zimmer, um sich andere Klamotten anzuziehen. Anni hatte derweil die Pizza auf zwei Tellern verteilt und ihre Bücher zur Seite geräumt, damit sie essen konnten. Als Jasmin aus ihrem Zimmer kam, stand Anni am Kühlschrank und erkundigte sich, ob Jasmin Wasser oder Wein zum Essen haben wollte.
"Wasser bitte, mit Alkohol hab ich's grad nicht so.", antwortete Jasmin, woraufhin Anni sie einen Moment lang forschend anblickte. Dann zuckte sie mit den Schultern, "Okay." und nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. "Kannst du noch...", sie deutete mit der Hand zu dem Schrank, in dem sich die Gläser befanden.

"Was hast du bestellt?", erkundigte sich Jasmin, als sie sich mit zwei Gläsern in der Hand zu Anni an den Tisch gesellte.
"Ähm, Peperoni, Zwiebeln und extra Chilischoten."
"Extra scharf, super."
"Nicht, dass du es bräuchtest", murmelte Anni, was ihr einen Blick von Jasmin einbrachte, der eine Mischung aus Verärgerung und Amüsement war.
"Anni, du musst zugeben, der Spruch ist selbst für deine Verhältnisse ziemlich platt."
Anni setzte ein schuldbewusstes Gesicht auf. "'Tschuldigung."
Jasmin musste über zerknirschte Anni's Miene lachen und zwinkerte ihr zu: "Ich bin mir sicher, das kannst du besser", was wiederum Anni zum Lachen brachte. Die kurzzeitig angespannte Stimmung zwischen ihnen löste sich in ausgelassenem Gelächter auf und beide griffen beherzt zu ihren Stücken Pizza. Am Ende war Jasmin mit ihrer Hälfte schneller fertig als Anni, was diese zu der Frage veranlasste, wann Jasmin das letzte Mal was Vernünftiges gegessen hatte.
Jasmin schüttelte nur den Kopf: "Keine Ahnung."

Anni legte ihr Stück Pizza zur Seite und wurde ernst. Sie schaute Jasmin an, die den Blick fragend zurückwarf. Leise sagte sie: "Du hast abgenommen." Verdutzt sah Jasmin erst Anni an und warf dann einen kurzen Blick an sich selbst hinunter. "Hab ich gar nicht gemerkt." Nachdenklichkeit hatte sich in ihren Ton gemischt. Anni zögerte. Die Gedanken und Sorgen, die sie sich in den letzten Tagen um Jasmin gemacht hatte, nagten an ihr, aber sie konnte auch die Unsicherheit in Jasmins Gesicht lesen und fast bereute sie es, das Thema angesprochen zu haben. Sie wusste einfach nicht, wie sie am besten mit der Situation umgehen sollte. Anni wollte ihr so gern helfen, aber wie sollte sie das anstellen?
Jasmin kämpfte mit sich. Annis Kommentar hatte den Horror der letzten Wochen wieder an die Oberfläche gebracht und Jasmin wollte nichts mehr, als ihn wegschieben, irgendwohin, wo der Albtraum sie nicht mehr verfolgte und zu ersticken drohte. Warum konnte es nicht einfach aufhören, weh zu tun? Jasmin schloss kurz die Augen und schaute dann zur Seite, bevor sie schließlich nach Annis Hand griff und sie mit rauer Stimme bat: "Anni, können wir das Thema heute Abend bitte einfach mal nicht ansprechen? Ich will einfach mal ein paar Stunden nicht darüber nachdenken. Bitte?"
Anni schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, der sich bei Jasmins fast flehentlicher Bitte gebildet hatte. Selten in ihrem Leben hatte sie sich so unsicher gefühlt. Ihre Skepsis, ob dies der richtige Weg war oder ob sie nicht doch darüber reden sollten, kämpfte mit dem Bedürfnis, Jasmin jeden Wunsch zu erfüllen, solange es sie glücklich machte. Sie sah ihr forschend in die Augen und konnte erkennen, wie sehr Jasmin in diesem Moment die Ruhe und den Frieden brauchte. Also drückte sie Jasmins Hand und erwiderte nach einem kurzen Räuspern: "Klar, kein Problem." Dankbar sah ihre Freundin sie an.
Anni gab leise zu: "Ehrlich gesagt, muss ich auch versuchen, es aus dem Kopf zu kriegen. Ich schreib morgen meine erste Vorbereitungsklausur für die Abschlussprüfungen." Jasmin warf einen Blick auf die zur Seite geräumten Bücher.
"Morgen?"
Anni nickte. "Yep. Morgen nachmittag. Was mir noch ziemlich genau..." Sie schaute auf ihre Uhr. "… 17 Stunden – minus vielleicht fünf Stunden Schlaf – gibt, um mich vorzubereiten."

Noch während sie die Teller in die Spüle räumte, entschied Jasmin: "Okay, ich helf' dir!"
"Helfen? Wie willst du mir dabei helfen?“, fragte Anni verwirrt. „Ich muss halt lernen."
"Ich frag dich ab. Was ist das Thema?"
"Akkustik.“
"Okay, ich hab keine Ahnung, außer dass es was mit Tönen zu tun hat." Jasmin machte eine wegwerfende Handbewegung. "Egal. Ich kann dich trotzdem abfragen. Wie lernst du? Nur mit den Büchern?"
Annis Verwirrung wurde zunehmend größer. Das konnte sie nicht ernst meinen, oder?
"Anni?", riss Jasmins Stimme sie aus ihren Gedanken. "Wie lernst du? Hast du 'nen Hefter oder sowas?"
"Karteikarten. Ich lerne schon seit Jahren mit Karteikarten.", antwortete Anni, immer noch perplex über das spontane Angebot.
"Wo sind die?", sah Jasmin sich suchend um.
"Meinst du das wirklich ernst?", stellte Anni Jasmin schließlich die Frage, die ihr zuvor schon durch den Kopf gegangen war.
"Ja.", antwortete Jasmin entschlossen und griff sich das letzte Stück Pizza von Annis Teller. "Du musst morgen fit sein und ich brauch Ablenkung. Also frag ich dich ab."
Anni lächelte dankbar. "Okay, wie du willst. Ich hol die Karteikarten."
"Und ich räum ab."

Als Anni mit dem Stapel Karteikarten wieder aus ihrem Zimmer kam, blätterte Jasmin gerade in einem der Lehrbücher. Ohne Anni anzusehen, bemerkte sie trocken: "Irgendwie sieht das mehr nach Mathe und Physik aus als nach Musik."
"Joah, das ist es irgendwie auch. Das ist die schnöde Theorie hinter gut klingenden Konzerten.", schmunzelte Anni.
"Ich glaube, mir ist die Praxis lieber.", lachte Jasmin.
"Mir auch, aber leider fragt da morgen keiner nach." Sie reichte Jasmin den Stapel Karteikarten und fügte hinzu: "Die sind halbwegs sortiert, lass uns am besten mit den Definitionen anfangen."
Jasmin ließ die Karten wie bei einem Daumenkino durch die Finger schnippen. "Okay, fangen wir an. Was ist Schall und wie entsteht er?"
"Schall bezeichnet die Ausbreitung von Schwingungen in einem Medium, wie zum Beispiel Luft, Wasser oder in einem festen Körper. Er entsteht durch eine Änderung des Luftdrucks."
"Sehr gut.", lobte Jasmin ihre Mitbewohnerin. "In welche vier Bereiche werden Schallwellen unterteilt?"
"Die vier Bereiche sind der Infraschall, der unterhalb der Hörschwelle liegt, der Schall innerhalb des hörbaren Bereichs, oberhalb des hörbaren Bereichs – nennt sich Ultraschall – und der Hyperschall, der hat Frequenzen über 1 Gigahertz."
Jasmin las die Antwort auf der Rückseite der Karteikarte mit und nickte. "Richtig. Ich hab zwar keine Ahnung, was eine Schallwelle zum Ton und damit hörbar macht, aber die Antwort stimmt."
"Okay, pass auf. Wenn du einen Stein ins Wasser wirfst, dann kannst du sehen, wie sich die Wellen um diesen Punkt herum kreisförmig ausbreiten, ja?", setzte Anni zu einer Erklärung an, vergewisserte sich, dass Jasmin ihr folgen konnte und fuhr fort. "Nun stell dir vor, der Stein ist ein Geräusch oder ein Ton, der von einem bestimmten Punkt im Raum ausgeht, weil dir ein Glas runterfällt oder ich die Saite der Gitarre anschlage. Das Runterfallen oder Anschlagen verursacht Schwingungen in der Luft, die sich wie die Wellen bei dem Stein ausbreiten."
Jasmin beobachtete Anni, die inzwischen ihre Hände unterstützend einsetzte, um ihr alles zu erklären.
"Okay, mach weiter.", nickte Jasmin schließlich.
"Das war's eigentlich schon fast. Diese Schwingungen bzw. Wellen treffen auf dein Ohr und dadurch nimmst du das Geräusch oder den Ton wahr."
"Und was ist der Unterschied zwischen einem Ton und einem Geräusch?"
"Ganz einfach. Bei einem Ton sind die Schwingungen periodisch, das heißt, sie sind regelmäßig und bei einem Geräusch sind sie unregelmäßig."
"Cool." Jasmin war beeindruckt. Jetzt hatte sie zumindest eine Anfangsvorstellung, wie das funktionierte. Sie nahm die nächste Karte zur Hand und musste lachen. "Naja, den Unterschied zwischen Ton und Geräusch hatten wir dann ja jetzt gerade."
Jasmin nahm die nächste Karte und begann wieder die Frage abzulesen: "Was sind die wichtigsten Eigenschaften eines Tones und wie ergeben sie sich?"
"Das sind Tonhöhe und Lautstärke. Die Tonhöhe ergibt sich dabei aus der Anzahl der Schwingungen pro Sekunde und wird als Frequenz bezeichnet. Je höher die Anzahl der regelmäßigen Schwingungen pro Sekunde, desto höher der Ton. Die Lautstärke ist vom Schalldruck abhängig. Je näher du also an der Schallquelle und damit am Ausgangspunkt des Schalls stehst, desto lauter empfindest du den Ton."
"Ja, logisch", sagte Jasmin. "Wenn ich 100 Meter weg stehe, ist es immer leiser, als wenn ich zwei Meter daneben stehe."
"Yep, und jetzt weißt du warum." grinste Anni sie an.
"Okay, nächste Karte. Wovon hängt es ab, wie schnell sich eine Schallwelle ausbreitet?"
Anni überlegte kurz, dann schnippte sie mit den Fingern. "Das ist abhängig vor allem von dem Medium, in dem sich der Schall bewegt und daneben von Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck und Kohlendioxidgehalt."
Jasmin überlegte kurz. "Okay, wo höre ich einen Ton denn nun schneller – an der Luft oder im Wasser?"
"Im Wasser breiten sich die Schallwellen bei gleicher Temperatur ungefähr viermal so schnell aus."
"Wow! Viermal so schnell? Ist ja der Hammer."
"Yep, das ist total cool. Stell dir vor, ein Ton wird in einer Entfernung von sagen wir zwölf Kilometern abgegeben. Dann braucht er an der Luft, wenn wir uns sämtliche Hindernisse, die den Ton aufhalten können, wegdenken, ungefähr 36 Sekunden bis du ihn hörst. Aber im Wasser braucht der Ton für die gleiche Strecke nur acht Sekunden bis du ihn hörst."
"Ist ja krass, darüber hab ich mir echt noch nie Gedanken gemacht. Und welche Auswirkungen hat das jetzt, wenn du ein Konzert abmischst? Ich meine, wir führen ja keine Unterwassermusik auf im Mauerwerk."
"Wäre auf jeden Fall mal eine Idee.", zwinkerte Anni Jasmin lachend zu.

Dann begann Anni zu erklären, wie sich all die Theorie auf die praktische Anwendung auswirkte, dass man in einem Raum zusätzliche Lautsprecher aufstellen musste, damit sich die Wahrnehmung der Musik im Raum nicht verschob. Sie versuchte, das aufzuzeichnen, aber schnell wurde deutlich, dass ihr dafür das räumliche Denken fehlte. Schließlich nahm Jasmin ihr den Stift aus der Hand und zeichnete es nach Annis Erklärungen auf. Die beiden jungen Frauen hatten so viel Spaß dabei und waren so vertieft, dass sie kaum bemerkten wie Nele nach Hause kam und müde in ihrem Zimmer verschwand. Die Karteikarten lagen längst vergessen auf der Seite, und Jasmin konnte die Leidenschaft, mit der Anni diesen Job machte, fast mit Händen greifen. Ein bisschen erinnerte sie das an sich selbst, an ihren Traum, eine erfolgreiche Modedesignerin zu werden und sie merkte, wie sehr sie die kreative Arbeit manchmal vermisste.

Als es plötzlich an der Tür klingelte, schreckten sie beide auf. Jasmin war gerade dabei, eine neue Zeichnung anzufertigen für ein Beispiel von einem sehr verwinkelten Raum und so öffnete Anni die Tür, rief Jasmin auf dem Weg aber lachend zu: "Hey, aber die Bühne steht nicht mitten im Raum."
"Warum eigentlich nicht?", fragte Jasmin zurück, während Anni die Tür öffnete, hinter der Katrin zum Vorschein kam.
"Guten Abend. Ich würde gern kurz mit Jasmin sprechen. Kann ich hereinkommen?"
Anni strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Klar, kommen Sie rein."
Jasmin blickte auf und lächelte ihre Mutter an. "Hey, Katrin."
Mit einem "Ich lass euch dann mal allein." zog sich Anni diskret zurück.
"Danke.", nickte Jasmin ihrer Mitbewohnerin zu.

Katrin stand immer noch an der Tür und spielte ein bisschen nervös mit ihren Händen. Jasmin schaute sie fragend an und Katrin sagte schließlich "Ich wollte einfach nur wissen, wie es heute morgen bei der Polizei gelaufen ist und ob es dir gut geht."
Sofort überkam Jasmin das schlechte Gewissen, hatte sie ihrer Mutter doch versprochen, sie wissen zu lassen, wie die Aussage bei der Polizei gelaufen war.
"Es tut mir wirklich leid! Ich wollte dich anrufen.", näherte sich Jasmin Katrin mit schuldbewusster Miene.
"Schon in Ordnung. Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht.", beruhigte Katrin ihre Tochter mit einem vorsichtigen Lächeln.
Jasmin nickte. "Ja, alles in Ordnung. Sie haben uns nicht viel Hoffnung gemacht, aber das war wohl abzusehen."
Katrin wunderte sich. Mit Jasmins Erleichterung, dass die Aussage bei der Polizei hinter ihr lag, hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass sie beinahe erholt wirkte. "Und das ist okay für dich?"
"Kann es ja jetzt eh nicht ändern.", zuckte Jasmin mit den Schultern.
"Ja, das stimmt.", stimmte Katrin ihr zu, doch dann fielen ihr die Bücher, Notizen und Jasmins Zeichnung auf, die auf dem Tisch verstreut lagen.
"Was macht ihr hier?", fragte sie verwundert.
Jasmin strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr und erwiderte: "Ähm, ich helfe Anni beim Lernen. Sie schreibt morgen eine wichtige Klausur."
"Anni? Die junge Frau, die mir die Tür geöffnet hat? Ist sie nicht die Tontechnikerin aus dem Mauerwerk? Ich glaub, da hab ich sie schon mal gesehen."
"Ja, genau. Sie ist noch in der Ausbildung."
Katrins Blick pendelte noch einmal zwischen dem Chaos und ihrer Tochter hin und her und stellte fest, dass Jasmin schon lange nicht mehr so entspannt gewesen war. Was auch immer der Auslöser dafür war, es schien ihrer Tochter gut zu tun.
"Scheint ja Spaß zu machen.", merkte sie an.
"Das tut es.“, antwortete Jasmin.
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus und schließlich meinte Katrin: "Okay, dann will ich euch nicht weiter stören."
Mutter und Tochter umarmten sich zum Abschied.
"Danke, dass du vorbeigekommen bist und wirklich, entschuldige nochmal, dass ich dir nicht Bescheid gesagt habe. Ich hätte anrufen sollen.", verabschiedete sich Jasmin, doch ihre Mutter schüttelte nur den Kopf.
"Das ist schon in Ordnung. Wichtig ist nur, dass es dir gut geht." Sie strich Jasmin über die Wange. "Ich wünsch' euch noch einen schönen Abend."
"Ja, ich dir auch", sah Jasmin ihrer Mutter lächelnd hinterher wie sie die WG verließ.

Jasmin stand noch einen Moment lang mit gesenktem Kopf an der Tür. Trotz Katrins Besänftigung plagte sie das schlechte Gewissen, dass sie nicht daran gedacht hatte, ihre Mutter anzurufen. Irgendwie hatte sie das total vergessen. Nele kam die Treppe herunter und sah Jasmin an der Tür stehen. Verflogen war die gelöste Atmosphäre, die geherrscht hatte als sie nach Hause gekommen war.
Zögerlich fragte Nele: "Hey, alles in Ordnung?
Jasmin wiegelte ab, deutete auf ihr Zimmer und bat Nele, Anni mitzuteilen, sie sei müde und in ihr Zimmer gegangen.
Verwundert über Jasmins gedrückte Stimmung schickte sich Nele an, Jasmins Auftrag auszuführen.
"Hey, bereit weiterzu... Oh, du bist es."
"Sorry, ich weiß, du dachtest, es wäre Jasmin.", bedauerte Nele.
"Schon okay.“ Anni machte eine wegwerfende Handbewegung, woraufhin ihr Nele berichtete, was Jasmin ihr aufgetragen hatte.
"Müde?", fragte Anni ungläubig, woraufhin Nele nur ratlos mit den Schultern zuckte. "Das ist Quatsch! Sie hat den ganzen Nachmittag hier bei mir gepennt."
Nele hob verwundert beide Augenbrauen.
"Es ist nichts passiert, Nele. Wir haben nur geschlafen.", rollte Anni mit den Augen.
"Ja, klar.", grinste Nele, nur um Minuten später wieder ein besorgtes Gesicht zu machen. "Ich hatte das Gefühl, irgendwas bedrückt sie. Vielleicht solltest du..."
Anni nickte nur abwesend und so verabschiedete sich Nele und wünschte eine gute Nacht, doch Anni sah kaum auf, so sehr war sie in Gedanken darüber, was zwischen Jasmin und ihrer Mutter passiert sein könnte, dass sich Jasmin jetzt wieder so zurückzog. 'Nachfragen oder in Ruhe lassen?', fragte sich Anni und beschloss dann, dass sie über die 'in Ruhe lassen ohne Erklärung'-Phase hinaus waren. Das hatte ihnen auch noch nie so richtig gut getan. Also ging sie zu Jasmins Zimmer und klopfte leise. Keine Antwort. Sie klopfte nochmals und sagte leise: "Jasmin? Ich will nur wissen, ob alles okay ist. Und ich geh hier nicht weg, bevor du nicht mit mir gesprochen hast."

Nochmal würde Anni Jasmin nicht in ihrem Zimmer vor sich hin grübeln lassen. Nach ein oder zwei Minuten Stille hörte Anni ein leises "Komm rein." und öffnete die Tür. Jasmin saß im Dunkeln auf ihrem Bett und spielte mit ihrem Handy herum. Sie sah Anni nicht an und so setzte sich Anni einfach neben sie. Als Jasmin nach einer paar Minuten immer noch nicht auf ihre Anwesenheit reagierte, legte Anni ihre Hand auf Jasmins, die mit dem Handy hantierte.
"Was ist los?" fragte Anni, leise und besorgt.
"Nichts.", antwortete Jasmin beinahe trotzig.
'Okay', dachte Anni, 'du bist stur? Das kann ich auch.' Sie ließ Jasmins Hand los und umfasste Jasmins Gesicht mit beiden Händen, so dass Jasmin gezwungen war, sie anzusehen. Eine Mischung aus Ärger, Schuldgefühlen und Verzweiflung spiegelten sich in Jasmins braun-grünen Augen. Schließlich wandte Jasmin den Blick ab.
"Jetzt komm schon, Jasmin", schubste Anni ihre Mitbewohnerin an der Schulter. "Sag mir was los ist."
Jasmin druckste herum und schließlich antwortete sie so leise, dass Anni sie kaum verstehen konnte: "Ich hab vergessen, Katrin anzurufen, nachdem Nik und ich bei der Polizei waren."
Anni schaute sie entgeistert an. "Und???" Sie hatte sprichwörtlich Fragezeichen im Gesicht.
"Katrin hat sich voll die Sorgen gemacht und sie hat sich gestern total lieb um mich gekümmert."
Anni verstand immer noch nicht, warum Jasmin das so quälte. "Ja, und? Sie ist deine Mutter. Natürlich kümmert sie sich um dich und natürlich macht sie sich Sorgen."
Jasmin schüttelte den Kopf. "Du verstehst das nicht. Das mit Katrin und mir, das ist kompliziert. Ich hätte das einfach nicht vergessen dürfen."

Anni setzte sich im Schneidersitz auf Jasmins Bett und nahm wieder ihre Hand. "Schau mich mal an."
Jasmin gehorchte.
"Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du erklärst mir, warum es so kompliziert ist..."
Jasmin schüttelte den Kopf und unterbrach Anni mit einem scheuen Lächeln "Glaub mir, DIE Geschichte willst du heute Nacht nicht hören."
"Lass mich raten, lang und kompliziert?", fragte Anni sanft.
Jasmin nickte und Anni fuhr entschlossen fort. "Okay, dann hier Möglichkeit zwei: Du hörst mir jetzt gleich ganz genau zu und dann gehen wir wieder da raus und du machst, um was du mich gebeten hast – einfach den ganzen Scheiß für heute Abend wegschieben. Du hast gesagt, du hilfst mir beim Lernen und ich nehm' dich jetzt beim Wort."
Jasmin musste lachen und schloss die Augen. "Okay, Meister Yoda – erleuchte mich mit deiner Weisheit."
Anni war einen Moment lang still und verschränkte schließlich ihre Finger mit denen von Jasmin, die daraufhin ein bisschen erschrocken die Augen wieder aufschlug, es aber geschehen ließ. Dann sah Anni ihr in die Augen und sagte ruhig: "Was glaubst du, ist deiner Mama lieber? Dass du sie anrufst, weil es dir beschissen geht oder dass du es vergisst, weil es dir gut geht?"
Jasmin blieb der Mund offen stehen. So hatte sie das noch nie betrachtet. Sie löste ihre Finger aus denen von Anni und umarmte sie spontan. "Danke", flüsterte sie.
"Gern geschehen", antwortete Anni leise. Erst nach ein paar Minuten lösten sie die Umarmung. Obwohl sie wusste, dass sie das nicht sollte, weil sie unterschiedliche Dinge voneinander wollten, genoss Anni die Nähe zu ihrer Mitbewohnerin, während Jasmin sich so wohl und sicher fühlte wie schon lange nicht mehr. Es fühlte sich einfach richtig und gut in Annis Armen an. Als sie sich schließlich voneinander lösten, strich Anni Jasmin eine Haarsträhne aus dem Gesicht und legte ihre Hand an ihre Wange. Jasmin schluckte. "Okay?", fragte Anni und Jasmin nickte. Anni stand auf und reichte ihr die Hand. Gemeinsam gingen sie wieder nach draußen, um da weiterzumachen, wo sie vor Katrins Besuch aufgehört hatten.


Ende Kapitel 6.

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BeitragVerfasst: 06.05.2014, 21:32 
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Hammer und wieder einmal Großartig. :danke:


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BeitragVerfasst: 07.05.2014, 18:06 
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:herzschlag: wie schöööööööööööööööööön

:danke:


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BeitragVerfasst: 07.05.2014, 19:33 
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"Kopfkino" trifft's schon wirklich gut, so lebendig wie Du einem immer alles vor's innere Auge zauberst und die Gefühle transportierst. Daaanke für das wundervolle neue Kapitel! :)

nur bei dem vielen Technikkram ging mir ein argh, das wird knifflig zu übersetzen durch den Kopf haha :wink:


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BeitragVerfasst: 10.05.2014, 06:55 
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Hey Nike, wieder mal ein ganz toller Teil! Sehr schön geschrieben :liebe2: :herzschlag:

Ich freue mich schon auf die Fortsetzung!


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BeitragVerfasst: 26.05.2014, 18:23 
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Hallo Nike

Dürfen wir uns über eine baldige Fortsetzung freuen? :liebe2:
Jetzt, da bei GZSZ ja gerade Anni-Freie-Zeit herrscht, freu ich mich besonders über die FanFics.

Gruss Speedy


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BeitragVerfasst: 27.05.2014, 04:45 
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Beiträge: 1016
Hallo zusammen,

momentan hab ich ein bisschen Stress, aber da wir diese Woche eine kurze Woche haben, versuche ich die kommenden freien Tage zu nutzen und wieder ein bisschen mehr zu schreiben.

Bitte habt ein bisschen Geduld.

DANKE!

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BeitragVerfasst: 02.08.2014, 15:37 
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Hallo Nike

Geht deine Geschichte noch weiter? Bin doch sehr gespannt, wie es mit den beiden weitergeht.
Würde mich extrem über eine Fortsetzung freuen :mrgreen:

:danke: ... und hoffentlich bis bald.


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