Kapitel 73: Soulmates
Victorias Gedanken rasten. Sie sah wie Ansgar völlig schockiert Ambers Brief las und durchlebte die Situation mit Amber noch einmal vor ihrem geistigen Auge.
„Amber, was ist los mit dir?“ fragte Victoria die zierliche Blonde als diese sie nach Büroschluss aufsuchte. „Kann ich mit dir reden?“ fragte Amber. „Ja, natürlich“, gab Victoria zurück. „Ich – Ansgar und ich haben uns getrennt“, sagte Amber gradeheraus. Victoria sah sie erschrocken an. „Was ist passiert?“, wollte sie dann wissen. „Ich habe mit einem anderen Mann geschlafen“, sagte sie dann. „Dann ist Ansgar ausgerastet, wollte mich schlagen. Aber angefangen hat alles, weil ich seinen Heiratsantrag nicht angenomme habe..“ „Warte mal eben, ich komme grad nicht mit, Heiratsantrag.. erzähle bitte der Reihe nach“, forderte Victoria Amber auf, und dann berichtete diese alles. Als sie geendet hatte, sah Victoria die zierliche Blonde nachdenklich an. „Ich weiss was Ansgar getan hat, war unverzeihlich, aber eines weiß ich, er liebt dich über alles. Und ich hoffe, dass es für euch eine Möglichkeit gibt, wie ihr das wieder hinbekommt!“ Das sagte Victoria ehrlich, denn auch wenn sie nie ganz über Ansgar hinweggekommen war, so mochte sie Amber doch sehr gern. „Ja, das hoffe ich auch. Aber das wird wohl nichts mehr.." fing Amber an, aber brach dann ab. „Warum? Wieso solltet ihr das nicht wieder hinbekommen?“, fragte Ansgars Asisstentin. „Ich muss jetzt gehen“, sagte Amber auf einem Mal in einem harten, fast unfreundlichen Tonfall und stand ziemlich abrupt auf. Dabei fiel ihre Handtasche zu Boden und entleerte sich. Victoria und Amber beugten sich zeitgleich um den Inhalt nebst Tasche aufzuheben. Victoria wollte Amber helfen, und hob eine Medikamentenschachtel auf. Dann stutzte sie als sie sah was Amber in ihrer Handtasche hatte. Es war eine 50er Packung eines Benzodiazepines, genauer gesagt, Bromazepan. Victoria kannte sich mit solchen Präparaten relativ gut aus und wusste, was für Suchtpotential sie verbargen. Sie blickte Amber aufmerksam an als sie ihr die Schachtel reichte. Amber riss sie ihr aus der Hand. „Ich kann das allein“, fauchte sie Victoria an. „Ich wollte nur helfen“, verteidigte sich Victoria. „Das hast du ja jetzt“, sagte Amber und drehte sich auf dem Absatz um. Victoria war mit einem Satz hinter ihr. „Amber!“, sagte sie vehement. „Bitte rede mit mir, was ist los?“ Kurzerhand drängte Victoria die sich widerstrebende Amber in das nächste Besprechungszimmer und fragte sie direkt, wieso sie so viel Tranquilizer mit sich herumschleppte. „Das geht dich nichts an!“ sagte Amber patzig. „Ja, du hast Recht, es geht mich nichts an, aber ich mache mir verdammt noch mal Sorgen, um dich und um Ansgar.“ Amber sah Victoria immer noch abwehrend an. „Wieso um Ansgar? Wir sind doch eh nicht mehr zusammen. Bald hast du deinen Ansgar eh wieder allein für dich, dann wird alles wieder gut“, sagte sie süffisant. Victoria zog die Augenbrauen hoch. „Also willst du es nicht noch einmal versuchen mit ihm, willst du dich entgültig trennen?“, wollte sie wissen. „Nein, ich WILL mich nicht trennen, ich MUSS mich trennen“, gab die Blondine zurück. Victoria zog die Stirn kraus. „Warum? Was ist passiert? Amber, ich mache mir Sorgen!“ „Ich sterbe, das ist los“, gab Amber zurück. Victoria schnappte nach Luft und setzte sich. „Wie.. was….?“ „Der Krebs. Er ist wieder ausgebrochen. Diesmal gibt es keine Hoffnung. Alles klar? Ist das Verhör beendet? Ach ja, und die Tabletten habe ich weil es eh egal ist was ich nehme, ausserdem kann ich bei Bedarf meinem Leiden selbst ein Ende setzen.“
Amber war aufgestanden. Victoria konnte nicht sagen, der Kloß in ihrem Hals war so groß, dass sie kein Wort herausbrachte. Ehe Amber zur Tür des Besprechungszimmers hinauskonnte, war Victoria dann mit einem Saz bei ihr. „Warte.. bitte…“ Amber sah sie aufmüpfig an. „Was?“ sagte sie genervt. „Ich weiss nicht, was ich sagen soll, es tut mir so leid…“ sagte Victoria und Tränen stiegen in ihre Augen. Amber verdrehte die Augen. „Stirbst du oder ich?“ sagte sie härter als beabsichtigt, und dann spürte sie, wie auch ihr die Tränen kamen. Sie liess es zu, dass Victoria sie in die Arme nahm , und dann unterdrückte sie ihre Tränen nicht mehr. Sie weinte in Victorias Armen wie ein Baby. Als Amber sich wieder beruhigt hatte, setzte sie sich wieder hin. „Victoria es gab keinen anderen Mann, das habe ich erfunden. Ich wollte ihm die Wahrheit sagen, aber ich habe es nicht geschafft. Erst der Heiratstantrag .. und auch in der Reha habe ich es nicht geschafft. Ich will ihm keine Sorgen machen. Er hatte doch gerade erst die schwere OP, es geht einfach nicht.“ Victoria nickte. „Ich verstehe dich, aber Amber, irgendwann MUSST du es ihm sagen, ich hoffe, das weisst du? Vor allem wenn da nichts anderes mit einem anderen Mann war, dann leidet er jetzt ohne Grund.“ Amber nickte „Ich weiss. Das ist ja das Schlimme.“ Amber sah Victoria eindringlich an. „Victoria? Bitte tu mir den Gefallen und sag Ansgar nichts, hörst du?“ „Nein, ich werde ihm nichts sagen, wenn du mir versprichst, dass du ihm die Wahrheit sagst, wenn du so weit bist.“
Ansgar liess den Brief sinken. Er war wie gelähmt. Tränen schossen ihm in die Augen. Er spürte, wie ihm der Boden unter den Füssen weggezogen wurde. Mit zittrigen Händen zwang er sich, weiter zulesen.
„Ich war ja in regelmäßigen Abständen bei der Nachsorge und Kontrolle bei Professor Dr. Schulte. Dieser hat dann vor einigen Wochen festgestellt, dass der Krebs wieder ausgebrochen ist. Und diesmal so wirklich. Wenn Amber was macht, macht sie es halt richtig.“
Wieder lies Ansgar den Brief sinken. „Wochen“, Amber war seit Wochen mit der Gewissheit, dass sie sterbenskrank war, herumgelaufen, und er Trottel hatte nichts gemerkt.
Unter Tränen las Ansgar weiter:
„Aber bitte mach dir keine Vorwürfe, dass du es nicht gemerkt hast, denn ich bin eine verdammt gute Schauspielerin.
Und ich muss dir noch etwas sagen. Ich habe niemals mit einem anderen Mann geschlafen. Ich habe dir an dem Abend in der Reha sagen wollen, dass der Krebs zurück ist, aber dann konnte ich es nicht. Als du diesen Verdacht aussprachst mit dem anderen Mann, so erschien es mir leichter, es darauf zu schieben. Es tut mir so leid, dass ich dich in dem Glauben liess, dass ich dich betrogen habe.
Ich weiss, wie du dich jetzt fühlst, Ansgar, und ich wünschte mir, ich könnte dir diesen Kummer ersparen, aber das kann ich nicht. Du weisst, wie sehr ich Mitleid hasse, und ich kann und will nicht eine Last für jemanden werden. Auch wenn ich weiss, dass du mich begleiten würdest, so will ich das nicht.
Ich war immer ein Mensch, der innerlich vogelfrei war, und so bringe ich mein Leben auch zu Ende. Ich hätte mich ja niemals von dir verabschieden können; denn, wie macht man sowas? Von daher war es gut so, wie es gewesen ist. Ich hatte nicht mal vor, an diesem Tag zu gehen, aber als ich mit Shadow über die Felder ritt, fühlte ich mich so frei und unbeschwert, dass ich beschloss, zu gehen.
Ich kann nicht erwarten, dass du mir verzeihst oder mich verstehst, aber ich bitte dich inständig, behalte mich so in Erinnerung wie ich bin/war. Als lebenslustige, fröhliche Person, die stets gesagt hat, was sie denkt, und die dich so geliebt hat, wie es wohl nie wieder eine Frau tun wird.
Ansgar, ich hätte keine Sekunde gezögert, mich umzubringen, wenn du nicht gewesen wärst. Ich hatte die Tabletten schon in meiner Tasche, frag Victoria, die hat mich gesehen, hat die Tabletten gesehen. Nur durch dich hatte ich die Kraft überhaupt weiterzumachen. Damals, als du mich kennengelernt hast, hast du mich schon durch deine Art, mir zu zeigen, dass du für mich dawarst auf eine Weise gerettet, denn ich hatte mich schon aufgegeben. Man könnte sagen, du hast mir das Leben gerettet, Ansgar. Ich habe in dem einen Jahr mit dir soviel Schönes erfahren können, und ich bin dir so dankbar für alles. Du hast mir gezeigt, was Liebe ist, und hast mir den sinnbildlichen Spiegel vorgehalten, wann immer ich wieder drauf und dran war, mit meiner selbstironischen Art und meinem Stolz alles zu verbaseln.
Ich weiss gar nicht für was ich alles “Danke“ sagen muss. Einmal, weil du mir meinen Lebenswillen zurückgegeben hast, dann für deine Liebe, dann, weil du mir das schönste Geschenk gemacht hast, was man einer Frau machen kann. Du hast mir einen Heiratsantrag gemacht, der schöner nicht hätte sein können, eben weil er so war wie er war. Und jetzt weisst du auch, warum ich weggelaufen bin, aus dem Schneiders. Das eine Jahr mir dir war das Schönste was ich je hatte. Ich habe es dir nie ganz verraten, aber Jeffrey hat mich nicht nur geschlagen, er hat mir halb tot geprügelt, und ich habe es nur knapp überlebt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich einem Mann noch einmal trauen könnte, aber dir habe ich vertraut. Ich weiss, wie schwer es auch dir fiel, sich einem Menschen ganz zu öffnen, aber du hast es getan, ich durfte dich genauso sehen wie du bist, und auch dafür danke ich dir. Gott, ich höre mich so kitschig an, just saying sorry for that...
Nicht zuletzt danke ich dir für die wunderbaren Stunden, die du mir mit Shadow geschenkt hast. Ich liebe dieses Pferd, und es reisst mir das Herz raus, ihn zurückzulassen, aber ich weiss, er wird es gut haben bei dir. Wenn immer du – ich weiss, dich interessiert das eigentlich nicht – auf Shadow reitest, und mit ihm gegen den Wind dahinprescht, kannst du an mich denken, wie glücklich ich war. Ich muss jetzt weinen, eigentlich schon die ganze Zeit, wo ich schreibe, aber nun wird es immer schlimmer…. Deswegen höre ich auf…
Ansgar, Ich bin wie du, und du bist wie ich, we are soulmates, that´s what i´ve always told.. and i hope you´ll understand why i chose this way... Du kennst meinen Stolz, Hilfe anzunehmen, und du würdest es genauso machen.
i love you more than anything in the world, bitte vergiss das nie. Vergiss mich nie! never forget..
Love, Amber“
Victoria sah, dass Ansgar den Brief zu Ende gelesen hatte. Sie sah, wie fertig er war, aber sie wusste nicht wie sie ihm helfen sollte.
Ansgar konnte nichts mehr sehen, die Tränen nahmen ihm die Sicht. „Der Grund warum ich gegangen bin ist der, dass ich sterben werde.“ Der Grund… sterben werde…..“Ansgar, Ich bin wie du, und du bist wie ich, we are soulmates“ Wieder und wieder schossen ihm Amber Sätze durch den Kopf, er konnte nicht glauben was sie schrieb. Warum hatte er nichts gemerkt, seit wann hatte Amber gewusst, dass es keine Hoffung für sie gibt? Und wieso, verdammt noch mal, hatte er nichts gemerkt???
Ansgar sprang auf. Er musste Amber finden! Es musste eine Möglichkeit geben. Gerade als er zur Tür herauswollte, kam ihm Victoria ihm entgegen. Blind vor Wut hielt Ansgar seiner Assistentin Ambers Brief unter die Nase. „WANN? Wann hattest du vor mir DAS zu sagen???“ brüllte er außer sich.
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