Post vom 19.06.14
Kapitel 28: Alte Wunden
Der vorläufige Abschied der beiden Frauen rückte immer näher, was besonders Rebecca zu schaffen machte, die ihre Wehmut am Abend vor Marlenes Abreise nur schwer verbergen konnte. Nachdenklich starrte sie auf ihren Teller und schob lustlos das Gemüse mit der Gabel zur Seite, während die Blondine ihr Gericht sichtbar genoss „was ist los? Schmeckt es Dir nicht? Dabei war dieses Restaurant doch ein Geheimtipp von Dir“ bemerkte Marlene verwundert und schaute ihr Gegenüber abwartend an. Rebecca hob den Kopf und rang sich ein Lächeln ab, sie wollte ihren letzten gemeinsamen Abend nicht ruinieren und beschloss deshalb sich zusammenzureißen „doch, tut es, es ist alles gut. Ich bin einfach schon satt“ erwiderte sie und legte ihr Besteck auf den Teller. Marlene nahm die Flasche Wein und füllte die Gläser noch einmal auf, wobei sie ihre Freundin skeptisch musterte „wie kann denn das sein, wo Du das Essen doch kaum angerührt hast? Und gefrühstückt hast Du heute Morgen auch so gut wie nichts...muss ich mir Sorgen machen, oder verrätst Du mir lieber, was plötzlich mit Dir los ist?“ Rebecca nahm ihr Glas zur Hand und grinste „ist Dir noch nicht aufgefallen, dass so weltliche Dinge wie Essen nur noch einen sehr kleinen Stellenwert bei mir haben, seit Du in mein Leben zurückgekehrt bist? Ich finde ja ohnehin, dass das total überbewertet wird...“ erklärte sie, und hoffte die andere damit überzeugt zu haben „Luft und Liebe also, ja? Das ist zwar sehr romantisch, aber um das schöne Essen ist es trotzdem schade, findest Du nicht? Außerdem komme ich mir ziemlich verfressen vor, wenn Dein Teller noch so voll ist, während meiner fast wie gespült aussieht“ erwiderte Marlene scherzhaft und blickte Rebecca aus ihren blauen Augen bittend an. Die Gräfin verstand den Wink, stieß einen resignierten Seufzer aus und nahm ihre Gabel wieder zur Hand „wenn es Dich glücklich macht...ich will ja schließlich nicht, dass Du Dich meinetwegen grämen musst“ bemerkte sie und aß noch den Rest von ihrem Gemüse. Marlene lächelte zufrieden und legte ihre Hand auf die von Rebecca „tut es...aber vor allem machst Du mich glücklich. Danke für die wunderschöne Zeit hier in New York. Das war zwar so ziemlich das chaotischste Weihnachten, das ich jemals hatte“ sagte sie grinsend „aber es war auch mit Abstand das Schönste“ fügte sie leise hinzu und beugte sich über den Tisch, um ein paar Küsse von ihrer Liebsten zu stehlen.
Auch etwas später, als sie bereits auf dem Weg zu Rebeccas Wohnung waren, fiel Marlene auf, dass die Gräfin ungewohnt schweigsam war, weshalb sie stehen blieb und das Thema erneut zur Sprache brachte „okay, Schluss jetzt mit dem Schweigen. Entweder Du sagst mir auf der Stelle was los ist, oder wir bleiben so lange hier stehen, bis uns Frostbeulen wachsen“ erklärte sie entschlossen und ließ keinen Zweifel daran bestehen, dass sie es genauso meinte. Rebecca jedoch wollte weiter und zog auffordernd an Marlenes Hand „ich habe Dir doch schon gesagt, dass alles in Ordnung ist...und jetzt komm bitte, mir ist nämlich wirklich kalt“ erwiderte sie leicht genervt, doch sie hatte die Rechnung ohne die Blondine gemacht, die langsam die Geduld verlor „von mir aus, dann geh ruhig, aber ohne mich. Es ist eh nicht sonderlich unterhaltsam mit Dir, da kann ich auch genauso gut hier bleiben. Ich habe mir unseren letzten Abend allerdings etwas anders vorgestellt, aber Du hast ja anscheinend beschlossen ihn mit Deiner schlechten Stimmung zu verderben. Wenn das schon nötig ist, dann wüsste ich aber wenigstens gerne, woran das liegt“ erklärte sie hörbar verärgert und ließ Rebeccas Hand los. Die Brünette war etwas perplex und versuchte die Wogen schnell wieder zu glätten „warum bist Du denn jetzt so wütend? Nur weil ich mal nicht die ganze Zeit plappere heißt das doch nicht, dass ich schlecht drauf bin. Es tut mir leid, wenn das so rüber gekommen ist...ich möchte den Abend doch auch genießen und deshalb ist das letzte was ich will, mit Dir zu streiten“ erklärte sie versöhnlich und ging auf die andere zu „können wir jetzt bitte nach Hause gehen? Da ist es nämlich schön warm...und obwohl ich Dich auch mit Frostbeulen nehmen würde, wäre es mir doch lieber, wenn alles an Dir frostfrei bliebe.“ Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf, in der Hoffnung, dass es ihre Freundin besänftigen würde und tatsächlich nahm Marlene schließlich wortlos ihre Hand, sodass sie ihren Weg fortsetzen konnten.
Zuhause angekommen schien zunächst alles in Ordnung zu sein, Marlene packte ihre restlichen Sachen zusammen und kam anschließend zurück ins Wohnzimmer, wo sie sich jedoch nicht wie erwartet direkt zu Rebecca gesellte, sondern eine Zeitschrift zur Hand nahm, um darin herum zu blättern. Die Gräfin wartete ein paar Minuten und stand dann auf „bilde ich mir das nur ein, oder bist Du jetzt diejenige, die das Reden eingestellt hat?“ fragte sie, umarmte die andere von hinten und küsste sanft ihren Nacken „naja, da Du heute eh nicht sonderlich an Gesprächen mit mir interessiert bist, kann ich mir die Mühe ja sparen. Außerdem wird reden ohnehin völlig überbewertet, genauso wie Essen, findest Du nicht?“ erwiderte Marlene leicht zynisch, was ausreichte, um Rebecca zu signalisieren, dass die Sache noch nicht ausgestanden war. Plötzlich wurde ihr wieder bewusst, dass auch Marlene ziemlich stur und unnachgiebig sein konnte, wenn sie das Gefühl hatte im Recht zu sein „findest Du nicht, dass es langsam mal gut ist? Ich habe mich doch schon entschuldigt...und ich glaube kaum, dass es uns hilft, wenn Du jetzt aus Trotz das Reden einstellst“ ließ sie die andere wissen, die daraufhin die Zeitschrift zuklappte und sie geräuschvoll auf den Tisch schmiss „das hat mit Trotz überhaupt nichts zu tun! Ich versuche nur Dir zu zeigen, wie das ist, wenn man nicht weiß was los ist, nur weil der andere den Mund nicht auf bekommt. Du hast Dich zwar entschuldigt, aber geändert hat sich deshalb nichts. Du bist immer noch komisch, oder zumindest verhältst Du Dich anders als sonst...Ich kenne Dich nun mal ziemlich gut, Rebecca von Lahnstein, daran haben auch neun Monate Trennung nichts geändert, falls Du das glauben solltest. Und auch, wenn Du es vielleicht übertrieben findest, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass es damals genauso angefangen hat. Erst haben wir aufgehört miteinander zu reden und dann kam irgendwann der große Knall. Ich weiß nicht, wie Du das siehst, aber ich will das ganz sicher nicht noch mal haben, und deshalb möchte ich verdammt noch mal wissen, was Dich so sehr beschäftigt, dass Du den ganzen Tag schon neben der Spur bist. Dafür muss es doch einen Grund geben, oder etwa nicht?“ Sie blickten sich eine Weile schweigend in die Augen, Rebecca wurde nach den deutlichen Worten ihrer Freundin bewusst, dass es hier offenbar um sehr viel mehr ging, und dass die alten Wunden noch lange nicht verheilt waren. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und griff dann nach Marlenes Hand „der Grund ist, dass ich die ganze Zeit darüber nachdenke, dass Du ab morgen weg bist, und dass ich einfach nicht weiß, wie ich es ohne Dich aushalten soll. Ich habe das immer ganz gut ausgeblendet, aber jetzt, wo der Tag so nah ist, kriege ich es irgendwie nicht mehr hin“ gab sie sichtbar zerknirscht zu „was denn, das ist alles? Warum hast Du mir das denn nicht einfach gesagt? Das ist doch nichts Schlimmes, mal ganz abgesehen davon, dass es mir nicht anders geht...“ erwiderte sie verwundert und erleichtert zugleich. Rebecca zog die Blondine mit sich zum Sofa, wo sie gemeinsam Platz nahmen „ich wollte keine trübsinnige Stimmung verbreiten, habe aber genau das Gegenteil erreicht, wie es scheint. Aber anscheinend bin ich ja nicht die einzige, die an manchen Dingen zu knacken hat, oder wie soll ich es verstehen, dass Du gerade so heftig reagiert hast? Dabei wirkst Du die ganze Zeit über so ruhig und gelassen, als würde Dir der bevorstehende Abschied gar nichts ausmachen“ erklärte sie etwas unsicher. Marlene seufzte leise „das ist doch Unsinn, natürlich macht es mir was aus, oder glaubst Du ernsthaft, dass ich nicht auch viel lieber bei Dir bleiben würde. Aber das geht nun mal leider nicht und außerdem ist es ja nicht für immer, wir sehen uns doch bald wieder...und bis dahin werden wir einfach so viel telefonieren und chatten, dass wir gar nicht dazu kommen uns zu vermissen“ versuchte sie die andere zu trösten, obwohl sie natürlich selbst wusste, dass es so einfach nicht war. Die junge Gräfin wirkte gequält „das Blöde ist nur, dass L. A. und New York nicht gerade Düsseldorf und Köln sind. Wenn wir uns sehen wollen, bedeutet das immer einen mehrstündigen Flug und wir können uns wohl kaum jedes Mal Urlaub deswegen nehmen, oder? Und nur für ein Wochenende macht das kaum Sinn, das hält auf Dauer keiner von uns durch, was wiederum bedeutet, dass wir uns maximal alle paar Wochen sehen können, wenn es hoch kommt. Mal ehrlich, Marlene, das ist doch Mist...wir waren doch nun wirklich lange genug voneinander getrennt und ich habe keine Lust darauf, mich ständig von Dir verabschieden zu müssen. Ich vermisse Dich doch schon, sobald Du durch die Tür gegangen bist, wie soll ich es da bitte wochenlang ohne Dich aushalten?“ erklärte sie deprimiert. Die Blondine sah sie hilflos an „das weiß ich doch alles selbst, aber was sollen wir denn machen? Die Situation ist nun mal so und das können wir nicht von heute auf morgen ändern. Wir müssen versuchen das Beste daraus zu machen und wenn Du möchtest, kannst Du mich schon bald wieder in L. A. besuchen kommen. Da ist es auch nicht so kalt wie hier und am Wochenende könnten wir wieder zum Strand fahren...“ versuchte sie ihre Freundin erneut aufzumuntern, doch Rebecca dachte bereits sehr viel weiter „ich könnte aber auch ganz nach L. A. übersiedeln, dann sparen wir uns die ganze hin und her Fliegerei und all unsere Probleme sind gelöst“ verkündete sie und sorgte damit für Sprachlosigkeit bei der überrumpelten Marlene.
Marlene blickte ihre Freundin ungläubig an und wusste im ersten Moment gar nicht, was sie sagen sollte, bis Rebecca nachhakte „was ist? Wieso sagst Du denn nichts dazu?“ wollte sie wissen und war verwundert, als Marlene plötzlich aufstand „was soll ich denn dazu sagen? Ehrlich gesagt hoffe ich, dass das gerade nur ein Scherz war.“ Die Gräfin runzelte die Stirn und erhob sich ebenfalls „wieso sollte ich damit scherzen? Natürlich habe ich das ernst gemeint...und eigentlich ist es doch die einzig logische Konsequenz“ bemerkte sie, und war noch immer leicht irritiert von Marlenes verhaltener Reaktion. Diese schien von der Idee jedoch alles andere als begeistert zu sein und ließ das Rebecca auch wissen „das ist nicht logisch, sondern reichlich voreilig und es kommt nicht in Frage!“ erklärte sie entschieden „wieso denn das? Ich verstehe nicht, was Dein Problem ist. Man könnte fast glauben, dass Du mich gar nicht in Deiner Nähe haben willst, jedenfalls nicht dauerhaft!“ regte die Brünette sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. Marlene verdrehte die Augen, sie konnte nicht glauben, dass sie diese Diskussion gerade wirklich führten „was soll denn dieser Unfug nun wieder? Darum geht es doch gar nicht“ erwiderte sie verständnislos „worum denn dann? Erkläre es mir doch bitte, dann kann ich es vielleicht auch verstehen.“ Marlene atmete hörbar aus und blickte direkt in die braunen Augen der Gräfin „kannst Du Dir das nicht denken? Wie soll das denn bitte funktionieren? Du hast doch gerade erst den Laden bekommen, den Du immer haben wolltest...Wie willst Du den denn von L. A. aus führen?“ fragte sie „gar nicht, aber das ist nun wirklich nicht das Problem, denn noch habe ich das Label ja gar nicht eröffnet und einen Laden kann ich schließlich genauso gut in L. A. aufmachen“ erwiderte Rebecca gelassen. Marlene schüttelte den Kopf „also neulich hast Du noch regelrecht davon geschwärmt und Dir schon ausgemalt, wie toll das alles wird und heute ist es einfach egal? Du hast schon vor Jahren davon gesprochen und immer betont, wie toll gerade dieser Laden ist und außerdem weiß ich, wie sehr Du New York liebst. Ich möchte nicht, dass Du das einfach aufgibst, nur weil wir jetzt wieder zusammen sind, Rebecca. Und abgesehen davon geht mir das gerade viel zu schnell, so etwas entscheidet man doch nicht nebenbei, das sollte gut überlegt sein“ gab sie zu bedenken, doch ihre Freundin wollte noch nicht aufgeben „was heißt denn hier, nur weil wir wieder zusammen sind? Das ist doch wohl der beste Grund, den es geben kann, oder nicht? Klar ist mir der Laden nicht egal, aber Du bist mir wichtiger und wenn ich bei Dir sein kann, dann ist es zweitrangig für mich, wo wir leben. Ich gebe ja zu, dass es ziemlich spontan ist, aber das war Dein Besuch in New York schließlich auch und den hast Du doch auch nicht bereut, oder etwa doch?“ Marlene schüttelte erneut den Kopf „das kannst Du aber nicht vergleichen und ich möchte das jetzt auch nicht weiter ausdiskutieren. Wir werden diese Entscheidung ganz sicher nicht heute treffen, und auch nicht morgen oder übermorgen. Ich habe Dir schon mal gesagt, dass ich nicht vorhabe die gleichen Fehler noch einmal zu machen...und Du möchtest doch sicher auch nicht, dass wir irgendwann wieder an dem gleichen Punkt sind wie damals, oder? Also lass es uns bitte etwas langsamer angehen und einfach abwarten, wie sich alles entwickelt“ erklärte sie leicht resigniert. Rebecca hatte inzwischen gemerkt, dass sie etwas übers Ziel hinaus geschossen war, aber sie war trotzdem enttäuscht und fühlte sich von Marlene zurückgewiesen „das klingt fast so, als würdest Du nicht sonderlich an uns glauben und daran, dass sich das zwischen uns positiv entwickelt“ sagte sie betrübt und lief an ihrer Freundin vorbei ins Schlafzimmer. „Rebecca, bitte...so war das doch gar nicht gemeint“ rief Marlene ihr noch nach, bevor die Tür zu fiel und beide Frauen vorerst mit sich und ihren Gedanken alleine waren.
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