VIII.
Eigentlich wollten sie um die Häuser ziehen. Jetzt saßen sie seit fast drei Stunden in Stellas Wohnung zusammen und tauschten ein update der letzten sechs Monate aus.
Stella hatte viel von der Arbeit erzählt, weniger von ihrem Singleleben und das Volker zu ihrem besten Freund geworden war. Katrin berichtet von ihrem Job, von Hamburg und ihrem Eheleben im hohen Norden. Sie war jetzt Teilhaberin der Sprachschule konnte endlich mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeiten nehmen.
„Rachel freut sich wie ein kleines Kind, wenn ich sie ab und zu begleiten kann – und ich freu mich noch mehr! Erstens weil sie sich freut, zweitens weil ich sie liebe und nicht zuletzt weil New York immer eine Reise Wert ist!“
Katrin präsentierte ihr berühmtes Honigkuchengrinsen und Stella hatte sie lange nicht so glücklich gesehen.
„Mensch Süße, ich freue mich so für euch!“ Sie meinte es von Herzen aber ihre Gesichtszüge wollten nicht dazu passen.
„Alles o. k.?“ Katrin beugte sich zu Stella „So schlimm?“
„Nein, … ach ich weiß auch nicht. Eigentlich läuft alles super…, in der Klinik und so.“
„Aber? Sag mir nicht, dass du noch immer in deinem Schneckenhaus hockst und auf Miss Perfect wartest?“
„Naja, im letzten halben Jahr schon … irgendwie.“ Stella versuchte erneut zu lächeln und zog dabei die Schultern hoch.
„Und in dem halben Jahr davor auch … und davor. Stella du musst ’raus und dich zeigen! Vielleicht auch ’mal selber ein bisschen mehr Initiative zeigen. Der Ansatz vorhin an der Tür war gar nicht schlecht, wenn ich auch nicht als Zielperson tauge. Gibt es denn hier keine nette Nachbarin?“
„Doch …, aber Frau Hess ist schon über achtzig und erinnert mich mehr an meine Oma.“
„Jetzt bleib doch ’mal ernst.“
„Das musst du gerade sagen. Du tust ja so als ob ich seit Jahren allein und verbiestert vor mich hin vegetiere.“
„Tust du nicht? … Also Tacheles: Mit wie vielen Frauen hattest du ’was – sagen wir im letzten Jahr?“
Trotz ihrer Freundschaft fand sie die Frage unverschämt, aber neben ihrer Wut spürte sie einen Stich.
Nachdem sie sich vor gut drei Jahren von Sandra getrennt hatte, war sie anfangs wahllos mit jeder Frau ins Bett gegangen, die nicht schnell genug erkannte, wie emotional kaputt sie war. In dieser Zeit hatte sie nichts und niemandem wirkliche Beachtung geschenkt, sie war nicht sie selbst gewesen, was auch ihre Arbeit nicht unberührt gelassen hatte.
Fast ein halbes Jahr war das so gegangen. Dann hatte sie sich entgegen aller Vernunft auf eine Kinderkrankenschwester der Notaufnahme gestürzt und diese ‚bekehrt’ – Stella schluckte, als all die weit verdrängten Gefühle von Schuld, Selbstverachtung und Angst wieder in ihr aufstiegen.
Natürlich hatte die ‚Beziehung’ nicht gehalten, nachdem sie ein paar Mal miteinander geschlafen hatten, war der Reiz weg und sie war wie davor weiter gezogen.
Stella hatte versucht ihr einfach aus dem Weg zu gehen und sie nicht zu beachten, was aber auf der Arbeit gar nicht so einfach gewesen war. Schnell hatten sich Grüppchen gebildet und es wurde überall getuschelt.
Während eines Nachtdienstes hatte Melanie sie abgepasst und wieder ’mal weinend um eine Erklärung gebeten. Sie hatte sich geschlagen gegeben und über eine Stunde mit ihr ‚diskutiert’.
Das kleine Mädchen, das aus dem Hochbett gefallen war und sich den Oberschenkel gebrochen hatte, war aus ihren Gedanken verschwunden gewesen – bis zu dem Moment als sie den Notfallalarm gehört hatte.
Sie spürte eine Hand auf ihrem Arm und sah kurz Katrins besorgte Augen.
„Es tut mit leid …, ich wollte nicht so direkt werden. Bitte vergiss was ich gesagt habe, ... es war dumm von mir.“
Stella sagte nichts, sie starrte mit Tränen in den Augen vor sich hin.
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