Straßen räumen will gelernt sein
Hier ist die Autobahn vorbildlich geräumt, dort vermatscht und rutschig: Die Landesregierungen haben sich höchst unterschiedlich auf drohendes Schneechaos eingestellt. Ein Vergleich zeigt, warum sich Niedersachen gefährlich verrechnet hat - und was die Bayern besser machen.
Wer bei Schnee und Eis mit dem Auto durch Deutschland fährt, erlebt Föderalismus in Reinform. Beispielsweise auf einer Tour nach den Weihnachtstagen, von Heidelberg ins Erzgebirge und am nächsten Tag weiter nach Hamburg. Die Autobahn in Bayern: trotz Schneefalls vorbildlich geräumt. Die A14 in Sachsen-Anhalt: selbst bei geringem Verkehr perfekt gestreut. Und dann Niedersachsen: ein einziges Desaster
Auf der A7 zwischen Hannover und Hamburg türmte sich der Schnee. Auf der linken Spur lagen gut 15 Zentimeter, auf der mittleren Fahrbahn hatte der rege Autoverkehr inzwischen Schneematsch daraus gemacht - nur die rechte Spur war freigeräumt.
Auf Nachfrage von "Spiegel online" räumte die zuständige Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr ein: Derzeit ist in Niedersachen kein vollständiger Winterdienst möglich. Auf Autobahnen wird lediglich der Hauptfahrstreifen geräumt und gestreut, Bundesstraßen werden gar nicht geräumt, Ausnahmen sind Unfallschwerpunkte.
Zu knapp mit dem Streugut kalkuliert
Als Grund nannte ein Sprecher der Behörde die knappen Streugutvorräte. Lediglich rund 6000 Tonnen seien noch in den Lagern - und es hapere am Nachschub. "Wir bekommen jeden Tag rund 1700 Tonnen. Das reicht nicht für einen vollständigen Winterdienst", sagt der stellvertretende Behördensprecher Jens-Thilo Schulze. Offenbar hat Niedersachsen zu knapp kalkuliert.
Das weist die zuständige Behörde jedoch von sich. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Vorräte bereits um fünf Prozent aufgestockt worden, von insgesamt 70.000 auf 73.500 Tonnen, betonte Schulze. "Die Lager waren zu Beginn des Winters voll." Auch seien die Bundesvorgaben eingehalten worden, wonach 70 bis 80 Prozent des voraussichtlichen Bedarfs vorgehalten werden müssen. Dieser habe in den vergangenen Jahren bei durchschnittlich 100.000 bis 110.000 Tonnen gelegen.
Man könne keine immensen Vorräte anlegen, argumentiert Schulze. "Salz verdirbt, weil es Feuchtigkeit zieht." Außerdem werde im Lauf des Winters ja immer wieder nachbestellt. "Und normalerweise wird problemlos geliefert." Allerdings räumte der Sprecher ein, dass Niedersachsen die Verträge mit den Salzlieferanten überarbeiten werde.
"Wenn wir blank sind, müssen wir Prioritäten setzen"
Auch in Nordrhein-Westfalen fehlt es an Salz - obwohl das Land mehr Streumittel geordert hat, als es durchschnittlich im Winter benötigt. "Unsere Strategie geht leider trotzdem nicht auf", sagt Bernd Löchter, Sprecher der Straßenbauverwaltung. "Die Salzindustrie ist einfach nicht in der Lage, unsere Nachfrage zu bedienen."
In diesem Winter hat der Räumungsdienst auf Nordrhein-Westfalens Autobahnen, Bundes- und Landstraßen schon 170.000 Tonnen Streugut verbraucht. Eigentlich bräuchte das Bundesland bei diesem Wetter bis zu 10.000 Tonnen Salz am Tag, um die Straßen verkehrstauglich machen zu können. Derzeit werden Löchter zufolge jedoch nur 4000 Tonnen täglich angeliefert.
Der stockende Nachschub führte im Dezember bereits dazu, dass Straßen im Raum Köln und die A45 gar nicht mehr geräumt wurden - und das ausgerechnet rund um die Weihnachtstage. "Der Winterdienst ärgert sich genau so sehr darüber wie die Autofahrer", sagt Löchter. "Aber wenn wir so blank sind wie jetzt, müssen wir eben Prioritäten setzen." Am wichtigsten seien die Autobahnen und kritische Punkte wie Gefällestrecken, Kurven und Brücken.
Löchter sieht die Verantwortung jedoch nicht bei seiner Behörde: Rund 2000 Straßenwärter seien in NRW unterwegs, außerdem stehen 700 Räumfahrzeuge zur Verfügung. "Aber was bringen uns Personal und Gerätschaften, wenn das Streugut fehlt?", gibt der Sprecher der Straßenbauverwaltung zu bedenken. Man müsse sich darauf gefasst machen, dass vereinzelt nur noch Hauptfahrstreifen geräumt werden, wenn nicht bald Nachschub eintreffe.
Salzlieferanten stellen zusätzliche Mitarbeiter ein
Die Salzlieferanten stoßen inzwischen tatsächlich an ihre Grenzen, so auch die Firma Esco, einer der größten Streugutproduzenten Deutschlands. "Vielerorts haben wir die Vertragsmengen bereits ausgeliefert", sagte Unternehmenssprecher Holger Bekemeier "Spiegel online". Im Vergleich zum vergangenen Jahr sei die Nachfrage um das Dreifache angestiegen: "Wir haben auch nicht geglaubt, dass der Winter 2009/2010 getoppt werden könnte."
Zwar habe Esco die Lagermengen hierzulande von 800.000 auf 900.000 Tonnen Streusalz gegenüber dem Vorjahr erhöhen können. Doch weil auch das nicht ausreiche, würde inzwischen von den Schwestergesellschaften in Nord- und Südamerika zugeliefert. Zudem versuche das Unternehmen, auch im Inland für Nachschub zu sorgen: In der Produktion seien 120 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt worden, die Werke liefen rund um die Uhr. "Dieses Wetter stellt uns vor eine noch nie da gewesene Situation", so Bekemeier.
Vielen Städten und Gemeinden geht das Streusalz aus, weil sie sich offenbar nicht an dringende Empfehlungen der Verkehrsministerkonferenz gehalten haben. Die "Rheinische Post" zitiert aus einem internen Strategiepapier des Gremiums mit der Überschrift "Maßnahmen zur Vermeidung eines Salznotstandes", in dem Experten bereits im August klare Vorgaben für unbedingt notwendige Streusalzmengen auflisteten.
Für vierstreifige Autobahnen sollten die Winterdienste danach mindestens zehn Tonnen Salz pro Kilometer bevorraten, für zweispurige Bundes-, Landes-, Kreis- und innerstädtische Straßen seien mindestens 3,5 Tonnen je Kilometer als Mindestreserve unerlässlich. Nach Stichproben der Zeitung hielten manche Städte aber nicht einmal die Hälfte jener Mindestmengen auf Lager. Im vergangenen Winter hätten gerade 20 Prozent der Städte über ausreichende Mindestvorräte verfügt.
"Wir haben kein Versorgungsproblem"
Vorausdenken lohnt. Das beweist Bayern mit seiner Winterplanung. "Wir haben kein Versorgungsproblem", sagte Holger Plank, ein Sprecher des zuständigen Innenministeriums in München. Zwar sei am 27. Dezember mit 320.000 Tonnen Salz die sonst für den gesamten Winter auf Autobahnen benötigte Menge von 300.000 Tonnen bereits überschritten worden. "Aber wir haben zurzeit noch 120.000 Tonnen vorrätig", so Plank. Das würde für sechs Volleinsatztage mit Winterdienst rund um die Uhr reichen. Das Land ist insgesamt für 25.000 Kilometer Straßen zuständig.
Die Bayern setzten auf frühzeitiges Bunkern. "Wir fangen bereits im Sommer mit dem Einlagern an", erklärt der Ministeriumssprecher. Beispielsweise in Oberfranken, das im Winter meist besonders betroffen ist, seien rund 60 Prozent des durchschnittlichen Jahresbedarfs an Salz bereits vor Wintereinbruch gelagert worden. Außerdem habe Bayern in diesem Jahr deutlich größere Vorräte angelegt als sonst und habe den Vorteil, bei Nachlieferungen aufgrund der großen Mengen von den Lieferanten bevorzugt behandelt zu werden.
Auch bei Manpower und Hardware sind die Bayern gewappnet: Rund 3000 Beschäftigte stehen für den Winterdienst bereit und 700 Fahrzeuge. Bei Bedarf können weitere 600 Fahrzeuge von privaten Unternehmen hinzugezogen werden. Dennoch: "Wenn es im Januar so weiterginge wie bisher, würden auch wir vielleicht in die Knie gehen."
Aus der Vergangenheit gelernt
Baden-Württemberg hat ebenfalls aus der Vergangenheit gelernt und ausreichend Streusalz vorrätig. Im Winter 2009/2010 betrug der Streusalzverbrauch auf den Autobahnen 82.150 Tonnen. "So ein hoher Verbrauch wurde in Baden-Württemberg zuvor noch nie erreicht", sagte Gerhard Schmidt-Hornig, ein Sprecher des Verkehrsministeriums. Das ließ sich das Land rund 15,63 Millionen Euro kosten. Hinzu kamen noch einmal 202.440 Tonnen Salz für Bundes- und Landesstraßen.
Die landesweite Lagerkapazität für den Autobahnbereich liegt bei 38.000 Tonnen Trockensalz und entspricht dem durchschnittlichen Bedarf über 20 Jahre. Die Reserven reichen für fünf volle Winterdiensttage auf dem über 1040 Kilometer langen Autobahnnetz. Sobald 20 Prozent der Lagerkapazität verbraucht sind, wird in Baden-Württemberg neues Salz bestellt. Hierfür gibt es entsprechende Verträge, die eine Lieferfrist von maximal 72 Stunden vorsehen.
Auch Sachsen-Anhalt stützte sich bei den Kalkulationen auf die Zahlen des Winterdienstes 2009/2010. Damals wurden auf den Autobahnen durchschnittlich etwa 45 Tonnen Salz je Kilometer ausgebracht; auf Bundesstraßen waren es 16, auf Landesstraßen rund acht Tonnen je Kilometer. Das Straßennetz in Sachsen-Anhalt umfasst 658 Kilometer Bundesautobahnen, 2462 Kilometer Bundesstraßen und 3974 Kilometer Landesstraßen.
Nach Auskunft von Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre wurden in den Depots der Straßenmeistereien für diesen Winter rund 45.000 Tonnen Streusalz und 5400 Liter Sole eingelagert. 600 Mitarbeiter sowie 340 Räum- und Streufahrzeuge stehen bereit.
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