Teil 31:
Marlene hatte sich ins Bett gelegt, sie lag auf dem Bauch, den Brief in der Hand und begann zu lesen, was Rebecca ihr geschrieben hatte.
Mein Engel,
ich danke Dir für das Foto, dass Du Sebastian mitgegeben hast und für Deine lieben Worte, die mir viel Kraft und neuen Mut gegeben haben. Dein Foto hängt jetzt an der Wand direkt neben meinem Bett, es ist das einzig schöne in dieser Zelle und ich schaue es fast den ganzen Tag lang an. Wenn ich meine Augen schließe sehe ich Dich und dann stelle ich mir vor, wie Du immer noch verzweifelt versuchst die passenden Schuhe für unseren Urlaub auszusuchen. Ich hoffe Du konntest Dich inzwischen entscheiden, denn wenn ich hier raus komme, will ich mit Dir ans Meer fahren und mich nicht länger mit der Schuhfrage beschäftigen. Genau genommen brauchen wir für den Strand gar keine Schuhe, pack statt dessen lieber ein paar Bikinis und Badeanzüge ein. Aber nicht die aus meiner Kollektion, darin darf Dich keiner sehen außer mir. (Du siehst einfach zu sexy darin aus und was das angeht, bin ich nun mal sehr eigen) Mein Bruder hat mir vorhin von Deinen Schuldgefühlen erzählt und als ich von Deinem Schwächeanfall gehört habe, wäre mir fast das Herz stehen geblieben. Was machst Du denn für Sachen? Wie kannst Du auch nur einen Moment lang glauben, dass Du Schuld bist an diesem Dilemma? Was David getan hat, konnte niemand voraussehen Marlene, kein Mensch hätte ahnen können, wozu er fähig ist. Ich habe keine Ahnung was geschehen ist, nachdem ich das Haus verlassen habe, aber ich vermute, dass er gestürzt ist bei dem Versuch mir nachzurennen und das er diese Gelegenheit dann genutzt hat um mich zu beschuldigen. Was auch immer dahinter steckt, das alles hat längst nichts mehr mit Dir zu tun, sondern einzig und allein damit, dass David krank ist. Hör bitte auf Dich verantwortlich zu fühlen für etwas, dass Du nicht beeinflussen kannst. Du kannst nichts dafür, dass er besessen ist und Du kannst auch nichts dafür, dass er diese Lüge erfunden hat, um uns zu trennen. Wofür genau also gibst Du Dir die Schuld? Weil Du ihn kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet hast? Weil Du ihm vertraut hast? Marlene, auch wenn ich vielleicht das Gefühl hatte, dass er nicht mit offenen Karten gespielt hat, so wusste auch ich nicht, was für ein Mensch er ist und zu was er fähig ist. Wir haben uns beide in ihm getäuscht, aber es ist deshalb nicht unsere Schuld, dass alles so gekommen ist. Versprich mir bitte, dass Du aufhörst Dir Vorwürfe zu machen und besser auf Dich acht gibst. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast Du gesagt, dass ich stark bin. Aber ich kann nur stark sein, wenn Du es auch bist Marlene, denn Du gibst mir diese Kraft und nur unserer Liebe verdanke ich es, dass ich noch nicht aufgegeben habe. Es geht mir eigentlich ganz gut hier, mein „Zimmer“ ist zweckmäßig und schlicht eingerichtet, ok zugegeben, ein bisschen Farbe könnte nicht schaden. Das Essen ist besser als man glaubt (es übertrifft fast unsere eigenen Kochkünste, aber das ist ja auch nicht allzu schwer). Und die Schließer sind auch alle ganz in Ordnung, wenn man mal davon absieht, dass sie mich zu unmenschlichen Zeiten aus dem Bett werfen... Eigentlich ist das Schlimmste hier meine Sehnsucht nach Dir, denn ich vermisse Dich jede einzelne Minute und ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen. Du selbst hast doch neulich gesagt, ohne Dich ist keine Option für mich...und genau deshalb werden wir bald wieder zusammen sein. Glaub bitte ganz fest daran Marlene, ich tue es auch. Ich liebe Dich und schicke Dir 1.000.000 Küsse (damit Du einen kleinen Vorrat hast, bis ich wieder da bin)
Deine Rebecca
Marlene las den Brief mehrmals hintereinander und mit jedem Male ging es ihr ein bisschen besser. Rebecca hatte geschafft, was allen anderen nicht gelungen war, sie hatte ihr die schwere Last von den Schultern genommen und Marlene spürte förmlich, wie der Druck nachließ. Ihre Freundin hatte versucht sie aufzuheitern, was in Anbetracht der Tatsache, dass sie es war, die im Gefängnis saß, schon etwas merkwürdig war. Aber es war ihr gelungen und Marlene liebte sie umso mehr dafür. Rebecca besaß die Fähigkeit in ihr Innerstes zu gucken, das war von Anfang an so gewesen und es war ein schönes Gefühl. Sie las noch einmal das Ende des Briefes und musste schmunzeln, als ob eine Million Küsse reichen würden, um die Zeit zu überbrücken. Aber es war ein Anfang und Marlene küsste das Stück Papier, das im Moment das wertvollste war, was sie besaß und legte es unter ihr Kissen. Sie dachte an Rebecca und daran, dass sie jetzt in ihrer Zelle saß und vermutlich furchtbar traurig und einsam war. Marlene war klar, dass Rebecca bei ihrer Schilderung bezüglich des Gefängnisses untertrieben hatte, mit Sicherheit war das alles ganz furchtbar für sie und sie hatte es nur geschrieben, um Marlene zu beruhigen. Sie griff nach dem Bild von Rebecca, dass neben ihrem Bett auf dem Nachtschränkchen stand „Du bist so tapfer...und ich werde es ab jetzt auch wieder sein, das verspreche ich Dir“ flüsterte sie, küsste das Bild und stelle es zurück. Sie zog sich schnell aus, legte sich ins Bett und schließlich sorgten die Erschöpfung und der Schlafmangel der letzten Tage dafür, dass sie in einen tiefen Schlaf fiel.
Isabelle war wieder in ihrer schäbigen Unterkunft angekommen, es war eine fürchterliche Pension, die den Namen eigentlich nicht verdiente, aber sie lag am Rande von Düsseldorf und hier würde man so schnell bestimmt nicht nach ihr suchen. Außerdem hatte sie wieder einen völlig anderen Namen angegeben, was in dieser Kaschemme wohl nicht gerade selten vorkam. Sie ging zum Waschbecken, drehte den Hahn auf, ließ sich eiskaltes Wasser in die Hände laufen und tauchte dann ihr Gesicht hinein. Sie blickte in den verschmierten Spiegel und erkannte die Frau nicht mehr wieder, die sie dort sah. Sie schüttelte den Kopf und ging zurück in den Schlafraum, wo sie sich auf das Bett setzte. Nachdem sie beobachtet hatte, wie Marlene und diese andere Frau das Krankenhaus verließen und sie noch eine ganze Weile gewartete hatte, ging sie erneut in das Gebäude, um endlich mit David zu sprechen. Es war ein kurzes Gespräch gewesen, sie hatte ihn angesehen und ihn gefragt, ob es stimmte, was er da behauptete. Ihre Augen hatten sich in seine gebohrt und noch bevor er etwas gesagt hatte, kannte sie die Wahrheit. Sie hatte ihn böse angeschaut und ihn gefragt, was wirklich geschehen sei und nach einer ganzen Weile des Schweigens sagte er „ich bin gestürzt, es war keine Absicht...ich wollte hinter ihr her und bin dann auf irgendetwas ausgerutscht...“ Isabelle war fassungslos gewesen, obwohl sie es bereits geahnt hatte, doch egal was sie ihm sagte, es prallte an ihm ab. Er sagte „es gibt kein zurück mehr und Du hängst mit drin. Halt einfach weiter Deinen Mund und verschwinde am Besten von hier, niemand weiß wer Du bist und wird einen Zusammenhang herstellen können. Du kannst weiter Dein Leben leben, ich werde Dich in Ruhe lassen und bekomme am Ende endlich das, was ich mir am meisten wünsche...“ Voller Abscheu starrte sie ihn an und er hatte wenigstens den Anstand seinen Blick zu senken, als er sagte „es tut mir leid, dass ich Dich so behandelt habe...wir sind immerhin...“ Doch sie ließ ihn nicht ausreden „wir sind gar nichts mehr David! Du bist für mich gestorben und ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr Du mich anwiderst. Was Du da tust ist das aller letzte und ich kann nur hoffen, dass Du damit nicht durchkommen wirst.“ Er sagte „falls Du auf die Idee kommen solltest der Polizei von diesem Gespräch zu erzählen, werde ich alles abstreiten. Außerdem erfahren dann doch alle von Deinem kleinen Geheimnis und das willst Du doch nicht, oder?“ Isabelle wusste nichts mehr zu sagen, sie war einfach nur leer und unglaublich wütend „fahr zur Hölle David“ war das Letzte was sie sagte, bevor sie ihm den Rücken zukehrte und das Krankenhaus verließ. Als sie jetzt hier saß, musste sie plötzlich wieder an Marlene denken und wie schlecht sie ausgesehen hatte, als sie aus dem Krankenhaus kam, ihre Bekannte hatte sie sogar stützen müssen. Isabelle fasste sich unbewusst an die Wange, die Ohrfeige von Marlene hatte sie mehr als verdient. Was sollte sie bloß tun, konnte sie überhaupt etwas tun? Beweise hatte auch sie nicht, aber eine Aussage würde sicherlich einiges in ein anderes Licht rücken. Isabelle war verzweifelt, ihr Leben stand auf der Kippe und sie musste jetzt eine Entscheidung treffen. Sollte sie gehen, einfach weiter machen wie bisher und mit dem Wissen leben, dass eine unschuldige Frau im Gefängnis saß. Oder sollte sie sagen was sie wusste und dafür riskieren, dass ihr ganzes Leben zusammen bricht und sie am Ende ganz alleine dar stand? Isabelle raufte sich die Haare, es ging einfach nicht, sie musste schnellstens aus Düsseldorf verschwinden.
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